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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Großmacht mit Worten

Oliver Fritsch | Montag, 13. November 2006 Kommentare deaktiviert für Großmacht mit Worten

Der 12. Spieltag im Pressespiegel: Bayern München fühlt sich nach dem 3:2 in Leverkusen zu allem bereit (FAZ) / Die Schalker Paranoia, ein Grundstein des Erfolgs gegen Mainz (Tsp) / Nur 1:1 gegen Gladbach, der HSV sitzt in der Klemme / Geht Werder die Kraft aus? / Arminia Bielefeld, „eine graue Maus nimmt Farbe an“ (SZ)

Der „Erfindungsmeister“ Bayern München feiert seinen 3:2-Erfolg in Leverkusen mit euphorischen Worten, kündet Großtaten an, und Michael Horeni (FAZ) hält sich die Säcke zu: „Es gibt im Sport neben der Geißel Doping auch noch zahlreiche andere, wenngleich viel harmlosere Formen des Selbstbetrugs, und eine davon bekommt man in der Bundesliga fast jede Woche unter die Nase gerieben: die Erfindungen von Hochleistungen nach dem Spielschluß. Der FC Bayern etwa, deutscher Rekordmeister in der Realität, ist auch in dieser Übung meisterhaft. Bis Samstag 17.09 Uhr waren die Münchner, man darf die Verdrängungskünstler noch einmal daran erinnern, drauf und dran, ihren schlechtesten Saisonstart seit 1974 noch weiter auszubauen. Aber nun, wo der Abstand zu Werder Bremen nur noch drei Punkte beträgt, fühlen sich die Münchner schon wieder als künftige Großmacht. Ob sie selbst daran glauben, was sie der Fußball-Welt erzählen? Der meisterliche Selbstbetrug gelingt jedenfalls nur dann, wenn die Bayern nicht den Maßstab anlegen, der für Spitzensportler eigentlich selbstverständlich sein sollte: den Blick auf die eigene Bestleistung – und nicht auf die Konkurrenz.“

Innerer Zusammenhalt durch einen imaginären Feind von außen

Die gute Gemeinschaftsleistung beim 4:0 gegen Mainz führt Richard Leipold (FAZ) auch darauf zurück, daß sich Schalke einen Feind im Äußeren geschaffen habe, um ihr Zusammenleben im Inneren zu kitten: „Der Verfolgungswahn scheint auch seine gute Seite zu haben. Die Annahme, von den Medien ungerecht behandelt zu werden, wirkt offenbar identitätsstiftend. Seit mehr als einer Woche nun boykottieren die Spieler des FC Schalke die Medien. Ob Zufall oder nicht – seitdem ist der Einheitswert wieder die Bemessungsgrundlage ihres Erfolges. Sie schweigen gemeinsam, und sie gewinnen gemeinsam. Sogar Frank Rost, der ausgebootete Torwart-Routinier, macht mit. Statt herumzustänkern, griff er in der Halbzeitpause zur Harke und ließ dem Rasen ein wenig Pflege angedeihen. Alle sind lieb zueinander, nur die Reporter sind böse – dieser kleinste gemeinsame Nenner schweißt die Gelsenkirchener Einzel-Unternehmer zusammen.“ Über eine schlechte Presse sollten sich die Schalker, wirft Ulrich Hartmann (SZ) ein, jedoch nicht beklagen: „Die Stille zwischen Spielern und Medien tut dem Klub nicht gut, denn sie generiert Schlagzeilen, über die sich Mirko Slomka, Andreas Müller und Josef Schnusenberg aufregen. ‚Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, kein Kindergarten!‘, sagte Schnusenberg zu jüngst publizierten Spekulationen über Zwietracht im Team, vergaß aber zu erwähnen, daß sich die Angestellten im Unternehmen dann auch nicht aufführen sollten wie im Kindergarten.“

Große Krise

Nach dem 1:1 gegen Mönchengladbach – Andreas Lesch (BLZ) fragt sich, wie sich Hamburg aus der Verklammerung befreien kann: „Die merkwürdigste Trainerdebatte des deutschen Fußballs geht weiter. Sie verläuft genau andersherum, als es für die Branche üblich ist: In Hamburg diskutiert niemand, ob der Trainer gehen muß. Jeder fleht, daß er doch bleiben möge. Die Frage ist nicht, ob die Mannschaft noch für den Trainer spielt, sondern ob der Trainer noch für die Mannschaft spielt. Doll kann sich, dem Abwärtstrend zum Trotz, offenbar nur selbst entlassen. Er war in der Vergangenheit die Symbolfigur des Aufschwungs, nun scheinen Spieler wie Vorstand zu fürchten, daß sich ohne ihn der Niedergang der Gegenwart beschleunigen würde. Doll hat das Team geprägt, niemand ist in Sicht, der diese Prägung fortführt.“ Auch Stefan Hermanns (Tsp) widmet sich dem Hamburger Trainer: „Als beide Mannschaften vor ziemlich genau zwei Jahren, kurz nach Dolls Amtsantritt, aufeinandertrafen, wurde der damalige Gladbacher Trainer Dick Advocaat gefragt, ob die kumpelhafte Art von Doll nicht erfolgreicher sei als sein distanzierter Umgang mit den Spielern. Advocaat ist in Mönchengladbach längst nur noch eine schlechte Anekdote, doch damals antwortete er, wenn man von Anfang an auf Distanz achte, müsse man bei Mißerfolgen sein Verhalten gegenüber der Mannschaft nicht ändern. Genau vor diesem Problem steht Doll jetzt.“

Frank Heike (FAZ) warnt die Vereinsführung, sich noch weiter von ihren Spielern zu distanzieren: „Selten ist die Abhängigkeit der Verantwortlichen eines Bundesligavereins von den Leistungen der Profis (und Unwägbarkeiten wie Verletzungen und Formschwächen) so deutlich gewesen wie derzeit beim HSV: Die Partie gegen das auswärtsschwächste Team der Liga, sollte endlich die Wende zum Besseren werden. Was aber passierte? Der ängstliche HSV verkrampfte und brachte kaum einen Ball vors Tor der Gäste. Längst sind die Profis als Schuldige für den Niedergang des HSV in den Fokus der Verantwortlichen gerückt. Längst gibt es deutliche Worte an ihre Adresse.“ René Martens (FTD) leidet mit Rafael van der Vaart: „Was die Offensive betrifft, gibt es wenig Grund zur Hoffnung, weil nicht abzusehen ist, daß van der Vaart bald nennenswerte Unterstützung bekommt. Der Kapitän war erneut bester Spieler des HSV; er verkörperte die Leidenschaft, die Vorstandschef Hoffmann gefordert hatte. Und doch steht auch er als Sinnbild für die große Krise des Klubs: Denn aus dem Filigranfußballer ist in der Not ein Schwerarbeiter geworden.“

Am Ende der Kraft

Ralf Wiegand (SZ) fürchtet, beim 1:3 gegen Dortmund festgestellt zu haben, daß Bremen die Puste ausgegangen sein wird: „Der Dortmunder Sieg entsprang, so bedauerlich das für die Westfalen ist, nicht unbedingt gewitzter Finesse, bewundernswertem Todesmut oder irgendwie erfrischendem jugendlichem Ungestüm. Nein, der Borussia reichten die länderspielreifen Reflexe ihres Torwarts Roman Weidenfeller und eine konzentrierte Defensivleistung, um den favorisierten Gegner im Zaum zu halten. Die Borussia stand halt ganz gut – und Werder einfach auf dem Schlauch. Fragt sich bloß, warum. Einiges spricht dafür, daß am Ende der Kraft noch zu viel Jahr übrig ist. Werder wird wohl doch nicht mit jener Zwangsläufigkeit Weihnachtsmeister werden, die sich in zuvor zehn Pflichtspielen ohne Niederlage angekündigt hatte. (…) Werder dürfte eher ein physisches denn psychisches Problem plagen.“ Frank Heike (FAZ) hingegen nimmt nicht an, daß sich Werder aus der Ruhe bringen lassen werde: Bremen lieferte einen weiteren Beleg dafür, wie ausgeglichen diese Bundesliga ist – nicht einmal Werder hat die Stabilität und Souveränität, unangefochten vorneweg zu marschieren. Das hat in Bremen allerdings auch niemand erwartet, und insofern nahmen die Verantwortlichen diese Niederlage ganz gelassen hin.“

Eine graue Maus nimmt Farbe an

Arminia Bielefeld und – vor allem – Thomas von Heesen sind die neuen Lieblinge der Presse. Ralf Weitbrecht (FAZ) sieht den 3:0-Sieg in Frankfurt und freut sich über das organische Wachsen der Arminia: „Den Vereinsrekord, der sie zugleich bis auf Rang 5 der Tabelle geführt hat, nehmen sie nur beiläufig zur Kenntnis. Wichtiger ist von Heesen, dem Baumeister der erstaunlich souveränen, fast schon perfekten Konterfußball praktizierenden Bielefelder, die kontinuierliche Gesamtentwicklung. (…) Die Wertschätzung, der sich von Heesen erfreut, ist groß und macht auch vor der Mannschaft nicht halt. Glänzend von ihrem Trainer gegen die zum Teil ermattet wirkende Eintracht eingestellt, zeigten die Bielefelder, angetrieben durch miteinander harmonierende Mannschaftsteile, eine starke Leistung.“ Thomas Becker (SZ) bestaunt eine Metamorphose: „Eine graue Maus nimmt Farbe an.“

Kernige Truppe

Arne Boecker (SZ) schreibt über das 0:0 der Cottbuser in Wolfsburg und den Kontrast zwischen Form und Inhalt: „Cottbus trat in Trikots mit gülden glitzernden Applikationen auf, und Torwart Piplica trug eine Kluft in Grellorange, die ihn aussehen ließ wie einen Textmarker auf zwei Beinen. Alles Verkleidung! Energie ist eine kernige Truppe mit einem knochenseriösen Trainer. Nach einem guten Drittel der Saison lautet die Zwischenbilanz: Cottbus ist in der Bundesliga angekommen.“

taz: Klaus Augenthaler kann sich mit dem 0:0 gegen Cottbus anfreunden, gemessen an den Saisonzielen steht seine Mannschaft gut da; Probleme macht nur das Toreschießen

Tsp: Hertha lobt sich selbst für die Moral, Rückstände aufzuholen – doch zu oft gerät das Team ins Hintertreffen

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