WM 2018
WM 2018 – Einmischer, Rechtsrocker und kickende Zicken
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| Mittwoch, 27. Juni 2018Heute auf dem Presseteller: Der Videobeweis am Pranger, stumpfe Rechtsrock-Feierlichkeiten in der kroatischen Kabine und ein Superstar mit Hang zu Arroganz und Unsportlichkeit
Noch vor wenigen Tagen wurde der Videobeweis bei der WM in den höchsten Tönen gelobt. Spätestens seit Ronaldos Ellbogenirrfahrt im Spiel gegen den Iran hat sich das Blatt gewendet. Thomas Kistner (SZ) fordert Gerechtigkeit für alle: „Das Regelwerk legt klar dar, was ein Foulspiel ist. Und es will die regelwidrige Verhinderung eines Tores hart bestraft sehen; egal, ob eine Blutgrätsche vorliegt oder nur ein effektiver Schubser. Nicht im Regelwerk steht, dass Foulspiele keine sind, wenn sie von Branchen-Helden begangen werden. Und schon gar nicht steht drin, dass das wirtschaftlich attraktivere oder das sportpolitisch bedeutsamere Team zu bevorzugen ist.“
Aufgedrängte Entscheidungen
Alex Feuerherdt (Spiegel Online) klopft an die Pforten der Videoassistenz-Schaltzentrale: „Es zeigt sich, dass der Videobeweis vor allem dann gut funktioniert, wenn zum einen die Video-Assistenten bei der Linie bleiben, nur in den wenigen gut begründeten Ausnahmefällen einzuschreiten, statt zu versuchen, den Unparteiischen ihre Entscheidungen förmlich aufzudrängen. Und wenn sich zum anderen die Referees in diesen Ausnahmefällen nicht beratungsresistent zeigen. Sonst droht der Videobeweis jene Akzeptanz, die er bei dieser WM gewonnen hat, wieder zu verlieren.“
Nach dem Sieg über Argentinien werden in der kroatischen Kabine stumpfe Rechtsrock-Lieder angestimmt. Tobias Finger (Tagesspiegel) ist entsetzt: „Die Wunden der Kriege sind im ehemaligen Jugoslawien noch frisch, doch nationalistische und rassistische Ressentiments lassen sich dadurch nicht entschuldigen. Ebenso wenig das Video aus der kroatischen Kabine. Wer das Lied einer ultranationalistischen, den Faschismus verherrlichenden Band abfeiert, deren Fans auf Konzerten Hitlergrüße zeigen und gegen die schon wegen Volksverhetzung ermittelt wurde, tut das nicht aus Versehen. Auch nicht im Freudentaumel nach der Qualifikation für ein WM-Achtelfinale.“
Ellen Ivits (stern.de) beschäftigt sich mit balzfreudigen Russinnen: „Wer mit 30 Jahren nicht mindestens schon einmal verheiratet war, gilt besonders in der Provinz bereits als „alte Jungfer“. Die Ehe hat daher für viele Frauen oberste Priorität. Genau deswegen tragen sie stets High-Heels und Röcke. Die WM-Touristen, die derzeit die russischen Städte bevölkern, sind in den Augen vieler russischer Frauen schlichtweg potenzielle Ehemänner. Frische Ware auf dem Heiratsmarkt.“
Der russlanddeutsche Keeper Roman Neustädter (Tagesspiegel) feiert den Einzug Russlands ins WM-Achtelfinale: „Das Land steht hinter dem Team, die Fans pushen die Spieler nach vorne. Genau mit dieser Begeisterung haben die wenigsten gerechnet. Ich bekomme Videos zugeschickt, auf denen die Menschen nach dem Spiel auf die Straßen rennen und feiern. Nichts ist mehr zu sehen von der Skepsis, die uns noch vor Monaten entgegenschlug.“
Japanische und senegalesische Fans sind zu Vorbildern geworden
Fans aus Japan und Senegal räumen in den Stadien den Müll beiseite. Im Interview mit der SZ zeigt sich der Forscher Boria Majumdar begeistert: „Die japanischen und senegalesischen Fans sind zu Vorbildern geworden und haben gezeigt, worum es im Sport eigentlich geht: Ethik, Fairplay, einen moralischen Kodex. Plötzlich sind sie Aushängeschilder dafür, wie sich Fans verhalten sollen. Die Aufmerksamkeit für Japan und Senegal ist um ein Vielfaches gestiegen.“
Andreas Bock (11Freunde) befasst sich mit der russischen LGBT-Community, und blickt dabei mit Sorgenfalten auf der Stirn in die Zukunft: „Eine Fußball-WM ist immer auch eine große kurze Fiktion. Sie findet genaugenommen nicht mal in einem Land statt (das stellt höchstens die Kulisse und ein bisschen Kolorit), sondern in einem riesigen FIFA-Zirkuszelt, in dem Millionen von Menschen beseelt und glücksbesoffen mit witzigen Kopfbedeckungen durch die Manege hüpfen. Wenn der Zirkus nach gut vier Wochen seine Zelte wieder abbaut, bleibt meist wenig übrig von der schönen Welt. Regenbogenflaggen? Anti-Rassismus-Slogans? Freundliche Polizisten? Reicht jetzt auch.“
Frederic Valin (taz) wendet sich an die Fans der deutschen Nationalmannschaft: „Jede Haltung erfordert Distanz, ein Wegtreten von sich selbst. Eine Erlaubnis der Vielstimmigkeit. Bei einem Sieg kuckt jeder auf Kroos. Da hat jeder verstanden, was der Moment ist. Aber nach einer Niederlage wird gesucht. Wer muss den Kopf hinhalten, ob er will oder nicht? Khedira, Müller, Özil? Das ist Schuldabwehr. Und ein Missverständnis. Du musst diese Mannschaft nicht bejubeln, weil sie so und so ist. Aber wenn Du sie bejubelst, wirst Du fair zu ihr sein müssen, auch wenn sie verliert.“
Wir haben um unser Leben gekickt, um nicht rechnen zu müssen
Vor dem finalen Gruppenspiel gegen Südkorea wird im deutschen Fanlager viel gerechnet. Frank Nägele (ksta.de) hat die Faxen dicke: „Jetzt soll aus dem einfachen Spiel ein endloser Algorithmus geworden sein, mit dem man sich die Zukunft schönrechnet. Haben wir dafür einst den Kampf gegen alle Wahrscheinlichkeiten aufgenommen? Nein, haben wir nicht. Wir haben um unser Leben gekickt, um nicht rechnen zu müssen. Und weil der Fußball derselbe geblieben ist, bleibt auch die Aufgabe dieselbe: Besser spielen als Südkorea. Zwei Tore mehr schießen. Dann fällt Mathe aus.“
Auf der Liste der beliebtesten Spieler der WM verewigt sich der Name Neymar irgendwo im Niemandsland. Tim Sohr (stern.de) weiß warum: „Beim Turnier in Russland hat er vor aller Welt seinen Hang zu Arroganz und Unsportlichkeit in einem einzigen Spiel, der zweiten Vorrundenpartie gegen Costa Rica, auf ein neues Level gehoben. 90 Minuten reichten aus, um Neymar alle Qualitäten, die ihn zu einem wahren Idol befähigen würden, abzusprechen. Dumm nur, dass er damit nicht nur seinem eigenen Ruf schadet. Sondern auch dem Ruf der großen Fußballnation Brasilien.“