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Bundesliga

Koalition der Schönredner

Oliver Fritsch | Freitag, 10. Februar 2006 Kommentare deaktiviert für Koalition der Schönredner

VfB Stuttgart – Werder Bremen 0:0

Traurige Geschichte

Stuttgart hat Giovanni Trapattoni entlassen, Nachfolger werde, nach Meldung der Stuttgarter Zeitung, Armin Veh. Mathias Schneider (StZ) blickt zurück: „Es war eine traurige Geschichte voller Irritationen. Nach Beispielen muss man nicht lange suchen. So wunderten sich noch im Wintertrainingslager Betrachter, dass der Mister jeden Tag mit einem identischen Trainingsprogramm aufwartete. Zwar heuerten mit dem gebürtigen Mailänder auch die beiden betagten Italiener Fausto Rossi sowie Adriano Bardin auf dem Wasen an, die Trainingseinheiten der beiden sorgten bei weiten Teilen der Mannschaft eher für Kopfschütteln. Manche Session glich einer Zeitreise in die tiefe Vergangenheit der Trainingslehre. Meist standen lediglich lockere Trainingsspiele auf dem Programm. Dass sich dazu noch Andreas Brehme gesellte, komplettierte den unheilvollen Mix. Binnen Wochen hatte Brehme ob seiner laschen Arbeitseinstellung jeden Kredit auf allen Ebenen des Vereins verspielt. In der Mannschaft fielen ob seiner unfreiwilligen Komik in rhetorischer wie konzeptioneller Hinsicht Ausdrücke wie ‚unglaublich‘. So formierte sich um den Mister eine Mannschaft, die von den Spielern mit äußerster Skepsis betrachtet wurden. Weitaus schwerer wog, dass Trapattoni selbst mit seinen Entscheidungen schnell das Vertrauen der Akteure verlor.“ Peter Stolterfoht (StZ) verbietet sich Besserwisserei: „Wir haben es ja schon immer gewusst: Der VfB Stuttgart und Giovanni Trapattoni – das konnte ja gar nicht gut gehen. So darf der endgültige Abgesang auf den italienischen Startrainer nach dessen gestrigem Rausschmiss leider nicht beginnen. Denn durch die Bank stimmten wir, die Medien, das Loblied auf Trapattoni an, als der dem VfB vor sieben Monaten sein überraschendes Ja-Wort gab. Und der Präsident Erwin Staudt konnte sich gar nicht mehr in Sicherheit bringen vor den vielen Gratulanten, die ihm für diesen Coup auf die Schulter klopfen wollten. Heute dürfen ihn dieselben Leute für die vor Saisonbeginn getroffene Personalentscheidung nicht an den Pranger stellen. Dass Staudt die Verpflichtung Trapattonis mit den Worten ‚Habemus Mister‘ zu einer göttlichen Eingebung stilisierte, war dann allerdings des Guten ein bisschen zu viel.“

Hannover 96–Hamburger SV 2:1

Zuviel Angedeutetes und zuwenig Konkretes

Frank Heike (FAZ) sorgt sich um Hamburg: „Bei den Hamburger Profis hat sich die frustrierende Gewißheit festgesetzt, daß es viel schwerer ist, das Erreichte zu verteidigen als auf einer Welle des Erfolges durch die Vorrunde zu surfen. Noch ist nichts verloren trotz zweier Niederlagen in den drei Partien der Rückrunde. Doch wer ehrlich ist, gesteht, daß der HSV nun vor allem nach hinten schaut und hofft, daß der FC Schalke 04 den Hamburgern im Kampf um Platz 3 nicht näher auf den Leib rückt. Niemand redet mehr von der Meisterschaft. Der HSV hat die grimmige Entschlossenheit im Auftreten einfach verloren. (…) Nach dieser Niederlage bei den biederen ‚Roten‘ gab es eine Mischung aus trotziger Zuversicht und verwirrtem Erklärungsnotstand beim HSV. Hatte Dolls Team das Spiel nicht 40 Minuten dominiert? Fühlte es sich nicht wie der Herr Hause? Das schon, aber es war zuviel Angedeutetes im Spiel der Hamburger und zuwenig Konkretes. Hannover 96 ist unter Peter Neururer seit neun Spielen unbesiegt. Im Vorbeigehen schlägt niemand die Niedersachsen, denn zumindest ein Tor nach einer Standardsituation machen sie fast immer.“ Jörg Marwedel (SZ) ergänzt: „Das brisanteste Thema mag Doll öffentlich nicht erörtern: die wachsende Zahl Frustrierter im einstigen Gute-Laune-Team. Raphael Wicky, der den Verlust seines Stammplatzes an den noch nicht überzeugenden Nigel de Jong innerlich nicht akzeptiert; die Stürmer Naohiro Takahara und Benjamin Lauth, die erneut fast alles schuldig blieben; und natürlich die Altstars Sergej Barbarez und Stefan Beinlich, die nach den stark reduzierten Vertragsangeboten ihres Klubs mit so schweren Beinen über den Platz trabten, als wollten sie Dietmar Beiersdorfer Recht geben in seiner Befürchtung, die beiden könnten höchsten Ansprüchen nicht mehr lange genügen.“

Hertha BSC Berlin–Bayern München 0:0

PR-Partie für Kahn

Ein Spiel für Kahn – Klaus Hoeltzenbein (SZ): „Seine Mitspieler hatten dem Nationaltorwart mal wieder eine PR-Partie geschenkt, allerdings nicht freiwillig. Je länger das Spiel währte, desto mehr verloren die Bayern die Kontrolle. Bei einer strengen Inventur wäre eine lange Mängelliste zustande gekommen: Angefangen damit, dass die Bayern auf holprigen Böden oft nur so wintertauglich sind wie ein PKW mit Sommerreifen; dass die meist gelobte Innenverteidigung Lúcio/Ismaël auch ihre Chaos-Tage kennt, Ballack sich mit wohl-dosiertem Energiesparprogramm auf die WM hin bewegt, Schweinsteiger nach Orientierung sucht oder Makaay erstmals klar zu sehen war, als er mit tiefgefrorener Miene in der 66. Minute seiner Auswechslung entgegen trabte. Alles Faktoren, die Hertha BSC geschickt zu einem Beruhigungsspiel nutzte: Sechs Mal hintereinander haben sie jetzt ihrem Publikum zu Hause ein Remis angeboten, es kriselt und knirscht, aber das 0:0 gegen den Meister nahm ihnen niemand übel. Dass die Berliner keinen tauglichen Torjäger finden, zählt inzwischen wie Brandenburger Tor, Christopher-Street-Day, Kreuzberg, Currywurst und Kanzlerin zur hauptstädtischen Folklore.“ Andreas Rüttenauer (taz) schreibt: „Die Begegnung hatte bisweilen etwas von einem Pokalfight zweier Mannschaften aus verschiedenen Spielklassen. Hertha präsentierte sich – angetrieben von einem lustvoll aufspielenden Yildiray Bastürk – als verschworener Haufen, während die Bayern mit der Gelassenheit eines Klassenprimus auftraten.“

1. FC Kaiserslautern–1. FC Köln 2:2

Große Koalition der Schönredner

Tobias Schächter (SZ) staunt über die Begeisterung und Zuversicht der Trainer nach dem Spiel: „Während die Anhänger sich mit neuen Eindrücken über das Schicksaal ihrer Mannschaften auf den Nachhauseweg machten, wirkten die Spieler und Trainer wie die deutschen Politiker nach der vergangenen Bundestagswahl: Sie mussten ein Ergebnis analysieren, das sie partout vermeiden wollten. Mit einer lähmenden Vorstellung – Wer verliert, steigt ab! – waren die Akteure ins Spiel gegangen, und so kam es nicht überraschend, dass die Erleichterung darüber, nicht verloren zu haben, die Enttäuschung über den ausgebliebenen Befreiungsschlag verdrängt hatte. Beide Trainer versuchten, in einer Großen Koalition der Schönredner Hoffnung zu verbreiten.“ Oliver Trust (FAZ) sieht das genauso: „Begeisterung löst selbst bei Kellerkindern die Zunge und treibt unverhofft Zuversicht in die Gedanken. Und so kam nach dem Unentschieden, das im Grunde keinem hilft, hüben und drüben eine von Mut und Selbstsuggestion getragene Atmosphäre auf. (…) Tatsächlich hielten sich Erfreuliches und Ärgerliches die Waage, abgesehen vom beiderseits bedenklich schwachen technischen und spielerischen Niveau.“

Emotional ausgeblutet

Wolfgang Wolf im Interview mit der Welt
Welt: Sie hatten überlegt, Marco Engelhardt, der im Januar nackt auf dem Titel der Bild prangte, als Kapitän abzulösen. Eine Frau hatte das per Fotohandy gesandte Bild an die Zeitung weitergegeben.
Wolf: Wegen solch einer öffentlichkeitsheischenden und selbstdarstellerischen Person nehme ich Marco doch nicht die Binde weg. Den Fehler mit diesem Foto macht er genau einmal im Leben. Mit der Abberufung hätte ich ihm auch nicht geholfen, er hat es bei den Fans bereits schwer genug, gegen ihn gibt es Vorurteile im eigenen Lager. Weil er Nationalspieler ist, muß er nicht immer der Beste sein.
Welt: Überhaupt scheint die Bindung zwischen Verein und Fans verlorengegangen zu sein.
Wolf: Mit den Erfolgen aus den 90er Jahren wurde hier fahrlässig umgegangen, das Geld an überbezahlte Spieler zum Fenster rausgeschmissen. Jetzt ist der FCK ausgeblutet, finanziell und teilweise auch emotional. Als ich anfing, war das Verhältnis zwischen Fans und Verein schlimm, jeder hatte eigene Wege eingeschlagen. Hatten die Gegner früher Angst vor der Atmosphäre des Betzenbergs, kommen sie jetzt gern. Wir sind auf dem Weg, dies schnell zu ändern.
Welt: Auch weil sie in Daniel Halfar, Fabian Schönheim und Sebastian Reinert auf drei 18jährige FCK-Talente setzen?
Wolf: Ich sehe dies als wichtigen Schritt zurück zu den Wurzeln. Diese Jungs sind sehr talentiert und die Zukunft des Vereins. Ich bringe sie, weil sie es verdient haben und um den Älteren Druck zu machen. Viele Spieler haben Verträge, die bei einem Abstieg ungültig werden. Sie müssen sich anbieten, denn Gehälter wie hier werden sie sonst nicht mehr bekommen.

Borussia Dortmund–MSV Duisburg 2:0

Identitätsstifter

Noch ein Problemfall deutscher Innenverteidiger – Richard Leipold (FAZ) beobachtet die Verdrängnung Christoph Metzelders durch den jüngeren Markus Brzenska: „Der Einundzwanzigjährige hat die Dortmunder Abwehr nach außen stabilisiert und nach innen durcheinandergebracht. Metzelder muß sich erst auf die neue Lage einstellen, auch verbal. Der fünfundzwanzig Jahre alte Abwehrstratege, sonst ein beredsamer Gesprächspartner, verließ die Kabine wortlos. Es ist noch nicht lange her, daß er in den Katakomben sein teils zum modernen Märchen erhobenes, qualitativ jedoch überschätztes Comeback erläuterte, das ihn sogar zurück in die Nationalelf führte. Zu Beginn des WM-Jahres scheint Metzelders größter Vorzug darin zu liegen, daß er menschlich dem Anforderungsprofil von Jürgen Klinsmann entspricht. In Dortmund hilft ihm das nicht, solange Brzenska so ruhig, so sachlich seine Arbeit verrichtet wie zuletzt und auch noch als Torschütze in Erscheinung tritt. (…) In der Nationalelf mag Metzelder von seinem Ruf zehren und von seinem Ruhm als Finalteilnehmer der vergangenen Weltmeisterschaft. Bei Borussia Dortmund indes könnte ‚Brenner‘ ihn sogar als Identitätsstifter übertreffen. Während Metzelder als Zwanzigjähriger zum BVB kam, ist der Mitbewerber schon seit seinem neunten Lebensjahr im Verein. Für Vorzeigeprofi Metzelder ist es noch ein beschwerlicher Weg über den Dortmunder Brenner.“

Borussia Mönchengladbach–Schalke 04 0:0

Stillstand auf dem Rasen

Richard Leipold (FAZ) vermisst Tempo und Idee: „Der zähflüssige Straßenverkehr rund um den ‚Borussia-Park‘ hatte den Zuschauern einen Vorgeschmack auf das gegeben, was ihnen an diesem Fußballabend widerfahren sollte. Vor dem gegnerischen Tor stehen auch die Schalker Stürmer im Stau. Wie beim 0:0 gegen Dortmund waren die wichtigsten (Lauf-)Wege Richtung Strafraum blockiert, weil den Verkehrsplanern im Mittelfeld nichts einfiel. Vermeintlich kreative Staupiloten wie Lincoln oder Kobiaschwili suchten vergeblich nach der richtigen Route; sie fanden nicht einmal auf Umwegen zum Ziel. Bei allem Bemühen, das in der ersten Hälfte erkennbar war, übertrug sich der Stillstand vom Rasen auf die Ränge.“

1. FC Nürnberg–Eintracht Frankfurt 0:1

Verdient gesiegt – Ralf Weitbrecht (FAZ): „Die Frankfurter zeigten im spärlich besetzten Frankenstadion die reifere Spielanlage, hatten mit Amanatidis den stärksten Stürmer in ihren Reihen – und mit Oka Nikolov einen Torwart, der die nach dem Seitenwechsel zunehmenden Einschußmöglichkeiten der Nürnberger glänzend parierte.“

FR-Interview mit Benjamin Huggel, dem von der Fifa Bestraften: „Ich fühle mich betrogen“

Bayer Leverkusen–VfL Wolfsburg 4:0

Schizophrenie zwischen Heim-Samba und Auswärts-Blues

Ulrich Hartmann (SZ) blickt hinein in Klaus Augenthaler: „Augenthaler hat seine Entlassung noch immer nicht ganz überwunden, zumal er jetzt eine Mannschaft betreut, die die gleichen Symptome zeigt wie die Leverkusener. Beide Klubs neigen in fremden Stadien zur Lethargie. Augenthalers Analysen nach den Spielen klingen genauso wie früher in Leverkusen.(…) Die Schizophrenie zwischen Heim-Samba und Auswärts-Blues ist ein Phänomen, für das die Fußball spielenden Angestellten von Werksvereinen besonders anfällig zu sein scheinen. Augenthaler erlebte schon seine Leverkusener als Diven. In Wolfsburg ist es jetzt genauso.“

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