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Champions League

Bayerns neu gewonnene Sympathien, die Rückkehr der Vertriebenen

Jan Vogel | Freitag, 21. Mai 2010 13 Kommentare

Die Lobeshymnen auf den FC Bayern nehmen kein Ende, Robben und Sneijder stehen vor dem Champions-League-Finale ebenso im Blickpunkt wie der Endspielort Madrid

Roland Zorn sieht Uli Hoeneß über den Wolken, in Gedanken jedoch manchmal noch in Kalifornien (FAZ): „‚Das ist Wahnsinn, das genieße ich’, hat Hoeneß seine Seelenlage in den höchsten Tönen beschrieben. Van Gaal hat mit seinem Pass- und Positionsspiel die Herzen der Fans, die jahrelang an eher unterkühlten Ergebnisfußball gewöhnt waren, längst erobert. ‚Er gibt der Mannschaft und dem Verein eine Handschrift’, lobt Hoeneß. Und damit setzt sich der Niederländer auch meilenweit von seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann ab. ‚Es gab Leute’, erinnerte sich der Präsident vage, ‚die haben gesagt, dass sie die Spieler jeden Tag ein bisschen besser machen wollen. Jetzt gibt es einen, der hat das umgesetzt.’“

Der Präsident schwebt

Thomas Becker (FTD) lauscht ebenfalls Hoeneß’ Jubel und ist überrascht über die neue Sympathie für den FC Bayern und dessen Präsidenten, jenen, „an dem sich seit Jahrzehnten viele Fans, Gegner und Fußballer aller Art gerieben haben, am Miterfinder des ‚Bayern-Gens’ und Liebhaber von ‚Mia san mia!’-Parolen. In den Tagen vor dem großen Spiel dringt ihm der Stolz auf das Erreichte aus allen Poren. Der Präsident schwebt. Und mit ihm der FC Bayern.“

Ein Grund dafür ist unter anderem ein neuer Kurs bei den Münchnern. Jörg Hanau (FR) bewundert den Entdecker von Kluivert, Seedorf, Davids, Xavi und Iniesta: „Van Gaal nahm Zeit seiner Trainerkarriere nie Rücksicht auf große Namen, […] produziert aber auch Verlierer: Weil er den Jungspund Badstuber beförderte, musste etwa Lucio gehen. Ein Wagnis. Der Brasilianer ist Kapitän der Selecão.“ Trotz der kleinen Warnung gibt Hanau dem Trainer des FC Bayern recht: „Der Mann besitzt ein Auge für heranwachsende Klasse.“

Die Rückkehr der Vertriebenen

Während beim Rekordmeister vermehrt Spieler aus der eigenen Jugend Fuß in der ersten Elf fassen, bleibt Internazionale seinem Ur-Credo treu. Hierin sieht Oliver Birkner (FR) die Gründe für Inters aktuelle „Legionärself, in der Argentinier und Brasilianer den Ton angeben. […] Wie schon bei der Gründung betont soll der Verein ‚für eine Philosophie ohne sportliche und kulturelle Grenzen’ stehen.‘“ Dem folgend handele auch der heutige Präsident. „Massimo Moratti differenzierte in seiner Ideologie nie zwischen Italiener oder Ausländer und verpflichtete ungeachtet der Herkunft. Von Djorkaeff über Ronaldo zu Ibrahimovic oder zuletzt Eto’o.“

Anja Schramm (Welt) zeigt mit der „Rückkehr der Vertriebenen“ Arjen Robben und Wesley Sneijder in das Heimatstadion von Real Madrid selbigem Verein und dessen Besitzer die lange Nase: „Es kam wie so oft in den vergangenen Jahren, Real ist seit dem Viertelfinale nur noch teilnahmsloser Beobachter der Königsklasse. Dass nun ausgerechnet in Robben und Sneijder zwei von ihm persönlich Aussortierte in seinem Stadion um Europas Krone kämpfen, hätte für Florentino Perez wohl nur noch vom Finaleinzug des FC Barcelona, des großen Rivalen aus Katalonien, übertroffen werden können. Hohn und Spott, selbst aus den eigenen Reihen, jedenfalls hat er schon erfahren.“ Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Robben und Sneijder seien „die prägenden Protagonisten der jeweiligen Offensivreihen. Jene, die mit Superlativen überhäuft werden und ihre vermeintlich beste Saison spielen.“ Sneijders Torausbeute sei geringer und weniger spektakulär als Robbens, aber er sei genau der richtige für Inters Spiel: „Ballverteiler und Offensivvirtuose, beidfüßig und mit einem exzellenten Auge, aber er ist auch einer für die Drecksarbeit, der nach hinten rackert und Bälle in der Defensive erobert.“ Mailands Holländer sei „das Puzzleteil, das Inter viele Jahre fehlte, weil er Geniales fabriziert in einem Mittelfeld, das ansonsten recht robust daherkommt.“

Sneijder – Inbegriff des modernen Spielgestalters

Ein Finale dreier Mannschaften malt Julius Müller-Meiningen (FTD) mit Blick auf die madrilenische Vergangenheit einiger Akteure, wobei Real bereits im Vorfeld auch hier wenig überraschend als Verlierer dasteht. Darüber hinaus betont Müller-Meiningen ebenfalls Wesley Sneijders Beitrag zu Inters Offensivspiel: „Trainer José Mourinho hat mit Sneijder das Spielsystem umgestellt, das in der vergangenen Saison fast ausschließlich aus hohen Anspielen auf Zlatan Ibrahimovic bestand. Nun ist der Holländer der Kern der Offensivreihe zwischen Eto’o, Goran Pandev und hinter Stürmer Diego Milito. Sneijder diktiert das Tempo, ist für die schnellen Tempovorstöße zuständig und selbst torgefährlich.“ Sein „außerordentliches Talent zu Steilpässen, angeschnittenen Freistößen und Eckbällen ist gepaart mit großer taktischer Intelligenz und Hingabe im Defensivverhalten. Diese Kombination macht ihn zum Inbegriff des modernen Spielgestalters.“

Javier Cáceres (SZ) erzählt die Geschichte von der „Rückkehr der verletzten Seelen“ und auch hier steht im Hinblick auf die beiden Protagonisten Real Madrids Transferpolitik im Blickpunkt. Aufgrund derer „musste Arjen Robben im Herbst 2009 die Stadt verlassen – in die er nun zurückkehrt ist, um ausgerechnet jenen Triumph zu feiern, den Pérez so manisch angestrebt hat. Mit Robben kehrt auch sein Freund Wesley Sneijder, ebenfalls ein Niederländer, der allerdings auf Seiten von Finalgegner Inter Mailand spielt. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, über den in Spaniens Hauptstadt niemand lacht, seit Real im Achtelfinale der Champions League scheiterte.“

Neue spielerische Dimension

Birgit Schönau (SZ) beleuchtet Inter Mailands Präsidenten Massimo Moratti. „Gerade ist Inter zum fünften Mal seit 2006 Meister geworden und hat den Italienpokal gewonnen, aber die Champions League bleibt für Moratti eine Obsession. […] Er ist immer dabei, wenn Inter spielt, umgeben von seiner Frau Milly, den fünf Kindern, Neffen, Nichten und der Schwester Bedy, einer Schauspielerin. Früher wurde dieser letzte Berufsromantiker des europäischen Fußballs dafür verspottet, dass er in manchen Sommern so viel für neue Spieler ausgab wie alle Vereine der Bundesliga zusammen. Aber Moratti ist nun mal nicht der typische Funktionär in einer Liga von Fußballprotestanten. Er verkörpert ein Mäzenatentum, das angesichts der immer strengeren Uefa-Regeln endgültig anachronistisch ist, weil es einen Fußballverein nicht als funktionierenden Wirtschaftsbetrieb sieht, sondern eher als parareligiöse Vereinigung und auf jeden Fall als schützenswertes Kulturgut.“

Die Art und Weise wie Moratti diese „Vereinigung“ vorantreibt, wird an anderer Stelle geklärt. So diagnostiziert Tom Mustroph (taz), dass Inter Mailands Transferverhalten eine „Voodoo-Markt-Logik“ zugrunde liege: „Mourinho hat schon einmal die Champions League gewonnen. Der weiß demnach, wie es geht. In Italien wurde für solche Konstellationen die Bezeichnung Sieger-DNA geprägt. Diese Sieger-DNA hat das jeweilige Subjekt allerdings nicht von Beginn seiner Existenz an. Nein, sie wird ihm erst nach dem ersten großen Sieg zugesprochen.“ Nun scheint der Zeitpunkt gekommen – in einer besseren Position für das Finale sei Inter scheinbar bereits, vergleiche man die einzelnen Mannschaftsteile. Ein „Trio infernale [Eto’o, Milito und Sneijder] führte den Verein in eine neue spielerische Dimension und – ungeachtet der Tatsache, dass in Finalspielen das Chancenverhältnis geradezu gesetzmäßig bei 50:50 steht – in eine leichte Favoritenstellung am Samstagabend. Denn in den anderen starken Komponenten – Bollwerk im defensiven Mittelfeld (van Bommel vs. Cambiasso), Power-Rechtsaußen (Robben vs. Maicon) und kollektiver Zusammenhalt – sind beide Teams gleichwertig.“ Ein Thema in Mailand ist zudem José Mourinhos möglicher Abgang zu Real Madrid. Denn da Inters Trainer „der Logik verfallen ist, der größte Hahn müsse auf den größten Misthaufen krähen – und der größte Misthaufenmache aus einem großen Hahn erst den größten Kammträger –, ist er geneigt, den Ruf aus Madrid zu erhören.“ Denn auch bei Real kenne man sich scheinbar mit Sieger-DNA aus.

Kommentare

13 Kommentare zu “Bayerns neu gewonnene Sympathien, die Rückkehr der Vertriebenen”

  1. Lena
    Freitag, 21. Mai 2010 um 19:02

    Liebes indirektes freistoss Team. Die Zusammenfassungen bieten wieder einen echten Mehrwert, lesen sich leicht und locker, einfach gut.

    Danke.

    Und dran denken, zur WM bitte Hochform ausbauen!

  2. Linksaußen
    Samstag, 22. Mai 2010 um 14:58

    Der FC Bayern und seine Fans (besser: Kunden) bestehen gerne darauf, dass die Bayern bei ihren internationalen Auftritten die Rückendeckung der gesamten Nation erhalten. Wenigstens in der Champions League – so die FC Bayern-Hofberichterstatter in den Medien – muss sich doch der ärgste Bayernskeptiker zusammenreißen und im nationalen Interesse Dauem drücken.
    Ich bekenne mich – wie übrigens alle leidenschaftlichen Fußballer und Fußballfans, die ich kenne! – ganz klar: Auch dort jubele ich konsequent für den Gegner. Wir sind schließlich Europäer und wollen uns nicht freuen, wenn der FC Bayern seine in der Champions League erwirtschafteten Millionen für das Aufkaufen der Liga(konkurrenten) und für noch mehr holländische u.a. Fußballsöldner benutzt und weiterhin damit in der Bundesliga seine schmutzigen und miesen Spielchen außerhalb des grünen Rasens finanziert.

    Die bayerischen Erfolge sind mitnichten „gut für den deutschen Fußball“, wie es immer unwidersprochen heißt. Erfolge des FC Bayern in Europa führen nur dazu, dass sich die arroganten Bayern-Protagoniseten und ihre langweiligen und leidenschaftslosen Fans bis zum Platzen aufplustern. Und vor allem führen sie dazu, dass in der Bundesliga der Bayern-Bonus bei den Schiedsrichtern noch größer und der Einfluss der Bayern bei der DFL und beim DFB und die Hofberichterstattung im FC Bayern-Jubel-TV (Sky und Spirt1/DSF, BR z.B.) und in der Sportpresse noch unerträglicher wird.

  3. BigKahoona
    Samstag, 22. Mai 2010 um 15:23

    Nanu, den Kommentar habe ich doch auch schon unter anderen Artikeln zum CL-Finale gesehen.
    Sind Sie so frustriert, dass Sie Ihre Meinung unter jedem Artikel veröffentlichen müssen. Oder haben Sie diesen KOmmentar irgendwo gefunden und verkaufen ihn jetzt als Ihre Meinung?
    Wie dem auch sei, da SIe anscheinend Fan eine Mannschaft ohne jegliche „Fußball-Söldner“ sind, schließe ich auf …., hmm, mir fällt gar kein Bundesliga-Team ein, dass seine Mannschaft nur aus dem eigenen Nachwuchs rekrutiert und komplett auf „Söldner“ verzichtet.
    Bei den Bayern läuft das selbe wie in anderen Vereinen ab, nur halt in größeren Dimensionen. Und nach dem Söldner-Argument müssten Sie doch heute Abend den Bayern die Daumen drücken und nicht Inter Mailand. Stehen doch bei diesen immerhin auch Spieler aus der eigenen Jugend in der Startelf.

  4. Manu
    Sonntag, 23. Mai 2010 um 12:31

    Hallo,

    ich möchte hier Lena zustimmen und würde mich freuen, wenn vielleicht mal in einem gesonderten Beitrag die Autoren vorgestellt werden.

    Aber der Trainer bleibt uns doch erhalten, hoffe ich?

  5. Oliver Fritsch
    Montag, 24. Mai 2010 um 14:30

    Wir werden die Autoren porträtieren. Wie, steht noch nicht genau fest.

  6. Peter Glock
    Montag, 24. Mai 2010 um 20:15

    Oliver Birkner von der FR feiert das internationale Gesicht der Mannschaft aus Mailand.
    Und legt einen Schleier blöden Schwelgens über die hässliche Fratze der Interisti:
    Mario Balotelli darf sie sich jeden Tag ansehen!

  7. Jan Vogel
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 10:23

    @Peter Glock

    Ich hatte inständig gehofft, dass das Absurde hierin jemandem auffällt! Dass bei diesem Verein „ohne sportliche und kulturelle Grenzen“ ein dunkelhäutiger Italiener immer mehr zum Außenseiter (gemacht) wird – dafür fehlen mir die Worte.

  8. Arne
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 19:59
  9. Jan Vogel
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 21:19

    „Das rassistische Gebrülle gegen Balotelli ist zu verurteilen. Aber man muss sein zutiefst unsportliches Verhalten beim Namen nennen dürfen.“

    Bestimmt. Das hat dem Autor auch niemand verboten.

    Und um besagten, verlinkten Abend ging es doch eigentlich auch nicht direkt, oder?

    Die Aussagen im hier genannten FR-Artikel bekommen einen faden Beigeschmack in Anbetracht der nun monatelangen Debatte um „Den Fall Balotelli.“ Er ist wohl kein Kind von Traurigkeit, so wirkt es. Daher auch das geklammerte „(gemacht)“ in meinem Kommentar. Dem 19-Jährigen scheint es offensichtlich schwer zu fallen, sich in so einer (zunehmend) problematischen Situation adäquat zu verhalten.
    Ob diese von seiner Unprofessionalität oder seinen Problemen mit diversen Gruppierungen her rührt sei aber mal dahin gestellt.

  10. rotebrauseblogger
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 21:27

    @ Jan Vogel
    Wobei das Problem, dass ein „dunkelhäutiger Italiener immer mehr zum Außenseiter wird“ offenbar keins ist, was Inter Mailand exklusiv hat, sondern eher ein italienisches Problem ist, wenn ich einen entsprechenden Bericht der FAZ richtig verstehe. Und neben der hässlichen Fratze, die die Fans aller Coleur zeigen, gibt es aber auch den Sportler Balotelli, der sich durch sein Auftritte auf dem Rasen nicht nur Freunde im Team und Trainerstab gemacht hat. Will nur sagen: Es gibt offenbar ein Problem, das Fußballitalien mit Balotelli hat und das sich rassistisch begründen mag und es gibt eine sportliche Seite, mit dem man ein Probelm bei Inter hat. Das ganze auf die „hässliche Fratze der Interisti“ zu reduzieren, greift dann wohl etwas kurz.

  11. Arne
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 21:33

    Kann mich meinem Vorredner anschließen, wollte ebenfalls nur andeuten, dass eine einseitige Betrachtung der Geschehnisse gerade im Falle dieses Spielers nicht angebracht sein dürfte. Wenn dies die entsprechenden Kommentare hier nicht als Intention hatten, habe ich das falsch verstanden.

  12. Jan Vogel
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 21:53

    @rotebrauseblogger

    @Arne

    Hausgemacht ist das Problem bei Inter sicher nicht. Aber das ist auch nicht die Frage. Es ist scheinbar vorhanden. (Wenn man auch zu Überinterpretationen neigen mag, wie der Blog suggeriert, da möchte ich mir kein Urteil erlauben). Mir persönlich reicht diese Tatsache aus, die Situation als absurd zu bezeichnen. Der Grund für meinen Ausgangspost lag demnach vielleicht auch in einer subjektiveren Assoziation. Und aus dieser habe ich Peter Glocks Kommentar gelesen. Gebe zu, das war mein Fehler.

    In dem Punkt bezüglich Balotellis Verhalten scheinen wir uns ja dann auch einig zu sein. Das sollte man ohne Frage wissen, wenn man sich dazu äußert. Insofern – gerne differenzierter!

  13. Peter Glock
    Freitag, 28. Mai 2010 um 19:15

    Der Verweis auf das Halbfinale gegen Barcelona ist ja richtig, aber wenn man ein Urteil fällen müsste und nach Ursachen fragte…

    Ich kann nicht sagen, warum Balotelli in der letzten halben Stunde die Diva gegeben hat. Ich weiß es auch nicht. Ich habe das Spiel nicht gesehen.

    Aber die ganze Story hat ja eine unheimliche Vorgeschichte.
    Und die darf nicht ausgeblendet werden.

    Nämlich, dass nach einem Jahr konstanter Beleidigungen das Fell Herrn Balotellis sehr sehr dünn geworden sein dürfte.

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