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Bundesliga

Herz und Verstand

Matthias Nedoklan | Montag, 13. Dezember 2010 Kommentare deaktiviert für Herz und Verstand

Bastian Schweinsteiger schenkt den Bayern eine Vertragsverlängerung, in Stuttgart übernimmt ein Problembär das Ruder. Außerdem: Dortmund vermisst Kagawa jetzt schon

Andreas Burkert (SZ) sieht in der Vertragsverlängerung von Bastian Schweinsteiger ein wärmendes Weihnachtsgeschenk: „Es war kalt geworden beim FC Bayern. Im vergangenen Frühjahr verzauberte er mit seinem Fußball, den van Gaal und seine Spieler erschufen – sogar jenen Teil der Menschheit, der die Münchner in etwa so sympathisch findet wie den eigenen Chef oder Guido Westerwelle. Hoeneß, das weiß man, ist in Wahrheit ein Machtmensch, der menscheln kann. Mit van Gaal hat er sich ausgesprochen, ‚das Thema ist für mich erledigt‘, sagt der Präsident. Er möchte sowieso nur das Beste für seinen Verein, dessen größter Fans er ist. Auch Schweinsteiger half er vor Jahren mit besten Absichten, er kaufte ihn sogar mal aus dem Vertrag mit einer Beraterfirma heraus. In diesen Wochen sorgt er sich halt mehr ums Geschäft der Bayern, die Qualifikation für die Champions League muss erreicht werden, wenigstens Platz drei ist nötig. Sonst fehlen plötzlich 40, 50 Millionen Euro in der Kasse. Und die langfristig gültigen Verträge, die sie jetzt mit Franck Ribéry (bis 2015), Arjen Robben (2013), Philipp Lahm (2016), Thomas Müller (2015) oder Holger Badstuber (2014) besitzen, die kosten Geld. Hoeneß hat es auch deshalb als Angriff auf das Eigenkapital empfunden, als der kauzige Trainer über manchen Profi eine Meinung abgab oder Schweinsteigers Verkauf anregte für den Fall, dass es diesen noch nach Spanien ziehe. Solche Dinge haben Hoeneß und Rummenigge aufgeregt, vermutlich auch manche Mannschaftsaufstellung und außerdem die Dreistigkeit van Gaals: dessen Annahme, er verstehe mehr vom Spiel als die Großwesire aus der Chefetage. Schweinsteiger bleibt Münchner, er hat seinem Heimatklub seine Liebe erklärt, aber irgendwie auch dem Trainer, ja selbst dem Sportchef Christian Nerlinger. Wenn die Bayern in dieser Saison noch irgendeinen Pokal gewinnen, es wird einem das Herz zerreißen“

Christian Eichler (FAZ) hinterfragt die Vertragsverlängerung Schweinsteigers: „Fußballer küsst Klubwappen. Im Profigeschäft hat sich diese Geste durch übermäßigen Gebrauch etwas abgenutzt. Das Wappen sitzt auf der linken Brustseite, dort, wo sich zwei weitere wichtige Dinge befinden: Herz und Brieftasche. Was davon meinte Bastian Schweinsteiger, als er den 69.000 Zuschauern in der Münchner Arena am Samstag erklärte: ‚Ich habe für euch für fünf Jahre verlängert‘, ehe er die Lippen zum Bayern-Emblem führte? Schweinsteiger ist mit 26 Jahren zum Weltklasseprofi gereift. Das gilt nun auch für die Planung seiner Karriere, die früher eher von Ablenkungen, Äußerlichkeiten, gelegentlicher Selbstzufriedenheit und einem Mangel an seriöser Beratung geprägt schien. Nun zeigt er, wie man das macht: rational in den Verhandlungen, emotional darin, deren Ergebnis nach außen zu verkaufen.“

Der Rohbau steht

Maik Rosner (FR) feiert Richtfest in München: „Der Nationalspieler wird fortan als Symbol des bayerischen Selbstverständnisses dienen, es mit jedem europäischen Topklub aufnehmen zu können. Finanziell wie sportlich. So ließ sich auch der Jubel der Fans interpretieren, der nach Schweinsteigers kurzer Rede wesentlich lauter ausfiel als nach den Toren von Hamit Altintop in den Winkel (17.), Philipp Lahm per Foulelfmeter (72.) und Franck Ribery (79.). Bis 2016 wird der 26-Jährige also bleiben und damit seine Karriere in München voraussichtlich auch beschließen. Weil zuvor bereits Lahm (bis 2016), Ribery, Thomas Müller (beide 2015) und Holger Badstuber (2014) langfristig verlängert hatten, geriet der Samstagabend zu einer Art Richtfest der Münchner Mannschaftsarchitektur für die kommenden Jahre. Allerdings, das wurde ebenfalls deutlich, steht damit nur der Rohbau. Verknüpft mit der frohen Botschaft hatte Schweinsteiger die Forderung, weitere tragende Säulen im Vorzeigebau des deutschen Fußballs zu installieren.“

Falk Schneider (Welt Online) erklärt den FC Bayern endgültig zum Schwergewicht im europäischen Fußball: „Seit van Gaals Verpflichtung im Sommer 2009 hat sich der Stellenwert des FC Bayern auf dem Kontinent rasant verbessert. Mit den englischen Klubs, die nach Jahren der europäischen Dominanz mit deutlichen Verschleißerscheinungen zu kämpfen haben, sind die Münchner ebenso auf Augenhöhe wie mit Titelverteidiger Inter Mailand, der sich ausgelaugt einer Post-Mourinho-Depressionen hingibt. Auch das spannendste Projekt Europas, Real Madrid unter dem portugiesischen Startrainer Jose Mourinho, gehört in dieser Saison wohl in eine Gewichtsklasse mit dem FC Bayern. Neben einem überragenden Eindruck in der Champions-League-Bilanz trübt das 0:5-Debakel in Barcelona die Zwischenbilanz der Königlichen.“

Labbadia hat die Auszeit genutzt

Christof Kneer (SZ) blickt auf Bruno Labbadias Auszeit vom Trainerberuf: „Wer bin ich, und wenn ja, wo möchte ich wieder arbeiten? Beim VfB kennen sie alle Urteile und Vorurteile, die über ihren neuen Coach im Umlauf sind, aber sie haben sich entschlossen, an einen Labbadia zu glauben, der fachlich der alte ist, sich im Umgang mit seinen Untergebenen aber neu aufgestellt hat, wie das im Strategendeutsch heißt. Seine Berater, zu denen auch die Strategen der von Oliver Bierhoff mitgegründeten Agentur Projekt B zählen, haben ihn zu einer Deutschland-Reise ermuntert, die beim VfB gut angekommen ist. Labbadia hat sich mit Medienberatern getroffen, die mit ihm an seinem Image gearbeitet und ihm empfohlen haben, während der Arbeitslosigkeit Fernsehstudios und Zeitungsredaktionen zu meiden; er hat seine Bekanntschaft zu DFB-Trainer Hansi Flick genutzt, um sich mit DFB-nahen Experten wie dem Sportpsychologen Hans-Dieter Herrmann auszutauschen; und natürlich hat er sich sportlich weitergebildet, wobei Labbadia als Sportlehrer ohnehin einen exzellenten Ruf genießt. DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, auch so ein anspruchsvoller Geist, wollte Labbadia schon mal zum DFB holen, was eine geradezu sensationelle Akzeptanz über alle Lager hinweg dokumentiert. Das haben noch nicht so viele Trainer geschafft, dass sie von den rivalisierenden Parteien Bierhoff/Sammer gleichermaßen geschätzt werden.“

Christof Kneer (SZ) kommentiert außerdem: „In diesem Klima ließ sich kein Trainer und keine Strategie durchhalten, und so kam es zur skurrilen Situation, dass der Klub seine hochmodern ausgebildeten Talente in einen monarchistisch angehauchten Profibereich entließ. Und dass die sparsamen Des-brauchet-mir-net-Schwaben einen Trainer (Gross) stattlich abfinden mussten und immer noch zwei (Labbadia, Keller) auf der Gehaltsliste haben.“

Fünfter Trainer in zwei Jahren

Oliver Trust (FAZ) sieht strukturelle Probleme beim VfB Stuttgart: „Wie schwierig die Aufgabe am Neckar zu sein scheint und wie groß die innerbetrieblichen Schwierigkeiten der Stuttgarter sind, verdeutlicht die kurze Amtszeit seines Vorgängers Jens Keller, der nach knapp 60 Tagen und nur neun Punkten aus neun Spielen wieder gehen musste, obwohl der ehemalige Assistent erst Mitte Oktober den Schweizer Christian Gross beerbt hatte. Keller wurde am Samstag beurlaubt, soll aber weiter in der Spielbeobachtung eingesetzt werden. Labbadia ist der dritte Trainer innerhalb eines Jahres oder der fünfte in zwei Jahren, den sich die Stuttgarter leisten.  Ausschweifend und geduldig lange beantwortete Labbadia Fragen und mühte sich, seinen angekratzten Ruf aufzupolieren. Nach kurzen Gastspielen in Leverkusen und Hamburg galt Disziplinfreund Labbadia nicht mehr überall als Teamplayer, sondern wurde als eigenwillig und wenig zugänglich beschrieben.“

Elke Rutschmann (FR) stilisiert Bruno Labbadia vom Problembär zum Hoffnungsträger: „Auf seinen bisherigen Bundesliga-Stationen in Leverkusen und Hamburg scheiterte er nach gutem Start weniger an seiner taktischen Ausrichtung als daran, dass er beim DFB-Lehrgang in Köln beim Thema Menschenführung nicht so gut aufgepasst haben soll. In Leverkusen attackierte er sein Team am Tag des DFB-Pokalfinales in einem Interview heftig, in Hamburg zerstritt er sich mit seinen Profis. In den sechs Monaten seit seinem Rauswurf beim HSV will er sein Scheitern analysiert haben. Er holte sich Rat, unter anderem bei Oliver Bierhoff. Gestern gab sich Labbadia geläutert.“

Oskar Beck (Welt Online) schüttet kübelweise Spott über die Vereinsspitze des VfB Stuttgart aus: „Gestern ist den Bossen von heute nun immerhin die Verpflichtung Bruno Labbadias geglückt. Aber alles in allem erinnert der VfB nach wie vor an den armen Kerl, der mitten in der Nacht unter einer Straßenlaterne kriechend ein Geldstück sucht. „Sind Sie sicher“, fragt ihn nach einer halben Stunde einer, „dass Sie es hier verloren haben?“ „Nein, da drüben habe ich es verloren“, entgegnet der Verzweifelte, „aber dort ist es dunkel, dort ist das Suchen zwecklos.“ So ungefähr sucht der VfB Stuttgart sein Konzept.“

Bruchweg Boys aufgelöst

Michael Wittershagen (FAZ) sieht Schalke im Aufwind und Mainz im Abwärtstrend: „Zufrieden war Magath deshalb noch lange nicht. Früh hatte er seine Reservespieler hinter das Tor von Neuer zum Aufwärmen geschickt und wechselte noch vor der Halbzeitpause Edu für Jurado ein. Offenbar hatte sich der Spanier nicht an die taktischen Anweisungen seines Trainers gehalten. Damit hatte Magath etwas mit seinem Gegenüber gemeinsam. Auch Tuchel haderte wiederholt mit den Laufwegen seiner Spieler, führte deshalb sogar einen lautstarken Dialog mit Angreifer Schürrle. Dessen einstiger Kollege der offenkundig aufgelösten Band ‚Bruchweg Boys‘ saß auch nach dem Seitenwechsel noch auf der Bank: Lewis Holtby. Dabei hatte der Zwanzigjährige in den vergangenen Tagen kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um zu betonen, wie wichtig ihm ein Einsatz gegen Schalke wäre.“

Uwe Martin (Tagesspiegel) beschreibt eine echte Trendwende des Vize-Meisters: „Inklusive des 2:1-Erfolgs in der Champions League bei Benfica Lissabon hat Schalke 04 in acht Tagen drei Partien gewonnen, sehr zur Freude von Trainer Felix Magath. Die Mainzer taten sich schwer gegen die geschickt gestaffelte Schalker Abwehr, es fehlten Räume und Anspielstationen sowie ein Konzept. Eine herbe Enttäuschung war insbesondere Jung-Nationalspieler André Schürrle, der von Tuchel nach einer halben Stunde stark kritisiert wurde. Schalke 04 hatte weiter keine Probleme, die Partie zu dominieren. So bedurfte es schon eines zweites Elfmeterpfiffs, damit die enttäuschenden Mainzer zu einer Ausgleichschance kamen. Aber Schürrle scheiterte mit seinem schwachen Schuss an Nationaltorwart Neuer.“

Jan Christian Müller (FR) lobt Schalkes Matchwinner Manuel Neuer: „Die Parade des Nationaltorwarts, der die umstrittene, aber auch sehr schwierige Strafstoßentscheidung als ‚Witz‘ bezeichnete, entsprang dabei keineswegs dem Zufall: Neuer hatte sich auf den Schützen Schürrle gut vorbereitet: ‚Ich wusste, dass er lange wartet und guckt, wohin sich der Torwart bewegt, also habe ich auch lange gezögert.‘ So wurde der Weltklassekeeper zum wiederholten Male zum Matchwinner einer Schalker Mannschaft, die nach dem 0:5 in Kaiserslautern nunmehr das dritte Pflichtspiel hintereinander gewinnen konnte und die Mainzer mit deren eigenen Mitteln schlug: Lauf- und Kampfbereitschaft, taktisches Geschick, defensive Disziplin. Da machte es auch nichts, dass Klaas-Jan Huntelaar bereits nach sieben Minuten einen von Christian Fuchs am unwiderstehlichen Farfan verursachten Strafstoß an den linken Pfosten gesetzt hatte. Magath wertete den Sieg als Zeichen, ‚dass die Entwicklung bei uns voranschreitet‘.“

Ein bisschen müde

Freddie Röckenhaus (SZ) sieht Dortmund trotz Schwierigkeiten gegen Bremen auf dem Weg in Richtung Meisterschaft: „Die Nerven von Thomas Schaaf sind offenbar angeschlagen, nachdem sein Team mit 19 Punkten auf Platz zehn rangiert, jedenfalls traktierte er nach Ansicht der Zeitlupen auch noch das zweite – irreguläre – Tor Dortmunds. Kagawa donnerte den Ball ins verwaiste Bremer Tor, der eingewechselte – und beim Schuss klar im Abseits stehende Robert Lewandowski – hatte die Haarspitzen noch an Kagawas Schuss. Regelexperten erklärten, dass allein Lewandowskis Nähe zur Aktion ihn schon vom passiv zum aktiv Abseitigen gemacht hätte. Referee Meier sah auch das anders, er trug sogar den Japaner Kagawa als Torschützen in den Spielbericht ein. Dortmund versuchte, die Lackkratzer zu ignorieren. Am Mittwoch kann Klopps Jungschar mit einem Sieg beim FC Sevilla noch in die K.o.-Runde der Europa League vorstoßen, und am Samstag soll der Riesenabstand auf die selbsternannten Konkurrenten Leverkusen und FC Bayern mit dem neunten Auswärtssieg, diesmal in Frankfurt, konserviert werden. Noch nie hat eine Mannschaft bei Saisonhalbzeit die Liga so einsam angeführt. Wer zu diesem Zeitpunkt der Saison kein bisschen müde ist, der ist vermutlich bisher auch zu wenig gelaufen.“

Felix Meininghaus (Tagesspiegel) sieht Dortmund vor einer geruhsamen Winterpause: „Für die Bremer wäre in der zweiten Halbzeit eindeutig mehr gewesen, doch Werders Spieler konnten ihre Überlegenheit gegen die beste Abwehr der Liga nicht zu Tore nutzen. Und so gelang es den Dortmundern ihrerseits, ein weiteres Erfolgserlebnis zu feiern. Auch in der zweiten kniffligen Szene hatten der BVB Schiedsrichter Florian Meyer auf ihrer Seite: Als Shinji Kagawa in der 72. Minute nach Flanke von Blaszczykowski zum 2:0 vollendete, stand der eingewechselte Robert Lewandowski im Zentrum im Abseits. Da er den Ball mit dem Kopf offenbar noch leicht touchiert hatte, griff der Pole also ins Spiel ein, die Situation hätte somit geahndet werden müssen. Meyer verzichtete darauf, das Spiel war entschieden. Nach dem Abpfiff feierten die Dortmunder Spieler noch lange mit ihrem Anhang. Der Vorsprung auf die zweitplatzierten Leverkusener beträgt satte elf Punkte, auf den Meister aus München haben die Dortmunder sogar einen Sicherheitsabstand von 17 Punkten.“

Kagawa muss zum Asien-Cup

Martin Henkel (Berliner Zeitung) verabschiedet Dortmunds Japaner zum Asien-Cup: „Shinji Kagawa hat am Samstagabend seinen achten Saisontreffer erzielt, im Spiel gegen Werder Bremen staubte er einen Schuss von Jakub Blaszczykowski zum 2:0-Endstand ab. Und nun – sieht das für Borussia Dortmund nach diesem Tor noch viel düsterer aus, als ohnehin schon. Bis Weihnachten wollten sie Japans Nationaltrainer Alberto Zaccheroni davon abbringen, den 21 Jahre alten Kagawa im Januar zu den Asienmeisterschaften mit nach Katar zu nehmen. Das können sie jetzt wohl vergessen. Für Trainer Jürgen Klopp bedeutet das: Er muss für die Januarspiele gegen Leverkusen, Stuttgart und Wolfsburg Ersatz finden. Und er muss sich auch für die Saisonvorbereitung im Sommer was einfallen lassen. Japan wurde nämlich zum zweiten Mal nach 1999 zur Copa América geladen.“

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