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Champions League

Ein Prinz im Glück und Ruhe am Dirigentenpult

Kai Butterweck | Mittwoch, 20. Oktober 2010 4 Kommentare

Obwohl Kevin-Prince Boateng beim gestrigen Auftritt des AC Mailand nur kurz zum Zuge kam, liegen ihm die Fans bereits nach zwei Monaten zu Füßen; Werder Bremen steht derweil in Enschede auf dem Prüfstand und lässt dominante Persönlichkeiten vermissen

Für Tom Mustroph (Zeit Online) verändert Boatengs Wandel die Charakteristik im Mailänder Team: „Kevin-Prince Boateng will nicht mehr das raubeinige, schlampige Genie sein. Und es scheint, als habe er sich beim AC Mailand tatsächlich gewandelt. Auf jeden Fall hat er jetzt schon mal einen neuen Spitznamen. `Il treno senza freni` – `den Zug, den man nicht bremsen kann` – nennen die Mailänder ihren neuen Kollegen. Aufgebracht hat den Spitznamen der elegante Innenverteidiger Thiago Silva. Tag für Tag verdient Boateng sich seinen neuen Beinamen derzeit. Der 23-Jährige rennt und schwitzt, hat aber auch gelernt, Stoppsignale zu registrieren. Zugunfälle mit Sanitätereinsatz werden aus den Stadien, in denen er losgelassen wird, nicht gemeldet. Boateng hat in Mailand sein altes Image abgestreift und ist zu einem funktionierenden Element einer immer homogeneren Mannschaft geworden. Mehr noch: Boateng, der seine Balance gefunden zu haben scheint, hat gemeinsam mit Zlatan Ibrahimovic den Charakter der einstigen Diventruppe verändert. Geradlinigkeit und Athletik sind die neuen Markenzeichen des AC Mailand.“

Ein Arbeiter mit feiner Technik

Julius Müller-Meiningen (FAZ) zeigt sich überrascht von der schnellen Eingewöhnung des gebürtigen Berliners: „Kevin Prince Boateng ist beim AC Mailand erstaunlich gut angekommen. Kurz nach seiner Ankunft in Mailand erschien er bereits auf der Titelseite der `Gazzetta dello Sport`, auf einem Trümmerhaufen sitzend mit Vorschlaghammer und blauem Arbeiterhelm. Ein martialisches Bild, das vor allem die Sehnsüchte derer befriedigen sollte, die einen würdigen Nachfolger des 32 Jahre alten Mittelfeldarbeiters Gennaro Gattuso herbeisehnen. Boatengs muskulöser und von Tätowierungen bedeckter Körper, sein beim Laufen nach vorne gebeugter Rumpf und seine breitbeinigen Sprints erinnern eher an einen Fußball-Grobmotoriker. Überzeugt hat er bisher aber auch mit feiner Technik, etwa beim 2:0 gegen AJ Auxerre. Zugute kommt Boateng, dass sein Foul im Mai, das Michael Ballack die Teilnahme an der WM kostete, in Italien kaum der Rede wert ist – zumindest solange es sportlich so optimal läuft wie bisher.“

Für Oliver Birkner (Welt Online) hat sich Boateng bisher als einziger der Mailänder Sommereinkäufe als Verstärkung erwiesen: „Während von den drei als überaus schwierig deklarierten Charakteren, die sich im Sommer neu im Hause Milan einquartierten, Robinho nur langsam aus dem Formtief findet und der lästige Alleinunterhaltungstrieb von Ibrahimovic sich mit dessen wichtigen Toren die Waage hält, erfüllt Boateng alle Ansprüche der substanziellen Verstärkung im Mittelfeld. Dort, wo Milan zuletzt Dynamik abging, und für das Trainer Massimiliano Allegi einen `Hammer` einforderte – und ihn auch bekam.“

Der kleine Bruder des SV Werder Bremen

Christof Kneer (SZ) vergleicht Enschede mit Bremen und entdeckt dabei interessante Parallelen: „Twente ist ein Nischenklub. Seit jeher gilt es als Geschäftsprinzip dieses Klubs, selbstausgebildete Spieler teuer zu verkaufen und das Geld direkt in die weitere Aufzucht oder in schlaue Transfers zu investieren. Zuletzt wirkte Twente wie ein kleiner Bruder des Champions-League-Gegners Werder Bremen: Dem Klub gelang es stets, sich aus sich selbst zu erneuern. Als Flügelstürmer Eljero Elia, 23, den Verein im Sommer Richtung HSV verließ, wurde er vom Slowaken Miroslav Stoch, 21, ohne Qualitätsverlust ersetzt. Als Stoch im Sommer 2010 weiterzog wurde er von Nacer Chdli, 21, ohne Qualitätsverlust ersetzt. Als Trainer Fred Rutten nach Schalke ging, dachten alle, es könne nur schlechter werden. Dann kam Steve McClaren und wurde Meister.“

Keine Ordnung im Mittelfeld

Ralf Wiegand (SZ) vermisst den Regisseur im Bremer Spiel: „Es ist wohl der kleine Teufel Vielseitigkeit, der Wesley bisher daran gehindert hat, seine Rolle im Mittelfeld der Bremer zu finden – ein Mittelfeld, in dem in dieser Saison die Ordnung fehlt. Dabei war die hanseatische Zentrale in den letzten Jahren stets so etwas wie das philharmonische Orchester der Bundesliga, angeleitet von Maestros aus aller Herrn Länder: dem Österreicher Andreas Herzog, dem Franzosen Johan Micoud, dem Brasilianer Diego. Ihn ersetzte der bereits angelernte, 2007 aus Schalke geholte Mesut Özil. 18 jahre lang gaben also sehr eigenwillige Individualisten im Werder-Ensemble den Takt vor; fast zwei Jahrzehnte gab es jemanden, dem man immer den Ball zuschieben konnte, weil er meistens eine Idee hatte, wo andere ratlos blieben. Aber seit dieser Saison herrscht am Dirigentenpult beängstigende Ruhe.“

Konzept mit Mainzer Methoden

Peter Riesbeck (Berliner Zeitung) beschäftigt sich mit Enschedes Mittelfeldmotor Theo Janssen: „Offen ist er, geradezu liebenswert, wie ein großer Junge. Dass er etwas zu füllig ist für einen Profi, verzeihen ihm die Trainer. Ebenso, dass er raucht. 2008 kam er nach Enschede. Und dort in der niederländischen Provinz an der deutschen Grenze fand der Sensible, was er suchte: Ruhe und Vertrauen. Und eine Idee von Konzeptfußball. Mit diesen Mainzer Methoden haben sie in Enschede überrascht. Zuerst unter Fred Rutten, dann unter Steve McClaren. Der führte das Team im Mai zum Titel. Sein rackernder Lenker im Mittelfeld war Janssen, sein genialer Stürmer der Costa Ricaner Bryan Ruiz. Fußball, Ambiente und Solidarität – so definiert sich Twente. Und so sieht sich auch Janssen.“

Frank Hellmann (FR) sieht vor allem einen Bremer Stürmer mit Vergangenheit im Fokus vor dem Spiel bei Twente: „Marko Arnautovic, der neue Bremer Grenzgänger, von 2006 bis 2009 in Enschede am Ball. Bis heute spricht der 21-Jährige nicht nur deutsch mit Wiener Akzent und serbisch, sondern auch vortrefflich niederländisch. Und bis heute ist der Kontakt zu den Nachbarn nicht abgerissen. Ganz so daheim fühlt sich der Offensivmann in Bremen offensichtlich noch nicht. Zwar hat der Österreicher in der Hansestadt mittlerweile ein Haus bezogen und die ganze Familie ist von Wien mitgekommen, doch wirklich Fuß gefasst hat er noch nicht. Allein gegen Köln (zwei Tore, eine Torvorlage) waren starke Szenen zu sehen – andere (Tore-)Taten allein in der Alpen-Auswahl zu bestaunen. Laufwege wie Passspiel wirken noch nicht stimmig. Und beim jüngsten Gewürge gegen Freiburg liefen Mitspieler stets ins Leere, wenn er mit der Hacke vorlegte. Hätte Stürmerstar Claudio Pizarro schon die Fitness für 90 Minuten, womöglich wäre Arnautovic ausgerechnet an alter Wirkungsstätte nur Bankdrücker. Nun allerdings warnt er vor der realen Gefahr des niederländischen Meisters, der über eine begeisterungsfähige Mannschaft und ein noch begeisterungsfähigeres Publikum verfügt.“

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Kommentare

4 Kommentare zu “Ein Prinz im Glück und Ruhe am Dirigentenpult”

  1. Carl
    Mittwoch, 20. Oktober 2010 um 15:48

    irgendwie traurig geworden hier…

  2. Heinz Gründel lebt!
    Mittwoch, 20. Oktober 2010 um 22:54

    … finde ich auch, Carl. Deutlich langweiligere Texte als vor ein, zwei Jahren (sind die deutschen Journalisten schlechter geworden? Oder die Auswahl durch die Freistößler?). Und über schlechte Texte lässt sich auch nicht mehr gut diskutieren.

  3. JK
    Donnerstag, 21. Oktober 2010 um 10:49

    Den Vorwurf kann ich nicht so generell nicht teilen. Allenfalls im Einzelfall. Aber Herr Fritsch ist ja auch nicht mehr aktiv, den Neuen muss man erst ne Chance geben.

  4. Kai Butterweck
    Donnerstag, 21. Oktober 2010 um 12:01

    @Carl & Heinz Gründel: Kritik wird angenommen und beherzigt, auch wenn sie hätte etwas detaillierter formuliert werden können (hilft ungemein beim Umsetzen von Verbesserungen).

    @JK: Danke für den Welpenschutz

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