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Den Fans ist es egal, in welchen Töppen ihre Spieler auflaufen

Oliver Fritsch | Montag, 21. August 2006 Kommentare deaktiviert für Den Fans ist es egal, in welchen Töppen ihre Spieler auflaufen

Der „Schuhkrieg“ in der deutschen Presse

Der „Schuhkrieg“, ein schönes Thema für alle Redaktionen. Die SZ belustigt sich auf der einen Seite über „den Schuh des Miro“; und Javier Cáceres schreibt: „Wie ernst der Konflikt geraten war, ließ sich nicht nur an der Miene Oliver Bierhoffs ablesen, sondern auch an seinen Worten. Er klang, als stünde der DFB kurz davor, die UN vorsorglich um die Entsendung von Blauhelmen zu ersuchen: ‚Wir hoffen alle, daß wir das Problem friedlich lösen können.‘“

Auf der anderen Seite erhellt die SZ den ökonomischen Hintergrund der Story; Philipp Selldorf kommentiert die zu erwartende Entscheidung, daß die Pflicht, die Schuhe des Hauptsponsoren zu tragen zu tragen, aufgehoben wird: „Diese Lösung wird nicht nur den DFB Geld kosten, weil der bisherige Exklusiv-Vertrag neu definiert werden muß, sondern auch die meisten Spieler. Ihre Entlohnung für Einsätze im Nationalteam erfolgt über Prämien sowie über den Erlös aus einem Marketingpool, in den die DFB-Sponsoren zahlen – unter anderen der Hauptgeldgeber Adidas. Zum Jahresende gibt es außerdem Abschlagszahlungen aus Lizenzgebühren, die ebenfalls vor allem von Adidas geleistet werden. Das Sportartikelunternehmen erzielte Rekordumsätze während der WM. So ergibt sich die Situation, daß durch die Aufhebung des Schuhmonopols einzelne Spieler einen finanziellen Vorteil haben, das Gros der Mannschaft aber Einbußen erfährt. Für Harmonie im Team sorgt das nicht, zumal die Debatte um das Schuhwerk entgegen bestehender, interner Absprachen aufkam und überraschend rigoros ausgefochten wurde. Vor der WM hatte es, wie aus mehreren Quellen zu erfahren ist, eine Abmachung zwischen Spielern, ihren Agenten und den Verantwortlichen des Nationalteams gegeben, daß das Schuh-Thema erst nach dem Turnier wieder zur Sprache kommen sollte – allerdings auf dem Verhandlungsweg und nicht per Ultimatum, wie geschehen.“

Machtkämpfen in Übergangsphasen von einem Chef zum anderen

Zunehmend gerät der DFB-Manager Bierhoff ins Visier der skeptischen Presse; Selldorf blickt in dessen Verträge: „Kritisch wird auch die Verwicklung Bierhoffs gesehen, der seit zehn Jahren als Werbeträger mit Nike liiert ist und offiziell erst seit diesem Monat keine Geschäftsverbindung mit dem amerikanischen Unternehmen unterhält.“ Die Welt fügt hinzu: „Besonders fragwürdig ist Bierhoffs Rolle. Ein möglicher Boykott wurde schlagzeilenträchtig lanciert und eine Drohkulisse aufgebaut. Als Mannschaftssprecher traten Jens Lehmann, Miroslav Klose (beide bei Nike unter Vertrag) und Torsten Frings (von Nike umworben) in den Vordergrund. In dem verletzten Kapitän Michael Ballack und dem zurückgetretenen Oliver Kahn fehlten dagegen zwei Meinungsführer, die persönliche Verträge mit Adidas haben. Eine günstige Konstellation für eine konzertierte Aktion. Ein hochrangiger Adidas-Vertreter ist der Ansicht, daß dies von dem ‚Doppelagenten beim DFB‘ ausgenutzt worden sei. Gemeint ist Bierhoff, der sich bereits als Nationalspieler für freie Schuhwahl stark gemacht hatte. Und pikant wirkt, daß er bis vor kurzem selbst auf der Gehaltsliste von Nike stand.“

Die FAZ beurteilt die Aufsässigkeit der Spieler als Zeichen des vollzogenen Trainerwechsels; Jürgen Klinsmann galt immer als Befürworter des Adidas-Monopols. Michael Ashelm stört sich an der kühlen Geste der Spieler: „Wenn die alte Leitfigur weg ist, in deren starken Händen bisher die entscheidenden Strippen zusammengelaufen waren, beginnt für viele Beteiligte auch die Phase neuer Machtkonstellationen. Von Boykott war die Rede – eigentlich unvorstellbar, nachdem die Nationalspieler aus der Hand des Bundespräsidenten das Silberne Lorbeerblatt für ihre vorbildlichen Leistungen erhalten hatten.“ Roland Zorn befaßt sich mit den Folgen für den neuen Bundestrainer: „Der Aufstand illustriert wieder einmal, daß es in Übergangsphasen von einem Chef zum anderen wie in jedem Betrieb leicht zu Machtkämpfen, Kraftproben und Kompetenzstreitigkeiten kommen kann. Vor allem nach Wochen, die in ihrer himmlischen Sonn- und Feiertagsstimmung im Blick zurück unwirklich schön anmuten. Joachim Löw wird der Aufbruch zu neuen Zielen schwergemacht.“

Unternehmer in eigener Sache

Christoph Metzelder nimmt auf seiner Website Stellung zu der Chose und verabscheut die dicken Schlagzeilen: „Wenn man manchen Pressevertretern glauben will, tobt in der Nationalmannschaft das, was man auf dem Boulevard vollmundig als ‚Schuhkrieg‘ bezeichnet. Abgesehen von dem Begriff, der ziemlich daneben ist, finde ich die gesamte Art der Berichterstattung der Bild-Zeitung in dieser Sache unerträglich. Vor allem kann ich es nicht stehen lassen, daß immer so getan wird, als würde es uns Spielern nur ums Geld gehen.“ Weiter verweist er auf die angebliche Verletzungsgefahr, die darin bestehe, in ungewohnten Schuhen zu spielen: „Wir wollten es vor unserer WM nicht so weit kommen lassen, deswegen haben wir damals auf die Diskussion verzichtet. Allerdings hatten wir auch die Zusage, daß nach dem Turnier endlich über dieses Thema gesprochen werden würde. Wir reden hier nicht von der Qualität der Schuhe. Es geht darum, daß zum Beispiel Jens Lehmann von 90 Pflichtspielen 80 mit einem Paar Schuhe macht – und 10 mit einem anderen. Es kann nicht sein, daß wir nur deswegen gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen. Miroslav Klose etwa hatte während der WM Probleme mit den Fußgelenken – und die ließen sich auf das ungewohnte Schuhwerk zurückführen. Wir spielen eben Fußball, unsere Schuhe sind unser wichtigstes Arbeitsmaterial. Da kann man sich einfach keine Kompromisse erlauben. Im Übrigen sind die Zahlen, die in den letzten Tagen in der Bild kolportiert wurden, völlig falsch.“ Das einleuchtendste Argument fällt gar nicht: daß man in anderen Schuhen schlechter spiele, und sei es nur, weil man fest daran glaubt.

Marcus Theurer (FAZ/Wirtschaft) erwidert das beliebte Argument vom Gesundheitsrisiko fremder Schuh: „Daß es in dem bizarren Schuhstreit nicht um Blasen an den Füßen, sondern um Geld geht, ist offensichtlich. Auch die Frauen-Elf des DFB trägt geschlossen Adidas-Schuhe. Doch während Klose und Lehmann jammern, bereitet zarten Damenfüßen das derbe Schuhwerk aus Franken offenbar keinerlei Probleme.“ Zorn zeigt Verständnis für die „Liberalisierung“ des Schuhmarkts: „Der eigennützige Freiheitsdrang hin zu dem proklamierten Ziel, auf eigenen Füßen und Stollen zu stehen, ist verständlich. Die eben noch nach allen Regeln der Harmonielehre wie die Weltmeister gefeierten DFB-Auswahlgrößen sind wenige Wochen nach dem nationalen Erweckungserlebnis WM wieder Unternehmer in eigener Sache – auch wenn es um Deutschland geht. Schritt für Schritt sind sie dabei, ein fränkisches Monopol auszuhöhlen, das nicht zwangsläufig zur inneren Grundausstattung eines Nationalspielers gehören muß.“ Markus Hesselmann (Tsp) raunt: „Bei den nächsten Vertragsverhandlungen sollte sich der DFB nach den Wünschen seiner wichtigsten Angestellten richten und das überkommene Schuhmonopol aufgeben. Vielleicht erinnert sich der Präsident ja wieder an die WM-Stimmung. Die haben nicht DFB-Funktionäre verbreitet, sondern deutsche Fußballer. Und deutsche Fans, denen es egal ist, in welchen Töppen ihre Spieler auflaufen.“

Christian Gödecke (SpOn) hat die Schlagzeilen gesammelt, die Bild und Sport Bild im letzten Jahr für Nike und gegen Adidas und damit gegen Klinsmann gezimmert haben; letzte Woche jedoch lautet es in Bild scheinheilig: „Zurecht warnt Theo Zwanziger davor, daß solche Machtkämpfe die schöne WM-Stimmung kaputtmachen können. Das darf auf keinen Fall passieren! Es muß für jeden Fußballer immer eine Frage der Ehre sein, für Deutschland zu spielen – und nicht eine Frage der Schuhe.“ Michael Ashelm (FAZ) gibt nach dem Schweden-Spiel Entwarnung, denn die Zuschauer habe der Hickhack nicht gejuckt: „Der sogenannte Schuh-Krieg, der schließlich ohne größere Verwerfungen in ein friedliches Abkommen zwischen Nationalmannschaft und Verband mündete, belastete keinesfalls die Atmosphäre in der Schalker Arena. Wenn dafür gekämpft wird und die Tore fallen, hält das Fußballvolk ruhig – von wegen geldgierige Millionäre. Die Nationalmannschaft schwimmt weiterhin auf einer Welle der großen Sympathie.“

Nike-Sprecher Olaf Markhoff sagt im FR-Interview, warum jeder Fußballer seine Schuhe selbst wählen soll

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