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Bundesliga

Abschied von zwei Originalen — 32. Spieltag (Teil 2)

Oliver Fritsch | Freitag, 5. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Abschied von zwei Originalen — 32. Spieltag (Teil 2)

Fußball-Bundesliga, die Soap für Männer – Christof Kneer (SZ) wird Köln im nächsten Jahr vermissen: „Den Bergdoktor gibt’s nicht mehr im deutschen TV, er ist nach sieben Staffeln abgesetzt worden. Der Bergdoktor hätte die Kölner trösten können. In dieser Serie geht es darum, dass jemand selbst verschuldet in eine Gletscherspalte fällt, worauf er vom Bergdoktor gerettet wird und vor lauter Dankbarkeit ein anderer Mensch wird. Das ungefähr ist auch die Geschichte des FC, bloß dass die Gletscherspalte die zweite Liga ist und dem Schweizer Trainer Latour – Kosename: Bergdoktor – die Rettung dann doch nicht ganz glückt. Die Bundesliga nimmt Abschied von zwei Originalen, das ist traurig und wahr. Den 1. FC Köln lässt man nur ungern gehen, und den der letzten Wochen erst recht. Es war ja eine schöne Geschichte, wie es ein Schweizer geschafft hat, zum Kölner zu werden. Hanspeter Latour ist 58 Jahre alt und doch von einer rührend kindlichen Liebe zu diesem Spiel beseelt, und so hat es der Bergdoktor geschafft, der Stadt den Glauben an die Gesundheit des Spiels zurückzugeben. Auf die Emotionalität eines echten Jecken hat Köln lange warten müssen; zuvor hat der unjecke Rapolder Begabungen wie Lukas Podolski in ein verkopftes System gepresst, und davor hat der unjecke Stevens alles angeknurrt, was nicht bei drei auf dem Baum war. Ob der Bergdoktor auch ein richtig guter Trainer ist? Das wird man dann in der nächsten Saison erleben, in der neuen Staffel, montagabends DSF.“

Qualität hält mit dem Gerede nicht mit

Vierzig Tore am 32. Spieltag – auf einmal geht’s doch! Peter Penders (FAZ) hat sich so viel Tatendrang viel früher gewünscht: „Ach, wäre doch ständig Saisonende und nie die Zeit so mittendrin, wenn wenig passiert, die Qualität ohnehin bedenklich stimmt und spätestens am Montag die vielen Bilder des Wochenendes längst wieder vergessen sind! Vermutlich lag es weniger am Flutlicht, sondern mehr an der Einsicht, demnächst nichts mehr ändern zu können, daß dieser drittletzte Spieltag so viel Strahlkraft hatte im Vergleich zu vielen öden Samstagnachmittagen vorher. (…) Manchmal passen zwei einfach nicht zusammen, und so langsam weiß wohl jeder, daß dies auch auf Michael Ballack und Bayern München zutrifft. Daß er systematisch schlechtgeredet wird, weil er es wagt, ablösefrei zum FC Chelsea zu wechseln, langweilt fast schon, weil es ein so durchschaubares Nachtreten ist. Daß nun aber dem verletzungsanfälligen Santa Cruz nach einem 75-Minuten-Auftritt gegen die biederen Stuttgarter gleich zugetraut wird, die Ballack-Rolle auch international auszufüllen, paßt so schön zu dieser Bundesliga: Die Qualität hält mit dem Gerede in der Regel nicht mit. Aber spannend ist sie, zumindest am Ende, doch.“

Bayern München–VfB Stuttgart 3:1

Offenbarung

Philipp Selldorf (SZ) schildert eine Befreiung: „Dieses Spiel löste eine tiefe Bedrückung. Das lag weniger am Sieg, daran hat man sich natürlich gewöhnt, sondern an der Qualität der Vorstellung, die vielen wie eine Offenbarung erschien. Kaum bis gar nicht hat man die Bayern so lebensfroh Fußball spielen sehen während dieser Spielzeit, die von Karl-Heinz Rummenigge zwar vorauseilend das Gütesiegel ‚Saison der Superlative‘ erhielt, aber diesem prächtigen Etikett selten gerecht wurde. Am Mittwoch aber haben die Bayern Kombinationen geboten, die sie tief in den Strafraum führten, und, weil’s grad gefiel, auch gleich wieder heraus, bis sich jemand der bedauernswerten Stuttgarter erbarmte und aufs Tor schoss. Den Männern vom VfB blieb gar nichts anderes übrig, als demütig zuzuschauen (…) Michael Ballack war klar, dass nun wieder eine Debatte fortgesetzt würde, die seit Jahren in München schwelt: Dass Ballacks Anwesenheit angeblich hemmend wirkt, dass seine Dominanz im Mittelfeld und als Vollstrecker eine Starre im Team auslöst. Und so ergab sich nun die Ansicht, dass sein Verlust auch eine Chance für die Mannschaft bedeutet.“

MSV Duisburg–Werder Bremen 3:5

Ungebrochen

Christoph Biermann (SZ) teilt mit, daß sich Duisburgs Walter Hellmich von einem Abstieg nicht zu Bescheidenheit zwingen läßt: „Gerade eben war der hübsche Kick zu Ende gegangen, da hatte der Big Boss des MSV Duisburg schon das Zukunftspanorama für den Absteiger entworfen. Auch über mögliche Transfers hatte er voller Verve gesprochen, die ersten sollen schon in den nächsten Tagen vermeldet werden. Ob man denn damit nicht erst einmal warten wolle, bis ein neuer Trainer gefunden sei, wurde er daraufhin gefragt. ‚Das sind Spieler, nach denen sich alle Trainer die Finger lecken‘, sagte Hellmich. Nun gut, Ronaldinho wird er damit nicht gemeint haben, doch selten hat ein Klub die Bundesliga so ungebrochen verlassen wie der MSV Duisburg. Hellmich versuchte den Eindruck zu vermitteln, dass dieser Abstieg nur ein kleiner Umweg oder ein Luftholen vor jetzt noch ungeahnten Erfolgen sei. (…) Um für Großunternehmen attraktiv zu werden, wird deutlicher erkennbar werden müssen, dass der Absteiger nicht die One-Man-Show des Walter Hellmich ist.“

VfL Wolfsburg–FSV Mainz 05 0:3

Industrieller Fußball

Michael Eder (FAZ) beschreibt den Sieger mit romantischem Herzen: „Der VfL spielte in der ersten Halbzeit wie so oft – mit dem Volkswagen-Gen, gediegener Durchschnitt, Mittelklasse, nichts wirklich Aufregendes. Industrieller Fußball, finanziert von einem automobilen Großkonzern. Die Mainzer, das sind dagegen die Schrauber von der Ecke, die Tüftler und Tuner, schmutzige Hosen, schmutzige Hände, und ihr Vorarbeiter war auch in Wolfsburg wieder dieser schmächtige kleine Bursche: Michael Thurk. Er schoß nicht nur das Tor, er haute sich in jeden Zweikampf, er spritzte Gift ins Spiel, verströmte Leidenschaft. (…) Der Patient Wolfsburg kommt mit den Symptomen des Abstiegskampfes nicht zurecht. Die Beine der Spieler werden schwerer, die Nerven versagen, die Lage wird immer prekärer.“ Steffen Hudemann (Tsp) zweifelt an der Wolfsburger Kampfbereitschaft: „Gerade weil das Spiel um alles oder nichts ein Dauerzustand ist in Mainz, haben sie sie noch alle beisammen, wenn es brenzlig wird. Eine Fähigkeit, die auch Wolfsburg gut gebrauchen könnte. Drastische Worte wie Jürgen Klopp würden die Geschäftsleute aus der Autostadt nie wählen, aber sie werden sich schon fragen, ob eigentlich irgendjemand sein Hirn angestrengt hat, als er diese Mannschaft zusammenstellte. Der einst so ambitionierte Klub hat innerhalb von einem Jahr einen Besorgnis erregenden Verlust an spielerischer Qualität erlitten. Ihm fehlen Leute, die in der Lage sind, eine Partie durch überraschende Aktionen zu entscheiden. Wolfsburg ist derzeit ein Ort ohne Ideen.“

Eintracht Frankfurt – 1. FC Kaiserslautern 2:2

Ich komm‘ von de Amadeure

Uwe Marx (FAZ) achtet die Leistung Wolfgang Wolfs und Kaiserslauterns in der Rückrunde: „So bedrohlich die Lage auch bleibt: Daß sie in Kaiserslautern überhaupt noch die Chance haben, möglicherweise in einem Abstiegsfinale den Verbleib in der Bundesliga zu schaffen, ist mehr, als nach der vermaledeiten Vorrunde zu erwarten war. Der Punkt sei angesichts dieser Aussicht ‚Gold wert‘ (Wolf) – auch wenn seine Mannschaft gegen die verunsicherten und nach dem Pokalfinale etwas ermatteten Frankfurter speziell im ersten Durchgang weitere Tore leichtfertig verschenkt hatte.“ Tobias Schächter (SZ) protokolliert: „Wer, wie Marcel Ziemer, nach nur 18 Spielminuten in der Bundesliga zum Hauptdarsteller wird, trifft kurz nach dem Abpfiff unvermeidlich auf einen Mann mit einem orangenen ZDF-Mikrofon. Der heißt Rolf Töpperwien und bringt bekanntlich in einem Satz mehr Informationen unter als jede Agenturmeldung. Von Marcel Ziemer aber hatte der Fakten-König noch nie etwas gehört. Also stellte der Fernsehreporter dem Bundesliga-Novizen Fragen: ‚Deutschland kennt sie nicht, woher kommen sie?‘ Marcel Ziemer antwortete leise und bedächtig: ‚Ich komm‘ von de Amadeure.‘ – ‚Dort haben sie aber bestimmt viele Tore geschossen?‘ – ‚Ja, äh – nee‘, meinte Ziemer ehrlich: ‚Nur vier.‘ Töpperwien bedankte sich. Prima Fakten.“

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