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Bundesliga

Charisma sucht man vergebens

Oliver Fritsch | Freitag, 22. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Charisma sucht man vergebens

Thomas Doll, der Trainer, „Charisma sucht man vergebens“ (FAZ) – der Erfolg von Nürnberg, Mainz und Bielefeld, „sind die Zweitligisten taktisch besser ausgebildet?“ (FR) – „der FC Hansa erobert Skandinavien“ (SZ) u.v.m.

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Charisma sucht man vergebens

Frank Heike (FAZ 23.10.) beäugt die Methoden und das Wesen Thomas Dolls: „Geschickt, daß er gleich ankündigt, Toppmöller anrufen zu wollen, um mehr über die Spieler zu erfahren. Nachtreten paßt nicht zu ihm. Dolls erste Änderungen zeigen, woran es gehapert hat bei den Profis – bei der Disziplin. Doll, seit einer Laseroperation ohne Brille, legt den Spielern gefaltete Zettel auf den Kabinenplatz. Es stehen Benimmregeln drauf. In den Kabinen darf nicht mehr mit dem Handy telefoniert werden. Die dreckigen Socken werden ab sofort umgedreht, bevor sie in die Wäsche kommen. Teller und Tassen müssen selbst in die Küche gebracht werden. Und der Fernseher im Kraftraum bleibt aus. Selbstverständlich? Nicht für HSV-Profis, die schon in dem Moment, in dem sie hier einen Vertrag unterschreiben, zum Star werden und sich auch so verhalten. Doll räumt auf, schreiben die Hamburger Zeitungen. Das hat man gern: Endlich wird den Profis Feuer gemacht! Sportchef Dietmar Beiersdorfer sagt vorsichtig: „Auf solche disziplinarischen Dinge hat Toppmöller nicht so viel Wert gelegt.“ (…) Doll ist ein junger Trainer, als Spieler hatte er eine sympathische Naivität. Was ihn als Trainer auszeichnet, ist schwer zu sagen. Eines lebt er den Profis vom ersten Tag an vor: die Leidenschaft für den Fußball, die Hingabe, mit der er seinem Beruf nachgeht. Er hat seine schmutzigen Socken immer umgedreht. Arroganz ist ihm fremd. Charisma, eine gewisse Verdrängung, wenn er den Raum betritt, das aber sucht man vergebens bei ihm. Der herzliche Doll soll die ausgebufften Egoisten beim HSV führen.“

Sind die Zweitligisten taktisch besser ausgebildet?

Die FR (23.10.) begutachtet den Erfolg der drei Aufsteiger: „Was auffällt und sicherlich ein Grund für den Erfolg der Neulinge ist: Alle drei haben ein klares System, alle drei versuchen, das Abenteuer Bundesliga mit spielerischen Mitteln zu überstehen, alle drei legen großen Wert darauf, tatsächlich auch Fußball zu spielen und nicht, sich mittels Destruktivtaktik ein Pünktchen zu ermauern. Und das ist allen dreien, jedem auf seine Art, bislang auch gelungen. Den Novizen kommt entgegen, dass die Spieler in der ersten Liga deutlich mehr Freiräume genießen. Vor der Saison hat Wolfgang Wolf seinen überragenden Spieler Marek Mintal zur Seite genommen und ihm prophezeit, dass er sich in der Bundesliga viel wohler fühlen werde, „weil dort nicht auf Teufel-komm-raus manngedeckt wird. In der Bundesliga hat man mehr Zeit am Ball.“ (…) Sind die Zweitligisten taktisch besser ausgebildet? „Räume eng machen, als Mannschaft geschlossen stehen und eine kluge Taktik“ – das ist nach Wolf das Erfolgsrezept in der zweiten Liga, auch weil sich dort die individuelle Qualität bisweilen in Grenzen hält. Deshalb muss die Taktik stimmen. Im Oberhaus entscheidet mitunter eben nicht die bessere Taktik, sondern der Geistesblitz eines Michael Ballack, der geniale Pass eines Tomas Rosicky oder das Tempodribbling eines Aliaksandar Hleb.“

Marek Mintal und Robert Vittek, Nürnbergs Torgarantien auch in der Bundesliga – Volker Kreisl (SZ 23.10.): „Jetzt fragen sich Manager, Scouts und Reporter, wie das sein kann. Warum man teure Scouting-Abteilungen unterhält, Millionen zum Beispiel in Südamerika ausgibt, um Martin Demichelis zu kaufen, den „Beckenbauer Südamerikas“, der die meiste Zeit auf der Bank sitzt, und dann kommen zwei unbekannte Slowaken daher und mischen erst die Zweite Liga auf, treffen dann auch in der Bundesliga und haben zusammen schon jetzt einen geschätzten Marktwert von fünf Millionen Euro. Wie geht so was? Marek Mintal war nie der Beckenbauer der Slowakei, und er wird auch nie der Beckenbauer von Nürnberg werden. Er mag nämlich keine Interviews, weil er noch nicht so gut Deutsch spricht und noch Angst hat, falsch verstanden zu werden. Ein Missverständnis muss man zum Beispiel schnell aufklären: Marek und Robert wirken nach außen jung und lausbübisch wie die Kinderbuchabenteurer „Lolek und Bolek“, aber im Privatleben gehen sie unterschiedliche Wege. Auf dem Platz verstehen sie sich dagegen blind. Zusammen ergeben sie einen Allround-Sturm, aber warum ausgerechnet in Nürnberg? Der Club ist früher ja mehr dadurch aufgefallen, dass er entweder große Talente wie Cacau nicht halten konnte oder dass er sehr mäßigen Spielern sehr gute Verträge gab und halten musste.“

Wir müssen lernen, über das Wasser zu gehen

Ronny Blaschke (SZ 23.10.) profitiert von der Nähe zu Schweden, Finnland und Dänemark: „Der FC Hansa erobert Skandinavien. Das ist eine der wenigen Geschichten, die der Fassade des Vereins ein bisschen Farbe verleiht. Die Rostocker leben seit neun Jahren in der Bundesliga-WG, noch immer fahnden sie nach einem Profil. Fernab von Mecklenburg-Vorpommern, in Stuttgart oder München, wird der FC Hansa als Naja-Klub von der Küste betrachtet. Da kommen die blonden Herren aus dem Norden als Imageklempner gerade recht. Etwa 30 000 Zuschauer reisten vergangene Saison aus Skandinavien zu den Spielen ins Ostseestadion, das sind achteinhalb Prozent aller Gäste. Gegen den FC Bayern werden 1000 Fans aus Schweden und Dänemark erwartet. Drei Stunden dauert die schnellste Ostsee-Überquerung. Der FC Hansa will die Nähe künftig nutzen. „Wir müssen lernen, über das Wasser zu gehen“, sagt Ralf Gawlack, Hansas Marketingchef. Kooperationen mit Fährunternehmen sind geplant, Ticketstände und Fanshops könnten an Deck eingerichtet werden. Schon jetzt wird ein gewichtiger Teil der Fanartikel in Skandinavien verkauft, Hansa bietet dafür eigens geschaffene Kollektionen an. Auf 150 Millionen Euro schätzen Wirtschaftsexperten den Werbewert des Klubs für die Stadt, kostenlose Werbung, die Rostock dringend nötig hat: Die Arbeitslosenquote liegt bei zwanzig Prozent, vor kurzem wurde der Oberbürgermeister zum Rücktritt gedrängt. „Hansa ist ein Leuchtturm, der weit über Grenzen hinaus strahlt“, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff blumig, der Leuchtturm scheint mittlerweile bis nach Skandinavien. Zwei Agenten beschäftigt Hansa in Schweden, sie betreiben Außenpolitik für den Rostocker Fußball.“

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