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Bundesliga

Kleiner Strohhalm

Oliver Fritsch | Freitag, 6. Januar 2006 Kommentare deaktiviert für Kleiner Strohhalm

Mirko Slomka ist neuer Trainer; Andreas Morbach (FR) zählt die Schalker an: „Besonders peinlich wirkt die Notlösung der Strippenzieher aus dem Revier dadurch, dass die Verantwortlichen nach Rangnicks Entlassung nicht sofort dessen Assistenten zum Chef gemacht hatten, sondern Slomka beim letzten Vorrundenspiel lieber den frisch mit dem Trainer-Diplom ausgestatteten Torwarttrainer Oliver Reck vor die Nase setzten. (…) Schalkes zuständiger Trainersucher Andreas Müller bestritt, in den vergangenen Wochen mit einem der gehandelten Kandidaten gesprochen zu haben. ‚Also konnten sie uns auch gar nicht absagen’, begegnete der Teammanager der nahe liegenden Vermutung, dass Schalke mit seinen seit Sommer 2002 fünf verschlissenen Cheftrainern plus dem bekanntermaßen herrschsüchtigen Manager Rudi Assauer ein ernstes Imageproblem hat. Speziell, wenn man einen namhaften Trainer sucht, der den mit rund 90 Millionen Euro verschuldeten Klub wieder in die Champions League führen soll. ‚Sehr überrascht’ sei er gewesen, gestand Slomka, dessen aus dem Ostpreußischen abstammender Nachname sehr passend zur Situation des FC Schalke auf Deutsch ‚kleiner Strohhalm’ bedeutet.“ Richard Leipold (FAZ) teilt die Skepsis: „Wenn Profivereine einen neuen Trainer vorstellen, geht es nicht nur darum, Personen auszutauschen. Der neue Mann ist zumeist ein Zeichen zum Aufbruch: ein Signal an die Spieler, die Fans, die Medien und das gesamte Publikum. Der neue Trainer steht oft auch für die Ambitionen eines Klubs. Welche Signalwirkung geht von Slomka aus? Im günstigsten Fall erst einmal gar keine.“

Hektik-und-Durcheinander-Sonderpreis

Christoph Biermann (SZ) fühlt sich gut unterhalten: „Eigentlich hatte er sich auf dem Weg zur entscheidenden Besprechung im Stau auf der Autobahn vier Stunden lang hinter einem Lastwagen, der Klärschlamm verloren hatte, auf seine Entlassung eingestellt. So mag auf der Verpflichtung von Slomka auch in metergroßen Lettern VERLEGENHEITSLÖSUNG stehen, falsch muss sie nicht sein, und der freundliche Coach darf gleich den Stinkend-ins-Glück-Award für den nur im Wortsinne anrüchigsten Trainerwechsel der Session entgegen nehmen. Doch die anderen Bundesligisten dürfen ebenfalls nicht ohne entsprechende Prämierung ausgehen. Den Komm-Wolfgang-wir-trauen-uns-was-Preis erhält Michael Meier für die Überredung von Overath, einen Schweizer zum 1. FC Köln zu holen. Der Von-Leverkusen-lernen-heißt-siegen-lernen-oder-so-Award geht zum Konzernverein nach Wolfsburg für die Verpflichtung des beim anderen Konzernverein abgelegten Klaus Augenthaler. Den Ich-kenn-auch-einen-und-den-verpflichte-ich-jetzt-einfach-mal-Award erhält Walter Hellmich, der Jürgen Kohler einen ersten Vertrag als Cheftrainer gab. (…) Schließlich soll mit dem Hektik-und-Durcheinander-Sonderpreis dem FC Schalke noch einmal für sein über Jahrzehnte verlässliches Heuern und Feuern gedankt werden.“ Wird aus Assauer „Schalkes Beckenbauer“, wie Aufsichtsrat Clemens Tönnies prophezeit? Roland Zorn (FAZ) deutet Zeichen einer Entmachtung: „Daraus kann schon deshalb nichts werden, weil die Aura des Münchners einzigartig ist, die des Schalkers aber nicht; Assauer würde zum Grüßgottrudi. Sicher ist, daß die Umstände der Trennung von Rangnick, die der Trainer in Gang setzte und nicht der Manager, Assauers Ansehen erheblich geschadet haben. Der listige Schwabe wußte zwar, daß er bei diesem Klub keine Weiterbeschäftigungschance mehr hatte, doch hat er seinen letzten Auftritte dazu genutzt, seinen größten Schalker Widersacher mit einer genüßlichen Ehrenrunde vor dem Arena-Publikum zu desavouieren und zu demontieren. (…) Rudis Rolle in Zukunft, wenn er sie denn annimmt, wäre nicht die eines Schalker Beckenbauer, sondern die eines neuen Charly Neumann.“

FTD: Assauers Stern verglüht

Wortgewandter Motivator

Hanspeter Latour ist neuer Trainer in Köln – eine „originelle Lösung“, findet die SZ. „Latour gilt als Meister der Motivation und der Metaphern“, hat die Welt gehört. Aha. Erik Eggers (FTD) schildert seinen ersten Eindruck: „Theoretisch scheint Latour alle Anforderungen zu erfüllen für die heikle Aufgabe inmitten der aufgeregten Medienstadt Köln. Sein Talent als Entertainer hat er jedenfalls schon unter Beweis gestellt. Auf die Frage eines Journalisten, ob er denn wisse, dass es sich beim FC um keinen gewöhnlichen Klub handle, antwortete er keck: ‚Ja, das ist ein verrückter Klub, sonst hätten sie keinen Schweizer geholt!’ Und gefragt nach anstehenden Spielerverpflichtungen, juxte er: ‚Wenn ich meinen Kontrakt so ansehe, ist da sicher noch viel Luft.’ Diese Äußerungen dürften die Befürchtungen des Boulevards, in Latour komme ein Schweizer Double des spröden Marcel Koller, vorerst entkräftet haben. Latour eilt der Ruf voraus, aus einem bescheidenen Kader das Optimum herauszuholen und nicht den Sinn für die Realität zu verlieren. (…) Die Kölner Spieler haben sich nicht auf große Systemdebatten einzustellen, sondern auf einen wortgewandten Motivator, der schon mal zu ungewöhnlichen Maßnahmen greift.“

Die Schweiz ist nun auch Qualitätssiegel im Fußball, meint Jan Christian Müller (FR), verweist aber auf die komischen Arbeitsverhältnisse in Köln: „Der Schweizer Fußball hat erheblich an Image gewonnen: Der Schweizer Marcel Koller, engagierter Förderer der Jung-Nationalspieler Lukas Podolski und Lukas Sinkiewicz, erarbeitete sich nach seinem unglücklichen Deutschland-Debüt beim 1. FC Köln eine zweite, verdiente Chance beim VfL Bochum; der Schweizer René Jäggi sanierte den 1. FC Kaiserslautern; der Südbadener Joachim Löw genoss die Trainerausbildung in der Schweiz; der Schweizer Querdenker Urs Siegenthaler hat sich als Scout der deutschen Nationalmannschaft einen hervorragenden Ruf erarbeitet; das Schweizer Nationalteam qualifizierte sich gegen den WM-Dritten Türkei für die WM 2006; das Schweizer Ausbildungssystem gilt als vorbildlich auch für den deutschen Fußball; der Schweizer No-name-Klub FC Thun schlug sich wacker in der Champions League; in der Schweiz findet zudem in zwei Jahren die Europameisterschaft statt, die dem dortigen Fußball einen zusätzlichen Schub geben wird. (…) Es fällt auf, dass in der Bundesliga zuletzt diejenigen Neulinge reüssiert haben, die sich in jenen Klubs, in denen sie zum Cheftrainer befördert wurden, bereits vorher hervorragend auskannten und über ein entsprechendes Netzwerk verfügen: Schaaf, Klopp, Doll und Götz. Für den temperamentvollen Latour wird es nicht nur darauf ankommen, die Kölner Profis anzuleiten. Er muss es auch schaffen, sich geschickt in der aufgeregten Kölner Medienlandschaft zu bewegen. Anerkanntes Schweizer Fachwissen reicht dazu nicht aus.“

Synonym für eine masslose Transferpolitik

Stefan Osterhaus (NZZ) veranschaulicht: „Bloss vordergründig steht der Name Michael Meier für Erfolg: Insgesamt dreimal wurde Dortmund unter seiner Leitung zwar Meister, gewann zudem 1997 die Champions League, dazu den Interkontinentalcup. Meier aber hat im Verbund mit Gerd Niebaum die Borussen auch an den Rand des Kollapses manövriert. Meier gilt in der Bundesliga inzwischen als Synonym für eine masslose Transferpolitik. Der Manager zeigte sogleich, dass er die Mechanismen des Geschäfts noch immer gut verinnerlicht hat: Er initiierte ein Scheingefecht, in dem er Thomas Doll vorwarf, unseriöse Äusserungen zu treffen. (…) Vielleicht dämmerte dem Schweizer in diesem Augenblick, wohin er geraten ist, was ihn hier erwarten wird, dass es hier nicht um Inhalt gehen wird, sondern vor allem um die Frage, wer mit welchem Reporter den besseren Draht pflegt. Und vielleicht beziehen sich Overaths Sorgen vor allem darauf, ob er in Latour einen Mann gefunden hat, der kompatibel ist in Köln mit seiner recht aggressiven Medienlandschaft. Der neue Unbekannte steht vor einer heiklen Mission.“

Bildstrecke „Funkemariechen Latour“, sueddeutsche.de

Wir haben zu viele Trainer und Manager auf die Mannschaft losgelassen

Klaus Fuchs, Geschäftsführer beim VfL Wolfsburg, im Interview mit Frank Hellmann (FR)
FR: Beim ersten Training unter Klaus Augenthaler waren 1.200 Zuschauer auf dem Trainingsgelände: Das bedeutet Vereinsrekord. Ist da eine neue Begeisterung entfacht?
Fuchs: Ich habe sogar 2.000 Leute geschätzt. So einen Rummel hatten wir noch nie in Wolfsburg. Von dem Stimmungsumschwung war ich aber nicht überrascht.
FR: Weil Sie schon längst wussten, dass Holger Fach und Thomas Strunz nicht mehr zu halten waren?
Fuchs: Die Atmosphäre bei der Anhängerschaft war vergiftet, eigentlich im gesamten Umfeld. Die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle, die Angestellten im Ticket- und Fanshop wurden angemeckert. Plötzlich sind auf einmal alle wieder freundlicher. Eine Frau hat mir gesagt, jetzt schmecke den Leuten auch die Bratwurst wieder. Aber ich weiß auch: Diese gute Stimmung löst kein einziges sportliches Problem, es ist lediglich eine bessere Arbeitsbasis.
FR: Das Arbeiten mit der Mannschaft obliegt nun Klaus Augenthaler. Was hat er, was Ralf Rangnick nicht haben soll?
Fuchs: Vorweg: Beide Kandidaten hatten mich und die Mitglieder des Aufsichtsrates überzeugt. Und es spricht für unseren Verein, dass sich zwei richtig gute Trainer für uns entschieden hatten – das ist ja heute auch nicht selbstverständlich (lacht). Für Augenthaler sprach, dass wir ihn mehr als ruhenden Pol sehen, um den sich eine Mannschaft scharen kann.
FR: Kann er dem als untrainierbar geltenden Team den notwendigen Tritt in den Hintern versetzen?
Fuchs: Ich bin mir nicht sicher, ob man auf die Mannschaft einschlagen muss. Es ist eine willige Truppe, aber es ist ein hohes Maß an Verunsicherung vorhanden. Das Team muss hart trainieren, hart arbeiten. Im Kern geht es darum, dass man bei Negativerlebnissen nicht auseinander fällt, dass sich nach Rückschlägen nicht Auflösungserscheinungen zeigen.
FR: Zeugt solch ein Verhalten nicht davon, dass bei der Kaderzusammenstellung elementare Fehler begangen wurden?
Fuchs: Wir haben sicher in den vergangenen Jahren zu viele verschiedene Trainer und Manager auf die Mannschaft losgelassen – und darunter hat die Zusammenstellung gelitten. (…)
FR: Die vergangenen Diskussionen haben dem Image des Klubs sehr geschadet. Inwieweit ist zu befürchten, dass der Mehrheitseigner VW einmal Konsequenzen zieht?
Fuchs: Klar ist, dass für den VfL Wolfsburg mit dem achthöchsten Budget in der Liga nicht Platz zwölf das Ziel sein kann. Wir sind nicht davor gefeit, dass Spitzensponsoring einfach erhalten bleibt, wenn die sportliche Talfahrt weitergeht. Wenn Bayern München mal nur noch Zehnter werden sollte, würde die Telekom ihr Engagement ja auch hinterfragen.

Das riecht nach Konflikt

Mathias Schneider (StZ) beäugt die Beförderung Horst Heldts zum Stuttgarter Manager: „Dass Heldt bei Fans, Sponsoren, Mannschaft und Vorstand große Wertschätzung genießt, erleichtert seinen Einstieg – leicht hat er es deshalb aber noch lange nicht. Noch im Herbst empfing er als Ersatzspieler von Trapattoni seine Befehle, nun ist er gleichgestellt. Das riecht nach Konflikten. Dazu kommt, dass Heldt mit keinerlei Erfahrung in das Amt geht. Nur wenn er von Beginn an selbstbewusst seine Position vertritt, wird er seine Wertschätzung nicht in kürzester Zeit verloren haben. Somit ist auch die Vereinsspitze um Erwin Staudt und Dieter Hundt gefragt, den Neuen diesmal gleich mit Kompetenzen auszustatten.“

Tsp: Heldt ist neuer Teammanager beim VfB Stuttgart – Herbert Briem wird degradiert
Welt-Interview mit Erwin Staudt

FAZ: Michael Ballack – Bayern oder doch Real?
FTD: Der FC Bayern rätselt um Ballacks Zukunft, Felix Magath schert das nicht

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