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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Die Distanz des englischen Aristokraten

Jan Vogel | Montag, 12. Juli 2010 2 Kommentare

Joachim Löw meidet nach dem Spiel um Platz drei jegliche Nähe zu Theo Zwanziger; die Presse sieht darin taktisches Kalkül und spekuliert über die Zukunft Löws

Am Ende des kleinen Finales hat Philipp Selldorf (SZ) eine „Orgie“ gesehen, „die pünktlich mit dem Spielende einsetzte und gar nicht mehr enden wollte. Sobald der mexikanische Schiedsrichter zum letzten Mal gepfiffen hatte, stürzten sich alle Deutschen aufeinander – Spieler, Betreuer, Trainer, Leibwächter, Presseattachés, Ärzte: Jeder umarmte jeden, und als er damit fertig war, ging es von vorn los – und noch einmal. Man beglückwünschte sich, sagte sich Dank und Lebewohl, alles auf einmal. Es war das Bildnis einer verschworenen Gemeinschaft. Gern hätte auch der DFB-Präsident dazugehört, als er den Spielern und Trainern bei der Medaillenvergabe gratulierte. Aber Theo Zwanziger blieb ein Außenseiter, er musste feststellen, dass er als Funktionär nicht zum Team gehören durfte wie der Zeugwart, der Internist oder der Dolmetscher. So wie es Michael Ballack vorige Woche erfahren musste, als er die Mannschaft besuchte und plötzlich nicht mehr in ihre Mitte fand. Auch Zwanzigers Versuch, den Bundestrainer zu umarmen, lieferte den Fotografen kein Motiv großer Herzlichkeit: Löw nahm die Freundlichkeit mit der Distanz eines englischen Aristokraten entgegen.“

Löws Liebeserklärungen

Bei der folgenden Pressekonferenz bot sich ein ähnliches Bild, wie Selldorfs Kollege Christoph Kneer (SZ) erläutert: „Wulff saß zwischen Löw und Zwanziger, vielleicht war das auch ganz gut so. Zwar hat der Bundestrainer die Tage nach dem England-Spiel genutzt, um in Interviews sein ‚sehr gutes Verhältnis zu Herrn Dr. Zwanziger’ zu betonen, aber wer Löws letzten Auftritt auf südafrikanischem Boden verfolgte, wird das eher für eine höfliche Umschreibung halten. Löws letzter Auftritt erinnerte stark an den letzten Auftritt von Jürgen Klinsmann vor vier Jahren: Von Klinsmann wurde damals gelobt, wer bei drei noch nicht aus dem Presseraum war, aber er vermied ein eindeutiges Bekenntnis zu seiner Mannschaft. Löw wiederum formulierte gleich mehrere Liebeserklärungen, an seine Mannschaft, seinen Stab und alle Sympathisanten in der Heimat. Was er demonstrativ vermied, war eine Danksagung an den Verband sowie den zwei Plätze neben ihm sitzenden Verbandspräsidenten – der auf diesem öffentlichen Podium nur allzu gerne einen solchen Dank empfangen hätte. (…) Löw kennt diesen Verband genau, und wenn er weitermacht, will er so arbeiten, wie er es für richtig hält. Er braucht eine Stellung, die ihn vor den Zudringlichkeiten des Verbandes absichert und die es ihm ermöglicht, bewährte Vertraute wie Manager Oliver Bierhoff oder Pressechef Harald Stenger im Stab zu halten.“

Michael Horeni (FAZ) sieht das Ganze zunächst pragmatisch: „Die Distanz, die der Bundestrainer zwischen sich und dem DFB-Präsidenten aufrechterhalten wollte, könnte natürlich auch rein gar nichts mit den möglichen Vertragsverhandlungen zu tun haben, die bald nach der WM anstehen sollen, wie es sich der erste Mann im Deutschen Fußball-Bund erhofft. Vielleicht wollte der vergrippte Löw den Präsidenten auch einfach nur nicht anstecken.“ Doch auch Horeni nimmt die personelle Situation ernst: „Löw geht es auch darum, ‚Visionen’ umzusetzen, die ihn nun zum größten Trainerliebling des Landes gemacht haben. Visionen haben auch mit Personen zu tun. Das größte verbandsinterne Konfliktfeld in den vergangenen Jahren war dabei immer die Zusammenarbeit der Nationalelf mit Matthias Sammer. Der DFB-Sportdirektor war nicht bei einem einzigen Spiel in Südafrika, eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Nationalmannschaftsführung ist nicht zu erkennen. Lob über die Arbeit war bisher von Sammer auch nicht zu vernehmen. Konflikte gibt es indes verlässlich wegen der Zuständigkeiten für die U 21, für die sich Löw wie Sammer verantwortlich fühlen wollen. Auch die kooperative und auf Verantwortungsverteilung im Team setzende Führungsstrategie des Bundestrainers passt nicht so recht zu den Vorstellungen Sammers, der den Trainer als oberste Autorität qua Amt verstanden wissen will.“

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Kommentare

2 Kommentare zu “Die Distanz des englischen Aristokraten”

  1. Gunther Schirmer
    Montag, 12. Juli 2010 um 17:01

    Ich hatte den Eindruck, dass Löw seinen Vertrag nicht verlängern wird. Er lehnt Zwanziger total ab, dass eine Zusammenarbeit nicht vorstellbar ist. Und für seine Person hat Löw bei der WM genug Werbung gemacht. Vielleicht hat er schon bei einem neuen Verband unterschrieben.
    Das Geschleime des Herrn Z. hat offensichtlich genau das Gegenteil bewirkt.
    Ich würde mich freuen, wenn ich unrecht hätte und er bleibt. Als erstes würde ich mir an seiner Stelle die peinliche Knutscherei verbitten. Zwanziger und Blatter sind zwei alte Männer, die Panik bekommen, wenn sie an ihren Abschied denken.

  2. Peter
    Dienstag, 13. Juli 2010 um 12:11

    Keine falschen Zeichen geben.
    Mehr als das wollte Löw wohl nicht tun.
    Und wer ihm bei dem Interview nach dem letzten Spiel gesehen hat, kann nachvollziehen, dass dieser Mann erst mal keine Lust hat sich zu äußern.
    Nicht nach dieser Vorgeschichte und den peinlichen bis widerlichen Annäherungsversuchen des Präsidenten.

    Also: Abstand gewinnen, reinhören und dann erst mal überprüfen, ob der Verband mitmacht oder nicht.

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