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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Meisterträume und Horrorfilme

Matthias Nedoklan | Montag, 1. November 2010 2 Kommentare

Dortmund holt sich in Mainz die Tabellenführung und träumt von der Meisterschaft. Schalke ist ratlos im Tabellenkeller gestrandet und bei Bayern treffen Ausgemusterte.

Jonas Beckenkamp (sueddeutsche.de) freut sich über eine weiterhin verrückte Liga: „Was ist die Bundesliga doch für ein großartiges Spektakel. Wo in den anderen europäischen Topligen längst die üblichen Verdächtigen die ersten drei Tabellenplätze unter sich ausmachen wie CSU-Ortsverbände die Plätze im Gemeinderat, hieß es an diesem Sonntag in deutschen TV-Wohnzimmern: Willkommen zum Spitzenspiel des 10. Spieltags zwischen Mainz 05 und Borussia Dortmund.“

Andreas Hunzinger (FR) kommentiert den Wechsel an der Tabellenspitze: „Vor einer Woche hatten sie auf die erste Saisonniederlage mit dem Sieg in Leverkusen noch eine eindrucksvolle Antwort gegeben. Auf die zweite Niederlage, das 1:2 im DFB-Pokal am vergangenen Mittwoch bei Alemannia Aachen, wussten die Profis des FSV Mainz 05 keine Antwort. Mit 0:2 (0:1) unterlag die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel gegen Borussia Dortmund und muss die Tabellenführung in der Bundesliga wieder an die Westfalen abgeben. Von der ersten Minute an attackierten die Spieler von Trainer Thomas Tuchel die Gäste, so dass die Borussen erhebliche Probleme hatten, einen halbwegs geordneten Spielaufbau zu inszenieren. Möglichkeiten zu einem Treffer hatten die Mainzer trotz aller Überlegenheit aber nicht. Die hatten die Dortmunder.“

Rauschhafte Stunden am Bruchweg

Michael Eder (FAZ) beschreibt teilweise spektakulären Fußball im Spitzenspiel der Bundesliga: „Das Topspiel des Wochenendes hielt, was es versprochen hatte: Fußball ohne Tempolimit. Es war das Duell der Pokalverlierer dieser Woche, aber es war auch das Duell der Überraschungsteams und Seriensieger der ersten neun Spieltage dieser Bundesligasaison. Erster gegen Zweiter, doch damit nicht genug: Es war auch das Aufeinandertreffen der vom Mainzer Publikum gefeierten Trainer-Idole Thomas Tuchel und Jürgen Klopp, die nicht nur der aktuelle Erfolg verbindet, sondern auch ihre Fußball-Philosophie. An guten Tagen sorgt der Hochgeschwindigkeitsfußball ihrer Mannschaften für rauschhafte Stunden, darauf hofften im ausverkauften Stadion am Bruchweg am Sonntag 20.300 Zuschauer, und sie kamen auf ihre Kosten. Beide Mannschaften packten eine Menge bester Fußball-Zutaten schon in die erste Halbzeit, und die Mainzer waren erst einmal das dominierende Team, allerdings nur für zehn Minuten. Sie wirkten beim Start eine Idee entschlossener, spielten mutig nach vorn, aber gegen eine konzentrierte und fein abgestimmte Dortmunder Abwehr kamen sie nicht zum Abschluss.“

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) träumt von einer Meisterfeier auf dem Dortmunder Friedensplatz: „Von einzelnen Phasen abgesehen erfüllte das Spiel tatsächlich die allgemein hohen Erwartungen. Seine Geschichte war ja sowieso schon fast zu kitschig. Da kommt der ewige Mainzer Volksheld Jürgen Klopp mit Borussia Dortmund als Tabellenzweiter an den Bruchweg – und trifft dort auf den Spitzenreiter. In 185 Länder wurde die Begegnung gestern live übertragen. Wo, bitteschön, soll es denn richtig prickeln, wenn nicht bei diesem Duell der Leidenschaft? Der BVB war die erste der beiden Mannschaften, die es nicht nur gegen den Ball gut machte, sondern auch mit dem Ball. Während die Mainzer nach drangvollem Beginn ihre Dominanz schnell wieder einbüßten und es fortan vornehmlich mit weiten Bällen versuchten, kombinierte der BVB besser.“

Demichelis dankt dem Himmel

Andreas Burkert (SZ) lobt den eigentlich ausgemusterten Martin Demichelis: „Verwunderlich war das nicht, nachdem er zuletzt in Dortmund nach seiner Einwechslung beide Tore verschuldet hatte und danach sogar seine Freizeitgestaltung thematisiert worden war. Aber Demichelis ist eben auch ein stolzer Südamerikaner, der an die Hilfe von oben glaubt, und sie kam dann wirklich, sie fiel ihm geradezu auf den Kopf: Pranjic trat einen Eckball, sinnigerweise anstelle Badstubers, der sonst für diese Standards zuständig ist (und das nicht schlecht macht). Der Kroate zirkelte den Ball wirklich gut an den Fünf-Meter-Raum, wo natürlich Demichelis höher stieg als sein Bewacher, SC-Torjäger Cissé. Demichelis traf den Ball wuchtig mit seiner Stirn, seine lange Mähne wirbelte durch die Luft, und dann jubelte er befreit vor der Münchner Nordkurve, als habe ihn der Herrgott von einem bösen Fluch erlöst.“

Jürgen Schmieder (sueddeutsche.de) sorgt sich um das Bayern-Lazarett: „Die Anekdote um Butt jedoch verdeutlicht am stärksten, in welch kompliziertem Dilemma van Gaal derzeit steckt. Aufgrund der zahlreichen Ausfälle – man könnte eine Elf zusammenbekommen, der durchaus der Einzug ins Finale der Champions League zuzutrauen wäre – ist der Trainer des FC Bayern quasi dazu gezwungen, Akteure aufs Spielfeld zu schicken, denen er vor nicht allzu langer Zeit das Vertrauen entzogen hatte: Danijel Pranjic, Anatolij Timoschtschuk, Martin Demichelis, Andreas Ottl und Mario Gomez. Hätte nun auch noch Thomas Kraft gespielt, dann wäre wohl Toni Kroos der Ersatztorwart gewesen, weil der ohnehin immer dort spielt, wo eine Position frei wird.“

Schalker Horrorfilm

Daniel Theweleit (FR) wähnt sich in einem Horrorfilm: „Denn der Klub liegt zwar sportlich am Boden, doch die Neigung zur Selbstzerstörung, die zum Wesen des Gelsenkirchener Fußballs gehört, haben Magath und seine Spieler ausnahmsweise mal im Griff. Die Fans pfiffen zwar, doch gepöbelt wurde kaum. Vor allem jedoch tauchen keine Funktionäre vor irgendwelchen Kameras auf und stammeln unüberlegte Dinge in die Mikrofone. Allgegenwärtig ist nur Magath. Selbst der Trainermanager, der sonst energisch an der Außenlinie herumtobt, saß in seinem Trainersessel und ließ das Grauen reglos über sich ergehen, wie ein erfahrener Horrorfilmkenner den neuesten Slasher-Streifen. Gefühlt ist diese Saison tatsächlich schon fast verloren, denn das obere Tabellendrittel ist außer Reichweite. Und niemand kann sich vorstellen, dass diese prominent besetzte Mannschaft, die am Dienstag in Tel Aviv einen entscheidenden Schritt Richtung Champions-League-Achtelfinale machen kann, wirklich absteigen wird. Magath tröstet sich noch mit den Erfolgen in der Königsklasse und mit den spielerischen Momenten, die seine Millioneneinkäufe hin und wieder hervorzaubern. Körperliche Überlegenheit, Willenskraft und Kampfbereitschaft, die Tugenden alter Schalker Erfolge, aber sind verflogen.“

Roland Zorn (FAS) beschreibt das eigentlich Unvorstellbare: „Doch die Sorgen daheim würden sie damit auch nicht los. Dort wachsen die Zweifel am Aufbauprojekt des in der vorigen Saison noch gefeierten Fußballlehrers. Fürs erste muss Magath sich in seiner früheren Spezialdisziplin bewähren: Abstiegskampf. Wer hätte das zu Saisonbeginn gedacht? 62.000 Zuschauer in der ausverkauften Arena pfiffen die Königsblauen und ihren Trainer nach der jüngsten Enttäuschung nach Leibeskräften aus. Der Konter der Rheinländer traf die Schalker ins Herz, denn nun wusste auch der letzte Daueroptimist in Königsblau, dass dieses schlecht ausbalancierte Team aus Stars und Talenten im Abstiegskampf angekommen ist.“

Magath verunsichert die Mannschaft

Jörg Strohschein (Tagesspiegel) kritisiert den Schalker-Trainer: „Magaths Umgang mit seinen Spielern erscheint weiterhin undurchsichtig. Ständige Personal- und auch Positionswechsel scheinen die Spieler zusätzlich zu verunsichern. Auch noch am zehnten Bundesliga-Spieltag gleicht die Schalker Elf einem Versuchsfeld, das durch den von Magath unausgewogen zusammengestellten Mannschaftskader bislang nicht in einen harmonischen Zustand versetzt werden kann. Lediglich ein Sieg aus zehn Bundesligapartien und Tabellenplatz 17 ist das ungenügende Zwischenzeugnis einer Mannschaft, die eigentlich um die vorderen Plätze mitspielen wollte und sich nun im Abstiegskampf verfangen hat.“

FC-Führung konzeptlos

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) kritisiert die Kölner Führung: „Besagter Meier, Vorname: Michael, Beruf: FC-Manager, dilettiert gerade auf beeindruckende Weise vor sich hin. Er hat nicht nur keinen Plan, wie es mit seinem Verein weitergehen soll, er gibt das auch noch offen zu. Der Sieg über den HSV war der erste und überaus erfolgreiche Arbeitsnachweis des Interimstrainers Frank Schaefer, der auch sonst offenbar viel richtig macht: Die Spieler mögen ihn, er erfrischt sie, er war lange Jugendcoach, er kennt den Klub und seine Macken. Er wäre ein guter Mann für einen langfristigen, durchdachten Neuanfang – wenn Meier ihn ließe. Mit dieser lächerlichen Larifari-Haltung beweist Meier, wie berechtigt die Kritik an ihm ist, die er beklagt. Denn selten haben die Massen auf den Tribünen so sehr Recht wie hier: Normalerweise ist es ja so, dass sie die Entlassung eines Trainers fordern. In Köln aber fordern sie seine dauerhafte Verpflichtung. Sie wollen keine Kurzschlussreaktion der Klubführung provozieren, sie fürchten sie. Sie wissen, dass Meier und dem FC-Präsidenten Wolfgang Overath nicht zu trauen ist.“

Jürgen Schmieder (sueddeutsche.de) blickt auf die Trainersituation in Köln: „Wenn Fußballer ein wichtiges Tor erzielen, dann starten sie oft einen Sololauf zur Ersatzbank, weil da jemand wartet, dem sie zu Dank verpflichtet sind: der Physiotherapeut etwa, der lädierte Muskeln gesundknetet, ein geliebter Mitspieler oder einfach nur der Trainer. Nach dem Spiel geben diese Fußballer oft kryptische Begründungen für ihre Dankbarkeit ab – und wenn ihnen gar nichts anderes einfällt, dann bemühen sie spirituelle Vergleiche mit geretteten Minenarbeitern. Als Milivoje Novakovic den 3:2-Siegtreffer gegen den Hamburger SV geschossen hatte, da blieb er einfach stehen und streckte seine beiden Zeigefinger gen Himmel. Dabei hätten sich sich für den dreifachen Torschützen doch zahlreiche symbolträchtige Jubelwege angeboten. Er hätte Lukas Podolski knuddeln können, jenen Menschen, der in Köln noch bedeutsamer ist als Franz Beckenbauer in München. Er hätte auf die Ehrentribüne klettern können, um Präsident Wolfgang Overath für die Entlassung von Zvonimir Soldo zu danken. Oder natürlich die klassische Route zum neuen Trainer Frank Schaefer, der ihn vom Reservistendasein erlöst hatte.“

Wolfsburg ungefährdet

Christian Otto (FAZ)  freut sich über ein Ende der Wolfsburger Krise: „Eine lange Sitzung in der Umkleidekabine und ein Erfolgserlebnis im DFB-Pokal innerhalb der Woche haben Wirkung gezeigt. Die Wolfsburger hatten, das kennt man schon aus ihren bisherigen Heimspielen in dieser Saison, die Einladung ihres Gegners zum Tore schießen nur widerwillig angenommen. Vor allem Grafite hätte in der ersten Halbzeit von dem einen oder anderen Fehler in der Hintermannschaft des VfB Stuttgart profitieren können. Aber der Brasilianer versucht es mit mehr Kraft als Intelligenz. Was die Profis des VfB Stuttgart zu bieten hatten, dürfte ihrem neuen Trainer Jens Keller gar nicht gefallen haben. Cacau war als einzige echte Sturmspitze viel zu häufig auf sich allein gestellt. Deshalb konnte sich der Wolfsburger Torhüter Marwin Hitz, der den immer noch verletzten Diego Benaglio abermals vertrat, über einen recht ruhigen Samstagnachmittag freuen. Die Mehrheit der 29.043 Zuschauer war verblüfft darüber, dass es die Wolfsburger einmal verstanden hatten, einen verdienten Vorsprung nicht mehr durch Fehler in der Defensive zu gefährden.“

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) empfiehlt ärztliche Hilfe für Schiedsrichter: „VfL-Verteidiger Simon Kjaer köpfte den Ball an die Torlatte, der Ball prallte von dort klar hinter die Linie, zurück ins Feld, auf den Kopf des Angreifers Edin Dzeko – der ihn ins Netz beförderte und den Treffer zugeschrieben bekam. Schiedsrichter Markus Wingenbach studierte nach der Partie die Szene am Fernseher eingehend, mochte sich aber auch zwei Stunden später nicht auf einen Torschützen festlegen; ihm sei geraten, einen Termin bei einem Augenarzt seines Vertrauens zu vereinbaren. Heute nun will die Deutsche Fußball-Liga entscheiden, wem der Treffer zugeschrieben wird. Den Wolfsburgern ist zu wünschen, dass es Kjaer wird. Zum einen, weil das gerecht wäre. Zum anderen, weil die Gefahr, dass Dzeko von einem prominenten Klub abgeworben wird, mit jedem Tor wächst.“

Bremen verharrt im Mittelfeld

Johannes Aumüller (sueddeutsche.de) wundert sich über Bremer Inkonstanz: „Es hatte vor diesem Spieltag ja so ausgesehen, als habe sich Werder Bremen etwas gefangen. Zehn Punkte hatte die Mannschaft von Thomas Schaaf in den vergangenen vier Spielen geholt und sich mit dieser Ausbeute als Vier-Wochen-Meister fühlen dürfen. Und 40 Minuten lang sah gegen den 1. FC Nürnberg alles so aus, als sollte sie diesen Trend fortsetzen könnte. Sie bot ein vorzügliches Spiel, erarbeitete sich viele Chancen und führte völlig verdient 1:0 – doch am Ende musste sich Thomas Schaaf mal wieder fragen (lassen), warum denn bei seiner Elf das einzig Konstante die Inkonstanz ist. Mit 1:3 verlor seine Elf und verharrt in der Tabelle auf Platz elf.“

freistoss des tages

http://www.fr-online.de/sport/spass-mit-dem-ex/-/1472784/4792752/-/index.html
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Kommentare

2 Kommentare zu “Meisterträume und Horrorfilme”

  1. R.Z.
    Dienstag, 2. November 2010 um 13:17

    Schade, dass Jonas Beckenkamp nichts anderes einfällt, um die Attraktivität der Bundesliga zu beschreiben, als mit dem üblichen Hinweis auf die ewig gleiche Situation in der Tabellenspitze der anderen europäischen Topligen.

    Zumal er falsch ist. Es sei denn Beckenkamp erkennt neben der Bundesliga nur Premier League und Primera Division als Topligen an. In Italien sorgt Lazio, deren Aktienkurs genauso zum Höhenflug ansetzt wie der von Borussia Dortmund, für frischen Wind an der Spitze. Und in Frankreich führt Neuling Stade Brest vor Stade Rennes die Tabelle an. Mit beiden war vor der Saison nicht unbedingt in dieser Form zu rechnen.

    Man muss nicht immer zwanghaft versuchen, die Bundesliga von den anderen Ligen abzugrenzen. Es reicht völlig festzustellen, dass Mainz und Dortmund an diesem Spieltag großartigen Fußball gezeigt haben.

    R.Z.

  2. lateral
    Dienstag, 2. November 2010 um 16:06

    Danke, R.Z.!

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