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Bundesliga

Die Geld-schießt-Tore-Meisterschaft

Oliver Fritsch | Montag, 5. Mai 2008 Kommentare deaktiviert für Die Geld-schießt-Tore-Meisterschaft

Der 31. Spieltag: Die Journalisten möchten den neuen Deutschen Meister Bayern München am liebsten dazu verpflichten, seiner Dominanz in Deutschland auch internationale Triumphe folgen zu lassen; Werder Bremen scheint in einem Jahr voller Krisen dennoch die Champions League zu erreichen; Schalke büßt Schwung ein; Rostock wird geraten, an Trainer Frank Pagelsdorf festzuhalten

Michael Horeni (FAZ) misst den Nachrichtenwert der vollzogenen Bayern-Meisterschaft: „Zehn, neun, acht, sieben … Der Countdown zum Titelgewinn des FC Bayern war ungefähr so spannend wie das Runterzählen am Silvesterabend um 23.59 Uhr. Irgendwann kommt das neue Jahr. Irgendwann wird Bayern Meister. Sechs Spieltage vor Schluss, fünf, vier, drei … Dass es so kommen würde, sagten Fans und Experten schon nach dem zweiten Spieltag voraus. Da gewannen die Bayern 4:0 in Bremen und hatten fünf Punkte Vorsprung auf Werder. (…) Der feste Glaube, dass Fußball und Golf die unwägbarsten aller Sportarten wären, ist jedenfalls erschüttert. Im Golf hat dafür Tiger Woods gesorgt. Im Fußball, zumindest in der Sektion Bundesliga, der FC Bayern. Die Gewinnerwartungen lassen sich dort in der Regel wie bei ganz normalen Wirtschaftsunternehmen vorhersagen.“

Spannung bietet allerdings der Blick in die Zukunft der Münchner; Christof Kneer (SZ) pocht auf einer Weiterentwicklung auf internationalem Niveau: „Was Bayern feiert, ist die Geld-schießt-Tore-Meisterschaft. Dieser Titel ist der bayerische Beitrag zu einer der prägenden Debatten der Fußball-Neuzeit. Im Kern dreht sich die Debatte darum, ob schlechter besetzte Klubs mit besser besetzten Klubs konkurrieren können, wenn der schlechter besetzte Klub zum Beispiel über den listigeren Trainer, die schlüssigere Taktik und die findigeren Scouts verfügt. Die Antwort: Nein, können sie nicht – sofern ‚besser besetzt’ Franck Ribéry und Luca Toni bedeutet. Der FC Bayern hat die Materialschlacht 2007/2008 locker für sich entschieden, aber erst die nächste Saison wird zeigen, was von diesem Meistertitel wirklich zu halten ist. War er nur das Ende von etwas – das Ende eines von Ribéry und Toni aufgepeppten, im Kern aber doch noch pragmatischen, sehr deutschen Hitzfeld-und-Kahn-FC-Bayern? Oder war er der Anfang von etwas – der Anfang einer großen internationalen Ribéry-und-Toni-Ära, die vom global playerle Jürgen Klinsmann befördert und zugespitzt wird? Die Champions League ist die Definitionsebene für diesen FC Bayern, und dafür wird er Deutschland weit hinter sich lassen müssen. Zur Personal- muss nun die Strategieebene kommen. Es wird Klinsmanns zentrale Aufgabe sein, einen unverwechselbaren, originär münchnerischen Spielstil zu etablieren.“

Mathias Klappenbach (Tagesspiegel) unterstreicht die routinierte Arbeit des scheidenden Bayern-Trainers: „Dass die Meisterschaft so souverän ausfiel, ist vor allem Ottmar Hitzfeld zuzurechnen. Er hat aus den Einzelkönnern innerhalb kürzester Zeit eine funktionierende Einheit gebastelt, die seit dem ersten Spieltag ununterbrochen die Tabelle anführt. Disziplinlosigkeiten wie die Kritik an Kollegen von Oliver Kahn oder jüngst die von Willy Sagnol an seiner Position hat er rigoros bestraft. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Münchner trotz aller Investitionen längst nicht auf allen Positionen so besetzt sind, dass sie eine tragende Rolle in der Champions League einnehmen könnten. Mit einem Außenverteidiger wie Christian Lell ist auch der Sieg im Uefa-Cup wenig wahrscheinlich. Hitzfeld hat die hohen Investitionen gut verwaltet, sehr gut. Eine Mannschaft, die zu Höherem berufen ist, hat er nicht geschaffen. Konnte er vielleicht auch nicht.“

Peter Ahrens (Spiegel Online) zweifelt am künftigen Münchner Tormann: „Michael Rensing wird das kommende Spieljahr nicht als Nummer 1 durchstehen – da möchte man jede Wette eingehen, auch wenn die Lippenbekenntnisse der Vereinsführung noch anders klingen. Die Selbstsicherheit, die Rensing außerhalb des Platzes zur Schau zu tragen pflegt, fehlt ihm auf dem Feld komplett. Umgekehrt wäre besser. Unsicher in der Strafraumbeherrschung, ohne Ausstrahlung auf die Vorderleute – von der Qualität Rensings gibt es zehn bis zwölf Torsteher in der Liga. Olli Kahn sollte sich eventuell für den Herbst noch ein bisschen fit halten.“

Theater ohne Ende

2:0 gegen Cottbus, Platz 2 gefestigt – Frank Heike (FAZ) erstaunt darüber, wie Werder Bremen immer wieder die Kurve kratzt: „Die Berechtigung zur Teilnahme an der Champions League wäre die optimale Ausbeute nach dieser Spielzeit voller kleinerer und größerer Unglücke. Mit schlechtem Krisenmanagement und schwacher Öffentlichkeitsarbeit hat sich Werder durch all die Schwierigkeiten der Spielzeit 2007/2008 laviert: Die aktuelle Krisenwoche nach Ivan Klasnics Klage gegen den Mannschaftsarzt und dem zähen Friedensgipfel war der negative Höhepunkt eines aufregenden Bremer Jahres. Auch davor hat es ja allerhand Unerhörtes gegeben: Verletzte von Beginn an, den verliehenen Millionen-Irrtum Carlos Alberto, seine Trainingsschlägerei, ständiges Interesse anderer an Diego, ein Flirt Klaus Allofs‘ mit dem FC Bayern, Spekulationen um Per Mertesacker, die vielen Rückschläge bei Torsten Frings, der Wechsel von Tim Borowski, ein Boubacar Sanogo, der vom Afrika-Cup wie verhext zurückkehrte, die Rote Karte von Frankfurt gegen Diego, sechs Gegentore in Stuttgart und ein Torwart Tim Wiese, der vom Helden zum Deppen wurde, als er das Ausscheiden im Uefa-Pokal verschuldete. Theater ohne Ende in fast jeder Saisonphase beim SV Werder, und als im März drei Spiele verlorengingen, rutschte er nach der Niederlage gegen den MSV Duisburg auf Rang 5. Doch in Bremen arbeitete man ruhig weiter. Thomas Schaaf (und seine verordnete Spielweise des Immer-vorwärts) und Allofs bleiben unangefochten. Diese innere Ruhe trotz äußerer Wirbelstürme ist Gold wert: Es folgte das bewährte grünweiße Krisenmanagement auf dem Rasen.“

Placeboeffekt?

Richard Leipold (FAZ) fragt sich beim 1:1 gegen Hannover, ob der Schalker frische Schwung schon wieder aufgebraucht ist: „Mehr Anlass zur Sorge als das Ergebnis gibt aus Schalker Sicht die Art, wie es zustande kam – ohne Witz und ohne Charme. Wo war nur die Leichtigkeit geblieben, zu der Mike Büskens und sein Kompagnon Youri Mulder den Spielern scheinbar verholfen hatten? Gegen Hannover erinnerte viel an die faden Vorstellungen, die Schalke unter Mirko Slomka oft abgeliefert hatte. Wie von unsichtbaren Lasten gedrückt, bereitete die Mannschaft sich und ihren Fans ein böses Frühlingserwachen. Das vermeintliche Stimmungsduo Youri und Mike stieß schon im dritten Spiel an Grenzen. Hat ihre Spaßtherapie am Ende nur einen Placeboeffekt erzeugt?“

Zwischenhoch

Oliver Trust (FAZ) kann beim 4:1-Sieg der Stuttgarter über Frankfurt nicht erkennen, dass Tabellennachbarn am Werke sind: „Stuttgart lieferte ein schönes Spiel, aber der Gegner trug zu dieser Galavorstellung der Schwaben einen beträchtlichen Teil bei. Die Frankfurter hatten Glück, nicht überrollt zu werden, und ihr Torwart Markus Pröll, nicht zur Schießbudenfigur des Wochenendes gekürt zu werden. In dieser Saison war noch keine Mannschaft in Stuttgart so schwach dahergekommen wie die Eintracht. (…) Der VfB löste die Aufgabe mit einer Leichtigkeit, die Trainer Armin Veh gar an die Meistersaison erinnerte. Nun kommt das Zwischenhoch für eine etwaige Titelverteidigung natürlich viel zu spät, aber es könnte für die Stuttgarter noch für ein versöhnliches Ende einer schwierigen Saison reichen. Die Tore erinnerten jedenfalls an die traumhaften Tage im Frühjahr 2007.“

Den Abstieg hinnehmen wie ein Naturereignis

Obwohl Hansa Rostock nach dem 1:3 gegen Hamburg auf den Abstieg zumarschiert, teilt Matthias Wolf (Berliner Zeitung) die Zweifel am Trainer nicht im geringsten: „Jetzt, da scheinbar alles den Bach runter geht, nach nur einem Jahr in der Ersten Liga, löst sich der Mythos Frank Pagelsdorf auf. Ein Blick ins Internetforum des Vereins genügt, um zu sehen, wie es an der Basis rumort. Doch bei allem Verständnis für den Unmut: Soll man Hansa wirklich raten, den Trainer nach dieser Saison zu feuern? Die Realität sieht doch so aus: Ohne das glückliche Händchen Pagelsdorfs, dem es gelang, acht junge Spieler aus der jahrelang unproduktiven eigenen Nachwuchsabteilung für den Bundesligakader zu rekrutieren, wäre der Klub vermutlich längst in den Niederungen von Liga Zwei verschwunden, oder sogar noch tiefer. Auch dank ihm hat der mittlerweile wieder liquide Verein die Lizenz ohne Auflagen erhalten. Das gilt auch für die Zweite Liga. Noch beim Abstieg 2005 bedurfte es einer Landesbürgschaft von fast fünf Millionen Euro, um überhaupt Profifußball weiter betreiben zu dürfen. Dieser scheinbar für das hektische Bundesligageschäft zu gemütliche Dicke, der Ottfried Fischer von der Ostsee, war noch nie ein Lautsprecher – aber Pagelsdorf hat ein Konzept. Eines, das prima passt zu Hansa, dessen Überlebensstrategie in zehn Jahren Bundesliga einst so aussah: billig einkaufen, teuer verkaufen. Den besten Ausbildungsverein Deutschlands wollte Pagelsdorf nun kreieren, noch im Winter hat er davon geschwärmt, bevor der Alltag im dunklen Tabellenkeller scheinbar alle Träume auffraß. Es wird Zeit, dass Hansa um seinen Trainer kämpft – egal, was jetzt passiert. Denn ohne Pagelsdorf hat Hansa die Zukunft vielleicht schon hinter sich.“

Claudio Catuogno (SZ) wittert Kapitulation: „Mit zunehmender Spieldauer nahm der Auftritt der Rostocker absurde Züge an: Als Enrico Kern schließlich einen Kopfball weit neben das Tor drückte, wurde nur deshalb das 1:3 daraus, weil Hamburgs Mathijsen den Ball noch über die Linie stolperte. ‚Torschütze mit der Nummer 9: Enrico, Enrico, Enrico’, rief der Stadionsprecher. Doch von den Rängen kamen nur Pfiffe zurück, als Quittung für den unlauteren Versuch, das ohnehin gequälte Publikum auch noch für dumm zu verkaufen. (…) In Rostock scheint man den drohenden Abstieg hinzunehmen wie ein Naturereignis. Wie eine Sturmflut, gegen die man sowieso nichts ausrichten kann, also klappt man die Läden vor die Fenster und wartet. Aber manchmal ist, wenn man nach einem Unwetter die Vorhänge wieder beiseite schiebt, die Welt draußen nicht mehr dieselbe.“

Treibende Kraft im Hintergrund

Josef Kelnberger (SZ) widmet sich der Schelte und den Danksagungen für Jan Koller aus den Fan-Kurven: „Koller bleibt jetzt nichts anderes mehr übrig, als mit Toren den Club vor dem Abstieg zu bewahren. Dann kann er im Jubel auch diese typischen Legionärsgeste vorführen: Der Spieler klopft sich mit der rechten Hand auf die linke Brustseite, dorthin, wo das Vereinswappen sitzt, um zu zeigen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste – dass sein Herz ganz bei dem jeweiligen Verein ist. Die Nürnberger Anhänger nehmen Koller das offenbar nicht ab. Ein Zeichen von Selbstauflösung, die gewöhnlich schnurstracks in den Abstieg führt. Auf wundersame Weise bleibt Borussia Dortmund von diesem Schicksal in dieser Saison verschont. Die leblosen Dortmunder Profis mussten sich ja als die eigentlichen Adressaten des Jubels um einen Nürnberger Stürmer fühlen. Auch ihre Anhänger trauerten der guten, alten Zeit nach, und die trug eben einen Namen: Jan Koller.“

Von Freddie Röckenhaus (SZ) erfahren wir nähere Hintergründe: „Das wirklich Tragische für Koller: Vor zwei Jahren hatte die Borussia ihn mit allen Mitteln zu halten versucht, als es ihn zum AS Monaco zog. Vor einem Jahr haben die Dortmunder erneut versucht, den in Monaco unzufriedenen Torjäger zurückzuholen. Und auch in der Winterpause legte der BVB Koller ein konkretes, finanziell sogar besseres Angebot vor als der 1. FC Nürnberg. Doch Kollers Frau Hedvika, ein Glamour-Girl mit einer ausgeprägten Leidenschaft fürs Shopping, war die treibende Kraft, dass er nicht mehr in seinem fußballerischen Dorado Dortmund anheuerte. Zwar hat die Stadt Nürnberg als Wohnort vermutlich auch nicht mehr Glanz und Glamour als die Ruhrpott-Metropole, aber für Gattin Hedvika ist Prag von dort nur zwei Autostunden entfernt. Die alte Weisheit, dass die Hälfte des Erfolgs eines Mannes seiner Frau gebührt, lässt sich auf Jan Koller wohl nicht anwenden.“

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