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Bundesliga

Der HSV verloren im Haifischbecken der europäischen Großklubs

Oliver Fritsch | Montag, 21. August 2006 Kommentare deaktiviert für Der HSV verloren im Haifischbecken der europäischen Großklubs

Der 2. Spieltag der Saison 06/07 im Pressespiegel: Charakterloser Khalid Boulahrouz? / Die Hamburger Personalpolitik / Häßliches Gewinnenwollen in Cottbus? / Diego und Almeida, zwei weitere Belege für die gute Sichtung der Bremer / Sergej Barbarez belebt Leverkusen / Nürnberg gewinnt nur noch knapp / Aachen reif für die Bundesliga? / Berlin stürmt jugendlich / Mainz taktisch stärker als Dortmund

Thema aller Bundesliga-Leitartikel ist der Transfer des Hamburgers Khalid Boulahrouz nach Chelsea und damit die Personalpolitik und Zukunft des Hamburger SV. Die Kommentatoren legen den schlimmen Verdacht frei, Boulahrouz habe vor dem Champions-League-Spiel gegen Osasuna vor zwei Wochen eine Verletzung simuliert, um seinen Wechsel erst zu ermöglichen. Hintergrund: Wenn er mitgespielt hätte, dürfte er in dieser Saison für keinen anderen Verein in einem internationalen Wettbewerb mehr spielen; Chelsea hätte wohl das Interesse verloren oder zumindest weniger gezahlt.

Die Verantwortlichen aus Hamburg nähren mit mancher Aussage diese Spekulation, etwa Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer: „Es gibt Gründe für den Verkauf, die nicht nur wirtschaftlicher Natur sind.“ Jan Christian Müller (FR) deutet diese Worte: „Boulahrouz hat das Vertrauen der Hamburger Verantwortlichen gebrochen. Niemand aus dem Klub darf es offen aussprechen, daß er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein fürchterliches Schauspiel aufführte.“ „Früher, als es im Fußball nicht nur um Kohle ging, nannte man so etwas charakterlos“, ergänzt Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger) angewidert. Auch Matthias Wolf (BLZ) wendet sich vom Holländer ab: „Es scheint ein Trend zu sein, wonach Verträge im Profifußball nicht mehr das Papier wert sind. Der Fall Boulahrouz zeigt zudem, wie schwarz manche Profi-Seele womöglich ist.“ Müller erschrickt vor der Kaltblütigkeit desjenigen, der den Transfer initiiert hat: „Der Öl-Millardär Roman Abramowitsch setzt den kümmerlichen Rest an fairem Wettbewerb, der dem Weltfußball noch geblieben ist, vollends außer Kraft. Das Geschäft wird zusehends schmutziger und gnadenloser. Aber es brummt.“

FAZ (Hintergrund)

Noch lange nicht die Klasse für den Angriff auf Bayern

Wolf ist bereit, den Meisterschaftsdritten aus dem Vorjahr sehr rasch aus der Liste der Titelanwärter zu streichen: „Der HSV ist gerade dabei, in wenigen Wochen all das zu verkaufen, was mal seine Zukunft sein sollte, und hat noch lange nicht die Klasse für den Angriff auf Bayern.“ Roland Zorn (FAZ) hat die Fans im Sinn und hält das Hamburger Primat des schnellen Gelds für moralisch und ökonomisch falsch: „Zurück bleibt ein Klub, der fieberhaft nach Ersatz fahndet und mit menschlichen Spekulationsobjekten kurz entschlossen wie an der Börse zu handeln scheint. So aber wird die Bindung an den Fan und Konsumenten nicht gerade gestärkt. Wer immer in Hamburg nach der vergangenen Saison an den kontinuierlichen Aufbau eines neuen, international starken Teams geglaubt hat, sieht sich fürs erste getäuscht. Vorausgesetzt, es spielten nicht auch andere Gründe für den Weiterverkauf des Holländers eine gewichtige Rolle, wird es dem HSV nicht leichtfallen, Kredit beim Publikum zurückzuerobern. Die Fans nämlich begreifen ihren Hamburger SV immer noch zuerst als Herzenssache – und nicht vor allem als reinen Wirtschaftsbetrieb.“

Frank Heike (FAS) stellt in Frage, daß die Hamburger schon die Statur haben, ihren Anspruch zu erfüllen, unter die zwanzig besten Mannschaften Europas zu stoßen: „Auf dem Weg in die europäische Spitze müssen sich die zuletzt so erfolgreichen Verantwortlichen des Hamburger SV in diesen Wochen vorkommen wie Vertreter eines netten, kleinen Ausbildungsvereins, der davon lebt, woanders übersehene Talente mühsam und aufwendig zu veredeln und sie dann zu vergolden – nämlich für viel Geld zu verkaufen, ohne finanziell auch nur irgendwie mit den Großen der Branche mithalten zu können. Doch was kann ein verschuldeter Klub wie der HSV machen, wenn die Konkurrenz mit den Schecks wedelt und die Profis immer mehr wollen? Der Hamburger SV: verloren im Haifischbecken der europäischen Großklubs.“

Monopoly

Ein Auge auf Werder Bremen, vertraut Jörg Marwedel (SZ) hingegen auf das Scouting der Hamburger und vermutet, die Einnahme von dreizehn Millionen Euro werde sich auszahlen: „Der Transfer mag kurzfristig für Turbulenzen sorgen – im vorübergehend geschwächten Team ebenso wie unter den HSV-Fans. Nüchtern betrachtet ist diese Art von Monopoly die einzige Chance für einen deutschen Klub, genügend Geld zu sammeln, um im Wettbewerb mit internationalem Großkapital annähernd Augenhöhe zu erlangen. Werder Bremen hat das mit seiner Sichtungsabteilung schon länger vorgeführt und mit der Verpflichtung von Diego eindrucksvoll unterstrichen. Auch der HSV verfügt in diesem Bereich inzwischen über ähnliche Qualität und ist vorbereitet auf den Abschied von Boulahrouz.“

Für Freunde des Trash-Fußballs war’s ein einziges Fest

Winning ugly in Cottbus? Javier Cáceres (SZ) beschreibt die „fisimatentenreiche Rückkehr der Lausitz auf die Bühne Bundesliga“ beim 2:2 gegen Hamburg: „So wie Malcolm X in den sechziger Jahren die Freiheit der Schwarzen in den USA by any means necessary erobern wollte, also unter Verwendung aller Mittel, so versucht dies der FC Energie in Bezug auf das Saisonziel Klassenerhalt. Das Repertoire der kleinen Häßlichkeiten wurde im Stadion der Freundschaft fast vollends ausgeschöpft. ‚Bin ich hier auf dem Dorf oder bei einem Bundesligaspiel?‘, fragte Thomas Doll, weil ‚kurz vor dem Aufwärmen nur noch auf unserer Hälfte die Rasensprenkler an und unsere Bälle nicht ordentlich aufgepumpt waren‘. Zum ersten Punktgewinn der Saison kam Energie aber mehr durch den weitgehenden Verzicht auf Ballbesitz zu Gunsten der Konzentration auf den erbarmungslosen Kampf um die Grasnabenhoheit, durch bisweilen illegale Härte beim Tackling und durch ostentative Weinerlichkeit bei Grätschen des Gegners. Alles zwecks Agitation des Publikums, Destabilisierung des Gegners und Irreführung des Referees. Ist nun das Verderben auszurufen?“ Cáceres sucht nach einem historischen Vergleich für die Cottbuser und kritisiert den Schiedsrichter: „Ist Energie der Spreewald-Wiedergänger von Estudiantes de La Plata – jener Schurken-Mannschaft um Argentiniens späteren Nationalcoach Bilardo, die ihre Gegner in den 60ern sogar mit Stecknadeln piesackte? Klar ist, daß Referee Günter Perl seinen Anteil hat an der fröhlichen Urständ der Perfidie. Gerechtigkeit übte er nur insofern, als er an den falschen Stellen weiterspielen ließ und an den falschen Stellen unterbrach. Für Freunde des Trash-Fußballs war’s ein einziges Fest.“

BLZ: Cottbus hat ein wenig in die Psychokiste gegriffen

Alles andere als brotlose Kunst

Benno Schirrmeister (taz) beglückwünscht die Bremer zu den Transfers von Diego und Almeida: „Der Sieg gegen Leverkusen ist vor allem der erneute Beweis, daß Sportdirektor Klaus Allofs mit relativ bescheidenen Mitteln seit bald einem Jahrzehnt die vielleicht beste, in jedem Fall aber glücklichste Transferpolitik der Liga betreibt.“ Heike (FAZ) fügt hinzu: „Selten ist ein Fußballprofi so schnell von den Fans adoptiert worden wie Diego. Bei Werder ist das bemerkenswert, weil Diego dem vier Jahre auf oft höchstem Niveau spielenden Johan Micoud folgt und insofern durchaus Objekt kritischer Vergleiche hätte sein können. Hätte: Durch seine zweite Gala im zweiten Spiel hat sich Diego bis auf weiteres in die Herzen der Fans gezaubert. Und da er alles andere als brotlose Kunst abliefert, mögen ihn auch die nüchternen Punktezähler im Kreise der Anhänger schon; diejenigen, die an Micoud vor allem die Effizienz schätzten. Es scheint, als könne Diego beides.“

Angestachelt

Heike applaudiert dem Neu-Leverkusener Sergej Barbarez, stichelt damit gegen die Hamburger und verrät ein pikantes Detail aus Barbarez‘ Vertrag: „Es ist ein Vergnügen zu sehen (außer, man ist HSV-Fan), wie der 34 Jahre alte Barbarez die Stürmer durch schöne Pässe zur Geltung bringt und mit dem jungen Kießling harmoniert. Beeindruckend, wie Barbarez die ihm zugedachte Führungsrolle ausfüllt. Der Bosnier ärgert sich später nicht allzusehr über die Niederlage. Vielleicht war die Vorfreude auf Heimaturlaub der Grund: Barbarez hat sich in den Vertrag schreiben lassen, den Sonntag und den Montag nach Samstagsspielen in der Villa an der Elbe bei der Familie zu verbringen.“

Richard Leipold (FAZ) stellt Barbarez als einen starken, weil gekränkten Spieler vor: „Der Bosnier gilt als Charakterkopf, wie er Bayer die meiste Zeit gefehlt hat; als Mann, der mit der Mentalität eines Räuberhauptmannes ausgestattet ist; dessen Körpersprache bei Gegnern und Schiedsrichtern nicht ohne Wirkung bleibt. Barbarez hat noch Hunger – nicht zuletzt, weil der Hamburger SV nach sechs Jahren Dienstzeit das Preis-Leistungs-Verhältnis für nicht mehr stimmig hielt. Barbarez sei zu alt und zu teuer, fanden kühle Kaufleute. Dieser Verlust an Wertschätzung dürfte einen stolzen Menschen wie ihn hart getroffen und über das bloß Pekuniäre hinaus angestachelt haben, in den vermutlich letzten beiden Jahren seiner Karriere an die Leistungsgrenze zu gehen.“

Heynckes möchte am liebsten Gladbachs Meyer werden

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) tritt nach dem 1:0 gegen Mönchengladbach auf die Nürnberger Bremse: „Bei nüchterner Betrachtung war es ein glücklicher Arbeitssieg. Ihm haftete nichts Berauschendes an wie noch beim 3:0 über den VfB Stuttgart. Und wer allein die Eindrücke vom Freitag hochrechnet, müßte zu dem Schluß kommen, daß die Borussen am Ende der Saison in der Tabelle vor den Franken landen.“ Christof Kneer (SZ) erkennt bei beiden Teams die Prägung ihrer Trainer: „Die Nürnberger sind unter Meyers Händen so viel besser geworden, daß inzwischen sogar der Mittelfeldspieler Polak an Vitteks Statt auf Rechtsaußen herumtrickst, als habe er nie etwas anderes getan. Es scheint, als könnten nicht mal solche Umstellungen die Automatismen stören. Heynckes möchte am liebsten Gladbachs Meyer werden, und wer die Fortschritte sieht, die seine Elf schon jetzt gemacht hat, mag das nicht für ausgeschlossen halten.“

Phonetisch verausgabt

Philipp Selldorf (SZ) fällt die schwache Leistung Kevin Kuranyis beim 1:0 der Schalker in Aachen auf: „Der gefallene Nationalspieler Kuranyi schickt sich an, ein Fall zu werden, seine Angst vor dem Ball gerät zur behandlungsbedürftigen Neurose. Daß ihn Mirko Slomka nach Krstajics Feldverweis überhaupt bis in die Halbzeit mitnahm und statt seiner Rafinha auswechselte, war ein Wagnis, das sich nur durch therapeutische Erwägungen erklären ließ.“ Roland Zorn (FAZ) schildert zunächst, welchen starken Eindruck der Tivoli bei allen Gästen hinterlassen hat: „So viel Leidenschaft, so viel Lautstärke, so viel Nähe, so viel Emotion rund um einen Bundesliga-Spielplatz sind sonst vielleicht nur noch in Mainz oder beim FC St. Pauli zu spüren. Die Schalker, allen voran der sichtlich nervöse Kuranyi, zeigten sich in der ersten Hälfte schwer beeindruckt oder wie der Serbe Krstajic erkennbar gereizt.“

Auch Daniel Theweleit (taz) befaßt sich mit dem Aachener Stadion: „Eine merkwürdige Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und Undefinierbarem hat sich da mit Alemannia in die Bundesliga geschlichen. Wie fast überall träumt man von einer großen Zukunft in einer neuen Arena, doch die Gegenwart präsentiert sich als Zeitreise in die Vergangenheit. Der Tivoli, das Stadion des Klubs, ist eine echte Kuriosität, ein Anachronismus, der Nostalgiker in wehmütige Melancholie zu versetzen vermag. Für den modernen Fußballkonsumenten wirkt ein Besuch des Tivoli, an dem seit fünfzig Jahren kaum etwas verändert wurde, wie der Ausflug in ein Fußballmuseum.“ Gregor Derichs (FAZ) verweist auf die Schatten der ach so sympathischen Aachener Gastlichkeit: „Diese Hingabe nimmt zuweilen grenzwertige Züge an. Überschritten wurde das Limit beim Zweitligaspiel gegen den 1. FC Nürnberg im November 2003, als Club-Trainer Wolfgang Wolf von einem von den Rängen geworfenen Gegenstand am Kopf getroffen wurde.“ Zorn schreibt die Alemannia fast schon ab: „Immer wieder schimmerte durch, daß die Alemannia bei aller Begeisterung noch viel näher an der Zweiten als an der Ersten Liga ist. Selbst die bedingungslose Gefolgschaft auf den Rängen der altertümlichen Arena schien sich in den ersten 45 Minuten phonetisch verausgabt zu haben. Ob die Alemannia noch die rechte Balance findet, den Kraftakt Bundesliga erstklassig zu stemmen? Der erste Auftritt daheim hinterließ Zweifel.“

FR: Alemannia Aachen schenkt gegen Schalke das Spiel her und sich ein wenig Hoffnung ein

Erlebnis- statt Ergebnisfußball

Ronny Blaschke (FR) erlebt gegen Hannover ein vitalisiertes Berlin: „Der 4:0-Sieg bot nicht nur gute Unterhaltung, er hinterließ auch eine revolutionäre Erkenntnis: Hertha BSC besitzt nach Jahre langen Stürmer-Fahndungen wieder eine Offensive ohne Gänsefüßchen.“ Torsten Haselbauer (FAZ) stimmt ein: „Erlebnis- statt Ergebnisfußball, die Abkehr von dem oft funktionalen Allerweltsfußball der vergangenen Jahre, das sind die Glücksversprechen, die das Hertha-Management im Jahr eins nach Marcelinho für diese neue Bundesligaspielzeit ausgegeben hat. Die Hoffnungen scheinen berechtigt zu sein. (…) Das leblose Ensemble aus Hannover kam nie über die Rolle eines harmlosen Erfüllungsgehilfen hinaus.“

Was mit intelligenter Taktik alles zu erreichen ist

Das große Lob Freddie Röckenhaus‘ (SZ) für Jürgen Klopp nach dem 1:1 seiner Mainzer in Dortmund ist auch ein Seitenhieb auf den Dortmunder Trainer Bert van Marwijk: „Wie schon häufig zu beobachten, waren auch die Mainzer den Dortmundern mannschaftstaktisch überlegen. Mit den vermeintlich schwächeren Einzelspielern erzielte Klopps Elf vor allem in der zweiten Halbzeit einen relativen Gleichstand. Bedenkt man, daß Mainz seine vier wichtigsten Offensivspieler zu Saisonbeginn ersetzen mußte, konnte Dortmunds Anhang nur staunen, was mit intelligenter Taktik alles zu erreichen ist. Interessant die Vorstellung, was einer wie Klopp wohl bei einem Verein erreichen könnte, der sich teure Transfers leisten kann wie Borussia Dortmund.“ Felix Meininghaus (Tsp) weist Mainz den Weg nach oben: „Das vermeintliche Karnevalsensemble präsentierte sich als grundsolide Mannschaft, die auch im dritten Jahr ihrer Bundesligazugehörigkeit eine Bereicherung für die höchste Spielklasse ist. Mittlerweile agiert das Team mit dem Selbstverständnis, nicht mehr nur der Emporkömmling zu sein, der ab und zu mal ein paar Punkte sammeln darf. Die Mainzer fühlen sich als Etablierte, die Ansprüche formulieren.“

BLZ: Dortmunds teure Spieler fügen sich nicht zum Team

FAZ: Thurk, Streit und Kyrgiakos – unglückliches Heimdebüt für Eintrachts Neuzugänge
FR: VfL Wolfsburg, „blutleer wie eh und je“

SZ: Bericht über das schwere Startprogramm für die drei Aufsteiger

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