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Bundesliga

Blasse und blutlose Bayern

Oliver Fritsch | Freitag, 10. November 2006 Kommentare deaktiviert für Blasse und blutlose Bayern

Das 0:1 des Meisters gegen Hannover und die anderen Mittwochsspiele der 11. Runde im Pressespiegel

Das 0:1 der Bayern gegen Hannover veranlaßt die Presse, unerbittliche Bilanzen zu erstellen. Heinz-Wilhelm Bertram (BLZ) kramt in der jüngeren Vereinsgeschichte und wirft der Führung vor, das Leistungsprinzip geschwächt, wenn nicht sogar abgeschafft, zu haben: „Seit dem 6. Februar 2002, dem Tag der 1:2-Niederlage beim FC St. Pauli mit anschließender Scampi-Affäre verkneift es sich Uli Hoeneß, öffentlich Druck auf die Spieler auszuüben. Mit genau dieser Politik schaffen die Bosse den Spielern eine Freizone, die diese genüßlich auskosten. Die Leidenschaftslosigkeit, die kollektive Antriebslosigkeit und die stets gut kaschierte Anspruchslosigkeit, die dieser Mannschaft infiltriert wurden, dürften für den ehrgeizigen Owen Hargreaves ein wichtiges Motiv für seinen Wunsch zu wechseln sein. Rummenigge und Hoeneß haben sich mit dem Gesamtsystem arrangiert. Sie möchten sich nicht unbeliebt machen. Sich nicht dem Vorwurf aussetzen, daß sie in den vergangenen Jahren kein feines Näschen und kein glückliches Händchen bei den Neueinkäufen gehabt hätten. Die Krise der Mannschaft ist eine Krise des Vorstands.“

Peter Penders (FAZ) returniert den Osterhasen-Nikolaus-Aphorismus des Bayern-Managers und schreibt ihm zudem die Lücke Ballack ins Stammbuch: „Hoeneß wird diesen Satz vielleicht noch bereuen – nach Lage der Dinge wird man ihn bei diversen Saisonrückblicken wieder und wieder zu hören bekommen. Bis dahin ist noch etwas Zeit, und vielleicht bekommen die Bayern ja noch die Kurve. Bis Sonntag war es laut Hoeneß nur eine böse Erfindung der Medien, daß der Rekordmeister, sagen wir es mal höflich, derzeit etwas holprig in der Bundesliga daherkommt. Wer künftig noch einmal auf die Schnelle den Blutdruck des Managers in die Höhe treiben will, muß aber vermutlich nur mal den Namen Ballack fallenlassen. Den glaubten die Bayern sowieso überschätzt und leicht zu ersetzen. Aber möglicherweise war der Nationalmannschaftskapitän sogar in München doch mehr als nur ein torgefährlicher Mittelfeldspieler.“

Kleinlaut

Andreas Lesch (BLZ) verlangt mehr Innovation und Tatendrang von Felix Magath: „Böte der Trainermarkt Alternativen, würde München sich jetzt wohl an einer lebhaften Trainerdebatte erfreuen. Magath verantwortet schließlich nicht nur einen gruseligen Saisonauftakt. Er muß sich auch vorhalten lassen, daß sich kaum ein Spieler unter seiner Führung positiv entwickelt hat. Magath ist der Trainer des selbsternannten deutschen Branchenführers. Wenn er so uninspiriert wirkt wie jetzt, muß sich niemand mehr über die internationale Bedeutungslosigkeit des deutschen Fußballs wundern.“

Andreas Burkert (SZ) registriert geschockt die Blässe und Blutlosigkeit der Bayern: „Nach der peinlichen Niederlage, begleitet von erstaunlich heftigem Unmut der Kundschaft gegen die ideen- und leidenschaftslosen Profis und erstmals auch gegen Magath, sollten sich die Bayern hinterfragen, auf welche Automatismen sie sich überhaupt noch verlassen können. Zur Gewohnheit wird allein das Versagen eines häufig apathischen Kollektivs, das nach spielerischen Lösungen sucht – und das sich an niemandem aufrichten kann. Ein schüchternes Ballgeschiebe produzierte Bayern über 90 Minuten. Wie sie ihr verkrampftes, seelenlosen Bemühen in Souveränität verwandeln wollen, wissen sie selbst nicht. Auch Magath wirkte matt und ratlos und erinnerte sogar daran, daß Bayern vor Saisonbeginn eine neue Bescheidenheit ausgerufen hatte. So kleinlaut hat man die Münchner lange nicht mehr vernommen.“

Vielsagender Jubel?

Der Schalke-Sieg in Mönchengladbach steht im Schatten der Slomka/Rost-Debatte. Daß der versetzte Torhüter in den Jubel beim 2:0 einbezogen worden ist (und der Trainer nicht), werten viele Journalisten als Affront. Andreas Morbach (Tsp) schreibt über Gustavo Varela: „Weil alle seine Kollegen mit ihm mitstürmten und keiner daran dachte, auch den Rost-Degradierer Mirko Slomka einzubeziehen, wirkte das Ganze wie eine konzertierte Spieleraktion, die den Trainer bloßstellen sollte.“ An anderer Stelle heißt es: „Die Profis machen Slomka lächerlich.“ Die FAZ titelt: „Gefeierter Ersatztorwart Rost, einsamer Cheftrainer Slomka“. Sicher, es war eine Geste Varelas an Frank Rost, vielleicht auch gegen den Trainer. Doch was an dieser Debatte über den angeblich vielsagenden Jubel unverständlich ist: Erstens handelte es sich, gemäß den TV-Bildern, nur um den Torschützen, einen zweiten Spieler und ein paar Umstehende, die sich um Rost versammelten – von einer Solidaritätsbekundung der „ganzen Mannschaft“ kann keine Rede sein. Zweitens ist es doch unüblich, nach dem Tor seinem Trainer an den Hals zu springen. Das würde sich mancher Trainer sogar verbitten. Drittens muß man dem Torjubel von Fußballern nicht unbedingt so viel Bedeutung beimessen, sondern ihn als das betrachten, was es ist: der Ausbruch von Adrenalin.

Daß Rost nun auf der Bank sitzt, bleibt aber erklärungsbedürftig; war es nicht, laut Schalker Führung, jahrelang mindestens ein Skandal, daß er nicht in der Nationalmannschaft spielt? Frank Hellmann (FR) hat sich mal umgehört: „Allenthalben wird erwartet, daß sich bald ein prominenter Rost-Freund zu Wort meldet: Rudi Assauer. Zugleich kursieren Verschwörungstheorien. Die Verantwortlichen, heißt es da, warteten nur auf einen Wutausbruch von Rost, um den Kontrakt auflösen und 2007 einen ablösefreien (und angepaßteren) Schlußmann (Timo Hildebrand, Robert Enke) nach Gelsenkirchen lotsen zu können. Der Ex-Kapitän hüllt sich in Schweigen, doch es ist ein offenes Geheimnis, daß ihn die mehr politisch als sportlich motivierte Degradierung tief getroffen hat.“

Philipp Selldorf (SZ) ist die Schwäche der Gladbacher ein paar Zeilen wert: „Die Begegnung der extrem ersatzgeschwächten Borussia mit Schalke entsprach nur formell dem Vergleich zweier Bundesligateams, tatsächlich bestand zwischen den Parteien ein Unterschied wie zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert. Den Schalkern erging es wie zwei Wochen zuvor den Leverkusenern: Beim besten Willen konnten sie nicht anders als zu gewinnen, und diese Gegebenheit erkannten auch die Zuschauer an. So oft konnten sie gar nicht pfeifen, wie die überforderten Gladbacher Spieler Fehlpässe spielten.“ Und auf den Sieg sollten sich die Schalker nicht allzuviel einbilden, meint Selldorf: „Daß sie die blanke Not des Gegners nicht besser ausgenutzt haben, sollte den Schalkern eigentlich eine Fairplay-Plakette einbringen. Allerdings hatten Kuranyi, Lövenkrands und Halil Altintop keineswegs freiwillig ihre Chancen zu einem halben Dutzend Kontertoren verschwendet. Wie sie sich dabei gegenseitig übertrafen in immer neuen Tölpeleien, das wäre eigentlich schon wieder einen ordentlichen Fan-Protest wert.“

Schwache Signale aus dem Tabellenkeller

Richard Leipold (FAZ) sieht nach dem 1:3 gegen Leverkusen bereits die Bochumer Lichter ausgehen: „Der jüngste Auswärtssieg gegen Hannover 96 ist spurlos an den Bochumern vorbeigegangen. Fünf Tage später kickten sie wieder ohne jedes Selbstvertrauen. Auf den Rängen schlägt die Ratlosigkeit allmählich in Resignation um. Kurz nach dem Abpfiff legte sich gespenstische Stille über das Stadion. Auch dem Stehplatzpublikum wird allmählich bewußt, daß es nicht (nur) am Trainer liegt. Koller ist kein Unterhaltungskünstler; kein Mann, der die Wärme ausstrahlt, die den VfL früher einmal ausgezeichnet hat. Diese Eigenschaften mögen wünschenswert sein, aber bei der Quadratur des Kreises helfen sie letztlich nicht. Die Qualitätsfrage gilt mehr der Mannschaft als dem Trainer.“ Ulrich Hartmann (SZ) fügt hinzu: „Der VfL Bochum sendet nur noch schwache Signale aus dem Tabellenkeller.“

Entertainer

Von allen Seiten belächelt und gerügt wird der Berliner Josip Simunic, weil er beim Führungstreffer der Bielefelder das Spielen und Laufen einstellte, nachdem er die Fahne des Linienrichters gesehen hatte. Dazu eine Ergänzung: Verwerflicher ist doch, daß er sich überhaupt erst zum Linienrichter umgedreht (und zwar um mehr als 180 Grad) hat. Allerdings: Recht hatte Simunic schon. Es war kein passives, sondern aktives Abseits, weil Torschütze Zuma einen Vorteil aus seiner Position zog; von einer neuen Spielsituation konnte keine Rede sein. Josef Kelnberger (SZ) fordert ohnehin Applaus für Simunic: „Beim HSV glänzte er, damals Ersatzspieler, mit einer Solonummer in der Halbzeit. In langen Sequenzen drosch er den Ball immer wieder mit voller Wucht kerzengerade in den Hamburger Himmel. Volley, ohne die Kugel zu stoppen oder springen zu lassen. Noch heute reden die Fans davon. Bei der WM 2006 tat sich Simunic mit Schiedsrichter Graham Poll zusammen. Der zeigte ihm im Spiel gegen Australien eine Gelbe Karte, dann noch eine, dann eine dritte. So gilt Joe als erster WM-Teilnehmer, der in einem Spiel dreimal Gelb sah. Nun halten viele den langen Kroaten für den Trottel des Tages, weil er eine Grundregel des Fußballs mißachtete: Weiterspielen, bis der Schieri pfeift. Dabei sollte man ihn als Entertainer feiern.“

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