indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Fortsetzung: Es ramelowt und wörnst nicht mehr

Oliver Fritsch | Montag, 4. September 2006 Kommentare deaktiviert für Fortsetzung: Es ramelowt und wörnst nicht mehr

Facharbeiter

Joachim Löw bietet weniger Angriffsfläche als Jürgen Klinsmann und kommt vielen deutschen Sportjournalisten nicht so fremd vor; der Sieg hilft Löw, Klinsmanns Schatten zu entweichen. Kneer billigt Löws Wandel der Leitkultur: „Die deutsche Nationalmannschaft ist auf einer anderen Emotionsebene angekommen. Es liegt jetzt wieder ein strenger Kabinengeruch über den Pressekonferenzen, im deutschen Fußball redet man wieder über Sport. Es ist wahrscheinlich wieder mal Zeit geworden für einen Sportlehrer, so einen hatte der deutsche Fußball schon lange nicht mehr. Der Vorgänger Klinsmann war Motivationscoach, der Vorvorgänger Rudi Völler war Vertrauenslehrer. Der eine hat die Spieler so angestachelt, daß sie besser spielten, als sie eigentlich konnten; der andere hat sie so mit Wärme vollgepumpt, daß sie bessere Ergebnisse erzielten, als sie eigentlich verdient hatten. Beides hatte seine Zeit, aber jetzt geht es in erster Linie darum, die emotionalen Erfolge auf ein fachliches Fundament zu stellen. Diese unfertige wie ausbaufähige Elf ist eine schöne Aufgabe für einen Tüftler wie Löw.“

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Prediger, Guru

Andreas Rüttenauer (taz) nimmt den Irland-Sieg zum Anlaß, dem Amerikaner einen schönen Gruß zu schicken: „Es wird ruhiger werden um die Person des Bundestrainers. Löw versteht sich als Fußballfachmann. Seine Welt ist die der Taktik. Seine Welt ist klein. Redet Löw vom großen und ganzen, dann meint er nicht mehr als das Spiel auf dem Platz. Er wird der Nation keinen Mentalitätswandel verordnen wollen wie Jürgen Klinsmann, der den ohnehin schon großen Fußball noch größer geredet hat, indem er sich zum penetrant gut gelaunten Lautsprecher der Alles-muß-anders-werden-in-diesem-Land-Prediger aufgeschwungen hat. Er ist auch kein Volkstribun wie Rudi Völler, der die Arbeit der Medien als Scheißdreck bezeichnen und deshalb die Lufthoheit über den Stammtischen verteidigen kann.“

Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann Klinsmann etwas konkretes über Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft gesagt haben soll. Ich kann mich nur an das eine oder andere Interview erinnern, in dem er Antworten auf solche Fragen abgelehnt hat, etwa mit Rund, und daran, daß Klinsmann der Feier fernblieb, an der er das Bundesverdienstkreuz erhalten sollte. Es sind eher die Leitartikler der großen Zeitungen gewesen, die Klinsmanns Arbeit als Vorbild für die deutsche Politik empfohlen haben; die Gelegenheit, mit Horst Köhlers Hand auf seiner Schulter Merkel und Müntefering ein paar Ratschläge zu erteilen, hat Klinsmann ausgelassen. Nebenbei, alle, die Klinsmann mit einem Guru vergleichen, sei die Frage gestellt: Tritt ein Guru zurück, wenn Millionen ihm zu Füßen liegen?

Keine Verlängerung der Weltmeisterschaft

Wie läufts mit dem Public Viewing? Sebastian Priggemeier (FAZ) stößt auf dem Stuttgarter Schloßplatz mit den Iren an: „Irische Fußballfans muß man sich in etwa so vorstellen wie Oranje-Fans der Holländer, nur ganz in Grün: grelle Farben, bizarre Hüte, helle Haare; laute Gesellen mit derbem Dialekt und Spaß am Fußball. So viel Spaß, daß sie gleich ihre eigenen Bälle auspackten und wild durch die Innenstadt jagten.“ Roger Repplinger (SpOn) räumt die leeren Flaschen zusammen: „Die Iren haben eine legendären Ruf als Stimmungskanonen, sie sind die besten Gäste: Lädt man einen ein, kommen dreißig, die alles weg trinken, die Platten leer putzen, traurige Lieder singen und die teure Vase zerdeppern, die man nicht mag. Wenn sie gehen, ist man froh – und freut sich aufs nächste Mal.“ Das angebliche WM-Fieber, das viele Medien, etwa die ARD, gemessen haben wollen, spürt Priggemeier jedoch nicht: „Spät kommt der rettende Impuls: Podolskis Freistoß bringt die 30.000 Herzen auf dem Schloßplatz wieder in den WM-Takt. Reanimation geglückt, Public Viewing lebt. Die angekündigte ‚Verlängerung‘ der Weltmeisterschaft war das Fan-Fest jedoch nicht.“

Selten fiel ein Kapitän so kraß gegenüber seinen Kollegen ab

Zur Einzelkritik: Die FAZ tätschelt Manuel Friedrich für seinen „willensstarken, aber auch sportlich fast schon routinierten Auftritt mit Führungsfähigkeiten. Der Mainzer, in den Zweikämpfen nahezu fehlerfrei und mit erstaunlicher Ruhe gesegnet, hat bei seinem Debüt von Beginn an gleich sein Reifezeugnis abgelegt.“ Die FAS schwärmt von Bernd Schneider: „Der beste deutsche Spieler bis zur Pause. Technisch wundervoll, körperlich stark und immer gewillt, das deutsche Spiel schnell zu machen. Im ersten Abschnitt in WM-Form, dann ließ er etwas nach.“ Kritik muß sich Michael Ballack anhören; die FTD schimpft ihn und steckt ihn mit Torsten Frings in einen Sack: „Bei der WM diente das defensive Mittelfeld als Geheimnis des Erfolges; jetzt war es die Gefahrenzone. Es lebte von Wucht und Witz, von Kraft und Kreativität; jetzt produzierte es furchterregende Fehlpässe, die zehn Meter am Ziel vorbeigingen. Frings und speziell Ballack boten eine wirklich schlechte Leistung.“ Die FR unterscheidet: „Frings ist es trotz der heftigen Gegenwehr aber gelungen, sich nach langem Anlauf ins Spiel zu beißen. Ballack schaffte das nicht. Selten fiel ein Kapitän der deutschen Nationalelf so kraß gegenüber seinen Kollegen ab wie er.“ Immerhin, Philipp Selldorf (SZ) betont Ballacks Anteil am Siegtor: „Hätte Ballack von seinem Kapitänsrecht Gebrauch gemacht (§ 3, Artikel 1: Das Freistoß-Privileg), dann hätten die Deutschen wohl weiterhin auf den Führungstreffer warten müssen. Er hätte den Ball in die dichte irische Menschenmauer gesetzt. Oder weit übers Tor. Das stand fest. Man wußte es einfach. Da aber Ballack ein kluger Spieler ist, hat er es selbst gewußt.“

FAZ: Lukas Podolski trifft wieder
FR: Der von Klinsmann verpönte Manuel Friedrich spielt an der Seite von Arne Friedrich, als wäre er schon immer dabei
WamS: Michael Ballack über das neue Ansehen des deutschen Fußballs im Ausland, seine ersten Eindrücke aus London und Jürgen Klinsmanns Erbe

NZZ: Das Fest ist vorbei – Weltmeister Italien stolpert über Litauen (1:1)

TspaS: Über die neuen Richtlinien der Uefa gegen Reklamieren

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