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Bundesliga

Mit Teamgeist und Zusammengehörigkeitsgefühl zum Titel

Oliver Fritsch | Montag, 21. Mai 2007 Kommentare deaktiviert für Mit Teamgeist und Zusammengehörigkeitsgefühl zum Titel

Gunsthafte Gratulationen an den neuen Meister VfB Stuttgart / Kritik an der Stillosigkeit der Entlassung Klaus Augenthalers in Wolfsburg

Roland Zorn läßt im FAZ-Leitartikel auf Seite 1 seiner Euphorie freien Lauf: „In der Spielzeit nach der märchenhaften Weltmeisterschaft hat auch die Bundesliga eine wunderbare Geschichte zu bieten. Die Fachleute wurden widerlegt, die Fans in ihrer fiebrigen Sehnsucht nach Überraschungen und Sensationen bestätigt. Titelverteidiger Bayern spielte am Ende der vierunddreißigteiligen Erfolgsserie keine Rolle mehr. Mögliche Thronfolger wie Schalke 04, Werder Bremen oder der Hamburger SV verfehlten auf dem großen Sprung nach vorn ihr Ziel knapp oder überdeutlich. Zum Eroberer der Meisterschale stieg eine Mannschaft auf, mit der von vornherein weder Fachleute noch Fans gerechnet hatten: der VfB Stuttgart. So drehte der Fußball vor allem jenen eine lange Nase, die in dem unverbrüchlich beliebten Volkssport in erster Linie ein Geschäftsmodell mit sportlich kalkulierbarem Risiko sehen. Die an Kapriolen reiche 44. Auflage des Verkaufsschlagers Bundesliga bestätigte dagegen die unverzagten Romantiker der deutschen Fußball-Großgemeinde, die dieses Spiel deshalb lieben, weil es sich nicht vollends einhegen und zähmen läßt durch die Macht des Geldes.“

Im Sportbuch gibt Zorn allerdings das Risiko des Erfolgs zu bedenken: „Den VfB mag fast jeder, so sympathisch kommen die jungen Meister bei den Fans an. Wie auch ohne Stars und ohne Allüren größte Erfolge mit purem Teamgeist und selbstverständlichem Zusammengehörigkeitsgefühl gefeiert werden können, war eine der positiven Botschaften vom Samstag. Der VfB Stuttgart ist der Meister, der von der Basis kommt. Wird er es auch bleiben? Fußballromantiker mögen daran glauben, doch in der nächsten Saison, dazu gehört nicht viel Phantasie, wird für die Schwaben vieles ganz anders kommen. Die Ansprüche an die auch international in der Champions League geforderten Stuttgarter werden steigen und damit auch die Zahl der Kritiker, falls der VfB dort rasch an Grenzen stößt. Die im Augenblick bewundernswert leicht anmutende Balance der Meistermannschaft kann schnell aus ihrer Verankerung kippen, wenn auch in Stuttgart wie anderswo Neid und Mißgunst den Alltag eintrübten.“

Titelwürdige Windschattenqualität

Klaus Hoeltzenbein (SZ) bewundert die Außenseiterstrategie der Stuttgarter: „Gemerkt haben es alle erst, als es zu spät war. Zunächst waren die Stuttgarter für viele nur Verfolger, Verirrte gar, die nur zufällig dort oben in der Tabelle vorbeischauten. An der ersten Psycho-Hürde, so die Prognose, würden sie straucheln; sobald sie etwas zu verlieren hätte, sei die jüngste Mannschaft der Liga nervlich verloren. Es kam anders (…) Armin Veh habe seiner Gruppe zur Mitte der Rückrunde zehn Spiele lang immerzu, immergleich eines erzählt: Ja, wenn ihr das nächste Spiel gewinnt, ja dann, dann seid ihr vorne dran! So nahm der VfB ganz langsam Fahrt auf, saugte sich an Schalker und Bremer heran wie ein Formel-1-Bolide, der das Feld von hinten aufrollt und erst am Ende, auf der Zielgeraden, aus dem Windschatten heraus den Führenden überholt. Hinterradlutscher – sagen die Radsportler. Dort ist es verwerflich, beim VfB Stuttgart bekam es eine einmalige, titelwürdige Qualität.“

Ein selten souveräner Klassenerhalt

Was fehlt dem VfB noch zu echter Größe? Feinde, meint Stefan Osterhaus (NZZ): „Maßgeblich dürften es die Mitbewerber gewesen sein, die Stuttgart den Glauben an den möglichen Triumph schenkten. Auf leisen Sohlen schlichen sie sich heran. Es ist kein Team von herausragenden Individualisten, das Meister geworden ist. Sondern eines, das zur Stelle war, als die Konkurrenten in entscheidenden Matches die Angst vor dem Versagen nicht zügeln konnten. Stuttgart konnte vor allem dies besser. Und es lieferte Jubelbilder, wie sie wohl nur in Gelsenkirchen eindrücklicher hätten ausfallen können. Das eindrücklichste Bild der Saison allerdings lieferten solvente Anhänger von Borussia Dortmund. Als Schalke gegen Bielefeld versuchte, das Unmögliche möglich zu machen, tauchte über der Arena ein Flugzeug auf, das ein gelbes Spruchband mit schwarzer Schrift transportierte, auf dem, frei zitiert aus dem Schalker Vereinslied, geschrieben stand: ‚Ein Leben lang keine Schale in der Hand.‘ Schadenfreude von solchem Ausmaß, die muß sich der VfB selbst unter Nachbarn erst noch verdienen.“

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) schreibt den Stuttgartern ihre schwierige Ausgangslage vor der Saison gut: „Nie zuvor in der Geschichte der Bundesliga hat sich ein Abstiegskandidat so souverän den Klassenerhalt gesichert wie der VfB Stuttgart. Die Mannschaft ist eigentlich noch zu jung für die ganz großen Ziele, und sie hatte auch nicht genügend Zeit, um sich in einem gesunden Tempo zu entwickeln; doch gerade das macht die Leistung noch bewundernswürdiger.“

SZ-Portrait Armin Veh
FR-Portrait Veh

Ian Hawkey (Times) spricht von einem „Finale zum Fingernägelkauen” und ist nicht nur beeindruckt von „Iceman“ Hitzelsperger, sondern von einer Stuttgarter Mannschaft die „überraschend kaltblütig und reif wirkt, wenn man ihr zartes Alter bedenkt. (…) Trainer Armin Veh hat es nicht nur geschafft, die Schwächen von Bayern München und Werder Bremen, sowie die Versagensngst von Schalke 04 auszunutzen. Er hat es auch geschafft, eine Mannschaft zu verjüngen, die vor gar nicht langer Zeit eine Art Zufluchtsort für alternde Stars aus der englischen, spanischen oder italienischen Liga darstellte. Das Stuttgart, das letztes Jahr nur Neunter wurde und im Pokal an Schalke scheiterte, war das Stuttgart von Jesper Gronkjaer und Jon Dahl Tomasson. Die Stars sind mittlerweile weg, und in der gestrigen Startelf befand sich lediglich ein einziger Spieler über 29.”

Dilettantischer geht es nicht

Claudio Catuogno (SZ) kritisiert die Stillosigkeit der Entlassung Klaus Augenthalers in Wolfsburg, versteht aber den Grund für diese Entscheidung: „Vielleicht wird er den VW-Leuten mit einigem Abstand sogar dankbar sein für die Demontage von ganz oben – weil er nun als Opfer von profilierungsneurotischen Wirtschaftsbossen erscheint. So könnten neue Arbeitgeber leichter übersehen, daß Augenthaler in Wolfsburg tatsächlich wenig Spuren hinterlassen hat. In achtzehn Monaten hat er den Klub zweimal gerade so auf Platz 15 geführt (dabei steht der VfL in der Rangliste der Saisonetats auf Platz 8). Wenn man versuchte, sich mit ihm über seine Handschrift oder seine Spielphilosophie zu unterhalten, kam selten mehr als Allgemeinplätze heraus. Längst sorgte für Verwunderung, wie stoisch er an seiner Stammformation festhielt, ohne Alternativen zu prüfen. Erstaunen konnte deshalb nur die Art seiner Entlassung – und wie plötzlich sie am Ende kam. Daß Aufwand und Ertrag in Wolfsburg nun auch unter Augenthaler in krassem Missverhältnis standen, ist das eine. Doch daß seine Demontage vor allem Stephan Grühsem, dem neuen VW-Konzernsprecher, zuletzt fast schon Vergnügen zu bereiten schien, das andere.“

Frank Heike (FAZ) stimmt ein: „Augenthaler hat sich in Wolfsburg nichts zuschulden kommen lassen, schon gar nicht hat er so ein Ende verdient. Doch hat er den ambitionierten VfL keinen Schritt weitergebracht. Es wird für den Mann nach Augenthaler eine unbequeme Ausgangslage, sollte Grühsem, der Fußballstatthalter des VW-Chefs Martin Winterkorn (beide kamen zu Jahresbeginn von Audi), jetzt immer derart mitregieren wie in Sachen Augenthaler. Andererseits hat Grühsem natürlich recht, wenn er sagt, daß VW von seiner jährlich etwa 50 Millionen Euro teuren Tochtergesellschaft mehr erwarten dürfe als den ewigen Abstiegskampf. (…) Ein Verein, der nach dem 34. Spieltag ohne Trainer und Manager dasteht: dilettantischer geht es nicht.“

Tsp: Viele Fußball-Magazine tun sich schwer, den WM-Boom in den Bundesligaalltag mitzunehmen

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