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Champions League

Die Sorgen der Könige

Matthias Nedoklan | Mittwoch, 15. September 2010 3 Kommentare

Die Bremer Aufholjagden gehen diesmal  gegen Tottenham weiter, die  Schalker Sorgen gegen Lyon und mit Bayern und dem AS Rom treffen zwei Fehlstarts aufeinander.

Moritz Kielbassa (SZ) blickt vor dem Champions League Spiel der Bayern gegen den AS Rom auf die Perspektiven des Rekordmeisters: „Van Gaals Modell eines verschlankten und verjüngten Kaders war bisher ein Segen für die Klubkasse, es bescherte Titel und begeisternden Sport. Doch die Chefetage bleibt wachsam, die spannende Frage ist, wie intern bei ausbleibendem Erfolg debattiert würde. Auch in der Champions League muss sich der mutige Kurs van Gaals jetzt neu beweisen: Wird die Vorrundengruppe mit Rom, Basel und Cluj souverän gemeistert? Erfüllt sich die Sehnsucht nach einer neuen Bayern-Epoche mit Stammplatz in Europas Elite? Rom ist für die Bayern eine harte erste Prüfung, denn beide Flügelkünstler fehlen: Ribéry ist noch rotgesperrt, und die Verletzung des im Europapokal zuletzt überragenden Arjen Robben erwies sich bereits beim zähen Bundesliga-Start als Handicap – neben den allgemeinen physischen Folgen der WM. Auch deshalb setzte der Vorstand dem Drang des Trainers, das Aufgebot zu reduzieren, zuletzt Grenzen. Gomez, Demichelis und Timoschtschuk blieben, trotz mäßiger Perspektiven, es waren Signale an van Gaal: Wir erfüllen dir Wünsche – aber es gibt keine Alleingänge bei uns! Behandle die Reservisten gut, denn du wirst sie brauchen! Zu wenig Konkurrenzkampf schadet!“

Jörg Hanau (FR)  freut sich auf die Champions League Rückkehr von Ivica Olic: „Sein erstes Saisontor? Es ist noch gar nicht so lange her: Anfang September in Riga. Ivica Olic köpfte das 2:0 für Kroatien in der EM-Qualifikation gegen Lettland. Ein schönes Tor, ein wichtiges Tor. Aber richtig zufrieden ist der Mann, den seine Kollegen beim FC Bayern München kurz ‚Ivi‘ oder ‚das Tier‘ nennen, noch nicht. ‚Ich bin Stürmer, ich will Tore schießen‘ − und zwar nicht nur im kroatischen Nationaltrikot. So wie in der vergangen Saison, als er nach sieben Treffern in der Champions League in einem Atemzug mit Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo genannt worden war. Er weiß, viele Chancen gibt es für ihn nicht mehr. Die Zeit rennt ihm davon, so wie er noch immer seinen Gegenspielern davonläuft. Aber wie lange noch? Der Vollgasprofi, den zuletzt immer wieder Probleme mit seinem verschleißenden Knie zurückwarfen, denkt daher kurzfristig. Sein Ziel, klar: das Finale 2011 in London.“

Totti ist Rom

Julius Müller-Meiningen (Berliner Zeitung) porträtiert ein römisches Denkmal: „Der Kapitän wird bald 34, ist aber immer noch das Nonplusultra beim AS Rom. Wenn er fit ist, was immer seltener vorkommt, dann zählt er zu den besten Spielern des Kontinents. Übersicht, Ballgefühl und Torinstinkt suchen ihresgleichen. Totti ist die charismatischste Figur auf dem Platz und in Rom das einzige lebendige Monument. Im Trainingszentrum in Trigoria hat er ein eigenes Büro, in dem er nach dem Saisonstart sein 19. Roma-Trikot in einem Bilderrahmen an die Wand hängte. So viele Spielzeiten ist Totti nun schon beim AS Rom. Sein Vertrag läuft bis 2014 und sichert ihm für die fünf folgenden Jahre die Beschäftigung im Vereinsmanagement. Die jährliche Einnahme von zehn Millionen Euro versüßt ihm die ewige Treue.

Auch Oliver Birkner (Welt) konzentriert sich ausschließlich auf Tottis Heldenstatus: „In Roms Krankenhäusern besucht der 33-Jährige regelmäßig krebskranke Kinder, er unterstützt die römischen Tierheime, und sein Labrador Ariel rettete 2008 ein Mädchen in Seenot – viel mehr geht nicht. Lange hielt ihn Restitalien für einen ordinären, ignoranten Römer und delektierte sich in einem Pendant zu Ostfriesen-Kalauern an Gags über Totti. Dann gab er zwei Bücher ‚Alle Witze über Totti – von mir gesammelt‘ heraus, spendete die gesamten Einnahmen Unicef und verdiente sich ob der Selbstironie einigen Respekt. Mittlerweile flimmert er zusammen mit seiner Ehefrau, die trotz ihres mäßigen Talents dafür, aber in knappem Kleidchen, eine ansonsten amüsante Satireshow moderiert, gewissermaßen als adoptierte Zweitfamilie in die italienischen Wohnzimmer. Beide synchronisierten nicht nur eine Folge der ‚Simpsons‘, ihre episodenartige Werbekampagne für Vodafone läuft seit vier Jahren in allen Kanälen.“

Auch im Himmel ‚Forza Roma‘

Birgit Schönau (SZ) beschreibt die grenzenlose Verehrung der Roma-Fans für Francesco Totti: „Das mag man merkwürdig finden, woanders. Aber woanders wundert man sich auch darüber, dass die wunderbare Stadt Rom ausgerechnet von Römern bewohnt wird. Menschen, die nie vor Zebrastreifen halten, sondern die Fußgänger darauf umfahren, ohne einen Zentimeter zu verschenken. Menschen, denen es egal ist, wer sie regiert, Hauptsache kein Laziale (Fan des Lokalrivalen Lazio). Menschen, die ihren Müttern danken, dass sie als Roma-Fans geboren sind und die ihren Vätern aufs Grab schreiben: ‚Auch da oben Papà, immer Forza Roma!‘“

Tom Mustroph (Tagesspiegel) sieht die Roma nach einem Fehlstart in der Liga in einer tiefen Krise: „Viel eher als ängstlich war die Mannschaft aber überheblich. Der starke Schlussspurt in der vergangenen Saison, der beinahe mit dem italienischen Meistertitel gekrönt worden wäre, und die Verstärkungen in der Offensive – Adriano und Marco Borriello – hatten zu der Überzeugung geführt, dass in diesem Jahr nur der Titel das Ziel sein könne. Doch dann kam der doppelte Fehlstart. Dem 0:0 zum Auftakt gegen den Aufsteiger Cesena folgte die 1:5-Packung auf Sardinien. Die bestätigte zwar die vorher verkündete Meinung von Trainer Ranieri, dass das Saisonziel der Römer allenfalls Platz 3 oder 4 sein könne. Die Spieler fassten seinen Realismus jedoch als Defätismus auf. Als Ranieri in Cagliari beim Stande von 1:1 in Folge des gerade ausgesprochenen Platzverweises für Nicolas Burdisso ausgerechnet Kapitän Totti vom Feld nahm, signalisierte dies, dass er die Niederlage für unabwendbar hielt.“

Erfolgsdruck auf Schalke wächst

Roland Zorn (FAZ) ist nach der vierten Schalker Niederlage in Folge frustriert: „ Waren die Schalker vor der Pause noch die etwas bessere Elf, dominierte Lyon nach dem Wechsel in Überzahl eindeutig und hätte leicht noch höher gewinnen können. Fünf Tage vor dem Revierklassiker gegen Borussia Dortmund wächst damit der Erwartungsdruck auf Trainer Magath und seine Spieler nun doch bitte schön endlich mal wieder ein Spiel zu gewinnen.“

Jörg Strohschein (Tagesspiegel) kritisiert die Kaderzusammenstellung: „Dabei hatten die Schalker eine schwung- und verheißungsvolle Anfangsphase gegen den Halbfinalisten des Vorjahres hingelegt und hätten durch Jefferson Farfan eigentlich in Führung gehen müssen. Doch der Peruaner brachte weder seine Schusschance noch seinen unbedrängten Kopfball im Tor der Franzosen unter. Olympique, das bis dahin überaus nervös wirkte, kam aber dennoch zu Führung. Weil Christoph Moritz eine Rückgabe per Kopf auf Torhüter Manuel Neuer probierte, die Michel Bastos allerdings erahnte. Lyons Angreifer erlief dieses unfreiwillige Zuspiel und lupfte die Kugel über Neuer ins Tor. Moritz, der Übeltäter und eigentliche Mittelfeldspieler, musste sich als rechter Verteidiger versuchen und konnte der Aufgabe kaum gerecht werden. Die Unausgewogenheit in dem von Magath zusammengestellten Mannschaftskader macht sich vor allem auf dieser Position deutlich.“

Bremer Wahnsinn wird Alltag

Frank Heike (FAZ) lobt den Kampfgeist des SV Werder: „Nie sind Bremer Spiele nach einem 0:2 schon verloren, das weiß man in Fußball-Europa, und darauf hofften auch die Bremer Fans auf der Baustelle Weserstadion. Als Schaaf in der 37. Minute Hunt für Bargfrede brachte, kam gleich mehr Zug und Passgenauigkeit ins Bremer Spiel. Wesley, der neue Brasilianer, und Marin hatten schon vorher einige gute Szenen, kamen jetzt aber erst richtig in Fahrt. Werder hatte sich vom Rückstand erholt und gewann endlich auch mal ein paar Zweikämpfe im Mittelfeld.“

Andreas Lesch (Berliner Zeitung)sucht nach Konstanten bei Bremer Europapokalnächten: „Der Wahnsinn, der gestern zeitweise zu beobachten war, hat ja speziell bei internationalen Partien der Bremer längst Methode. Die Mannschaft, die Trainer Thomas Schaaf aufs Feld schickt, ist in guten wie in schlechten Zeiten unberechenbar. So steht auch nach ihrem wechselhaften Auftakt keineswegs fest, ob sie nach den Gruppenspielen gegen Tottenham, Inter Mailand und Twente Enschede lachen oder weinen wird. Bei den letzten drei Versuchen in der Champions League scheiterten die Bremer jeweils in der Vorrunde, in den zwei Jahren zuvor schafften sie es immerhin ins Achtelfinale. Dorthin wollen sie jetzt wieder, unbedingt.“

Auslosen ohne Durchblick

Johannes Aumüller (Sueddeutsche.de) rührt noch einmal in der Champions League Lostrommel: „Es schien eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit zu sein, mit der sich Schalkes neuer Angreifer Raúl auf ein Duell mit seinem vormaligen Klub Real Madrid hätte freuen dürfen. Die Auslosung der Champions-League-Gruppenphase lief schon eine Weile; sechs der acht Mannschaften aus Topf drei waren bereits verteilt, nur noch der FC Schalke 04 und Ajax Amsterdam übrig. Auf einen von beiden wartete die eher leichte Gruppe B mit Olympique Lyon und Benfica Lissabon, auf den anderen die eher schwere Gruppe G mit Real und dem AC Mailand. (…) In dem Moment, als noch zwei Kugeln übrig waren, hatte die Wahrscheinlichkeit für ein Duell Schalke gegen Real Madrid also keineswegs bei 50 Prozent, sondern bei null gelegen. Doch kaum ein Fußball-Fan hatte das gewusst, weil die Auslosungsprozedur sich ‚nicht nur kompliziert anhört, sondern auch kompliziert ist‘, wie der zuständige Uefa-Funktionär zu Beginn der Übertragung scherzte, und zudem eine weitgehend unbekannte, aber ziemlich folgenreiche Regelung beinhaltet.“

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Kommentare

3 Kommentare zu “Die Sorgen der Könige”

  1. Gähn
    Mittwoch, 15. September 2010 um 11:59

    Das Problem der deutschen Italien-Korrespondenten ist, dass man schon vorher genau weiß, was sie wieder schreiben werden. Siehe diese abgenudelten, voraussehbaren Totti-Gedenkstücke.
    Wo bleibt die fantasia?!?

  2. Bessawissa
    Donnerstag, 16. September 2010 um 18:05

    In 10 Jahren schreiben italienische Deutschlandkorrespondenten vielleicht diese abgenudelten, voraussehbaren Schweinsteiger-Gedenkstücke, um den Italienern zu erklären, dass Bayern-Fans ihrem Gott so huldigen wie einst die Fans der Roma ihrem Totti.

    Ich finde nicht, dass man immer neue Themen herbeischreiben kann. Totti und AS Rom, so eine ähnliche Beziehung gibt es häufig im Fußball, vielleicht Raúl und Real bis vor kurzem, Ryan Giggs und ManUnited.
    Wenn es regnet, schreibt man darüber, dass es regnet.

  3. Bessawissa
    Donnerstag, 16. September 2010 um 18:07

    Konnte man hier nicht mal 5 Minuten lang eigene Kommentare editieren?

    Ich meine natürlich: „…so eine ähnliche Beziehung gibt es NICHT häufig im Fußball…“

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