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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Ständiger Wechsel von Regeln und Freiheit

Oliver Fritsch | Montag, 3. Juli 2006 Kommentare deaktiviert für Ständiger Wechsel von Regeln und Freiheit

Klaus Brinkbäumer und Jörg Kramer (Spiegel) würdigen die Menschenführung Jürgen Klinsmanns: „Es stimmt ja nicht, was Kritiker diesem Klinsmann unterstellten: dass er nur Unmündige ertrüge. Sein Geheimnis ist dieser ständige Wechsel von Regeln und Freiheit, von Befehl und Diskussion, von Schemata und der Aufforderung zum Ausbruch aus jedem Schema. Es hat wohl selten einen Bundestrainer gegeben, der derart konsequent Lehren aus der eigenen Profizeit zieht wie dieser: Den Stürmer Klinsmann störte einst diese verdammte deutsche Passivität, und darum lässt der Trainer Klinsmann seine Deutschen stürmen; den Stürmer Klinsmann ereilte der Lagerkoller, darum gewährt der Trainer Klinsmann freie Zeit. Jedoch: Viele seiner Jünger wollen lieber trainieren. Die wenigen Konflikte verstand Klinsmann zu moderieren. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Trainern und Michael Ballack, der mehr taktische Vorsicht forderte, führten dazu, dass sich der Kapitän selbst in die Pflicht nahm und verteidigt – das war der Schlüssel zu bislang fünf deutschen Siegen. Als Oliver Kahn sagte, er habe nie eine Erklärung erhalten, warum er nicht spiele, reagierte der Trainer sehr gelassen und sagte: ‚Es ist okay. Er fühlt sich noch immer als Nummer 1.‘ Und nachdem Miroslav Klose seinen Angriffspartner Lukas Podolski zu mehr Bewegung aufgefordert hatte, bewegte sich der gegen Schweden und bekam Pässe von Klose und schoss auf einmal Tore. Der Lukas, bilanzierte Klinsmann, habe halt ‚versucht, seine Arbeit zu verrichten‘. Es kam zu einer Kommunikation zwischen Spielern und Publikum, wie es sie bei der Nationalelf kaum je gegeben hatte. Vier Tore gegen Costa Rica – patriotischer Karneval in München. Das späte Tor gegen Polen – Ekstase in Dortmund. Und diesmal, gegen Argentinien, spielte die Mannschaft abgeklärt, lauernd, und die Anhänger trällerten nicht, sie waren natürlich laut, doch vor allem gebannt.“

Radikalaufstieg

Markus Völker (taz) fordert Klinsmann auf, seinen Vertrag zu verlängern: „Klinsmann, der Chef-Guide, hat den wackeren 23 die Wegbeschreibung zugesteckt, er hat sie fit gemacht und im Glauben an das Große bestärkt. Und siehe da: Das junge Team, das die WM als Gipfelsturm begreift, hat seine erste große Reifeprüfung in luftiger Höhe bestanden. Die Frage ist nun allerdings: Was wird aus dem Bergführer Klinsmann und seinem Projekt des Radikalaufstiegs, der Umgestaltung auf hohem Niveau? Hat sein Projekt eine Zukunft? Hat Klinsmann eine Zukunft? Alles hängt von seiner Vertragsverlängerung ab. Der sture Schwabe steht in der Pflicht. Er hat sich selbst mit markigen Sprüchen exponiert. Er und seine Mitstreiter, Joachim Löw und Oliver Bierhoff, könnten den deutschen Fußball entrumpeln, den Laden auseinander nehmen und einheitliche Strukturen schaffen. Aber ist so eine Umgestaltung ohne Klinsmann überhaupt möglich? Noch braucht die Nationalmannschaft, dieser Staat im Staate des Fußball-Bundes, einen halsstarrigen, sendungsbewussten Anführer, einen Guru vom Schlage Klinsmanns. Verlässt er nach dem Turnier die deutsche Mannschaft, macht er sich unglaubwürdig. Flüchtet er nach Kalifornien, entlarvt er sich als Ego-Shooter erster Güte. Bleibt er jedoch, kann der Kilimandscharo in vier Jahren, beim WM-Turnier in Südafrika erklommen werden. Falls es nicht schon diesmal klappt.“

Tempo und Richtung eingewechselt

Christof Kneer (SZ) macht Klinsmanns Einwechslungen für den Sieg gegen Argentinien verantwortlich: „Klinsmann wird einem langsam unheimlich. Er ist ja nie zuvor Cheftrainer gewesen, er ist als Berufsanfänger ins Turnier gestartet, und man kann sagen, dass er im Viertelfinale endgültig auf der Trainerbank angekommen ist. Er hat erst Odonkor eingewechselt, der nach Herzenslust auf Gegenspieler Sorin draufsprinten konnte, weil Sorin schon verwarnt war und dem Raser sicherheitshalber aus dem Weg ging; und weil man bei Odonkor ja nie weiß, ob er auch in die richtige Richtung rast, hat er ihm noch ein Navigationssystem mit auf die Reise gegeben. Er hat zusätzlich den Strategen Borowski eingewechselt, der einen so guten Orientierungssinn hat, dass er Klose den Ball sogar dann zum Kopfballtor auflegt, wenn er ihn gar nicht sieht. Klinsmann und Löw haben Tempo und Richtung eingewechselt, und diese beiden Qualitäten waren es auch, die Deutschland auf den richtigen Weg zurückbrachten.“

Sieg der Willenskraft, der Nervenstärke und des Glaubens

Peter Heß (FAZ) betont die Stärke des Verlierers aus Argentinien: „Als Klinsmann vor zwei Jahren den WM-Titel als Ziel seiner Arbeit ausgab, wurde er belächelt: Seine jungen Spieler würden sich spätestens an den alten Fußballmächten die Milchzähne ausbeißen, dachten viele. Jetzt haben sie bewiesen, daß sie nicht nur im Hurrastil weiterkommen können, sondern auch geduldig, hartnäckig und zäh ihren Weg verfolgen. Aber es war knapp. Die Argentinier hatten schon die Finger am Lichtschalter, um der deutschen WM-Party das Licht auszuknipsen. Es war der Einsatz aller Kräfte nötig und wurde ein Sieg der Willenskraft, der Nervenstärke und des Glaubens. Denn die fußballerischen Primärtugenden waren beim Gegner etwas stärker ausgeprägt. Was als Fußballparty geplant war, wurde zum Rasenschach, aus einem sportlichen Wettbewerb wurde ein Intelligenztest. (…) Das Treffen mit der taktisch besten Mannschaft der Welt war zwar kein Fußball-Klassiker, aber es hat den Reifeprozeß der jungen Deutschen noch einmal beschleunigt.“

Naivität in 120 Minuten abgelegt

Ludger Schulze (SZ) lobt die Disziplin der deutschen Elf: „Einen Preis für Eleganz gab es wahrlich nicht zu verleihen, aber es war der härteste Kampf, den eine DFB-Elf seit vielen Jahren erfolgreich bestritt. Kampf ist ein Teil des Fußballs, und auch ein glücklicher Sieg ist ein legitimer Sieg. Das sehr junge Team hat mit jugendlicher Leidenschaft und verblüffender Cleverness der augenblicklich neben Brasilien besten Auswahl der Welt enervierenden Widerstand geleistet. Wenn das 2:0 gegen Schweden die Aufnahmeprüfung ins Fußball-Gymnasium war, so ist die Niederwerfung der Argentinier im Elfmeterschießen die Reifeprüfung. Wer solche Spiele besteht, in denen jeder kleine Fehler die unwiderrufliche Entscheidung herbeiführen kann, zählt sich zu Recht zu den Meistern des Fachs. Deutschlands noch vor kurzem so erfrischend unbedarfte Mannschaft hat ihre Naivität in diesen 120 Minuten abgelegt.“

Der erste Assistent des Kapitäns

Michael Horeni (FAS) streicht die Leistung Torsten Frings‘ voraus : „Zum besten Spieler des Tages wählte die Technische Kommission der Fifa zwar seinen Chef und Kapitän Michael Ballack. Doch wer sich nicht den Blick von Hierarchien trüben ließ, und Status nicht mit tatsächlicher Leistungsfähigkeit verwechselte, erkannte, wer das deutsche Unternehmen entscheidend in Richtung Halbfinale führte: der erste Assistent des Kapitäns. Frings war in dieser denkwürdigen Begegnung nicht nur der beste Spieler, Frings machte gegen die argentinische Fußballmaschinerie vermutlich sogar die Partie seines Lebens. Ballack jedenfalls war als aufmerksamer Chef und Freund des Leistungsprinzips nur noch hingerissen von der atemraubenden Formsteigerung seines zuletzt nicht immer hochgeschätzten Helfers, der aber mittlerweile zu einem gleichberechtigten Partner Ballacks in der Zentrale des deutschen Spiels aufgestiegen ist.“

FAZ-Portrait Frings

FR-Portrait Frings

SZ-Portrait Frings

Sicherheitsdenken

Michael Ashelm (FAZ) bemerkt zur Steigerung Arne Friedrichs: „Sicher hätte Friedrich lieber weniger zu tun gehabt, doch gerade der rechte Außenverteidiger stand in der ersten Halbzeit im Mittelpunkt der behutsam, aber dann zielstrebig vorgetragenen argentinischen Angriffe. Friedrich, der bislang in diesem Turnier nicht überzeugen konnte und als Schwachpunkt im deutschen Team zu sehen war, mußte ran – und löste seinen Job im heimischen Stadion zu aller Zufriedenheit. Der gleich nach ein paar Sekunden gewonnene Zweikampf gegen den Stürmerstar Tevez gab Auftrieb, aber letztlich keine Sicherheit. Doch Friedrich hakte nach, unterstützt von seinen Kollegen, die schnell merkten, daß der Gegner die vermeintliche Schwachstelle auf der rechten deutschen Seite nutzen wollte für seine Zwecke. Meist wurden die argentinischen Stürmer in engstes Gewahrsam genommen – gleich von drei deutschen Spielern. Ein Sicherheitsdenken von höchster Priorität dominierte die Partie.“

Unverschämtes Gepfeife

Tumulte nach dem Spiel – Thomas Kistner (SZ) weist auf die Atmosphäre im Stadion hin: „An den Ausrastern der als Hitzköpfe verschrieenen Gäste ist nicht zu rütteln. Die Vorgänge im Berliner Stadion hatten jedoch auch einen Kontext, der schon erkennbar Teil der Geschichte dieser WM wird. Es reicht zur Bewertung nicht aus, den Sachverhalt nur auf Cufres Ausraster nach Spielende zu reduzieren. Tatsache ist, dass es wenig Spaß macht, zurzeit Fußball in Deutschland zu spielen, jedenfalls, wenn man gegen die deutsche Elf antreten muss. War dies im Achtelfinale wohl noch der unbändigen Energie und strahlenden Willenskraft (aktueller Turnierjargon) der DFB-Elf geschuldet, die den Schweden allen Mut raubten, war es diesmal die gewaltige Kulisse im geschichtsträchtigen Olympiastadion, die den Gästen spürbar aufs Gemüt schlug.“ Peter Burghardt (SZ) ärgert sich: „Torwart Roberto Abbondanzieri musste unter dem unverschämten Gepfeife deutscher Sportfreunde vom Feld getragen und durch Leonardo Franco ersetzt werden. Das war beim finalen Wettschießen ein erheblicher Nachteil, denn Abbondanzieri gilt bei Schüssen aus elf Metern als Experte.“ Wiebke Hollersen (BLZ) fügt hinzu: „Abbondanzieri krümmte sich am Boden, die Berliner Fans hielten es für Zeitspiel und zeigten, wie grob unfair sie sein können. Abbondanzieri musste mit einer Trage aus dem Stadion geschafft werden, die Zuschauer pfiffen, bis sie ihn nicht mehr sahen.“

Ikone

Moritz Müller-Wirth (zeit.de) ist gerührt von der Begegnung zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann: „Die Szene, in der Lehmann zu einem von zwei Hauptdarstellern wurde, spielte sich allerdings schon unmittelbar vor Beginn des Elfmeterschießens ab. Oliver Kahn, am Daumen bandagierter Ex-Titan und in dieser Funktion Held diverser Elfmeterschießen, bückte sich hinab zu dem Konzentration suchenden Rivalen, ergriffen dessen Hand, streichelte sein schütter gewordene Haupthaar und flüsterte ihm, so muss es gewesen sein, aufmunternde Worte ins Ohr. Diese Bilder, die schon mit in Jubel mündendem Raunen im Stadion gefeiert wurden, als sie auf den Videowürfeln erschienen, werden die Bilder sein, die als Ikonen von dieser WM im kollektiven Gedächtnis bleiben werden.“

SZ: Das dramatische Spiel gegen Argentinien hat elf Sieger – und einen Helden

SZ: Lehmanns Liste – mit einer Datenbank von Huub Stevens hat sich der Torwart perfekt auf das Elfmeterschießen gegen Argentinien vorbereitet

WamS-Interview mit dem Fitnesstrainer Mark Verstegen: „Ich kann mich noch an die Pressekonferenz erinnern, auf der wir vorgestellt wurden; fast jeder Dritte wollte von uns wissen, ob wir als Amerikaner überhaupt wissen, worum es beim Fußball geht.“

FAS-Interview mit Oliver Bierhoff

Verprellt

Jan Christian Müller (FR) befaßt sich mit dem Impuls Klinsmanns auf die Bundesliga: „Vielleicht kann die verwegene Spielweise des deutschen Nationalteams doch vorbildlich für die Bundesliga werden und ein Umdenken bewirken bei jenen, die sich noch verprellt fühlen von der Kritik, die Klinsmann, Oliver Bierhoff und Joachim Löw in den vergangenen Tagen immer wieder in Richtung der Klubs formuliert haben. Einige Vereins-Verantwortliche müssen sich diesen Schuh nicht anziehen. Aber sie sind in der Minderheit. Noch.“

Daniel Cohn-Bendit (taz) sagt: „Wer immer anarchistisch ist, das ist Klinsmann. Er hat ideal ausgewechselt. Alle müssten wegen der Aufstellung von Odonkor auf die Knie vor Klinsmann. Klinsmann – das ist Anarchie. Sich etwas auszudenken für die letzte halbe Stunde, wenn die anderen müde sind, dann brauche ich diesen Überraschungseffekt. Und das ist Odonkor.“

Clever

Oskar Beck (StZ) hält den Klinsmann-Nörglern ihre Worte aus der Vergangenheit vor: „Franz Beckenbauer strahlt den ganzen Tag. Er hat geheiratet, die Sonne scheint, wir werden Weltmeister – und mit keinem störenden Wort erinnert der Kaiser daran, dass er den Bundestrainer unter großer Anteilnahme von Bild (‚Franz macht Klinsi platt!‘) noch im März derart gesteinigt hat, dass Klinsmann heute noch stöhnt: ‚Es war lehrreich zu sehen, wie man mich kippen wollte. Es war lehrreich zu sehen, mit welcher Freude da einige 18 oder 19 Monate Arbeit kaputtmachen wollten.‘ Johannes B. Kerner bringt es in der ZDF-Arena jetzt nicht übers Herz, seinen Experten Beckenbauer danach knallhart zu fragen – und erinnert sich auch seiner eigenen Dialoge mit Klinsmann (‚Müssen Sie Ihre Zielsetzung Weltmeister nicht korrigieren?‘) in jenen zerstörerischen Zeiten nur dunkel. Günter Netzer macht es ebenfalls clever. Als ARD-Experte gibt er sich so nachdenklich tiefsinnig, dass ihn mit dem gleichnamigen (und klinsmannkritischen) Bild-Kolumnisten Günter Netzer keiner mehr verwechselt. Und Stefan Effenberg, der als WM-Experte durch Premiere geistert, verdrängt seine Schlagzeilenvergangenheit als Bundestrainervernichter (‚Weg mit Klinsi! Holt Hitzfeld!‘) komplett – mitunter erweckt er sogar den Eindruck, als halte er Klinsmann gegen alle Heckenschützen den Rücken frei.“

Klinsmann hat immer recht

Peter Stützer (WamS) ergänzt: „Klinsmann hat immer recht. Nicht, daß er das behaupten würde, aber was will man ihm noch vorhalten? ‚Jetzt wollen wir auch Weltmeister werden‘, sprach er noch einmal. Was ihm vor Monaten noch als Größenwahn ausgelegt worden war, ist heute eine Selbstverständlichkeit. Zwischen Wollen und Können liegen manchmal Welten, der WM-Titel wäre deshalb eine ziemlich gute Pointe auf sein Tun, die letzte Pointe, die vorletzte hat er am Freitag gesetzt. Als Jens Lehmann zwei Elfmeter der Südamerikaner gehalten hatte, war auch die letzte Personalentscheidung des Bundestrainers aufgegangen: die Berufung des Torhüters. Das hatte sogar Oliver Kahn eingesehen. Merke: Klinsmann hat immer recht. Hallo Christian Wörns (‚Falschspieler‘)! Hallo Peter Neururer (‚Lehrling‘). Hallo Sepp Maier (‚Schleimer‘)! Erinnern wir noch mal kurz, wirklich ganz kurz, an all die Nörgler, die in den Monaten vor der WM nichts Besseres zu tun hatten, als den Bagger oder sonstwas aufzureißen, um Klinsmann ohne besseren Wissens an den Karren zu fahren. ‚Eine reine Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme für ehemalige Nationalspieler‘, hatte Rudi Assauer gemosert, als Klinsmann berufen wurde. Das Zitat nur noch mal für den Fall, das der Zigarrenkopf von sich geben sollte, das habe er schon immer gewußt, daß Klinsmann ein Guter sei. Assauer ist mittlerweile übrigens geschaßt worden. Er wäre für eine Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme ganz dankbar. Klinsmanns Karriere als Bundestrainer ist bislang eine ziemliche Achterbahn gewesen, es ging rauf wie runter, zumindest in der öffentlichen Betrachtungsweise. Er selbst hat seinen Plan einigermaßen gradlinig durchgezogen, das Unternehmen Weltmeisterschaft akribisch vorbereitet, sich mit WM-reifen Beratern umgeben, auf moderne Management- und Marketingmethoden zurückgegriffen, und er hat bereits jetzt bewiesen, daß Erfolg planbar ist. (…) Von Klinsmanns Planungen hat man vor dem Turnier gewußt, auch von seinen personellen Vorstellungen. Was verwundert ist, daß beinahe alles so gekommen ist, wie von ihm ausgedacht. Es ist ein Projekt vom Reißbrett, das trotzdem Emotionen weckt.“

Noch besser hätten wir es gefunden, wenn die Springer-Zeitung Welt am Sonntag auch die zwei größten Giftspritzen genannt hätte: die Bild-Zeitung und die Sport Bild.

Internationale Pressestimmen

Genuss für Taktikliebhaber

Flurin Clalüna (NZZ) unterstreicht die Nüchternheit des Spiels: „Was eine Halbzeit lang geschah, war die öffentliche Darstellung eines Geheimpaktes, dessen einziger Inhalt nur eines gewesen konnte – man musste sich bereits vor Matchbeginn freundschaftlich auf ein Elfmeterschiessen verständigt haben. Offensichtlich war es im Fall der Deutschen, die den Ball gar nicht erst haben wollten. Es spielte ein deutsches Team, das es nach der Klinsmann’schen Indoktrination der letzten Wochen eigentlich gar nicht mehr hätte geben dürfen – ängstlich, passiv, risikoscheu. Doch auch die Argentinier verloren sich im Querpass und der Selbstbeschränkung. Der Ball verliess die neutrale Zone fast nie, das Spielfeld schien virtuell verkleinert, so sehr wurden die beiden Strafräume zu Tabuzonen erklärt. Exzellent standen nur die beiden Verteidigungsreihen; in Genuss kamen einzig die Taktikliebhaber.“

Gründlichkeit

El Mundo aus Spanien schreibt beeindruckt: „Deutschland wächst immer weiter. Vergessen sind die Traumata und kritischen Stimmen vor der WM, die deutsche Mannschaft hat sich erneut in die größte Bedrohung für alle Titelfavoriten verwandelt. Diesmal ließ die bestätigte Gründlichkeit von Klinsmann und seinen Jungs Argentinien auf der Strecke – in einem nervenaufreibenden Elfmeterschießen, bei dem die Mannschaft ihre Kaltblütigkeit präsentiert hat. Argentinien fummelte von Anfang an nur herum. Riquelme gab den phlegmatischen Rhythmus vor, in dem der Tango getanzt wurde.“

Vielleicht hätte England einen deutschen Teamchef engagieren sollen

Der Daily Mirror beantwortet die deutsche Torwartfrage: „Die Deutschland-Fans, die Jens Lehmanns Stärke bezweifelten, müssen nun eingestehen, daß sie falsch lagen. Und Kahn, der ewige Feind von Lehmann, ist unter den ersten Gratulanten des neuen, deutschen Helden.“ Der Independent empfindet es nicht als Überraschung, daß Deutschland das Elfmeterschießen für sich entscheidet: „Jose Pekerman betrügt das Talent seines Teams, indem er sie dazu zwingt, die Führung auszusitzen. Klinsmann hingegen schart seine Truppe zusammen und wird belohnt, als Miroslav Klose den Ausgleich erzielt. Das führt zum Elfmeterschießen – und jeder weiß doch, daß die Deutschen das Elfmeterschießen immer gewinnen.“ Auch die Times geht näher auf die typische Stärke Deutschlands ein: „Jens Lehmann wächst mit dem Ereignis. Nur ein deutscher Torhüter kann Bälle von Cambiasso und Ayala halten. In einer Nacht, in der es aussah, als hätte sie das Momentum verlassen, kehren sie zurück zur Freude mit endlosem Rennen, überwältigendem Willen und der außergewöhnlichen Tradition, brillante Elfmeter zu schießen. Vielleicht hätte England einen deutschen Teamchef engagieren sollen.“ Die Daily Mail warnt die künftigen Gegner: „Man kann die Deutschen nicht im Elfmeterschießen besiegen. Wenn es dazu kommt, zum letzten Test der Nerven, der Geschicklichkeit und der Sehnen – Bang! Bang! Bang! Bang! Und du bist draußen! (…) Das war ein Viertelfinale, das viel zu früh kam. Die Argentinier fluchten, weil sie den schweren Heim-Brummer so früh als Gegner bekamen.“ Der Independent ist begeistert von dem deutschen Spiel: „Dieses deutsche Team ist bemerkenswert, ausgestattet mit Seele und Selbstbewußtsein. Unter den eifrigsten Fans ist ihre Kanzlerin, Angela Merkel (…). Ballack treibt seine Mannen nach vorne. Dieses Spiel war mehr als Fußball. Es entwickelte sich zu einem der größten Tests des Willens.“

Der Antiheld entscheidet

(sh) Die beiden großen italienischen Tageszeitungen sind sich einig: „Italien ist schön“ (La Repubblica), „Italien ist groß“ (Corriere della Sera) und: „Jetzt ist Deutschland dran!“ (beide unisono auf ihren Titelseiten). Die Online-Ausgabe der Repubblica wird noch deutlicher: „Jetzt ist es an Deutschland, Angst vor Italien haben!“. Auf den Innenseiten geht die psychologische Kriegsführung weiter, nichts scheint mehr unmöglich: „Deutschland, da sind wir!“ – immer wieder: „Bella Italia!“ – „Buffon zu Wundern fähig!“ – „ Jetzt ist alles möglich, Lippi euphorisch“ (Überschriften aus La Repubblica) und: „Deutschland – auf uns beide!“ – „Lippi jauchzt: Wehe, wir geben uns jetzt zufrieden!“ – „Italien siegt auf der ganzen Linie, fliegt zum Halbfinale und muß sich angesichts des Spiels der anderen nicht mehr schämen. Der nächste Gegner wird die deutsche Mannschaft sein, die nur mit Elfmetern vorwärtsgekommen ist.“ (Corriere della Sera). Die Mailänder Tageszeitung widmet dem Argentinien-Spiel eine Seite. Unter dem Titel „Lehmann der Held, Argentinien von Deutschland bestraft“ heißt es: „Deutschland erobert das Halbfinale, Deutschland ist noch nicht über alles, ist aber auf alle Fälle über Argentinien. Jens Lehmann läuft diesmal nicht, wie er es in Dortmund getan hat, 35 Meter, um Marcio Amoroso zu packen. Jens Lehmann hält zwei Elfmeter der Argentinier und bringt Deutschland ins Halbfinale. (…) Keine große, aber eine solide Mannschaft.“ Unter dem Motto „Der Triumphator“ versucht sich der Kommentar an einer Entschlüsselung des „Klinsmann-Geistes“, der das ganze Land erfaßt habe: „Deutschland geht ins Paradies und Jürgen Klinsmann ist der Prophet. Als Jens Lehmann den Elfmeter von Esteban Cambiasso hält, öffnet er nicht nur das Tor zum Halbfinale in Dortmund, sondern er setzt auch das Siegel unter die deutsche Revolution. Der WM-Traum geht weiter und nährt das enthusiastische Delirium von Millionen Menschen, die kurz nach der entscheidenden Parade vom Olympiastadion in die Straßen aller Städte und Dörfer strömen. Von Hamburg bis Bayern, von der Hauptstadt bis zum Rhein, die Deutschen scheinen auf einmal in jenes Jahr 1989 zurückversetzt, als der Fall der Mauer und das Ende der Teilung sie zum „glücklichsten Volk der Erde“ machte.“

„Festa Germania“ heißt es in La Repubblica und: „Lehmann, der Antiheld entscheidet“: „Es gewinnt der Mann, der gar nicht hätte da sein sollen. Es entscheidet der Torhüter, den in ganz Deutschland nur ein Mann im Tor wollte. Nur weil dieser Mann der Bundestrainer ist, steht Jens Lehmann im Tor. Er hat zwei Spezialitäten: Er läßt vermeidbare Tore durch, und er pariert Elfmeter. Was von ihm bleiben wird, ist der Sprung, mit dem er die Tore erst von Ayala und dann von Cambiasso abwehrt. Und das Gesicht, mit dem er sich entfernt, nachdem er die Mannschaft ins Halbfinale gebracht hat. Er schreit nicht, er wechselt nicht den Ausdruck, er bewegt nur den Finger, als wolle er sagen: So macht man das. Er ist nicht überschwänglich und nicht glücklich, er hat einfach seinen Job gemacht.“ In der römischen Tageszeitung wird in einem zweiten Artikel die in italienischen Augen zentrale Eigenschaft der deutschen Mannschaft durchleuchtet: „Die, die niemals nachgeben“ heißt es in der Überschrift. Und: „Der Grund für diese unbeugsame Zähigkeit, die sie von anderen unterscheidet, ist in ihrer DNA zu suchen, in ihrer Geschichte, wer weiß wo. Tatsache ist, daß sie immer so sind: im Fußball wie in anderen Dingen, sie geben nie nach, auch wenn sie technisch unterlegen sind – wie gestern gegen Argentinien. (…) Klinsmann hat eine richtige Fußballmannschaft geschaffen, auch wenn der Rohstoff nicht von exzellenter Qualität war. Diese Gruppe ist sich einig.“

SZ: Internationale Pressestimmen

faz.net: Internationale Pressestimmen

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