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WM 2010

Südafrikas Traum geht weiter

Matthias Nedoklan | Samstag, 12. Juni 2010 Kommentare deaktiviert für Südafrikas Traum geht weiter

Zwei Spiele der WM sind absolviert, beide endeten Unentschieden. Doch während Frankreichs Remis als Enttäuschung gewertet wird, feiert die Presse Südafrikas ersten Punktgewinn

Christian Kamp (FAZ) sah im Unentschieden der Südafrikaner im Eröffnungsspiel gegen Mexiko einen großen afrikanischen Moment „am Ende leicht getrübt“. „Das 1:1 war ein gerechtes Ergebnis in einem Spiel auf nur teilweise gutem Niveau.“ Dabei habe es in der ersten Halbzeit nach einer „Vorführung für die nervös wirkenden Südafrikaner, die mit so viel Zuversicht und der Unterstützung des ganzes Landes in Turnier gegangen waren“, ausgesehen. „Hätten die mutigen Mexikaner nur eine ihre vielen Chancen genutzt, wären sie mit einiger Gewissheit als Sieger vom Platz gegangen. Nach der Pause aber zeigte auch Bafana Bafana, dass das Team in den vergangenen Monaten große Fortschritte gemacht hat.“ Das Erfolgsrezept der Heimelf sei die Fitness. „Und sie hatte tatsächlich noch etwas zuzulegen, das war schon nach wenigen Augenblicken der zweiten Halbzeit zu sehen. Die Belohnung folgte schnell. Dikgacoi spielte Tshabalala wunderbar frei, und der Mann von den Kaizer Chiefs wuchtete den Ball mit links in den Winkel – ein Traumtor.“

Trotz des für viele überraschenden Punktgewinns berichtet Boris Herrmann (FR) von einem vermasselten Auftakt. Die lauten Vuvuzelas seien für die Elf von Trainer Carlos Alberto Parreira lähmend gewesen. „Es war bestimmt nett gemeint von den Südafrikanern. Sie wollten ihren Helden gleich vom ersten Anstoß weg Mut und Kraft zublasen. Leider erreichten sie damit das Gegenteil.“ Nach dem ersten Tor des Turniers durch Siphiwe Tshabalala, „in guter Tradition Philipp Lahms“, war eine Überraschung zum Greifen nah. „Es war aber auch eine schöne Geschichte, dass Südafrika überhaupt in Führung gegangen ist. Von jenen 25 Minuten (55. bis 80.), in denen die Sensation in der Killerbienenluft lag, wird dieses Turnier noch ein paar Tage zehren können. Es waren die Minuten, in denen ein Fußballzwerg wie ein Koloss anmutete, in denen die Parreiralehre vom schnellen Kurzpassspiel nicht nur die Mexikaner erstaunte.“ Während Mexikos Trainer Javier Aguirre einen „bitteren Beigeschmack“ bei beiden Teams vermute, sei Südafrikas Trainer optimistisch. „Er hatte tiefe Lachfalten in der Backe, er zeigte Zähne, als er vorrechnete, dass man in der Gruppe A mit vier Punkten weiterkommen kann.“ Gute Chancen auf das Achtelfinale räumt der Autor den Südafrikanern dennoch nicht ein. „Sie sind nach einem Spiel noch im Turnier. Das ist noch nicht allzu viel. Aber das ist schon einmal mehr, als man diesen Südafrikanern vor einigen Monaten zugetraut hätte.“

Schwache Mexikaner ermutigen Südafrika

Axel Kintzinger (Financial Times Deutschland) resümiert nach dem WM-Eröffnungsspiel: „Südafrikanern muss dieses Spiel vorgekommen sein wie ihre bisherige WM-Geschichte. Erst traut man ihnen nichts zu, dann geht tatsächlich einiges schief, am Ende aber winkt ein versöhnlicher Schluss. Kurz vor dem ersten Höhepunkt passiert noch ein Unglück, aber sie geben nicht auf. Beim 1:1 des Gastgebers gegen die favorisierten und über weite Strecken des WM-Eröffnungsspiels dominierenden Mexikaner war jedenfalls alles dabei.“ Dabei habe erst die schwache Chancenverwertung Mexikos die Hausherren ermutigt. „Und das wurde bald belohnt: Mexiko hatte bei einem seiner Angriffe wieder einmal eine Lücke in seine Abwehr gerissen, die Siphiwe Tshabalala für sich nutzte und nach schönem Anspiel von Dikgacoi noch schöner zum Führungstreffer einschoss (55. Minute). Das Getöse der zigtausenden Vuvuzelas, das zuvor spürbar nachgelassen hatte, war wieder da – und lauter als je zuvor. Jetzt begann die WM-Party für Südafrika erst richtig. Den Spielern war noch aus der letzten Reihe des mächtigen Soccer-City-Stadions anzusehen, dass eine schwere Last von ihnen gefallen war. Jetzt gelangen Ballstafetten, die vorher nicht geklappt hatten, ja, nicht einmal versucht worden waren. Mexiko musste sich noch mehr öffnen, Südafrika bekam Platz zum Kontern – und weitere, hochkarätige Torchancen.“ Doch spätestens nach dem Pfostenschuss von Mphela in der 90. Minute war klar, dass das Schicksal nicht vollständig auf der Seite der Gastgeber ist. „Das Glück und die Geschichte meinen es nur ein bisschen gut mit Südafrika.“

Als gewonnenes Unentschieden wertet Dominik Wehgartner (taz) das Auftaktremis. Nach dem Gegentor mussten die dominanten Mexikaner zittern. „Der Schwung der ersten Halbzeit war verflogen, Mexiko verließ nach und nach die Kraft, Südafrika zeigte jetzt die klaren Aktionen und entwickelte Torgefahr.“ Doch die Schwächen der Gastgeber haben Bafana Bafana den Sieg gekostet. „Dass die Mannschaft durch Rafael Márquez doch noch zum Ausgleich kam, lag an einer Unachtsamkeit der südafrikanischen Abwehr, die eine Flanke schlicht ignorierte und Márquez in aller Ruhe aus fünf Metern einschießen ließ.“

Frankreich – Uruguay: Ein schlechtes Omen

Als spielerische Tristesse empfand Christian Eichler (FAZ) das 0:0 zwischen Uruguay und Frankreich. „Den Uruguayern reichte physische Präsenz und aufmerksame Abwehrarbeit, um sich einen Punkt zu verdienen. Nicht einmal die Überzahl in den letzten zehn Minuten, nachdem der eingewechselte Nicolas Lodeira sich binnen nur 18 Minuten auf dem Platz zwei Gelbe Karten eingehandelt hatte, konnten die Franzosen zum Siegtor nutzen.“ Trainer Raymond Domenech steht weiter in der Kritik. „Unter ihm ist das Team in den letzten Jahren in eine spielerische Erstarrung verfallen. Das Überraschungsmoment fiel einem Systemzwang zum Opfer, dem nur einzelne, wie Ribéry, mitunter etwas Lockerung verschaffen konnten.“ Die Parallele zu 2002, als sich beide Teams ebenfalls in der Gruppenphase trafen, liegt auf der Hand. „Es ist kein gutes Omen, für keines der beiden Teams: Schon 2002 hatten sie sich in der WM-Vorrunde 0:0 getrennt und danach beide in der Vorrunde ausgeschieden. Allzu viele Argumente, warum das diesmal anders sein sollte, haben sie am Freitag nicht geliefert.“

Peter Birrer (NZZ) widmet sich vor allem dem schwachen Spiel Uruguays. „Den Franzosen standen also summa summarum nicht weniger als 53 Tore gegenüber. Da hätte ihnen angst und bange werden müssen. Dachte man.“ Sowohl Forlan als auch sein Partner „Suarez, einer der begehrtesten Stürmer Europas, den Ajax offenbar nur für 40 Millionen Euro aus dem bis 2013 gültigen Vertrag entlassen will, wurden allerdings gegen Frankreich lange nicht gesehen. Überhaupt war das zweite WM-Spiel nichts für die Stürmer.“

Der übergroße Schatten Zidanes

Auch Eduardo Rodrigálvarez (El País) lässt nach der gestrigen Partie kein gutes Haar an den Franzosen, die sich an den kampfstarken Südamerikanern die Zähne ausbissen: „Der Schatten Zidanes hat ein inmenses Vakuum der Kreativität hinterlassen, das weder Gorcuff noch Malouda ausgleichen können. Von Ribéry will keiner mehr reden. Er ist weder anwesend, noch erwartet man etwas von ihm, sein Beitrag war völlig defizitär wie in der ganzen Saison bei Bayern München. Er ist nicht in der Lage, sich von einem Verteidiger zu befreien. Hinzu kommt die Dekadenz Henrys, der wie ein Held empfangen wurde und sein Team retten sollte. Der traditionelle Kampfgeist der Uruguayer hielt bis zum Schluss dagegen. Wie der Meister Tabárez konstatiert: ‚Wir sind uns über unseren Platz auf der Welt bewusst.’ Eben diese Platzierung lässt nichts anderes zu, als in der Verteidung mit drei Manndeckern aufzulaufen. Diese Verteidigungslinie wird von zwei Außenverteidigern ergänzt.“

David Hytner (The Guardian) hat die feine Ironie bemerkt, als Thierry Henry einen Handelfmeter reklamierte, ihn aber nicht bekam. „Das dürfte keinem Irland-Fan im Publikum entgangen sein. Doch trotz des Verlangens, das Team von Trainer Raymond Domenech zu kritisieren, darf man die Franzosen nach einem schwachen Start nicht abschreiben. Schon 2006 stolperten sie durch die Gruppenphase. In der K.o.-Runde legten die Franzosen einen Schalter um und marschierten ins Finale. Domenech, ein äußerst abergläubischer Trainer, hofft also auf ein gutes Omen nach schwachem Auftritt.“

Aus dem Spanischen übersetzt von Pepe Fernandez

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