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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Alles bricht in schallendes Gelächter aus

Oliver Fritsch | Mittwoch, 14. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Alles bricht in schallendes Gelächter aus

ganz Deutschland sucht einen Trainer / wie suchen Franzosen ihren Trainer? wie machen’s die Holländer? / Morten Olsen, „Fußball-Idealist“ (FR) / Guus Hiddink wäre „gut für die Außendarstellung des DFB“ (FR) u.v.m.

Wenn alle witzeln, wird die taz ernst. Fritz Tietz (taz 15.7.) fasst die Suche zusammen und macht einen Vorschlag: „Mit dem größten Vergnügen verfolgt die deutsche Fußballgemeinde momentan die verzweifelt-komischen Bemühungen jener ominösen (und schon an sich sehr witzigen) Trainerfindungskommission (TFK). Alles bricht in schallendes Gelächter aus, wenn mal wieder ein Candidatus unter fadenscheinigsten Vorwänden auf die angeblich so hohe Ehre verzichtet, unter der Fuchtel (und Fahne) einer Schnapsdrossel Teamchef der deutschen Nationalmannschaft zu werden. Unbändig geradezu ist die Heiterkeit, wenn mit Lothar Matthäus unverdrossen immer nur ausgerechnet der ins Chefamt drängt, den partout keiner dort will. Ungezählt bleiben die Lachtränen, wenn es plötzlich heißt, dass möglicherweise wieder Rudi Völler den Posten übergangsweise bekleidet, bis Ottmar Hitzfeld sein Nervenkostüm so weit gelüftet und er zu ausreichend mentaler Stärke gefunden hat. Es ist ein außerordentlicher Spaß, den die Trainersuche des DFB ausgelöst hat und seither begleitet. Insbesondere die Satiriker, Glossisten und Crash-Analytiker haben allen Grund, mit der lustigen Trainerkür zufrieden zu sein. Sie versorgt sie schließlich mit genügend Stoff zur mal mehr, mal weniger geistreichen Betrachtung der Angelegenheit. Sehr beliebt ist es momentan, die TFK mit Vorschlägen bei der Trainersuche zu unterstützen. So präsentiert etwa die SZ seit einigen Tagen etliche potenzielle Kandidaten. Darunter auch Christoph Schlingensief, dem die SZ völlig zu Recht attestiert, dass „der nichts nicht macht und alles mit großer Leidenschaft“. So bekomme die anstehende Operation WM nicht nur einen griffigen Namen („Chance 2006″), mit dem Teamchef Schlingensief wäre auch eine demokratische Kaderschmiede garantiert: „Vor dem Turnier werden so dreißig, vierzig Fußballer in einen Container gesteckt und rund um die Uhr gefilmt. Jeden Tag werden dann per Umfrage zwei rausgewählt, bis die Elf steht“. Erstaunlich leichtfüßig für ihre Verhältnisse geht sogar die Bild-Zeitung mit dem Trainerproblem um. Sie bietet einen Vordruck an, mit dem sich ihre Leser um den Teamchefjob bewerben können. Eine Chance, die auch Bild-Leser und Ex-Bundesligatrainer Dragoslav Stepanovic („Lebbe geht weider“) nutzte. Für ihn spräche neben der Bereitschaft und internationalen Erfahrung vor allem dieses Kriterium: „Ich habe die Erlaubnis meiner Frau“, so Stepi in Bild. Ein sehr bedenkenswerter Vorschlag kommt indes von Welt-Kolumnist Hans Zippert. Er bringt einen interessanten Mann ins Spiel, „der für brutales Angriffsspiel steht, aber auch die Verteidigung beherrscht und der lange Jahre in Holland Erfahrungen sammeln konnte: Slobodan Milosevic.“ Mein Vorschlag soll dagegen ein seriöser sein, auch wenn ich eigentlich der Ansicht Friedrich Küppersbuschs bin, dass man niemandem den Job empfehlen kann, solange die DFB-Vorgabe heißt, 2006 Weltmeister zu werden. Es sei denn, so mein Einwand, es gäbe da jemanden, der irre genug ist. Womit ich, ganz klar, für Peter Neururer plädiere.“

Die Arbeit mit dem Fußball-Nachwuchs ist in Deutschland so populär wie die Erziehungszeit für Väter

Michael Horeni (FAZ 14.7.) empfiehlt das Vorbild Frankreich: „Den entscheidenden Impuls, wie in den Jahren zuvor weiter auf einen Trainer des Verbandes zu setzen, gab Aimé Jacquet, der die Grande Nation 1998 zum Weltmeister machte. Jacquet, wie seine Nachfolger Roger Lemerre und Santini aus dem Verband hervorgegangen, hielt in der Fédération Française de Football ein zwanzigminütiges Plädoyer für Kontinuität. Der Verband solle nicht seiner eigenen Arbeit mißtrauen und nach einem Nachfolger nur in den eigenen Reihen suchen. Die konzeptionelle Arbeit über viele Jahre macht es den Franzosen immer noch möglich, selbst nach zwei großen Enttäuschungen in zwei Jahren, auf die eigenen Stärken zu vertrauen. Der 52 Jahre alte Domenech, der im Fußball die Phantasie leben läßt, hat in der „U 21″ schon die Stars Zidane, Henry und Trezeguet fortgebildet. Da die Franzosen ihre Auswahlmannschaften nach einem abgestimmten taktischen Konzept spielen lassen und auch deren Trainer als Fachleute anerkannt werden, gilt Domenech im Land auch nicht als umstrittene Wahl. In Deutschland ist eine Lösung, die nicht sogenannte große Namen hervorbringt, kaum denkbar. Noch immer haftet Nachwuchstrainern hierzulande der Makel an, vom „richtigen“ Fußball angeblich nichts zu verstehen. Die Arbeit mit dem Fußball-Nachwuchs ist in Deutschland so populär wie die Erziehungszeit für Väter. Die Qualität einiger Auswahltrainer des Verbandes ist danach. Dieses Defizit ist ein Zeichen für die Geringschätzung der unverzichtbaren Grundlagenarbeit im Fußball – und die Suche nach einem Bundestrainer daher auch nur ein Kapitel in der Trainer-Malaise des DFB.“

Wie und wen sucht Holland? if-Leser Henk Mees sichtet die holländische Presse: Vier Stunden lang haben sie gesprochen in Barcelona, und die holländische Zeitung Algemeen Dagblad (13.7.) weiß, was Johan Cruijff dem holländischen Fußballverband KNVB empfohlen hat: Marco van Basten soll der neure Bundestrainer werden, zusammen mit seinem Ajax-Kumpel John van ’t Schip. KNVB-direktor Henk Kesler und das Sodann wurde bekannt, wie sein erster Rat lautet: nimm doch Van Basten! Cruijff und van Basten (39) hatten immer schon ein enges Band. Ihre Ideen über Fußball kommen immer überein, aber wie Cruijff hat van Basten die letzten Jahre Abstand gehalten. Elf Jahre ist es her, dass van Basten in München, im Europapokal-Endspiel zwischen AC Mailand und Olympique Marseille (0:1) sein letztes Pflichtspiel machte. Das Knochengelenk funktionierte nicht mehr nach Belieben. Erst vor zwei Jahren begab er sich zu einem Trainerkurs. Mit seinem ehemaligen Mitspieler van ’t Schip (40 Jahre, 41 Länderspiele, gescheitert als Trainer bei FC Twente) startete er voriges Jahr bei der Reserve-Mannschaft Ajax Amsterdams. Jetzt winkt der Aufstieg zur Nationalmannschaft. Zu erwarten ist, dass van Basten viel Beifall erhalten würde in Holland, wenn es tatsachlich so weit kommt. Bei den Spielern der Nationalmannschaft und beim Publikum genießt er großen Respekt. Das Algemeen Dagblad berichtet, dass van Basten schon damit rechnete, erster Kandidat für die Nachfolge Dick Advocaats sei. Auch De Telegraaf (13.7.) schildert die geheim gehaltene Mission des KNVB in Barcelona. Erstaunlich: Obwohl Cruijff schon Jahrzehnte lang als Kolumnist dem Telegraaf treu ist, weiß diese Zeitung nichts über den Inhalt der Gespräche. In der holländischen Presse fällt zudem auf, wie Guus Hiddink einen Wechsel zum DFB offen lässt: ,,Ich habe die Gerüchte auch gehört, aber vorübergehend sind das nur Gerüchte”, sagt der Trainer des PSV Eindhoven im Brabants Dagblad (13.7.). PSV-Beobachter Frans van den Nieuwenhof entdeckt in den Äußerungen Hiddinks eine nuancierte Änderung. ,,Bisher hatte Hiddink über eine eventuelle Kandidatur nur gesagt ‘Kein Kommentar’. Jetzt klingt es wie: ‘Noch nicht.’

Franz Beckenbauer ist nicht zu beneiden

Philipp Selldorf (SZ 15.7.) hält die Situation in Holland für schwer vergleichbar: “Wir schauen mit eitler Sehnsucht auf unser Nachbarland im Westen, weil es einen neuen Bundestrainer gefunden hat, der nicht nur einen großen Namen trägt, sondern auch eine respektierte Person ist. Die Rede ist von Marco van Basten, der nach Lage der Dinge das Erbe des zurückgetretenen Dick Advocaat übernehmen wird. Seit Advocaats unauffälligem Verschwinden hat wie in Deutschland auch der Königlich Niederländische Fußballbund (KNVB) angestrengt nach einem Betreuer für die Nationalmannschaft gefahndet. Und wie hierzulande ist auch in Holland eine in den Adelsstand erhobene nationale Fußball-Autorität hervorgetreten, um den geeigneten Mann zu finden. Noch eine Analogie: Wie der deutsche Hauptkommissar Franz Beckenbauer verdingt sich auch Johan Cruyff, der inoffizielle Sonderberater des KNVB, nebenberuflich als Guru in den Medien und geht den meisten Leuten damit auf die Nerven. (…) Gibt es nicht auch in Deutschland außer den Absolventen der Trainerakademie (über die erschreckend wenig gesprochen wird) genügend renommierte Alt-Nationalspieler, die gern Trainer wären? Schon, aber die arbeiten entweder bereits beim DFB (Hrubesch, Stielike, Eilts), oder sie sind aus gutem Grund dort nicht beschäftigt (Kohler, Brehme, Matthäus). Der Versuch mit Deutschlands van Basten – Rudi Völler – wurde soeben beendet; Jürgen Klinsmann, eine vergleichbare Alternative und im Besitz einer Trainerlizenz, lebt sorgenfrei in Kalifornien. Franz Beckenbauer ist nicht zu beneiden.“

Fußball-Idealist

Frank Hellmann (FR 15.7.) stellt Morten Olsen vor: „Das Spiel, das er mag, nannte er früher schon mal „undeutsch“. Morten Olsen, seit 2000 Nationaltrainer Dänemarks, ist ein Freund jenen Fußballs, der die just vergangene Europameisterschaft prägte. Ansehnlich, anziehend, auf Angriff ausgerichtet. „Im Fußball gibt es viele Wege, die zum Erfolg führen. Ich wähle den schweren“, hat er einmal gesagt. Davon ist Olsen bis heute überzeugt: Von ihm wird das 4-3-3 mit zwei echten Flügelstürmern propagiert, technisch versierte, flexibel verwendbare, weil vielseitig ausgebildete Profis stehen auf seiner Prioritätenliste weit oben. Der ästhetische Stil und das attraktive Spiel sind ihm fast ebenso wichtig wie das Ergebnis. Olsen, 54, ist noch so etwas wie ein Fußball-Idealist. (…) Der Mann genießt in Dänemark bei Fans, Medien und Spielern höchste Wertschätzung. Die Abschottung deutscher Art war den Dänen diesen Sommer im EM-Trainingslager in der Nähe von Lagos fremd: Vor den Übungseinheiten gaben die Spieler unbehelligt Interviews, der lockere Plausch war durchaus auch Olsens gängiges Kommunikationsmittel.“

Gut für die Außendarstellung des DFB

Wie wär’s mit Guus Hiddink, Jan Christian Müller (FR 15.7.)? “Der Niederländer aus der Provinz Geldern, ein Liebhaber von Blues-Musik und leidenschaftlicher Golfspieler, hat zwar als Spieler nie das Dress der niederländischen Elftal getragen, gehörte allerdings vor der WM 1974 zum erweiterten Kader und bewegt sich außerhalb des Fußballplatzes im Stile eines Weltmannes. Thomas Schnelker, der exzellente DFB-Dolmetscher, bräuchte einem wie Hiddink nicht zur Seite zu stehen. Der derzeit bis 2007 als Trainer und Teammanager beim PSV Eindhoven unter Vertrag und dort moralisch in der Pflicht stehende mehrfache Meistertrainer spricht neben seiner Muttersprache fließend englisch, französisch und deutsch. Bei Pressekonferenzen pflegt Hiddink seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, was als Bundestrainer im eigenen Land dem Anliegen der Weltpresse und der Außendarstellung des DFB fraglos zugute käme. Er selbst zerstreut Zweifel, dass ausgerechnet ein Coach aus den Niederlanden den Erzrivalen betreuen würde: „Warum nicht, jetzt sind alle Länder europäisch.“ Ähnlich wie Otto Rehhagel gilt Hiddink als guter Analytiker, der genau weiß, mit welchem taktischen Konzept seine Mannschaft reüssieren kann. Bei Bedarf offensiv – wie mit den Niederlanden 1998, die erst in einem atemberaubenden Halbfinale gegen Brasilien ausschieden; oder defensiv mit ungeheurer Laufbereitschaft und ungemeinem Einsatzwillen – wie Südkorea, das 2002 erst im Halbfinale von Michael Ballack gestoppt wurde. In Südkorea wurde Hiddink zum Volkshelden. Korean Air gewährt ihm unbegrenzt Freiflüge nach Südkorea, außerdem stellen Sponsoren ihm ein Haus auf der Ferieninsel Jeju zur Verfügung.“

Trainerfrage

Hitzfeld sagte Nein
Daum kann’s niemals sein
Herberger ist tot
Deutscher Fussballbund in Not

Ob Rehakles will?
Ob Matthäus … still!
Stange, Ex-Irak
Ist ein Mann, der Krisen mag

Drängt’s zum Traineramt
Spieler insgesamt?
Olli Kahn, ein Mann
Der schon auch mal brüllen kann

Deutsch? Spricht das noch wer?
Gebt halt Jakob her,
Schweizer! Lösung nun
Die ist: Deutschland, Kahn und Kuhn!

Wolfgang Bortlik (NZZaS 11.7.)

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