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Bundesliga

Erkrankt am Peter-Neururer-Syndrom

Oliver Fritsch | Montag, 10. Dezember 2007 Kommentare deaktiviert für Erkrankt am Peter-Neururer-Syndrom

Pressestimmen zum 16. Spieltag: Ernst Middendorp bekommt von den Journalisten vehement Fehler in allen Bereichen vorgehalten, mit seiner Entlassung wird gerechnet; Ottmar Hitzfeld scheint unwiderruflich an Ansehen verloren zu haben; spektakuläre Bremer Niederlage in Hannover; Cottbus lebt wieder

Ulrich Hartmann (SZ) rechnet nach dem 1:6 in Dortmund mit Bielefelds Trainer ab – und mit dessen Entlassung: „Am Ende seiner dritten Amtszeit bleibt ein Rätsel, wie man den 1990 und 1998 schon zweimal bei der Arminia entlassenen Ernst Middendorp überhaupt ein drittes Mal als Trainer hat verpflichten und in einem offensichtlichen Prozess des mannschaftlichen Zerfalls so lange hat halten können. Im Frühjahr war er nach gelungenem Klassenerhalt noch als Aufwühler und Heißmacher gefeiert worden – aber seine bevorzugten Stilmittel der Provokation und der bewussten Verunsicherung der Spieler hat er mangels taktischer und mentaler Fachkompetenz offenbar überreizt. Middendorp wird an diesem Montag wahrscheinlich zum vierzehnten Mal seit 1985 einen Trainerjob verlieren und gehört dann offiziell zur Therapiegruppe der Trainer mit dem Peter-Neururer-Syndrom. Auffällige Mangelerscheinungen dieses Krankheitsbildes sind die fehlende Nachhaltigkeit in der fußballerischen Weiterentwicklung einer Mannschaft sowie der sukzessive persönliche Imageverlust durch medial verbreitetes Blendwerk.“

Thomas Kilchenstein (FR) bemängelt Middendorps Handwerkszeug: „Es sind nicht nur die Sprüche (‚Bayernjäger’) vom Anfang der Saison, die ihm jetzt um die Ohren gehauen werden. Nein, ‚Power-Ernst’ hat, viel schlimmer, in dieser Runde kein schlüssiges taktisches und spielerisches Konzept gefunden. Seine motivatorisch gemeinten Methoden, Hierarchien aufzubrechen, die Spieler in steter Unsicherheit zu wiegen, ständig die Aufstellungen zu wechseln, mögen kurzfristigen Erfolg bringen. Auf Dauer erweisen sie sich als lähmend. Vom einstigen Konzeptfußball, den die Ex-Trainer Uwe Rapolder und Thomas von Heesen hatten spielen lassen, ist nichts mehr zu sehen. Früher war die Arminia dafür bekannt, in der Defensive kompakt zu stehen. Spiele gegen Bielefeld galten als extrem unbequem, weil das Team nur ganz schwer auszuspielen war. Inzwischen steht in Ostwestfalen die Schießbude der Liga, 38 Gegentore sagen alles. 2:27 lautet die niederschmetternde Bilanz aus den letzten sieben Auswärtsspielen. Der große Zampano hat sich auf der Alm verbraucht. Wie eine Kerze, die von beiden Seiten brennt.“

Hitzfeld ist ein anderer Trainer geworden

Matti Lieske (Berliner Zeitung) spottet über das Unentschieden des Tabellenführers gegen den MSV Duisburg: „Tja, das ist nun ein bisschen dumm gelaufen für die Münchner Bayern. Was sollen sie jetzt bloß für die erneut unterirdische Leistung beim 0:0 gegen am Ende zehn Duisburger verantwortlich machen. Den Schock über die Olympiabewerbung ihrer Stadt? Den Verlust ihres unersetzlichen Abwehrbollwerks Valérien Ismaël? Oder die erschreckend gute Laune ihres Torwart-Methusalems Oliver Kahn, die eigentlich nur durch ominöse Vorgänge an fernen Orten wie Valencia oder dem nordöstlichen London erklärbar ist? Nicht einmal der hinterlistige Haxentritt von Duisburgs Idrissou konnte Kahn zu einer seiner weltweit geschätzten King-Kong-Adaptionen animieren. Die Standardausrede eines Uefa-Cup-Spiels am Donnerstag fällt diesmal jedenfalls aus, da die Spielplangestalter den Bayern diese Woche perfiderweise freigegeben hatten. (…) Vieles deutet darauf hin, dass das Problem eher in den Köpfen der Spieler steckt.“

Andreas Burkert (SZ) beschreibt den Ansehensverlust des Bayern-Trainers seit dem öffentlichen Rüffel durch die Vereinsführung und vermutet, dass es sein letztes Jahr in München sein könnte: „Nach dem 2:2 gegen Bolton ist Ottmar Hitzfeld ein anderer Trainer gewesen – ein vom Vorstand Rummenigge öffentlich wie intern bloßgestellter allemal. Dabei dürfte der öffentliche Tadel nur die Reaktion auf eine Entwicklung gewesen sein. Die Reaktion auf eine Degeneration. ‚Wir haben doch schon vorher einige Male mit dem Ottmar gesprochen’, hat Uli Hoeneß neulich erzählt, als er noch einmal zu Rummenigges Vorstoß Stellung nahm. Sie hatten den Trend zeitig kommen sehen. Und die Abhängigkeit vom Ideengeber Ribéry möchte der Klubvorstand dabei genauso wenig als Ursache akzeptieren wie die sich angeblich einschleichenden Redundanzen in der Trainingsarbeit; Hoeneß nennt sie vorsichtig ‚Kleinigkeiten’. Derlei Kritik am alten Hitzfeld ist schon einmal sehr offen formuliert worden – zum Ende seiner insgesamt sehr erfolgreichen Tätigkeit, im Frühjahr 2004. Vor zehn Monaten haben diese Vorbehalte jedoch überhaupt keine Rolle gespielt, die Bayern haben sich damals eingebildet, ein bestens erholter, vermeintlich neuer Hitzfeld könne mit neuen Bayern auch einen neuen Stil entwickeln. Doch inzwischen sehen sie, wie sogar der MSV die wichtige Querverbindung Toni/Ribéry kappen kann. (…) Man darf ganz unbedingt nicht gleich auf jedes Gerücht (etwa: Trainer Matthäus, Sportchef Hitzfeld) hören, das an der Säbener Straße weitergereicht wird. Doch wahrscheinlicher als eine Vertragsverlängerung ist dort wohl die nächste professionellste Trennung aller Zeiten. Noch zwei Spiele bleiben Hitzfeld, um das zu verhindern.“

Peter Heß (FAZ) bemerkt eine anhaltende Schwäche der Bayern: „Nicht nur die Momentaufnahme zeigt ein unschönes bayerisches Motiv. Die Bilanz der letzten sechs Bundesligaspiele fällt besorgniserregend aus: zwei Siege, drei Unentschieden, eine Niederlage, eine ausgeglichene Tordifferenz – eine solche Ausbeute mag Cottbus in Ekstase versetzen und Frankfurt in gehobene Stimmung. Die Münchner müssen sich fragen, was sie grundsätzlich falsch machen. Für jedes einzelne Ergebnis mögen mildernde Umstände angeführt werden können, keine einzige Leistung der vergangenen Wochen fiel unter die Rubrik peinlich oder blamabel. Aber schon die dauerhafte Abwesenheit von Dominanz muss die Bayern angesichts ihres spielerischen Potentials irritieren.“

Achterbahnfahrt

Roland Zorn (FAZ) will das spektakuläre 4:3 zwischen Hannover und Bremen von einer Schiedsrichterdiskussion befreien: „Mit Wolfgang Stark sind die Bremer überkreuz, seit der Referee vor vier Jahren bei Werders 1:4-Niederlage in Mönchengladbach ein rüdes Foul des Gladbachers Pletsch am damaligen Werder-Stürmer Markus Daun, der danach ein halbes Jahr lang keinen Fußball mehr anrühren konnte, nicht einmal mit einer Gelben Karte geahndet hatte. In Hannover verweigerte der Fifa-Schiedsrichter den Bremern mindestens einen zweiten Strafstoß nach Kleines Foul an Sanogo und entschied auch sonst auffällig oft im Zweifel gegen die Grün-Weißen. Andererseits steckte diese packende Partie zweier zu allem entschlossener Teams voller kniffliger Momente, die Stark da, wo die wichtigsten Entscheidungen zu treffen waren, meist richtig beurteilte. 96 und Werder fühlten sich ständig wie auf einer Achterbahnfahrt. Wäre den Niedersachsen aber früher auf einer solchen Tour schwindlig geworden, behielten sie diesmal ihr großes Ziel vor Augen. Auch Thomas Schaaf, dessen Gemütszustand sich rasch wieder eingepegelt hatte, verkannte nicht, Augenzeuge eines ‚tollen Spiels’ gewesen zu sein, doch dessen Umstände konnten ihm nur dann gefallen, wenn Werder blitzartig attackierte und kombinierte. Kam der Ball aber in den Bremer Strafraum, drohte auch sogleich extreme Torgefahr.“

Jörg Marwedel (SZ) weigert sich, das Match nur als verpasste Bremer Chance auf die Tabellenführung zu deuten: „Man konnte dieses Spiel aber auch aus seiner Bayern-Lastigkeit lösen und anmerken, dass die Bundesliga ein echtes Lokalderby zurückerhalten hat. Mit all den Nachbarschaftskonflikten, die dazu gehören, wenn man sich auf fast gleicher Augenhöhe trifft. Der zweite HSV war zuvor 35 Jahre nicht mehr gleichauf gewesen. Im April 1972 hatte Hans Siemensmeyer drei Tore zum letzten Sieg gegen Werder (5:1) beigesteuert – ein Urahn, den die meisten Stadionbesucher nie live gesehen haben.“

Müde

Frank Heike (FAZ) lässt Kraftverlust für den Hamburger Tormangel gegen Cottbus als Erklärung gelten: „Niemand konnte der Mannschaft vorwerfen, nicht alles versucht zu haben. Der klare Kopf und ein Konzept fehlten aber, wie dieser Gegner zu besiegen sei. Mit Überheblichkeit hatte es nichts zu tun, dass der HSV nicht näher an die ebenfalls patzenden Bayern und Bremer heranrückte. Drei Tage nach dem sicheren 2:0 bei Dinamo begann der HSV auf schlechtem Rasen zwar ziemlich lahm, steigerte sich zum Ende hin und hatte genügend Möglichkeiten, einen Sieg herauszuschießen. Pech war dabei und Glück, als Schiedsrichter Perl den Cottbusern einen Handelfmeter verwehrte. (…) Der HSV ist müde. mit mehr Energie in den Beinen hätte der HSV sicher die eine gute und schnelle und direkte Kombination hingekriegt, um die acht gegnerischen Profis zu überwinden, die 93 Minuten lang vor dem eigenen Tor kauerten und nichts anderes wollten, als ein 0:0 zu ermauern – was für ein Team wie den Tabellenletzten Energie Cottbus eine verständliche Taktik ist.“

Keine Spitzenmannschaft

Uwe Marx (FAZ) zieht nach dem 2:2 in Frankfurt enttäuscht ein Schalker Zwischenfazit: „Die Vorrunde haben die Schalker vermasselt, sie haben derzeit nicht das Zeug zur Spitzenmannschaft. Slomkas ehrgeiziges Ziel, zumindest in den letzten vier Spielen vor der Winterpause viele Punkte zu holen, nämlich alle zwölf möglichen, ist verfehlt. Nicht die Mittelmäßigkeit wirkt mehr wie die Ausnahme, sondern das jüngste Zwischenhoch mit Siegen in Hannover und gegen Bochum. Wären die nicht gerade übermächtigen Frankfurter, die auf eine Handvoll Schlüsselspieler verzichten mussten, einen Hauch effektiver gewesen, hätte es ein noch düsterer Nachmittag für die Schalker werden können. So aber bleibt ein glücklicher Punktgewinn, die vage Hoffnung Trondheim – und ein verärgerter Trainer.“

Liebe Frankfurter und Schalker! Das ist mit Handshake aber nicht gemeint.

Kein Closed Shop

Im Kommentar spürt Heike (FAZ) eine Belebung der Marke Bundesliga an ihren Randgebieten: „Ein Closed Shop der großen drei, vier oder fünf wie in England, Italien und Spanien? Davon ist in dieser Spielzeit erfreulich wenig zu sehen. Weil auch an anderen Standorten als München, Bremen und Hamburg professionell gearbeitet wird. In Hannover etwa, wo das Prinzip Name (Neururer) durch das Prinzip Können (Hecking) ersetzt wurde. In Leverkusen, wo aktuell der schönste deutsche Fußball gespielt wird. In Karlsruhe, wo sich ein Aufsteiger vorn festgebissen hat. In Wolfsburg wird vielleicht auch gut gearbeitet, aber wohl eher drüben im Werk: VW hat sein Sponsoring in dieser Saison auf fast 40 Millionen Euro verdoppelt, nur deswegen durfte Felix Magath auf Einkaufstour gehen. Vier Mal so viel Geld wie Energie Cottbus, aber nur fünf Punkte mehr.“

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