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WM 2010

„Der Kleine“ nimmt Fahrt auf, ein Tor- und ein Kartenfestival

Jan-Carl Ronnecker | Dienstag, 22. Juni 2010 Kommentare deaktiviert für „Der Kleine“ nimmt Fahrt auf, ein Tor- und ein Kartenfestival

David Villa bringt Spanien zurück in die Spur, Portugal feiert gegen bedauernswerte Nordkoreaner ein Schützenfest und die Schweiz hadert mit dem Schiedsrichter

Spanien schlägt den krassen Außenseiter Honduras mit 2:0 und zeigt sich spielerisch verbessert. Der eine Stürmer kommt in Fahrt, der zweite ins Stolpern.

Christian Kamp (FAZ.net) sieht einen von Beginn an dominanten Europameister: „Es war den Spaniern anzumerken, dass sie sich mit dem ersten Turniertreffer nicht allzu viel Zeit lassen wollten. Sofort spannten die Männer in Rot ihr Netz über den Platz und ließen die Bälle wie am Faden gezogen laufen. Dass Andres Iniesta wegen einer Oberschenkelblessur geschont werden musste – gegen diesen Gegner war das kein ernstes Handicap. Xavi hatte im Mittelfeld auch so alles im Griff.“

Glanz neben Elend

Spaniens inkonsequente Chancenverwertung lag, wie Matti Lieske (FR) herausstellt, daran, dass die Stürmer auf unterschiedlichem Formlevel agierten: „Villa hatte auf der linken Seite (…) viel Spaß mit seinem völlig überforderten Gegenspieler Sergio Mendoza, aber auch viel Glück, dass der Schiedsrichter eine dumme Tätlichkeit an Emilio Izaguirre übersah. Partner Torres tat derweil alles um zu unterstreichen, dass er nicht sein bestes Jahr als Fußballer verlebt. Der Angreifer von Englands Saisonenttäuschung FC Liverpool führte die ganze Vielfalt an Möglichkeiten vor, Torchancen zu vergeben, fast so, als wolle er sich um einen Platz im Sturm von Hertha BSC bewerben.“

Auch Paul Wilson (Guardian) mahnt Verbesserungen an, wenn Spanien seine Ziele erreichen wolle: „Sie werden nicht unbedingt in der Lage sein, Chile im entscheidenden Gruppenspiel in ähnlicher Weise zu beherrschen; sie werden deutlich effizienter werden müssen, wollen sie ihren Status als Turnierfavorit bestätigen; und sie brauchen den Nachweis, dass Fernando Torres vollständig wiederhergestellt ist.“

Schiris vom Strand

Die Schweiz unterliegt Chile mit 0:1. Das Spiel wird auch von Schiedsrichterentscheidungen geprägt, die an das letzte Spiel der deutschen Elf erinnern.

Perikles Monioudis (NZZ) zollt dem Gegner Respekt und beklagt die einschneidende Wirkung der Hinausstellung: „Es ist das schwierige Spiel geworden, das man aus Schweizer Sicht gefürchtet hatte. Chile erwies sich als der laufstarke, ballsichere, kombinationsstarke Gegner, gegen den man vor allem eins wollte: zu null spielen. (…) Die Rote Karte verschärfte dieses Defensivkonzept in einem Mass, dass man im Schweizer Team, mangels struktureller Möglichkeiten in der Offensive, eine veritable Abwehrschlacht zu schlagen hatte.“

Andrew Keh (N.Y.Times) hatte sich auf ein anderes Spiel gefreut: „Dieses Aufeinandertreffen versprach ein Kräftemessen der konträren Systeme zu werden: der chilenische Angriffswirbel gegen eine bestens eingestellte schweizer Defensive. Aber eine Reihe früher Karten, inklusive des Platzverweises für Valon Behrami in der 31. Minute, führten zu einem durchweg zerfahrenen Spiel.“

Wer im Glashaus sitzt …

Benjamin Steffen (NZZ) ist mit dem Platzverweis auch nicht glücklich, relativiert jedoch die Schweizer Empörung: „Behrami musste nicht exklusiv für seine Unschuld werben, der Trainer und einige Kollegen hatten Vorarbeit geleistet und den Platzverweis scharf verurteilt (…). Niemand fragte, was Behramis Hände an Vidals Hals verloren hatten; niemand erinnerte sich, dass Steve von Bergen nach der Pause ähnlich übertrieben zu Boden gesunken war, als sei er Schauspielschüler Vidals; niemand sah Grautöne und sagte, eine gelbe Karte gegen Behrami hätte es vielleicht getan.“

Das Lösen der Spaßbremse

Nach dem Schützenfest gegen ein auseinanderbrechendes Nordkorea, erinnert Christian Eichler (FAZ.net) daran, dass die Leichtigkeit nicht von Beginn an da war: „Die Portugiesen schienen genervt. Die Namenlosen ließen sie lange schlecht aussehen, und dann ruinierte der Regen auch noch die hochgestylten Frisuren einiger Stars. Ronaldo, der mehr als eine Stunde lang an keinem Verteidiger vorbeikam, ruderte wütend mit den Armen und zeigte, um wenigstens ein bisschen aufzufallen, zwei, drei fruchtlose Zirkusnummern, etwa einen Querpass über zwei Meter mit der Hacke hinter dem Standbein hindurch. Doch dann startete Raul Meireles aus dem Rückraum, Tiago spielte mit dem Außenrist und perfektem Zeitgefühl den Ball in die Gasse, und unter Torwart Ri Myong Guk jagte der Ball ins Netz.“

Als der Torreigen dann eröffnet ist, schmunzelt Ronny Blaschke (Berliner Zeitung) über Kurioses. Cristiano Ronaldo sorge für Erheiterung: „Nicht mit einem Witz, aber mit einem Tor, das einem Witz gleichkam. Kurz vor Schluss kam Ronaldo in Ballbesitz, mehr Zufall als Können. Der Ball fiel auf seinen Nacken, tropfte auf seinen Hinterkopf, fiel ihm schließlich vor die Füße. Der Rest gehörte zu seinen leichtesten Aufgaben, das Tor war leer. Welch eine Pointe.“

Matthias Krupa (Zeit Online): „So schön und zugleich treffsicher hat schon lange kein ‚Großer’ mehr einen ‚Kleinen’ zerlegt. Nörgler mögen einwenden, dass das portugiesische Spiel erst richtig in Fluss gekommen sei, als es schon 2:0 stand. Mag sein, aber die Brasilianer mussten vor ein paar Tagen beim selben Stand gegen Nordkorea sogar noch zittern. Damit kommt es im letzten Spiel der Gruppe G zwischen Portugal und Brasilien nicht nur zum Endspiel um den Gruppensieg. Geklärt wird auch, vorerst jedenfalls, welche der beiden Mannschaften den brasilianischeren Fußball spielt.“

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