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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Die Renaissance des Riegels

Jens Peters | Montag, 3. Mai 2010 5 Kommentare

José Mourinho führt Inter Mailand über den FC Barcelona ins Finale der Champions League und trifft dort auf seinen Lehrmeister. Die Presse über einen gottgleichen Trainer „zwischen Revolution und Realpolitik“.

Ralf Itzel (FR) spricht von der „Renaissance des Riegels“. „Als Anhänger des dominanten Passspiels dürfte der Lehrer (van Gaal, Anm.d.Red.) den Auftritt der Elf des Schülers (Mourinho, A.d.R.) am Mittwoch im Camp Nou nicht sonderlich goutiert haben. Dafür wäre Helenio Herrera stolz gewesen auf Mourinhos Maurer. Der argentinische Meistertrainer erfand den Catenaccio und führte Inter mit dieser ultradefensiven Riegeltaktik in den 60er Jahren zu den beiden bisher einzigen Titeln im kontinentalen Meistercup.“

Florian Haupt (Welt Online) dagegen sieht José Mourinho „dem lieben Gott ganz nah“. „Allein Mourinho hatte nichts Spielerisches an sich, seine Freude war purer Triumphalismus. Immer wieder zeigte er mit dem Finger nach oben, wo die einzige Instanz residiert, die er für noch spezieller hält als sich selbst.“ Und auch Haupt sieht das Geheimnis des Erfolgs im perfekten Inter-Catenaccio: „Ohne einen Italiener in der Anfangself spielte Inter durch und durch italienisch; jetzt hat es im Finale die Chance, sich eine Obsession, pardon: einen Traum zu erfüllen, in den Präsident Massimo Moratti in den vergangenen Jahren eine knappe Milliarde Euro investiert hat – und zum ersten Mal seit 45 Jahren wieder den wichtigsten Europapokal zu gewinnen.“

Birgit Schönau beschreibt dagegen in der Basler Zeitung Mourinhos steinigen Weg in Italien, auf dem er sich nicht nur Freunde machte: „Dem grauen Konformismus im noch immer in Feudalstrukturen organisierten Spielbetrieb sagte Mourinho vom ersten Tag an den Kampf an. Er attackierte Kollegen, deren Langweilerfussball nicht mehr einbringe als ‚zero tituli‘, null Trophäen […] Das hatte noch keiner gewagt. Aber anstatt den Rüpel zurechtzuweisen, verfiel Italien Mourinhos wildem Charme. Der mit 11 Millionen Euro Jahresgehalt bestbezahlte Trainer der Welt wurde im Land des Fussballpräsidenten Berlusconi zur Kultfigur. Die Presse widmete ihm Leitartikel, in denen vom ‚Leninismus des Mr. Mourinho‘ die Rede war – der Fussballstratege zwischen Revolution und Realpolitik.“

Peter B.Birrer von der Neuen Zürcher Zeitung sah einen Kontrast der Fußballnationen im Halbfinale der Champions League: „Hier Kreation, dort Zerstörung, schier ausschließlich, während 96 Minuten und 11 Sekunden. Inter war eine Wand, schlug Bälle weg, spielte auf Zeit und holte sich die Legitimation für das Unappetitliche, weil Thiago Motta früh des Feldes verwiesen wurde. Zu zehnt könne man im Camp Nou nicht anders spielen, ist ein Teil der italienischen Argumentationskette.“

Am 22.Mai steigt nun in Madrid das Finale um die Champions League. Einige alte Bekannte treffen im Estadio Bernabeu aufeinander, wie Roland Zorn von der FAZ berichtet, der Inters Weiterkommen auch nicht nur auf Mourinho reduziert: „Sie werden sich auf ein Wiedersehen mit ihrem alten brasilianischen Abwehrchef Lucio freuen, der wieder einmal ein beispielhafter Vorkämpfer seiner Abwehr war. Barcelona verzweifelte an Lucio, seinem Nebenmann Samuel und Torhüter Julio Cesar.“

Anja Schramm (Welt Online) arbeitet noch einmal van Gaals und Mourinhos Verhältnis aus alten Zeiten auf: „Die Freundschaft ihrer Übungsleiter hat eine Historie: Einst gaben van Gaal und Mourinho gemeinsam Anweisungen, in den 90er-Jahren beim FC Barcelona, van Gaal als Chef, Mourinho als lernender Assistent. Mittlerweile sind sie die Einzigen ihrer Gilde, die es bereits mit drei verschiedenen Mannschaften ins Champions-League-Halbfinale geschafft haben. Mourinho mit Porto, Chelsea und Inter, van Gaal mit Ajax, Barca und nun dem FC Bayern.“

Kommentare

5 Kommentare zu “Die Renaissance des Riegels”

  1. Peter Glock
    Montag, 3. Mai 2010 um 10:08

    Gab es da nicht mal einen Verweis auf eine sehr interessante englische Seite? Da hatte die ganz nüchtern darüber aufgeklärt, warum der VfB gegen Barcelona verlieren „musste“…
    Was die jetzt schreibt, wäre sehr interessant!

  2. fußballgott
    Montag, 3. Mai 2010 um 11:12
  3. Karl Rappan
    Montag, 3. Mai 2010 um 17:14

    Dass Ralf Itzels Behauptung, Helenio Herrera habe den Catenaccio „erfunden“, hier unwidersprochen hingenommen wird, irritiert doch ein wenig. Speziell wenn ich sehe, wer heute die Presseschau zusammengestellt hat…

  4. Nixwisser
    Montag, 3. Mai 2010 um 17:55

    @Karl: Das Herrera den Riegel nicht erfunden hat, steht ja sogar auf Wiki. 🙂 Aber er ist halt derjenige, der mit die größten Mauern damit gebaut hat.

    Barca – Inter
    Ein Jammer und schade für den Fußball ist’s allemal. Verdient gewonnen hat der, der einen mehr rein macht, schon klar.Insofern… Aber Barca ist sehr stark benachteiligt worden und zwar im Hin- und Rückspiel. Ich hätte mir ein Weiterkommen Barcas gewünscht, weil sie dann mehr Nachahmer gefunden hätten. Ich sage nicht, daß ein von Taktik und Rafinesse geprägtes Defensivspiel nicht senien Reiz haben kann, aber wenn ich die Wahl hätte…

    Jetzt sollen wenigstens die Bayern den Pott holen. Oh Gott – ich hätte nie von mir gedacht, daß ich mal so etwas schreibe.

  5. Peter Glock
    Montag, 3. Mai 2010 um 21:43

    dem fussballgott sei dank! 🙂

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