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Bundesliga

Das Gebilde Bayern ist wieder fragil

Oliver Fritsch | Montag, 1. November 2004 Kommentare deaktiviert für Das Gebilde Bayern ist wieder fragil

Borussia Mönchengladbach-Bayern München 2:0

Bayern München hat mal wieder nicht nur auf dem Platz verloren – Peter Heß (FAZ 1.11.) schüttelt den Kopf über die Einschüchterungen und die Wut der Bayern über die Rote Karte für Lucio: “Der Kopf von Uli Hoeneß leuchtete, als hätte man einen Topf Ferrari-Rot mit dem Magenta des Bayern-Sponsors Telekom gemischt. Gegen seine Stimme wäre eine Feuersirene kaum angekommen. (…) Es ist faszinierend zu erleben, wie unterschiedlich das Geschehen von den Zuschauern interpretiert und beurteilt wird. (…) Weder Lucios Vergehen einen Skandal stellt dar, noch das Einmischen Schiffners (Assistent), noch die Entscheidung Knut Kirchers (Schiedsrichter). Diesem Begriff am nächsten kommen das Toben von Uli Hoeneß und die anmaßenden Kommentare von Karl-Heinz Rummenigge. Und daß Felix Magath hinterher die Stirn hatte zu behaupten, mit elf Spielern hätten die Bayern die Begegnung sicher gewonnen, wirft auch kein gutes Licht auf den Trainer. Denn die Münchner lagen zum Zeitpunkt des Platzverweises 0:1 zurück. Und erst als Lucio Rot sah, fühlten sich die Bayern so weit angestachelt, daß sie ihre behäbige Spielweise aufgaben und das Gladbacher Tor bestürmten. In Unterzahl spielten die Münchner eine Klasse besser. Daß sie dabei kaum torgefährlich wurden, lag nicht daran, daß Magath – wie er behauptete – wegen der Unterzahl Verteidiger Linke ins Spiel bringen mußte. Nachhaltiger wäre gewesen, die richtigen Profis für die Anfangsformation auszuwählen und nicht Rau und Görlitz, deren beschränkte Möglichkeiten viele Kombinationen der Bayern stocken ließen. All diese Ausflüchte zeigen nur, wie fragil das Gebilde Bayern wieder ist. Die Mannschaft kann wie im vergangenen Jahr die Ansprüche nicht dauerhaft erfüllen, schon gar nicht wenn Stürmerstar Makaay mal einen kleinen Durchhänger hat wie zur Zeit. Am Mittwoch kommt Juventus Turin zu Besuch. Dann wird sich zeigen, wozu die Bayern mit elf Spielern in der Lage sind.“

Offenbar ist Leidenschaft unter Fußballern ein Gut, das es nicht zu verschwenden gilt

Schlechte Verlierer – Daniel Theweleit (BLZ 1.11.): „Das geflügelte Wort von den Gesetzmäßigkeiten des Fußballs ist arg strapaziert worden in der vergangenen Woche. Trainerentlassungen und ihre kurz-, lang- und mittelfristigen Folgen wurden erörtert, und man hat ausgiebig über die Mysterien positiver und negativer Serien diskutiert. Am Sonnabend führten dann Spieler und Management des FC Bayern München ein Stück auf, das mittlerweile auch als Gesetzmäßigkeit gelten kann: Nach dem Schuldigen für Niederlagen wird erstmal außerhalb der eigenen Reihen gefahndet. (…) Die Entscheidung der Schiedsrichter war hart, wenn nicht gar falsch. Aber es war nicht angemessen, dass sie nach dem Abpfiff alle Diskussionen beherrschte. Schuld an der Niederlage waren sie natürlich selber, mit ihrem Rationalistenfußball, den Felix Magath angeordnet hatte. „Es war klar, dass die hier voller Leidenschaft anrennen, wir wollten warten, bis sie sich ausgetobt haben und dann den Druck erhöhen“, erklärte Magath die fehlgeschlagene Taktik. Ein wenig eigene Leidenschaft wäre vermutlich besser gewesen – für das Ergebnis und für die Zuschauer, aber offenbar ist Leidenschaft unter Fußballern ein wertvolles Gut, das es nicht zu verschwenden gilt.“

of: Drei Bemerkungen: Erstens, ein hartes Urteil gegen Lucio, aber kein falsches. Man könnte, mit Blick auf den Platzverweis für Kuffour vor einer Woche in Rostock, auch sagen: Die Mannschaft holt sich die Roten Karten ab, die ihr Torwart verdient. Nach Kahns straffreiem Ausfall gegen Klose waren die Referees den Beweis schuldig, dass sie den Mut haben, einen Bayern-Spieler zu maßregeln. Zweitens, die anmaßende Drohung Karl-Heinz Rummenigges, eine Sperre für Lucio „nicht zu akzeptieren“, und Uli Hoeneß’ Beschimpfungen zielen auf alle Schieds- und Linienrichter, weniger auf die am aktuellen Fall Beteiligten. Schiedsrichter, schreibt es euch hinter euren kleinen Ohren: Wer sich mit den Bayern anlegt, bekommt das zu spüren! Und zu hören und zu lesen! Drittens, „ich bin es leid, dass der FC Bayern ständig benachteiligt wird.“ Sollen wir Felix Magath, vor wenigen Monaten noch Stoiker und Realist, für seine Aussage und diesen Haltungsverlust bemitleiden?

Schalke 04-VfB Stuttgart 3:2

Die Schalker waren bei der Ouvertüre wie ein Naturereignis über die Schwaben gekommen

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 1.11.) sieht nur Sieger: „Ein irres Spiel mit einem ganz normalen Ergebnis. Ein Spiel mit rauschhaften Zügen, nach dessen Ende nicht einmal die Verlierer einen Kater verspüren. Beim Stand von 3:0 nach nur 25 Minuten war der Nachruf auf den VfB Stuttgart als Anwärter auf die Tabellenspitze fällig. Die Schalker waren bei der Ouvertüre wie ein Naturereignis über die Schwaben gekommen. Sie wurden zu Statisten degradiert und zählten am Ende doch ebenfalls zu den Hauptdarstellern. Zuviel als Prolog einer Fußballgala, die schon deshalb in den Saisonchroniken herausgehoben werden wird, weil sie rekordverdächtig begann. (…) Beim Schlußpfiff sank keiner auf den Boden, niemand zog demonstrativ die Stiefel aus. Statt dessen Umarmungen, Verbrüderung nach einer Gala, an der jeder seinen Anteil hatte. Alle wurden getragen von einer Woge der Begeisterung, die nach dem Auf und Ab erst allmählich abebbte. Sammer vertiefte sich später in die Zahlen und Fakten. Sie bescheinigten seinem Team 62 Prozent aller Ballkontakte, achtzehn Torschüsse gegenüber zwölf der Schalker. Verläßliche statistiche Belege dafür, daß die Mannschaft intakt ist. „Wenn die ersten Minuten nicht wären“, sagte er mit fester Stimme, ohne den Satz zu vollenden. Da war kein Ärger herauszuhören, nur die leise Wehmut, sich angesichts des Resultats nicht ohne Reue als Sieger fühlen zu können.“

VfL Wolfsburg-FSV Mainz 4:3

Risikofußball

Jakob Kirsch (FR 1.11.) jubiliert: „Man neigt zu Superlativen im Fußball, und manchmal sind sie tatsächlich angebracht: Mainz hat ein ungewöhnlich mitreißendes Spiel verloren – nach 45 Minuten nahezu perfektem Fußball und einer daraus folgerichtig resultierenden 2:0-Führung. Damit war der Aufsteiger für etwa eine halbe Stunde (fiktiver) Tabellenführer, und auf einem vorläufigen Höhepunkt einer bis dahin beispiellosen Saison. Es war Fußballunterhaltung auf hohem Niveau, und damit „kein Trainerspiel“, wie Erik Gerets sagte. Er selbst trug auch diesmal mit ambitioniertem Risikofußball dazu bei, dass dem staunenden Fachpublikum ungewöhnlich viel offenbar gemacht wurde, über die Stärken beider Teams – aber auch über ihre Schwächen. Wolfsburg hat ein passabel funktionierendes System, einen Weltklassefußballer (Andres d‘Alessandro), kann beachtlichen Tempokombinationsfußball spielen. Damit es gegen Mainz reichte, mussten aber zwei umstrittene Elfmeter dazukommen, Kramnys Platzverweis, sowie ein nie wiederkehrender Tag für den vierfachen Torschützen Martin Petrov. Mit seinem furiosen Offensivpressing hat Mainz etwas über das Spiel hinausgehendes geleistet: nämlich die grundsätzlichen und die personellen Mittelmäßigkeiten des Tabellenführers gnadenlos aufgedeckt.“

Kleines Fußball-Drama, weit weg vom routinierten Durchschnittskick

Michael Eder (FAZ 1.11.) ergänzt und ärgert sich über einen Betrug: „0:2 hatte der Tabellenführer aus Wolfsburg gegen den Aufsteiger aus Mainz kurz vor der Pause zurückgelegen, dann 4:2 geführt, eine Menge weiterer Chancen vergeben – und geriet dann nach dem dritten Mainzer Treffer gegen zehn Mann noch einmal in Bedrängnis. Das alles wäre ja noch gegangen, aber das waren alles nur Tore, die Geschichte dieses atemraubenden Fußballnachmittags war viel dichter, viel praller, gespickt mit zwei Elfmetern, einer üblen Schwalbe, einem fragwürdigen Platzverweis, mehreren schweren Verletzungen – es war ein kleines Fußball-Drama, so weit weg vom routinierten Durchschnittskick, daß sich die Leute auf der Tribüne vorkommen mußten wie bei einem Ausflug ins Fußball-Wunderland. Am Ende waren alle mitgenommen, mit den Nerven am Ende, und wer Klopp, dem ewigen Optimisten, in den Minuten nach dem Abpfiff in die Augen blickte, der sah in ihnen zum erstenmal in dieser Saison eine tiefe Enttäuschung. (…) … eine sehenswerte Flugeinlage des Wolfsburgers Menseguez, der nach einem Steilpaß auf den herausstürzenden Torhüter Dimo Wache zulief, um dann abzuheben, als übe er den Kopfsprung für die Freischwimmer-Prüfung, eine grobe Unsportlichkeit, die Schiedsrichter Jansen mit einem Elfmeterpfiff belohnte und mit der Gelben Karte für den unbeteiligten Wache. Menseguez hielt sich noch ein wenig die Schulter, auf die er sich gestürzt hatte, und konnte mit ansehen, wie Petrow per Elfmeter den Anschluß schaffte. Der Bulgare war bis dahin hauptsächlich durch ausgiebiges Lamentieren aufgefallen, steigerte sich nun aber in eine Form, die auch den Gegner beeindruckte.“

Hannover 96-VfL Bochum 3:0

Zwei Teams auf entgegengesetzten Wegen – Manfred Maier (FAZ 1.11.): “Während beim kürzlich noch im Uefa-Cup vertretenen Ruhrpott-Klub sämtliche Krisensymptome wieder zum Vorschein kommen, glaubt man sich bei Hannover 96, vor fünf Wochen noch Tabellenletzter, für diese Saison bereits aller Sorgen ledig. „Eine Spielzeit, in der wir nicht zittern müssen“, so der gelöst wirkende Vereinspräsident Martin Kind, habe man „nun ganz dicht vor Augen“. Schließlich ist mit 20 Punkten nach nur elf Spieltagen die sprichwörtliche „halbe Miete“ für den Klassenverbleib bezahlt. Nach dem fünften Sieg in Folge will bei den Niedersachen offiziell indes noch niemand soweit gehen, das Saisonziel neu zu definieren. (…) Wie reich der Lohn ausfallen wird, ist aktuell noch nicht abzusehen. Peter Neururer traut seinem früheren Verein jedenfalls Großes zu: „96 erlebt nun die gleiche Entwicklung wie wir letztes Jahr.““

Werder Bremen-Hamburger SV 1:1

Frank Heike (FAZ 1.11.) erfreut sich an Thomas Dolls Bodenstand: „Niemand muß sich Sorgen machen, daß der 38 Jahre alte Fußball-Lehrer nach diesen tollen Tagen als Cheftrainer die Bodenhaftung verliert. Es war eine typische Szene für ihn, als er nach dem Ende der Pressekonferenz im Weserstadion gehen wollte, aber noch zwei alte Bekannte im Werder-Dreß traf und Zeit für einen freundlichen Plausch fand. Ablenkendes, Entspannendes, das braucht der von Allüren weit entfernte neue Coach des HSV derzeit auch. Doll sagte: „Ich muß die Woche erst einmal sacken lassen. Ich bin von einer Pressekonferenz zur nächsten gehetzt. Wichtiger für mich ist aber, die tägliche Arbeit mit den Spielern zu machen.“ Man muß nicht befürchten, daß die Arbeit zu kurz kommt. Auch das 1:1 bewies, daß mit Doll ein neuer Geist, eine neue Ordnung Einzug gehalten haben in die vor Wochen noch als Sauhaufen beschimpfte Mannschaft: Wie sich der HSV gegen entfesselt stürmende Bremer wehrte, um diesen einen Punkt nicht mehr herzugeben, begeisterte die vielen mitgereisten Fans.“

Borussia Dortmund-Bayer Leverkusen 1:0

So viele Menschen – Felix Meininghaus (FTD 1.11.): „Es ist ein knappes Jahr her, da ließ sich Lars Ricken angesichts eines fulminanten Spiels gegen den HSV, in dem seine Mannschaft einen 0:2-Rückstand binnen weniger Minuten in einen Sieg gewandelt hatte, zu einem bemerkenswerten Satz inspirieren: „Dieses Stadion kann Spiele gewinnen“, sagte Ricken und schaute auf die tobende Kulisse der mächtigen Südtribüne. Mittlerweile hat sich die Wahrnehmung der Dortmunder Spieler elementar verändert. Vergangenen Dienstag, nach dem tapfer erkämpften Sieg in Berlin, hat Tomas Rosicky Einblicke in sein Seelenleben gewährt: „Wir haben 80 000 Zuschauer, die viel näher dran sind als hier, das ist wirklich die Hölle dort.“ Der Tscheche sprach über das Westfalenstadion, wo alle zwei Wochen die größte Zuschauerkulisse der Republik die Auftritte der heimischen Borussia verfolgen. In der Hauptstadt war Rosicky anzumerken, wie erleichtert er war, sich auf einem Terrain zu bewegen, wo eine Laufbahn die Protagonisten von ihrem Publikum trennt. Nach fünf sieglosen Heimspielen in dieser Saison waren die Versagensängste bei den Akteuren so groß, dass die Kernfrage im Dortmunder Krisengebiet lautete: Wie soll einer sein Herz in beide Hände nehmen, wenn es ihm in die Hose gerutscht ist? Als Bert van Marwijk erkannte, wie schlimm es um den psychischen Zustand seines Teams bestellt ist, schritt er zur Tat: Raus aus dem mächtigen und Furcht erregenden Schatten des Westfalenstadions und raus aufs Land. Mitten in der Einsamkeit des Westerwalds bereiteten sich die Dortmunder vor. (…) Die Anwendungen haben geholfen.“

SC Freiburg-Hertha BSC Berlin 1:3

Sieh an! Ein bisschen Missfallen an Volker Finke – Rainer Seele (FAZ 1.11.): „Auf den Rängen im Stadion entbrannte ein kleiner Wettstreit – der Mann allerdings, den er betraf, blieb diplomatisch in der Defensive. Eine Meinung dazu wolle er in der Öffentlichkeit nicht äußern, sagte Volker Finke. Eine kleine Gruppe von Fans hatte deutlich ihren Unmut über den Trainer artikuliert, die Stimmen forderten unverblümt Finkes Rückzug. Allerdings besitzt der Fußball-Lehrer auch noch einen gehörigen Rückhalt beim Publikum, denn ein größerer Pulk bekundete ebenso klar seine Sympathien für Finke, der seit Jahren eine der großen Konstanten im Breisgau ist. „Ich kämpfe um jeden Zuschauer“, sagte Finke ausweichend zu den Rufen der Unzufriedenen. Mag Finke auch immer noch die große Mehrheit hinter sich wissen, steckt der Fußball in Freiburg doch in einer schwierigen Lage. Vielleicht hielt sich Finke auch deswegen ein wenig zurück – kritische Worte über jene, die ihn attackierten, hätten das Klima zusätzlich verschlechtern können.“

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