indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Vielleicht wird ja bald in Deutschland ein Platz frei

Oliver Fritsch | Mittwoch, 19. Oktober 2005 Kommentare deaktiviert für Vielleicht wird ja bald in Deutschland ein Platz frei

Müssen wir befürchten, dass Jürgen Klinsmann nicht mehr lange Nationaltrainer sein wird? Wenn man das FAZ-Interview mit Christoph Daum liest, könnte man den Eindruck gewinnen. Die FAZ fragt Daum, der beim Türkei-Spiel in den Verdacht geraten ist, sich ins Spiel zu bringen, in einem Ton, als ginge es um eine unsichere oder vakante Trainerstelle: „Vielleicht wird ja bald in Deutschland ein Platz frei. Würden Sie Klinsmann gerne beerben?“ Eine erstaunliche Frage. So weit ist es also schon, dass selbst die FAZ eine solche Vermutung gelassen ausspricht. Auf Daums Antwort, Klinsmanns stehe „nicht zur Disposition“, entgegnet die FAZ: „Das sehen viele in Deutschland anders“. Das Erschreckende daran: Es ist nicht einmal auszuschließen, dass diese Behauptung stimmt. Die Berliner Zeitung kennt ihre Pappenheimer: „Klinsmann wird bereits bereut haben, Daum im Kreis der Nationalmannschaft empfangen zu haben. Nach dem 1:2 gegen die Türken kritisierte Daum im Aktuellen Sportstudio die Arbeit des Bundestrainers. Dabei hatte Daum zuvor seine Geradlinigkeit gelobt. Klinsmann sei keiner, der heute so und morgen so rede.“ Auch die Sport Bild fragt, in einem Interview mit Günter Netzer, nach dem Sinn eines Trainerwechsels (Netzer verneint), als wär’s eine Frage nach dem Wetter und keine Infragestellung.

In den letzten Tagen liest und hört man oft eine Wendung in der „Wohnsitzdebatte“, die vordergründig Klinsmann zu entlasten scheint. Daum sagt der FAZ: „Es ist nicht richtig, die Sache nur Klinsmann anzukreiden. Es war vorher abgesprochen und abgesegnet worden.“ Und Schalkes Andreas Müller sagt der Sport Bild: „Der Fehler liegt beim DFB, der genehmigt hat, daß Klinsmann weiter in den USA wohnen bleiben kann.“ Ein schwaches Argument und für Klinsmann nicht mal eine schwache Hilfe – wenn es denn eine Hilfe sein soll und nicht eine Krokodilsträne. Was sich als Schutz verkleidet, bedeutet nichts anderes als: Klinsmann sei erneut so verschlagen gewesen, dem DFB die Vertragsbedingungen zu diktieren – in Teilen sogar zum Schaden des DFB. Es heißt auch: Klinsmann müsse nach Deutschland. Perfide!

Zu viele E-Mails machen krank

Weiteres aus der Abteilung Stimmung: Die Sport Bild widmet sich heute aufmerksam der Debatte um Klinsmann, jedoch im ausgewogenen Ton. Das war nicht unbedingt zu erwarten gewesen, nachdem ihre Mutter, die Bild-Zeitung, sich eine Woche in Klinsmanns kalifornische Waden verbissen hat (siehe indirekter-freistoss v. 17. und 18. Oktober). Im Editorial heißt es, die Bundesliga-Manager mahnend: „Was die Manager vergessen: Klinsmann hat gegen sie Totschlag-Argumente. Offenbar werden deutsche Klubs so geführt, daß der letzte Triumph im Europapokal über vier Jahre zurückliegt.“ Und auch die Sport Bild stützt den Verdacht, nur die Bayern-Spieler seien fit; es scheint tatsächlich zu stimmen. Die Bild-Zeitung gibt sich heute versöhnlich und schreibt sich die Ankündigung „Klinsis“, so nennen sie ihn trotz aller Angriffe auf ihn noch immer, „öfter in Deutschland sein“ zu wollen, aufs eigene Konto. Die Warnung auf Seite 1, „zu viele E-Mails machen krank“, ist übrigens keine Anspielung auf die Kommunikation des Nationaltrainers, und Bild wird sie, versprochen!, nicht gegen ihn verwenden.

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

118 queries. 0,480 seconds.