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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Nur der Außenseiter kann ein System grundlegend ändern

Oliver Fritsch | Montag, 13. März 2006 Kommentare deaktiviert für Nur der Außenseiter kann ein System grundlegend ändern

Leben wir in Parallelgesellschaften? Auf den Fußball scheint das zuzutreffen. Auf der einen Seite steht die Qualitätspresse (selten war dieses Etikett so berechtigt und begründbar), sie schöpft aus vielen Quellen und erörtert viele Argumente, um die Krise des deutschen Fußballs zu erforschen und die Arbeit Jürgen Klinsmanns zu bewerten. Auf der anderen Seite geifern die Brüder von Bild und die DSF-Bierrunde gegen den „Amerikaner“ mit geschlossenen Augen und Ohren und Schaum vorm Mund.

Höchst lesenswert ist die Story des heutigen Spiegels, sie befaßt sich mit Klinsmann, auf dem Titel als Atlas dargestellt, einen platten Fußball auf seinen Schultern stemmend. In einer sehr langen Reportage erklärt Dirk Kurbjuweit, warum Reformen in Deutschland so schwierig sind und der Widerstand gegen Klinsmann so groß ist: „Die Geschichte des Reformers Klinsmann ist auch eine Geschichte über die Reformfähigkeit Deutschlands. Im deutschen Fußball herrscht eine Fritz-Walter-Haftigkeit, gegen die Klinsmann seit zwei Jahren anrennt. Fritz Walter war ein Segen für den deutschen Fußball in den fünfziger Jahren, aber er strahlt so sehr, dass sich, stehen Änderungen an, immer noch mancher fragt, ob Fritz Walter einverstanden wäre. Ein Problem für alle Reformer hierzulande ist, dass die Bundesrepublik naturgemäß junge Gründungsmythen hat, jung und deshalb sehr lebendig. Sie stammen aus den Nachkriegsjahren, als zwölf Jahre Hitler überwunden werden mussten. Im Fußball ist es das Wunder von Bern, verkörpert durch Fritz Walter und Sepp Herberger. Nach dem Sieg bei der WM 1954 trauten sich die Deutschen wieder, selbstbewusst zu sein. In der Politik ist einer der Gründungsmythen der Sozialstaat, der den wachsenden Wohlstand gleichmäßig verteilt hat und eine Versicherung gegen einen neuen Hitler war. Geschichte ist eine starke Macht in Deutschland. Das Schicksal des Reformers ist die Beschädigung. Irgendwann wird er zurückgepfiffen, weil er gegen deutsche Geschichtlichkeit verstößt, traditionelle Milieus verstört, weil er Privilegien beschneidet, Verlierer erzeugt. Es gibt aus all diesen Gründen keinen Mut zur Radikalität bei jenen, die eine Reform billigen müssen. So wird die Verstümmelung zum Schicksal jedes Projekts. Klinsmann hat das Ziel, den DFB umzukrempeln, fürs Erste aufgegeben. Er konzentriert sich auf die Mannschaft und das Ziel, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. (…)

Die Verlierer bestimmen die Stimmung. Als Klinsmann Christian Wörns nicht aufstellte, nannte der ihn ‚link und unehrlich‘. Sofort fand Wörns breites Echo in den Medien. Er war die Story. Er bestimmte die Grundstimmung, und die war nun schlecht. Ein Motzkopf macht schon eine Krise. Die nächste wartet schon. Eines Tages wird sich Klinsmann für einen Torwart entscheiden müssen, es wird einen Verlierer geben, und der, nicht der Gewinner, wird wieder die Stimmung bestimmen. Schon jetzt droht Beckenbauer. So steht der, der anderen etwas zumutet, immer als umstritten da, als eine Figur, die Hass auf sich zieht. Das macht es auch den anderen schwer, sich ganz auf seine Seite zu schlagen. Man zweifelt an ihm, weil die Stimmung ja schlecht ist. Je mehr einer ändert, desto mehr wird er zum Außenseiter. (…) Nur der Außenseiter kann ein System grundlegend ändern, weil ihm die Bindungen fehlen. Er muss nicht so viel Rücksicht nehmen. Als Außenseiterin pfropfte Angela Merkel der CDU ein Reformprogramm auf. Auch Schröder hatte keine engen Bindungen in seine Partei. Dieser Vorteil wird zum Nachteil, wenn Erfolge ausbleiben. Die Kritik an Klinsmann ist jetzt auch deshalb so vehement, weil sich ihm kaum einer verpflichtet fühlt. Alle waren immer außen und sind es noch. Wenn Klinsmann die Heimspiele des VfB Stuttgart besucht, geht er nie in die Lounge der Ehemaligen, wo er die alten Gefährten Karlheinz Förster oder Hansi Müller treffen könnte. Er kann nicht allen auf die Schulter klopfen wie Rudi Völler, den alle mochten, auch weil er niemandem weh tat. ‚Einem Jürgen Klinsmann wird nichts verziehen‘, sagt Michael Horeni, Sportredakteur der FAZ, der eine Biografie des Bundestrainers veröffentlicht hat. Während des Gesprächs bekommt Horeni einen Anruf. Ein Kollege erzählt ihm, dass Horeni in der Sport Bild vom Fernseh-Entertainer Harald Schmidt angegriffen werde. Schmidt hat offenbar den Eindruck, der Sportredakteur schreibe so viel in der FAZ über Klinsmann, damit sich die Biografie besser verkaufe. Horeni macht seinen Job, der Vorwurf ist absurd, aber so wie die Lage derzeit ist, kann man als Biograf von Klinsmann kaum ungeschoren davonkommen. Zwar nennt sein Buch alle Punkte, die nicht günstig sind für Klinsmann, aber insgesamt ist es wohlwollend. In der Stimmung dieser Tage reicht das schon, um zum Lager Klinsmann gerechnet zu werden. Schmidt gehört zum anderen Lager. Er hat Klinsmann einst als ‚Schwabenschwuchtel‘ geschmäht und wurde gerichtlich zur Unterlassung aufgefordert. In seiner Show lässt er derzeit jedes Mal ‚Tschö Klinsi‘ einblenden. Dahinter steht die Zahl der Tage bis zur WM. Die Medien haben im System Fußball mindestens eine so große Bedeutung wie im System Politik. (…)

Holzen

Auch nach dem 1:4 kann Klinsmann ein Segen für den deutschen Fußball werden. Das Ende dieser Geschichte ist noch nicht erreicht. Wenn es nach Alfred Draxler ginge, sollte das Kapitel Klinsmann allerdings jetzt abgeschlossen werden. Draxler ist stellvertretender Chefredakteur von Bild und zuständig für Sport. ‚Fußball – das ist Boulevard und Stammtisch‘, hat Klinsmanns Freund Roland Eitel gesagt. Für Schröder zählten ‚Bild, Bams und Glotze‘. So weit sind die beiden Sphären in diesem Punkt also nicht auseinander. Allerdings dürfte der Einfluss von Bild auf den Fußball noch größer sein als auf die Politik. Als die deutschen Journalisten auf den Abflug nach Florenz warteten, las mindestens die Hälfte Bild. Draxler ist der mächtigste Mann des deutschen Sports. Gleichzeitig ist er die ganz große Unschuld des deutschen Sports. Seine beiden zentralen Sätze lauten: ‚Der Vorwurf einer Kampagne gegen Klinsmann ist völlig absurd. Wir berichten sachlich.‘ Ist ‚Grinsi-Klinsi‘ sachlich? ‚Grinsi-Klinsi ist eine Boulevard-Zeile.‘ Da ist er natürlich fein raus, wenn alles, was eine Boulevard-Zeile ist, nicht im Widerspruch zur Sachlichkeit steht. Da kann er fleißig holzen, und das macht er auch. Aber Klinsmann macht es ihm auch leicht. Es mag ja sein, dass es an den Erfolgsaussichten für die deutsche Mannschaft nichts ändert, wenn er nach Kalifornien fliegt. Aber er bewegt sich mit seinem WM-Projekt in einer Mediengesellschaft, und da zählt symbolisches Handeln, wie er von Schröder hätte lernen können. Hier sein, im Stadion sein, Commitment zeigen – die Stimmung wäre nicht ganz so schlecht. Wobei immer noch die Frage ist, wo die Stimmung eigentlich herkommt. Aus dem Volk? Oder aus der Feder von Alfred Draxler und seinen Leuten?“

Öffentlicher Job

Fußballnationaltrainer, mehr als eine sportliche Aufgabe – Thomas Kistner (SZ/Meinungsseite) schildert Klinsamnns Verdienst und klärt ihn über seine Pflicht auf: „Macht Fußball nicht Staat in einem Land, wo selbst der Bundespräsident per Weihnachtsansprache und die Kanzlerin in der Neujahrsrede die nationale Bedeutung dieses WM-Turniers besingen? Derlei hat Tradition. Nur deutsche Sender berichten von Olympischen Spielen rund um die Uhr, nur hier ist Sport Teil des nationalen Gründungsmythos. Sportler sind seit langem Ersatzhelden in einem Land, in dem Heldenmythen nach dem Krieg diskreditiert waren. Hell ist der Jubel, wenn das mit Steuermillionen subventionierte Team in Turin Klassenprimus wird. Indes bergen selbst diese Erfolge die nüchterne Gewissheit, dass deutsche Athleten dort glänzen, wo vor allem Materialfragen entscheiden: Bob, Rodeln, Biathlon, Langlauf. Die Sehnsucht nach Identifikation mit überragenden Talenten stillt das nicht. Das war kein Problem, solange Fußball diese Sehnsüchte bediente. Zwar waren es so genannte deutsche Tugenden, die viele Spiele und oft ganze Turniere für Schwarzrotgold entschieden: Rackern, beißen, nie aufgeben. Doch nun sind gerade diese Tugenden bei Klinsmanns Eleven verkümmert – nie war eine deutsche Auswahl athletisch so unterlegen. Schuld tragen die Klubs und ihre Trainer. Und weil die sich durch den ungestümen Reformer Klinsmann ertappt und als unbelehrbare Turnväter vorgeführt sahen, gab es nie ein Teamwork. Klinsmann setzte lieber gleich auf die unverbildete Jugend. Dass es nicht reicht, wenn zu wenig Substanz und Erfahrung verfügbar sind, hat er erst in Italien realisiert. Dort zerbrach seine Alles-auf-Angriff-Doktrin: Der große Reformator hielt an seinen Spielern fest – und bezeichnete sich zugleich selbst als Berufsanfänger. Sachlich richtig, war es das falsche Signal. Zumal der Anfänger Tage später als einziger WM-Trainer einen Workshop im eigenen Land schwänzte. Das zeigt ja eben, dass Klinsmann nicht erkennen mag, wie öffentlich sein teurer Job ist im angehenden WM-Wunderland.“

SZ: Der „Bundeskanzler“ geht in die Offensive

Im Niemandsland

In zehn Punkten, hier sind drei genannt, analysiert Christian Eichler (FAS) die Ursachen der Misere im deutschen Fußball: „Deutschland hat den Fußball-Blues. Erst der Trip nach Italien, dem Land, in dem die Niederlagen blühen. Dann ein neuer Skandal, in dem ausgerechnet ein Team aus Siegen vom Verlieren profitiert haben soll. Das moralische Niveau ist spätestens seit Hoyzer nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Das spielerische schon länger nicht. Doch erst seit der italienischen Leidenswoche schwant der Nation, daß sich die Qualität ihres liebsten Zeitvertreibs dauerhaft beim deutschen Eishockey oder deutschen Tennis eingefunden hat – im Niemandsland zwischen unterer Weltklasse und oberem Mittelmaß. Das Stimmungspendel, kraß ins Positive geschwenkt beim Confederations Cup, schlägt nun ebenso rasch ins Negative aus. Patriotische Werbebotschaften rund um den Ball stimmen das Volk auf die WM ein. Die emotionale Realität ist anders. (…) Die Macht der Bayern ist schlecht für den deutschen Fußball – und für sie selbst. Ihr ökonomischer Erfolg hält ihnen Rivalen vom Hals, beschert ihnen auf dem Silbertablett das Beste vom deutschen Spielermarkt – und das, anders als Top-Teams in England, Italien, Spanien, ohne Konkurrenten auf Augenhöhe. Dieses Monopol beschert leichte Meistertitel, kostet aber, mangels heimischer Herausforderung, Konkurrenzfähigkeit in Europa. (…) Die Bayern greifen die größten deutschen Talente ab, dort werden sie gern bequem. Mehmet Scholl ist ein Beispiel dafür, wie man sich gemütlich einrichten kann. Mit dem Mut, ins Ausland zu gehen, hätte er ein Weltstar werden können. Mittlerweile sind, mit Ausnahme Ballacks, Deutsche im Ausland kaum noch gefragt. (…) Klinsmann nahm den Job, den keiner wollte, packte vieles an, vielleicht zu viel. Während Marco van Basten die beiden stärksten Mächte in Hollands Fußball hinter sich weiß, Johan Cruyff und die Presse, hat Klinsmann die beiden stärksten Mächte des deutschen Fußballs gegen sich: Bayern und die Bild-Zeitung. Er tat von Beginn an nichts, sich ihnen anzubiedern. So war klar, daß er beim ersten Rückschlag deren Hiebe bekäme. Nach Beckenbauers Schelte ist schwer vorstellbar, daß Klinsmann nach der WM bleibt – und zu befürchten, daß das Richtige, das er begann, damit schon beendet wäre.“

Punkt zehn: Die Frankfurter Rundschau hat am Samstag den deutschen Fußballjournalismus für den Sinkflug des deutschen Fußballs mitverantwortlich gemacht.

Vorbildlich

Wie ist die Führungsarbeit von Klinsmann zu bewerten? Ileana Grabitz und Thorsten Jungholt (WamS) sammeln Stimmen von Managern: „Statt sich Beckenbauers Wünschen nach größerer Präsenz in Deutschland oder einer frühzeitigen Entscheidung der Torwartfrage zu fügen, verfolgt Klinsmann unbeirrt seinen Kurs. Während sich Beckenbauer und mit ihm große Teile der Fußball-Nation in dieser Woche einmal mehr darüber ereiferten, findet diese Vorgehensweise bei führenden deutschen Management- und Personalberatern Zustimmung. ‚Vorbildlich‘ seien Klinsmanns Methoden, ‚modern‘ und ‚zukunftsweisend‘, heißt es. Kurz gesagt: Unternehmenschefs könnten sich an dem Bundestrainer ein Beispiel nehmen. Aus Managementsicht mache Klinsmann wenn nicht alles, so doch vieles richtig. In einer Umfrage der Welt am Sonntag bescheinigen die Berater dem Bundestrainer die grundlegenden Qualitäten, die ein Topmanager qua Definition mitbringen muß: erstens fachliche Qualifikation, zweitens Zielorientiertheit und drittens die Konsequenz, dieses Ziel trotz öffentlicher Kritik standhaft zu verfolgen. (…) Doch trotz allem Respekt, die deutsche Berater dem Manager Klinsmann zollen: Minuspunkte sammelt der streitbare Bundestrainer auch. In der Nichtberücksichtigung des Abwehrspielers Wörns sehen die Experten den Anspruch der konsequenten und transparenten Managemententscheidungen verletzt. Anders lautenden Ankündigungen zum Trotz hatte Klinsmann die Reservisten Robert Huth und Christoph Metzelder für das desaströse Länderspiel in Italien nominiert, den Stammspieler Wörns jedoch außen vor gelassen. Härter noch gehen die Managementkoryphäen mit dem Bundestrainer wegen seines Fehlens beim WM-Workshop ins Gericht. (…) Das Grundproblem, darin sind sich alle Berater einig, sei nicht die Führungsqualität des Bundestrainers, sondern die sportliche Qualität seiner Spieler.“

Klinsmann wurde als Retter des deutschen Fußballs überhöht

Sportsoziologe Thomas Alkemeyer im WamS-Interview
WamS: Etwa ein bis vier Prozent der Bürger erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Panikstörung. Nun fürchtet der Focus, die besten Fußballer des Landes würden einem Träumer überlassen, Bild hat längst die „WM-Krise“ ausgemacht. Müssen die Medizinbücher umgeschrieben werden? Ist das ganze Land in Panik?
Alkemeyer: Ich würde etwas nüchterner fragen, ob derartige Gedanken nicht lediglich einige wenige Teile der Gesellschaft erfassen, vor allem die Vertreter einzelner Medien. Ich habe eher den Eindruck, daß viele Menschen recht gelassen mit Niederlagen des Nationalteams umgehen. Es gibt sicher eine Verstimmung, in Einzelfällen sogar eine Art narzißtische Kränkung. Aber im Grunde zeigt sich in den jüngsten Leistungen nur, womit sich weite Teile der Bevölkerung mehr oder weniger abgefunden haben, nämlich die Tatsache, daß Deutschland nicht mehr ganz oben mitspielt.
WamS: Diese Resignation schien Klinsmann überwunden zu haben.
Alkemeyer: Er wurde als Retter des deutschen Fußballs überhöht. Seit Monaten tragen verschiedenste Akteure außerordentliche Erwartungen an ihn und die WM heran. In politischen und anderen öffentlichen Diskursen wird die Hoffnung geäußert, daß mit dem Turnier der wirtschaftliche Aufschwung käme. Es soll endgültig den Wechsel zu einer besseren Stimmung im Lande einläuten. Teile der Massenmedien schüren die Erwartung, Deutschland müsse Weltmeister werden und könne das auch erreichen, wenn man nur systematisch darauf hinarbeite. Die aktuellen Diskussionen haben mit einer gewissen Desillusionierung angesichts des realen Leistungsvermögens zu tun.
WamS: Aber warum konzentriert sich die Debatte dann auf den Trainer dieser Mannschaft? Was irritiert die Deutschen an Klinsmann?
Alkemeyer: In seinem Fall prallen unterschiedliche Philosophien aufeinander. Der deutsche Fußball ist von einer Ungleichzeitigkeit geprägt. Auf der einen Seite ist er hochprofessionalisiert, hochmedialisiert und hochkommerzialisiert. Auf der anderen Seite stehen Mentalitäten, die mit dieser Entwicklung nicht mitgekommen sind. Tief in der deutschen Fußball-Tradition sind Vorstellungen darüber verwurzelt, was „richtiger“ Fußball ist. Dazu gehört die Abneigung gegen eine zu starke Verwissenschaftlichung des Trainings und die Vorstellung, daß es für den Erfolg wichtiger sei, die Zähne zusammenzubeißen und zu kämpfen. Rudi Völler hat diese traditionellen Tugenden weit mehr verkörpert: über sein Auftreten, über seine Sprache, über sein Spiel. Klinsmann ist anders.
WamS: Warum entlädt sich die Kritik so vehement?
Alkemeyer: Im Unterschied zur Politik scheint Sport ein Handlungsbereich zu sein, in dem einzelne Personen tatsächlich noch etwas steuern und bewirken können. Die Idee der einzelnen Person als verantwortlicher Steuermann und Entscheidungsträger ist hier weitaus präsenter als in der Bundespolitik. Natürlich haben die Menschen auch Emotionen auf Gerhard Schröder projiziert. Aber er wurde nicht so vehement wie Klinsmann kritisiert. Von der Politik weiß man, daß die Entscheidungen des einzelnen äußeren Zwängen unterliegen, daß ganz andere das Ruder in der Hand haben oder zumindest Einfluß nehmen, beispielsweise EU-Kommissare oder die große Ökonomie. Auch deshalb haben wir eine zunehmende Politikverdrossenheit. Der Sport ist dagegen ein System, in dem Erfolg oder Mißerfolg sichtbar von den eigenen Leistungen abzuhängen scheinen – dafür werden die Akteure intensiver verantwortlich gemacht als in der Politik.

Es gibt zu wenig Einfluss von außen

Die Zeitungen fragen Experten, speziell aus dem Ausland oder auslandserfahren, nach dem Zustand des deutschen Fußballs. Der Ex-Dortmunder Paulo Sousa sagt der SZ: „Mir ist in Erinnerung geblieben, wie einfach es für mich damals war, in Deutschland zu spielen. Für intelligente Spieler ist es einfach, deutsche Rivalen zu antizipieren. Fußball ist: Spielsituationen auflösen, kreative Antworten geben. Der deutsche Fußball aber ist vorhersehbar, weil die Dynamik in den Trainingseinheiten immer dieselbe ist – und sich damit auch die Lösungen deutscher Spieler wiederholen. Es gibt zu wenig Einflüsse von außen. Ich sehe, dass versucht wird, das zu ändern, auch von Klinsmann. Auf Sicht wäre es für den deutschen Fußball wichtig, dass er Erfolg hat. Denn die Leute begleiten Transformationsprozesse nur, wenn sie erfolgreich sind.“ Hans Meyer (SZ) führt an: „Den einzigen Vorwurf, den ich Klinsmann mache, ist, dass er die Probleme seiner Nationalmannschaft in seinen Pressekonferenzen nicht deutlicher thematisiert. Denn unter den Bedingungen dieser Abwehr, in der jeder einzelne Spieler persönlich Probleme hatte, war es doch selten so unrealistisch, gegen einen Großen zu gewinnen wie in Italien. Als dann nach sieben Minuten alles erledigt war, ging nichts mehr. Günter Netzer wäre früher in so einer Partie nach zehn Minuten mit einer leichten Zerrung auf der Bank gewesen. Aber wir können über all das debattieren, wie wir wollen, die Probleme liegen tiefer, denn insgesamt ist der deutsche Fußball methodisch nicht auf dem richtigen Weg.“ Der Schweizer Nationaltrainer Jakob Kuhn (FAS) mahnt zur Geduld: „Wir haben in der Schweiz vor elf Jahren im Schulterschluß von Verband und Klubs damit angefangen, eine gemeinsame Ausbildungsphilosophie zu entwickeln. Das Wichtigste dabei war, daß wir nie stehengeblieben sind und versucht haben, uns ständig zu verbessern. Man darf sich keine Illusionen machen: Bei uns hat es auch sechs, sieben, acht Jahre gedauert, bis wir anfangen konnten, die Früchte zu ernten. Wenn man 2004 nach der Europameisterschaft zum Schluß kommt, daß man etwas verändern muß, kann man nicht erwarten, daß das zwei Jahre später schon funktioniert. Auch die Deutschen können nicht zaubern.“

Wams: was sich die Elf von Klinsmann wünscht

NZZ: die Schweizer Politik und die EM 2008

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