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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Keine Stimmungsmache zu billig

Oliver Fritsch | Montag, 17. Oktober 2005 Kommentare deaktiviert für Keine Stimmungsmache zu billig

Fußball-Deutschland gibt zurzeit ein schlechtes Bild ab, insbesondere wenn die Protagonisten den Mund aufmachen. Der Stammtisch streitet über Jürgen Klinsmanns Wohnort, offenbar gibt es nichts wichtigeres. „WM-Krieg“ in Deutschland dröhnt die Bild-Zeitung: „In Deutschland brennt der Baum und bei Klinsmann die Sonne“ und zeigt den Bundestrainer lachend, joggend am sonnigen Pazifik-Strand – allerdings auf einem drei Jahre alten Foto. Herrje, ist denen keine Stimmungsmache zu billig? „Klinsi greift Liga-Bosse an!“ steht auf Seite 1 der BamS – eine falsche Aussage, verwechselt die Redaktion Angreifer und Verteidiger. Angreifer ist keineswegs Klinsmann, sondern die „große Koalition der Unzufriedenen aus den Vereinen“ (WamS), die seit Tagen verbissen gegen Klinsmann kämpft. Allen voran Uli Hoeneß der am Samstag auf Premiere gauzt: „Der soll hierher kommen und nicht ständig in Kalifornien rumtanzen und uns hier den Scheiß machen lassen!“ – das Zitat mit der größten Resonanz in den Zeitungen von heute, Scheiß wird eben gern gedruckt. Markus Völker (taz) hakt nach: „Das wirft natürlich die Frage auf, welchen Scheiß Klinsmann für Hoeneß machen soll. Soll er unter der Woche ein verschärftes Einzeltraining mit Michael Ballack ansetzen, für das sonst der Manager zuständig wäre?“ Was wir heute nicht finden, ist eine weitere Forderung Hoeneßens: „Wichtig ist, dass wir sachlich diskutieren.“ Das gleiche wie immer also: Hoeneß stellt Spielregeln auf, an die sich alle halten sollen, bloß er nicht.

Die Bundesliga und ihre Spieler haben Mängel

Woher diese Schärfe? Wieso diese Feindseligkeit? Warum diese Respektlosigkeit gegenüber dem Bundestrainer, der allen Angriffen sachlich mit Fakten und Argumenten, ja so was gibt’s noch, entgegnet? Stefan Osterhaus (NZZ) mutmaßt: „Im Bundestrainer hat man ein neues Feindbild entdeckt, das prächtig dazu gemacht ist, die eigenen Probleme zu übertünchen.“ Vermutlich fürchten die Liga-Bosse zudem die Wahrheit, die Klinsmann zwangsläufig ans Licht bringt und die er immer deutlicher ausspricht: Die Bundesliga und ihre Spieler haben Mängel; er sagt: „Die Liga befindet sich momentan auf Platz sechs der Uefa-Wertung, und wenn das international so weiter geht, wird auch Portugal uns demnächst überholen. (…) Wir messen uns mit der Elite.“ Immer offensichtlicher wird das Ergebnis des Fitness-Tests, gegen den so viele Bedenken vorgetragen werden. „Nur die Bayern sind topfit!“, will der kicker herausgefunden haben, „alle anderen Nationalspieler weisen zum Teil extreme Defizite auf.“

Veränderungen werden im deutschen Fußball mit großem Mißtrauen bedacht

Michael Ashelm (FAS 16.10.) kommentiert den Streit, an die Erfolge Klinsmanns und die Voraussetzungen für seinen schwierigen Job erinnernd: „Klinsmann kann nicht mehr herausholen, als der heimische Talentschuppen hergibt. Über diese Ausgangsposition waren sich alle einig, als der Schwabe den Job im vergangenen Jahr übernommen hat, den damals keiner haben wollte. Mit positiver Kraft und ungewöhnlichen Reformideen hat er seit seinem Amtsantritt die hausgemachten Probleme angenommen. Er muß sich dabei mit dem Input vieler Bundesligaklubs arrangieren, die seit Jahren nicht mehr den höchsten internationalen Ansprüchen genügen, in den Europapokalwettbewerben mehr durch schwächliche Fehlversuche als durch dominante Reife auffallen und junge deutsche Kräfte jahrelang in ihrer Auswahl gar nicht bevorzugten. Es überrascht deshalb, mit welcher Selbstüberzeugung der eine oder andere Vereinsvertreter vor diesem Hintergrund gegen Klinsmann argumentiert und sich recht oberflächlich über Trainings- und Führungsmethoden, Fitnesstests oder Aufstellungsvarianten der Mannschaft mokiert. Es bleibt dabei: Veränderungen werden im deutschen Fußball nicht aktiv gefördert, sondern mit großem Mißtrauen bedacht. Dagegen anzutreten ist schwer, zumal die Opposition der Altvorderen vom wichtigsten Boulevardmedium flankiert wird.“

Welchen Vorzug hat die Absenz Klinsmanns, oder wie Rudi Assauer, die Hände nach dem richtigen Wort ringend, sagt: „die nicht-vorhandene Präsenz“? Markus Völker schreibt: „Franz Beckenbauer hat von einem ‚Murren’ in der Liga gesprochen und damit die herbstliche Jagdsaison auf Klinsmann offiziell eröffnet. Das Murren schwillt mittlerweile zu einem medialen Bocksgesang an. Klinsmann ist zu weit weg, um das atonale Gesumms zu hören. Gut so.“ Die WamS hingegen zitiert Uwe Kohrs, Geschäftsführer der renommierten Beratungsagentur Impact: „In Krisensituationen, und seien sie auch nur gefühlt, muß der Leader vor Ort sein. Er muß das Gefühl vermitteln können, er werde sich persönlich kümmern. Aus kommunikativer Sicht rate ich ihm: Jürgen, geh‘ in die Bütt!“

Etliche Nationalspieler haben einen mäßigen Trainingszustand

Sehr lesenswert! Die FAS fragt die richtigen Leute, Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters verteidigt Klinsmann und seinen Fitness-Test: „Der Test war über den ganzen Tag verteilt, im Hockey machen wir ein vergleichbares Programm in etwa drei Stunden und haben am Wochenende noch zwei Länderspiele. Die Führung der Fußballnationalmannschaft hat das Ziel, die Qualität ihrer Spieler zu erhöhen und eine vernünftige Trainingssteuerung zu betreiben. Dazu gehört eben, daß man alle sechs Monate gezielte Leistungstests macht, um Entwicklung zu erkennen. Das ist normal im Spitzensport, in jeder Sportart. (…) Bei vielen Kritikern ist es eine Mischung aus Halbwissen und Machtdenken. Das stinkt im Fußball vielen offenbar, daß da jemand neue Wege einschlägt. Die Trainer und Manager wollen zu allem befragt werden und mitbestimmen. Das spielt sich auf einem sehr scheinheiligen Niveau ab.“ Den latenten Vorbehalt gegen die Herkunft der Fitness-Trainer entkräftet Peters: „Generell machen die Amerikaner in ihrem Segment eine erstklassige Arbeit bei der Schnelligkeitsschulung, Kraftschulung, Körperstabilität und Beweglichkeit. Fachlich ist das eine tolle Arbeit, aber in der Kürze der Zeit können die gar nicht die Defizite ausgleichen, die die Spieler mitbringen. Etliche Nationalspieler haben vergleichsweise nur einen mäßigen Trainingszustand.“ Zudem beklagt Peters die Theoriefeindlichkeit im Fußball, auf die Trainerausbildung hinweisend: „Der Fußball-Bund ist der einzige Verband in Deutschland, der seine Trainer in drei Monaten auf einen Topstand bringen will. Alle anderen Sportarten gliedern sich der Trainerakademie in Köln mit ihrer qualifizierten zweijähriger Ausbildung an – das ist der Unterschied.“

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