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Deutsche Elf | Internationaler Fußball

Game Over

Oliver Fritsch | Freitag, 9. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Game Over

„Soccer-Blues bei den Fußball-Fans“ (SZ) – „die Copa América ist nach bester lateinamerikanischer Tradition von den Meinungsmachern und Ideologen in Peru zum kontinentalen Sportereignis des Jahres hochgeredet worden“ (NZZ) u.a.

Game Over

Tobias Moorstedt (SZ 9.7.) dreht Daumen: “Etwas ist anders in diesen Tagen: Der Himmel lastet schwer über der Stadt, die Menschen laufen mit geduckten Köpfen durch die Fußgängerzone, haben kein Lächeln übrig, kein Nicken, kein Schulterzucken, nicht einmal das. Es fehlen die lachenden Gesichter der Fußballfans, die Wikingerhelme und Grimassenmasken, die Kriegsbemalung. Fünf Tage Game Over. Erste EM-Entzugserscheinungen. Die lachenden Gesichter werden zu Schatten der Erinnerung. Selbst der Vorzeige-Grieche am Gyros-Stand steht mit ouzoschwerem Kopf hinter der Theke und ist seltsam still. Die Fußball-Fans haben den Soccer-Blues, die Psychologen sprechen von einem „sozialen Kater“. „Wenn man etwas ganz intensiv erlebt hat, folgt häufig danach eine Frustration, weil etwas Wichtiges weg ist“, erläutert Reinhold Schmitz-Schretzmaier, Diplom-Psychologe und Schöpfer des Begriffs. Die EM, so wird es in den Jahresrückblicken stehen, war ein Fußballfest. Deutschland war bei dieser Party nur bis zum Sektempfang eingeladen, wurde danach höflich zum Ausgang geleitet und drückte sich die Nase an der Fernsehscheibe platt. Auch das war wahrscheinlich ein Grund dafür, dass die TV-Außenreporter die EM-Stimmung mit solcher Emphase lobten. Die Schalt-Orgien von Lissabon nach Athen nach Berlin, wo die Stimmung immer „Wahnsinn“ und „Super“ war und man einen Satz hörte, der selten geworden war: „Die Menschen freuen sich.“ Wie hypnotisiert verharrten die Kameras auf dem „Ring aus faszinierten Gesichtern“, wie Elias Canetti das Fankollektiv im Stadion beschrieben hat. Otto Rehhagel meinte zu diesem Thema: „Alle Menschen sind jetzt Brüder.“ In Wahrheit zerfällt das magische Band des Fußballs kurz nach dem Abpfiff. Mittlerweile zeigt selbst der göttliche Bund Ottos mit den Griechen Auflösungserscheinungen, im Gewitter des Alltags, von Partikularinteressen und Eigensinn zerfetzt. Die Menschen sind Brüder, die sich leider nur verstehen, wenn der Fußball das Leben so einfach macht.“

Ein Leserbrief an die FAZ (9.7.): „Ihr Feuilletonbeitrag „Rahn schießt – Pause. Wie das ,Wunder von Bern‘ im Zuchthaus Brandenburg wirkte“ hat in mir die folgende Erinnerung hervorgerufen. Kurz nach dem Bau der Berliner Mauer war ich, damals West-Berliner Student, von einem Ost-Berliner Gericht wegen Fluchthilfe für einen befreundeten Kommilitonen zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Den größten Teil hatte ich in der Ost-Berliner Strafanstalt Rummelsburg zu verbüßen. An einem frühen Morgen Mitte 1962 kam bei allen Gefangenen der Station Dora im Haus 6 so etwas wie Jubel auf: die Zentrale hatte ihrem gewohnten Lautsprecherkommando „Die Stationen Anton, Berta, Cäsar, Dora: Nachtruhe beenden!“ zum ersten und einzigen Mal eine Mitteilung hinzugefügt: in der vergangenen Nacht habe die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Chile die Elf der CSSR geschlagen. Wir alle wußten, daß damit Sepp Herbergers Mannen eine Runde weitergekommen waren. So war für viele von uns wenigstens dieser eine Tag „gerettet“. Die mit dieser Lautsprecherdurchsage verbundene menschliche Geste war etwas Einmaliges.“

Aus Südamerika berichtet Max Seelhofer (NZZ 9.7.): „Die Copa América ist nach bester lateinamerikanischer Tradition von den Meinungsmachern und Ideologen in Peru zum kontinentalen Sportereignis des Jahres hochgeredet worden. Gleichwohl sind neben dem sportlich minderen Wert des ältesten Wettbewerbs von Fussballnationalmannschaften auch in den Sektoren Infrastruktur und Promotion einige Defizite auszumachen. Die einzige international wirklich konkurrenzfähige Austragungsstätte Perus, das Stadion „Monumental“ des Klubs Universitario aus der Hauptstadt, wurde – aus an sich nichtigem, irrelevantem Anlass – von den Eigentümern/Betreibern zur „Off“-Zone erklärt, einer operettenhaften Intrigen-Dramaturgie folgend. Doch immerhin ist es gelungen, das alte, traditionsreiche Nationalstadion so weit herzurichten, dass es den Veranstaltern nicht zur Schande gereichen wird. Gleiches gilt für die diversen Arenen in den Provinzstädten, die quasi in letzter Minute unter Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Kräfte Copa-tauglich gemacht worden sind. “

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