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Bundesliga

Wiederentdeckung der Langsamkeit

Oliver Fritsch | Montag, 20. September 2004 Kommentare deaktiviert für Wiederentdeckung der Langsamkeit

5. Spieltag – Berichte, Analysen, Reaktionen: „für Borussia Dortmund kann es nur darum gehen zu überleben“ (NZZ) – Bayern Münchens „Wiederentdeckung der Langsamkeit“ (FTD) – Werder Bremens „kleine Wende“ (SZ) – Klaus Augenthaler, „väterlicher Pädagoge“ (FAZ), hat Nachsicht mit seinen launigen Leverkusener Kindern – „Woher kommt der plötzliche Erfolg der Wolfsburger Teams, das als eine Ansammlung von Egoisten galt?“ (BLZ) – zwei Aufsteiger spielen Remis, und „neidisch blickt so mancher Ostwestfale auf die fröhlichen Mitaufsteiger aus Mainz“ (FAZ) – „ein Koloß sackt überzeugend weg“ (FAZ), und ein Schiedsrichter fällt auf Carsten Jancker rein u.v.m.

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Borussia Dortmund-Bayern München 2:2

Für Borussia Dortmund kann es nur darum gehen zu überleben

Martin Hägele (NZZaS 20.9.) über Wenn und Hätte: „Das Bild des Tages stammt aus dem Westfalenstadion: Uli Hoeness trägt eine Baseballmütze und Button-down-Hemd, Felix Magath einen feinen Anzug mit Krawatte. Wenn zwei Männer in den Fünfzigern sich umschlungen halten wie beim Steh-Blues und dann wie Kinder tanzen, muss etwas besonderes passiert sein. Oder vielleicht noch wichtiger: Was wäre in der Münchner Medienszene passiert, wenn Lucio und Makaay nicht egalisiert hätten? Die Schlagzeilen wären bedrohlich geworden, und jeden Tag aufs neue hätte irgendein Blatt den Coach zur Debatte gestellt, der den Stil des FC Bayern reformieren und also, wie der Vorstandsvorsitzende Rummenigge sagt, „die Kulturrevolution an der Säbener Strasse“ vom Zaun reissen soll. Magath verlangt mehr Disziplin, mehr Leistungsbereitschaft, mehr Professionalismus – und ein solcher Prozess dauert halt seine Zeit in einem Ensemble von Stars, in welchem PR-Termine und Golf-Verabredungen für manchen wichtiger waren als die Trainingszeiten. In dieser Hinsicht war das Remis ein kleiner Schritt in die von Magath und Hoeness gewünschte und geforderte Richtung. Umgekehrt hätte ein Sieg der Dortmunder in Westfalen für ein paar Tage die Realität verkehrt. Womöglich hätten dann immer noch ein paar geglaubt, der BVB sei weiterhin ein Spitzenklub und halt doch der ewige grosse Rivale des FC Bayern. In Wirklichkeit kann es für Borussia Dortmund in dieser Saison nur darum gehen, sportlich zu überleben und wirtschaftlich nicht Konkurs anmelden zu müssen.“

Michael Horeni (FAZ 20.9.) ergänzt: “In den Katakomben des Westfalenstadions sah Manager Michael Meier auch eine Stunde nach Schlußpfiff noch so mitgenommen wie nach einer Bilanzpressekonferenz aus. „Es sieht so aus, als liege ein böser Fluch über uns“, sagte der Manager immer wieder, „auch wenn sich das kryptisch anhört.“ Das mit dem Fluch, den Meier zu bannen trachtet, war in diesem Augenblick vermutlich nur sportlich gemeint, nicht wirtschaftlich. Aber beides ist bei der finanziell schwer angeschlagenen Borussia derzeit kaum voneinander zu trennen.“

Wiederentdeckung der Langsamkeit

Felix Meininghaus (FTD 20.9.) ist von Bayern München enttäuscht: „Zumindest der Mythos, dass die Bayern niemals abgeschrieben werden dürfen, lebt weiter. Die Münchner hatten über weite Strecken fürchterlich gespielt, aber sie hatten sich nicht unterkriegen lassen. Sehr viel bemerkenswerter als die späte Aufholjagd war jedoch, wie passiv und technisch unzulänglich der Rekordmeister zuvor aufgetreten war. Niemals zuvor sei es „so einfach gewesen, die Bayern zu schlagen“, sagte Rosicky, und diese Einschätzung war nicht übertrieben. Ohne Michael Ballack und Sebastian Deisler schleppte sich ein völlig verunsichertes Starensemble ohne Inspiration und Leidenschaft über den Platz. Dabei fordert Trainer Felix Magath seit seinem Amtsantritt in München, vom alten Bayern-Stil abzurücken und den Gegner mit höchster Laufbereitschaft in die Knie zu zwingen. Doch von diesem Anspruch ist der Meisterschaftsfavorit bislang meilenweit entfernt. Der „FC Haargel“ offenbarte ziemlich alle Defizite, die Magath seit Wochen anprangert. Was die Münchener zeigten, mutete an wie die Wiederentdeckung der Langsamkeit.“

Wer bestimmt in München, was gut und was schlecht ist, Michael Horeni (FAZ 20.9.)? “Alles hätte gut sein können, wenn sich die Bayern allesamt nur den letzten Minuten und der Zukunft zugewandt hätten. Doch danach stand dem Vorstandsvorsitzenden nicht der Sinn. Während sich Felix Magath mit happelscher Emotionslosigkeit, aber ohne dessen analytische Brillanz im Fernsehinterview an die Verschönerung des Bayern-Auftritts machte, watschte Karl-Heinz Rummenigge Team und Trainer in knappen Sätzen ab. „Die ersten 75 Minuten waren sehr, sehr schlecht“, mäkelte Rummenigge. Die Vorstellung sei „eines FC Bayern nicht würdig“ gewesen. Das saß. Die knallige Kritik konnte als weitere pädagogische Übung für den neuen Trainer gelten, der sich zuletzt schon von Rummenigge erklären lassen durfte, daß er die Sprachregelungen in der Welt des FC Bayern wohl noch nicht so genau kenne – und daß alles eben etwas anderes als in Stuttgart oder sonstwo sei. Diesmal lautete der Untertitel dieses bayerischen Trainer-Lehrstücks in Dortmund: Sei erst zufrieden, wenn du wirklich etwas erreicht hast. (…) Im ersten Teil ging kein einziger Ball aufs Dortmunder Tor.“

Bayer Leverkusen-1. FC Nürnberg 2:2

Väterlicher Pädagoge

Auch Klaus Augenthaler ist, wie seine Mannschaft, schwer auszurechnen; Jörg Stratmann (FAZ 20.9.) blickt ihm ins Gesicht: „Fußball ist und bleibt ein seltsames Spiel. Einfach, so daß es nahezu jeder versteht, und doch unbegreiflich flatterhaft. Das macht es manchmal aufregend schön, doch wer beruflich davon abhängt, würde liebend gern auf die eine oder andere Beunruhigung verzichten. Wie jener Mitarbeiter von Bayer 04 Leverkusen, der zur Halbzeit zum Auftritt seiner kickenden Mitarbeiter kopfschüttelnd sagte: „Also, mir wäre das nur peinlich.“ Es bedarf schon eines Trainers vom Schlage Klaus Augenthalers, um das Unverständnis über Bayers Wechselbäder nicht überschwappen zu lassen. Ein berauschender Sieg über Bayern München, verdrängt von der Niederlage beim Aufsteiger Mainz 05, anschließend das hinreißende 3:0 über Real Madrid, dem das Erlebnis abermals gegen einen Aufsteiger auf dem Fuße folgte. All das wird die Falten noch vertiefen, die die Erfahrungen einer respektablen Profilaufbahn in Augenthalers Mimik gegraben haben. Der gestandene Trainer ließ es denn auch an deutlichen Worten nicht fehlen, und doch umspielte ein wissendes Lächeln seine Mundwinkel. Augenthaler, ganz väterlicher Pädagoge, können die Streiche seiner Rasselbande längst nicht mehr überraschen.“

Augenthaler kann nachtragend sein, erfährt Christoph Biermann (SZ 20.9.): „Vielleicht lag es daran, dass Klaus Augenthaler all seine Geduld, seine Nachsicht und sein Verständnis bereits aufgezehrt hatte. Jedenfalls wandte er sich unversehens an Michael A. Roth. Augenthaler fixierte den Präsidenten des 1. FC Nürnberg im Hintergrund des Presseraums der BayArena und sagte, dass er damals auch gerne so gute Spieler wie der jetzige Coach Wolfgang Wolf bekommen hätte. „Dann hätte ich auch die Klasse gehalten“, sagte er, und knurrte so richtig, als er gefragt wurde, ob denn Paulo Rink damals nicht sein Wunschspieler gewesen wäre. Der Deutsch-Brasilianer war im Januar von Leverkusen an den Club ausgeliehen worden. „Da müssen Sie mal den Präsidenten fragen“, sagte er und schleuderte noch ein paar Blicke durch den Raum, „ich habe ihm damals gesagt: Ich brauche keinen Rink, das Protokoll der damaligen Sitzung habe ich noch“. Auch nach der Reise durch die schönsten Umlaufbahnen des europäischen Fußballs wurmt Augenthaler seine Vergangenheit noch. Dass er im April 2003 in Nürnberg entlassen wurde und der spätere Abstieg quasi auf seine Kappe ging, obwohl sportliche Entscheidungen gegen seinen Willen gefällt wurden, das wollte er auch mit dem Fell von Real Madrid behängt nicht auf sich sitzen lassen. Im Hinausgehen schüttelte Augenthaler seinem ehemaligen Präsidenten noch die Hand, tat es aber so kühl, dass man sich gleich den Kragen hochschlagen wollte.“

Werder Bremen-Hannover 96 3:0

Eine kleine Wende

Bremen atmet auf – Jörg Marwedel (SZ 20.9.): „Irgendwann kam diese Frage, die gern gestellt wird von Reportern: „Herr Allofs, was ist nach 5 von 34 Spieltagen ein dritter Tabellenplatz wert?“ Klaus Allofs hätte eine Floskel aus dem Standardrepertoire der Bundesliga bemühen können. Er hätte von der „Momentaufnahme“ schwadronieren oder auf die Diskrepanz hinweisen können, die noch zwischen den Ansprüchen eines Meisters und der gezeigten Qualität liegt. Stattdessen setzte er wieder dieses scheinbar gelassene Erfolgslächeln auf, das man von der vergangenen Saison kannte, und sagte: „Dieser Tabellenplatz ist sehr wichtig für uns. Wir müssen da oben drin bleiben. Das war letztes Jahr eine große Motivation für die Mannschaft.“ Die Tabelle als Doping, als Quelle des Selbstvertrauens? So platt wollte Allofs das nicht verstanden wissen. Es gebe nämlich noch einen anderen Mechanismus: „Wenn man da oben steht, weiß man, dass man sich nicht viele Fehler erlauben darf.“ Das wiederum erhöhe die Konzentration. So betrachtet, könnten die Bremer, die zuletzt dreimal verloren hatten und mühsam nach der alten Geschlossenheit suchen, wirklich eine kleine Wende geschafft haben.“

Hansa Rostock-VfL Wolfsburg 1:2

Zwischenmenschlicher Bereich

Matthias Wolf (BLZ 20.9.) sucht Erklärungen für Wolfsburgs Erfolg: “Woher kommt der plötzliche Erfolg des Teams, das als eine Ansammlung von Egoisten galt? Am wichtigsten ist wohl der zwischenmenschliche Bereich. Erik Gerets, der knorrige Belgier, hat seine Mannschaft in ein italienisches Restaurant eingeladen, um auch die private Seite seiner Kicker kennen zu lernen. „Meine Philosophie ist gegenseitiger Respekt“, sagte er nun und lobte wieder einmal vor allem die Leistung der Einwechselspieler. Stolz war er, wie damals, als er in seiner Heimat Lierse SK zum ersten Mal nach fünfzig Jahren zum Tabellenführer machte. Daran, so sagte er, habe er auch während des denkwürdigen Spiels in Rostock gedacht. „In Lier sagte mir ein Fan, er stehe eine Stunde früher auf und gehe eine Stunde später schlafen, um die Tabellenführung zu genießen. Außerdem gucke er 75mal in den Videotext, um zu glauben, dass es kein Traum ist“, sagte Gerets lächelnd: „So machen wir das jetzt auch in Wolfsburg.“ Schöne neue Welt. (…) Horst Klinkmann übte schonungslose Kritik. „Das ist ein klassischer Fehlstart“, sagte Hansas Aufsichtsratschef: „So kann es definitiv nicht weitergehen. Es muss sich Grundsätzliches ändern.“ Die Mannschaft rufe „nur fünfzig Prozent ihres Leistungsvermögens ab. Es ist an der Zeit, ernster miteinander zu reden.“ Klinkmann gilt als väterlicher Freund von Schlünz, doch der Umgangston wird rauer an der Küste.“

Schalke 04-Borussia Mönchengladbach 3:2

What Katie did

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 20.9.) erlebt Schalker gute Laune: „Eddy tut Schalke gut. Mit Nachnamen heißt der Übergangstrainer der Schalker Fußballprofis Achterberg. Aber kaum jemand käme auf die Idee, ihn als „Herrn Achterberg“ anzureden, weil Eddy kumpelhaft und herzlich daherkommt. Eine Stimmungskanone, eine Plaudertasche im Vergleich zu Jupp Heynckes, der schon von seiner Natur her die Stirn in Falten legt, sobald er überlegt. Eddy überlegt nicht lang, er lebt. Das 3:2 hat der in die Cheftrainerposition gehievte Holländer in vollen Zügen durchlebt und am Ende genossen. „Hühnerfell“-Atmosphäre habe er verspürt, sagte er und meinte natürlich Gänsehaut-Atmosphäre. (…) Welches Trainermodell wohl das für die Zukunft ist? „Ich schwöre an Eides Statt, daß ich noch nicht einen Gedanken an einen neuen Trainer verschwendet habe“, versicherte Assauer in der Feier- und Fragestunde. Im Überschwang wollte dieser „das beste Spiel im letzten dreiviertel Jahr“ gesehen haben. „Wenn sie so weiterspielen, haben wir noch viel Spaß. Die Truppe war frei, hat gespielt mit Lust und Laune und Leidenschaft, wie es in den letzten Monaten nicht der Fall war. Anscheinend war irgendwo eine Bremse drin.“ Soll wohl heißen, Heynckes, dessen Rezepte nicht griffen, hat sie gezogen, Achterberg sie gelöst. Ob Achterberg Schalke über den Berg bringt? „Das funktioniert zur Zeit ohne richtigen Chefcoach“, sagt Schütze Sand, „aber einen Trainer braucht man schon“, fügt er hinzu. Dann ist Eddy Achterberg wohl eher Maskottchen als Trainer auf Schalke.“

Zauberei am Schlangenfluss

Auch Andreas Morbach (FR 20.9.) notiert Schalker Wortkreationen: „An Fahrt hat das Schalker Spiel nach der Heynckes-Entlassung gewonnen. „“Wir haben jetzt wieder viel Freude im Training und im Spiel. Das war vorher nicht so“, erzählt Levan Kobiaschwili Deutlicher wird Häuptling Assauer, der das Schicksal des Dänen Christian Poulsen anführt: „Er ist vom Trainer behandelt worden, als könnte er nicht Fußball spielen. Anstatt ihn zu stärken hat er ihn runtergezogen. Aber damit Spieler brennen, musst du ihnen auch den Glauben geben, dass sie etwas können.“ Und weil Königsblau gerade Gladbach geschlagen hat, peinigt den Mann die „persönliche Niederlage“, auch mit Heynckes letztlich den falschen Coach ausgewählt zu haben, wieder ein bisschen weniger. „Wir sind“, weiß Assauer jetzt definitiv, „eben nicht Real Madrid, Benfica Lissabon oder Bayern München. Hier muss Fußball gearbeitet werden. Zauberei am Schlangenfluss kann man machen, wenn man 6:1 führt.“ Entsprechend werden sie auf Schalke die Suche nach einem neuen Chefcoach angehen.“

Post-revolutionäre Übergangsregierung

Ulrich Hartmann (SZ 20.9.) ergänzt: „Die Schalker Fußballer genießen den Zustand der Führungslosigkeit. Sturmfreie Bude, heißt das im jugendlichen Jargon, und so etwas kann über einen begrenzten Zeitraum ja durchaus beflügelnd wirken. Der Erfolg gegen die schwachen Letten hatte allerdings nur wenig Aussagekraft, und das Spiel am Samstag hätte bei etwas mehr Gladbacher Durchsetzungsvermögen auch leicht verloren gehen können. Die post-revolutionäre Übergangsregierung auf Schalke mit dem netten Eddy Achterberg unter dem heimlichen Regiment des Managers Assauer ist eine Gratwanderung.“

Martin Teigeler (taz 20.9.) schreibt: „Wie jede Profimannschaft, die gerade einen ungeliebten Trainer weggemobbt hat, wollten die Schalker trotz aller Widerstände gewinnen. Was unter Heynckes zuletzt selten zur Praxis kam, wurde am Samstag kollektiv verrichtet: kämpfen, grätschen, „Moral“ zeigen.“

1. FC Kaiserslautern-Hamburger SV 2:1

Jan Christian Müller (FR 20.9.) vermutet die Entlassung Klaus Toppmöllers in Kürze: “Gut möglich, dass Toppmöller schon jetzt oder morgen oder übermorgen Ex-Trainer in Hamburg wäre, wenn nicht das Schicksal den Club am Samstag an genau jenen Ort gespült hätte, an dem der HSV vor einem Jahr unter Kurt Jara 0:4 verlor. Danach hatte Beiersdorfer, einst ein knüppelharter Vorstopper, auf drängende Reporterfragen gemeinsam mit Vorstandsboss Bernd Hoffmann noch eine Treuebekundung zu Jara abgegeben, nur, um den bei Medien und Spielern beliebten Österreicher zwei Tage später gegen entsprechende Millionen-Abfindung zu beurlauben. Beiersdorfer und Hoffmann wurden danach tagelang als besonders böse Beispiele der Sitten-Verrohung im Fußballgeschäft durch die Presselandschaft getrieben. Dazu haben sie nun natürlich keine Lust mehr, was Toppmöller wohl den Arbeitsplatz für zumindest eine weitere Woche sichert. Der 53-Jährige Toppmöller trägt seit geraumer Zeit ein veritables Bäuchlein vor sich her, was eher vom Frustfressen an der kühlen Alsterluft als vom Biertrinken in der stickigen Dorfkneipe im heimischen Rivenich herrühren dürfte. Am Samstag nippte der ehemalige Lauterer Goalgetter nervös am Kaffee – einige Spritzer verunzierten das ehedem strahlend weiße Hemd – und ließ die interessierten Fragesteller zum Abschied aus seinem „Wohnzimmer“ Betzenberg wissen, dass er seine Tochter nun schon „bestimmt drei Monate“ nicht mehr gesehen habe. Da war er, der Anflug jenes Heimwehs, das Toppmöller offiziell nicht zugeben darf. Denn er, der Ur-Pfälzer mit dem großen Fußballherz, ist hoch im Norden angestellt, wo ein kalter Wind aus den Schreibstuben des Boulevard bläst, wo er irgendwie nicht hinpasst und das ja schon lange spürt.“

„Ein Koloß sackt überzeugend weg.“ Peter Heß (FAZ 20.9.) schüttelt den Kopf über einen Elfmeterpfiff: “Mit seiner Spezialität hat es Carsten Jancker weit gebracht – bis zu den Münchner Bayern, bis in die Nationalelf, bis zur WM 2002 nach Südkorea und Japan. Der lange Mittelstürmer nimmt den Ball am liebsten mit dem Rücken zum Tor an, schiebt und drückt seinen Körper gegen den des Abwehrspielers und legt dann den Ball, wenn die Geschicklichkeit nicht zur Drehung und zum Torschuß reicht, einem Mitspieler auf. Da Janckers Durchschlagskraft mit den Profijahren ein wenig gesunken ist und seine weiteren Fähigkeiten nicht gerade überdurchschnittlich ausgeprägt sind, ist er mit 30 in Kaiserslautern angekommen. Einem Verein, der wegen Geldknappheit mit talentierten Zweitligaspielern wie Zandi und Engelhardt versuchen muß, zu einstiger Größe zurückzukehren, oder mit Stars von einst, die die Spitzenklubs mittlerweile verschmähen. Für den FCK macht sich Jancker früh bezahlt. Nein, Jancker, schoß keines seiner selten gewordenen Erstligatore. Der Koloß verleitete durch ein überzeugendes Wegsacken in seiner Lieblings-Zweikampfsituation Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer zu einem Elfmeterpfiff. Zandi benutzte das Geschenk zur Führung.“

Ballwand und Grabscher

Jan Christian Müller (FR 20.9.) ärgert sich über den Schiedsrichter: “Ein umfassend ausgebildeter Erstliga-Unparteiischer sollte wissen, wie der ja hier zu Lande trotz längeren Auslandsaufenthalts nicht ganz unbekannte Ex-Nationalspieler seine Rolle als Ballwand und Grabscher im gegnerischen Strafraum interpretiert. Und er sollte sich wundern, wo denn die Arme wohl sein könnten, wenn nicht neben oder vor dem eigenen Körper.“

Ein Kühlschrank auf Rollen

Martin Hägele (SZ 20.9.) kann die Entscheidung des Schiedsrichters nicht fassen: „Kinhöfer hat einen Fehler gemacht, er hat dem 1. FC Kaiserslautern den Strafstoß geschenkt, weil er offenbar nicht wusste, wie Jancker seine Gegenspieler anzupacken pflegt. Wie ein Kühlschrank auf Rollen fahren dessen 93 Kilo auf den Bewacher zu, die starken Arme des Mittelstürmers verwandeln sich dabei zu Greifzangen, die irgendetwas vom Verteidiger packen wollen, Trikot, Hose oder einfach das nächste Körperteil. Kinhöfer, der ohnehin einen schlechten Tag erwischt hatte bei seinem 25. Bundesliga-Einsatz, ist auf diese plumpe Catcher-Nummer hereingefallen. Klubmanager Olaf Marschall hat ihm ausgesprochen professionelles Verhalten in dieser Situation bescheinigt. Wenn ein ganzer Klub zittert vor Abstiegsangst, und dieses Gefühl traf in diesem Fall beide Vereine, dann fragen nur noch wenige nach Moral und Anstand – die Verlierer halt. (…) Dass Toppmöller ein Spiel erlebt hatte, das seine Mannschaft „dominiert und kontrolliert“ hatte und „das man nie verlieren durfte“ hat allerdings nur mit den letzten Eindrücken der Partie zu tun, als die offensichtlich konditionsschwachen Lauterer nicht mehr laufen konnten. Vielleicht muss Toppmöller so reden, weil sie in Hamburg Gutes von ihm hören wollen und er auf Bewährung arbeitet. Es ist beschämend und spricht nicht für den Stil des Klubs, wenn der umstrittene Trainer bei jedem Gespräch mit Journalisten observiert wird wie früher DDR-Sportler auf Auslandsreisen. Sein offizieller Bewacher und Presse-Offizier Jörn Wolf wich jedenfalls keinen Meter von Toppmöllers Seite. “

Der indirekte freistoss empfiehlt allen Schiedsrichtern seit Jahren: Wenn Jancker fällt – (nicht nur) im Zweifel Stürmerfoul pfeifen!

Arminia Bielefeld-FSV Mainz 1:1

Neidisch blickt so mancher Ostwestfale auf die fröhlichen Mitaufsteiger aus Mainz

Unterschiedliche Stimmungen bei den zwei Aufsteigern macht Roland Zorn (FAZ 20.9.) aus: „Kein Geld, kein Glück, kein Genuß: Der DSC Arminia Bielefeld scheint aus der Drehtür zwischen zweiter und erster Bundesliga einfach nicht herauszukommen. Siebenmal sind die von Reichtümern bestenfalls träumenden Ostwestfalen nun von unten nach oben geklettert, und schon wieder schaut so mancher zurück in den Abgrund. Dabei haben die Arminen erst 4 Runden einer 34 Etappen langen Rallye hinter sich. Jedesmal legten sie dabei mit prallen Reifen los und kamen mit einem „Platten“ ans Ziel. Vier ordentliche bis gute Spiele, kein Sieg, zwei Remis: Neidisch blickte so mancher Ostwestfale auf die fröhlichen Mitaufsteiger aus Mainz. Wie unbeschwert die Mainzer ihre Chance nutzten, das vor allem stimmte manchen Arminen ein wenig eifersüchtig. Wer erstmals nach zwei dramatisch mißglückten Aufstiegsversuchen ganz oben ist, der kann das Abenteuer Bundesliga mit himmlischer Freude angehen. (…) Die Skepsis der Aktiven teilt auch das leiderprobte Bielefelder Publikum. Gerade mal 15 000 Zuschauer wollten diese attraktive Begegnung sehen – auch das ein Zeichen für das Mißtrauen in die Erstligatauglichkeit der Arminen. Während in Mainz schon zum ersten Saisontraining 15 000 frohgemute Anhänger kamen, müssen die Aufstiegsroutiniers aus Ostwestfalen um die Gunst jedes Fans kämpfen.“

Klopps Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze

Thomas Kilchenstein (FR 20.9.) wirft ein: „Es war etwas mehr als eine Stunde gespielt auf der Bielefelder Alm, als man plötzlich hautnah und haarklein die Verwandlung des Jürgen Klopp verfolgen konnte. Für alle, die den Mainzer Trainer nur als ewig lachenden, freundlichen Zeitgenossen kennen, immer locker, immer gut drauf, war es eine ziemlich erschreckende Szene: Es war der Moment, als der 37-jährige Mainzer Sympathikus die Kontrolle über sich verlor. Gerade hatte der Mainzer Verteidiger Marco Rose völlig zu Recht eine gelb-rote Karte kassiert, da entglitten die Gesichtszüge des Jürgen Klopp. Das Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze, Augen und Mund weit aufgerissen, der Mann, vom Boulevard gerne und ausgiebig als Harry Potter gefeiert, wäre vor Wut am liebsten dem Vierten Mann, dem Schiedsrichter-Assistenten, ach was der ganzen Welt an den Kragen gegangen, mühsam besann er sich und kickte nur eine am Boden liegende Plastikflasche mit links zur Seite. Dann war es auch schon wieder vorbei. Später sollte Jürgen Klopp sagen, der Vierte Unparteiische habe „offenbar sieben Semester Psychologie studiert und mich hervorragend wieder runtergeholt“.“

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