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Bundesliga

Vom Herausforderer der Bayern zum Gejagten der Eintracht

Oliver Fritsch | Montag, 31. März 2008 Kommentare deaktiviert für Vom Herausforderer der Bayern zum Gejagten der Eintracht

Der 26. Spieltag: große Sorgen um den Liebling Werder Bremen; Hamburg nervös und gereizt; Eintracht Frankfurter, Sieger des Wochenendes und der Saison; Nürnberg rutscht gefällig ans Tabellenende; Dortmund, Mittelmaß und Durchschnitt; Schalke mit gewohnt schlechter Presse

Ralf Wiegand (SZ) befasst sich bang mit der Frage, ob Werder Bremen dauerhaft auf dem Weg nach Unten ist: „Bremen setzt voll auf Spektakel und gewann, ähnlich der Gladbacher Fohlen-Elf aus den siebziger Jahren, Sympathien im ganzen Land für so viel Stil. Anders als Serienmeister Gladbach fehlt Werder heute aber der Ertrag: Der letzte Titel liegt vier Jahre zurück. Seitdem bekam Werder Beifall, aber keinen Pokal mehr.“ Mit Blick auf diese Saison schreibt Wiegand: „Für Werder begann das Problem spätestens mit dem Aus in der Champions League. Von da an verschlechterte sich zum Beispiel Diegos Laune sichtbar. Wo er früher Fouls im Dutzend lächelnd wegsteckte, explodiert er inzwischen fast vor Wut. Die Champions League wird in Brasilien wahrgenommen, ein Rennen um Platz 3 bis 5, das Werder nun annehmen muss, ist für Diego ähnlich reizvoll wie eine Kittelschürzen-Modenschau der Landfrauen für Heidi Klum. Für ihn und alle Spieler mit höheren Zielen ist in dieser Saison faktisch nichts mehr zu gewinnen. Da braucht es zur Höchstleistung schon doppelten Ehrgeiz. Das neue Ziel zu akzeptieren, das Platz 3 oder wenigstens 5 heißt, dürfte den Launefußballern schwerer fallen als ein doppelter Doppelpass. Verfehlen sie es, werden sie in jener Währung bezahlt, die Gladbach seit den Siebzigern begleitet: Mitleid.“

Daniel Theweleit (Spiegel Online) bedauert, dass der Kurort Bremen seinen heilenden Charakter zu verlieren scheint: „Lange wirkte der Club wie eine Art Wunderklinik für schwierige Fußballspieler. Johan Micuod erlebte hier den Zenit seines Schaffens, Ailton spielte während vieler Monate wie ein Weltklassestürmer, und kantige Typen wie Boubacar Sanogo oder Aaron Hunt blühten in Bremen auf. Die Gruppe überstand die unschöne Trennung von Miroslav Klose ohne erkennbaren Schaden, und auch Diego ist ein Charakter, der nur unter besonderer Pflege seiner Umgebung so zauberhaft Fußball spielt, wie er es in Bremen oft tat. Diese leistungsfördernde Atmosphäre war ein zentraler Aspekt des Bremer Erfolges, die Pflege eines solchen Klimas gehört zu den Stärken des Trainers Schaaf. Diese Magie eines funktionierenden Kollektivs, das Merkwürdigkeiten und Sonderstellungen verkraftete, scheint jetzt plötzlich verloren gegangen zu sein.“

Sebastian Stiekel (FAZ) klopft Werder auf Herz und Nieren ab und trifft eine besorgte Diagnose: „Formkrisen hat es in Bremen immer wieder mal gegeben in den vergangenen vier Jahren, aber keine hielt so lange an, wie die jetzige es tut. Werder hat neben dem Aus im Uefa- und DFB-Pokalwettbewerb nur acht Punkte geholt in diesem Jahr und ist vom ersten Herausforderer des FC Bayern München zum Gejagten der Frankfurter Eintracht an der Tabellenschwelle zwischen Uefa- und UI-Cup-Platz mutiert. Die Krise droht einen hohen Preis zu kosten, und auch das unterscheidet sie von ihren Vorläufern. Denn Werder läuft Gefahr, zum ersten Mal seit 2004 die Champions League zu verpassen, die zuletzt so beständig Einnahmen und Prestige des Klubs gemehrt hat. (…) Die Hierarchie in Werders Kader wirkt längst nicht so stabil wie die der unmittelbaren Konkurrenz. In Hamburg etwa hört alles auf Frank Rost und Rafael van der Vaart, in Leverkusen ragen Bernd Schneider und Sergej Barbarez allein kraft Alters und Erfahrung heraus. In Bremen ist das Gefüge vergleichsweise fragil, auch weil diejenigen, die es anführen könnten, viel mit sich selbst zu tun haben. Diego? Ist seit der Winterpause außer Form, und niemand kann das kompensieren. Frings? Ist zwar ein Vorbild auf dem Platz, als Führungsfigur aber umstritten. Mit lauter Kritik an seinen Mitspielern trifft er zu häufig im richtigen Moment den falschen Ton. Baumann und Mertesacker sind nicht die Typen, die andere mitreißen, und von Tim Borowski ist in dieser Hinsicht auch nichts zu erwarten.“

Nerven gezeigt

Frank Heike (FAZ) schildert den Hamburger Stress beim und nach dem 1:1 gegen Bielefeld: „Nach Mathijsen und Kompany vor einer Woche ist Jarolim der dritte Hamburger, der innerhalb von kurzer Zeit verhaltensauffällig wurde und nun gesperrt wird. Der HSV hat ein Disziplinproblem wie in den schlimmsten Zeiten unter Thomas Doll. Ein anderer Konflikt war zuvor aufgebrochen: die HSV-Mannschaft versus Rafael van der Vaart. Bastian Reinhardt hatte van der Vaarts Laufschwäche thematisiert. Ausgerechnet der erfahrene Reinhardt! Er gilt ja als gute Seele des Teams. Die Kritik an van der Vaart ist natürlich auch eine späte Rache für dessen Flirt mit Valencia im Spätsommer 2007. Und sie kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem nicht einmal Tore die schwachen Leistungen des müden und überspielten van der Vaart überdecken. Dass am Ende eines frustrierenden Nachmittags auch noch Huub Stevens seinen Pressesprecher Jörn Wolf in der Interviewzone roh zur Seite rempelte, weil dieser ihn auf ein weiteres TV-Interview hinwies, passte ins Bild: Beim HSV liegen die Nerven blank. Nicht nur, weil im Uefa-Pokal gegen Leverkusen und in der Bundesliga gegen Bielefeld und in Wolfsburg Big Points verschenkt wurden. Sondern auch, weil diese an sich gute und gefestigte Mannschaft nun merkt, dass sie etwas zu verlieren hat.“

FR: Schwalben-Jarolim packt zu

Soziale Kontraste weggegrätscht

Elisabeth Schlammerl (FAZ) lobt Nürnberg für das 1:1 gegen Bayern München, doch gibt er zu bedenken: „Den Nürnbergern könnte am Ende zum Verhängnis werden, dass sie ihre besten Auftritte in der Rückrunde gegen die beiden derzeit bestplatzierten Mannschaften hatten und nicht gegen die Mitkonkurrenten. Wie den Bayern hat der ‚Club’ auch dem Hamburger SV ein Remis abgetrotzt und gute Ansätze dabei gezeigt, im Duell mit Cottbus und Rostock allerdings auch nur einen Punkt geholt. Die Bayern durften sich trotz der schlappen Leistung als Sieger wähnen, weil der Vorsprung an der Tabellenspitze nach wie vor sieben Punkte beträgt und der Gewinn des 21. Meistertitels wieder ein bisschen näher rückt.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ) sind keine Unterschiede augenfällig geworden: „Es war ein Derby, in dem in einem Knäuel im Mittelfeld die sozialen Kontraste weggegrätscht werden, und in dem vom puren Augenschein nicht abzuleiten ist, warum die gut gestaffelten Nürnberger ganz unten stehen und die Münchner so einsam oben.“

Defensivliebhaber mit Erfolg

Schon wieder gewonnen, 2:0 in Leverkusen, in Blickkontakt zu den Champions-League-Plätzen geschlichen – und doch sehr kleinlaut geblieben. Philipp Selldorf (SZ) leitet die Frankfurter Furcht vor Übermut mentalitätshistorisch her: „Der unvermutet gute Zwischenstand ist dem Verein natürlich willkommen, doch man kennt seine gefährliche Rauschwirkung in einer Fußball-Stadt, die des Erfolgs und der Geltung entwöhnt ist, als ob Jahre der Prohibition hinter ihr lägen. Die Beharrlichkeit Friedhelm Funkels und des Vorstands Heribert Bruchhagen verdiente daher fast so viel Bewunderung wie der stabile Widerstand, den die Frankfurter gegen eine schließlich nur noch ratlos angreifende Bayer-Elf leisteten. (…) Im Laufe der dreieinhalb Funkel-Jahre hat die Eintracht konstant an Solidität gewonnen, auch in Leverkusen hat sich das wieder erwiesen, wo der Mannschaft trotz etlicher Ausfälle ein verdienter Sieg gelang.“

Daniel Theweleit (Stuttgarter Zeitung) führt den Erfolg auf Defensivqualität zurück: „Gut möglich, dass die Eintracht sich tatsächlich im Bundesligamittelfeld um Clubs wie Borussia Dortmund oder Hannover 96 etabliert. Und vielleicht entwickelt sich Funkel auf dieser Grundlage zum legitimen Nachfolger von Huub Stevens. Zwar ist der Frankfurter Trainer weitaus umgänglicher, doch der Fußball, den die beiden Defensivliebhaber spielen lassen, ähnelt sich enorm. Wie erfolgreich dieser Stil sein kann, hat Stevens in seinen Bundesligajahren mit bemerkenswerter Konstanz vorgeführt.“

Unerfüllte Ambitionen

Tobias Schächter (SZ) vermisst Kreativität in Schalke: „Die Leistung von Mirko Slomkas Elf war der Beleg für die große Einfallslosigkeit in der Schalker Offensive, die in dieser Saison notorisch die solide Defensivarbeit übertrumpft. Das Spiel selbst zu machen, ist nicht die Sache von Slomkas Elf. Die Zusammensetzung des Mittelfeldes mit zwei zentralen Zerstörern (Jones und Ernst), dem gelernten Verteidiger Pander und dem gelernten Wurschtler Asamoah konnte in Karlsruhe die kreativen Ansprüche, die man an ein Mittelfeld einer deutschen Spitzenmannschaft mit europäischen Ambitionen stellt, schlicht nicht erfüllen.“

Mittelmäßigkeit

Richard Leipold (FAZ) lässt sich von sechs Toren nicht zu Schmeicheleien verleiten: „An manchen Tagen kann sogar Stillstand eine gewisse Dynamik hervorbringen, jedenfalls wenn Bochum und Dortmund gegeneinander antreten. Die beiden Reviernachbarn verkörpern in dieser Saison geballtes, gelegentlich unterhaltsames Mittelmaß. Frei von Abstiegssorgen, arbeiten sie ihren Marsch durchs Niemandsland der Bundesliga buchstäblich Punkt für Punkt ab, beide haben schon länger nicht gewonnen. Wer sich an vielen Treffern und vielen Pannen erfreuen kann, kam auf seine Kosten. Die Begeisterung von Trainern indes hält sich bei solchen Spielen in Grenzen.“

Freddie Röckenhaus (SZ) ergänzt: „Es hat sich beim BVB wohl als Notwehr gegen den frustrierenden Saisonverlauf eingebürgert, stets nur die eigenen positiven Leistungen ins Auge zu fassen, doch dass auch die eigenen Gegentore, nach bisweilen grotesken Fehlern, nun mal zum gleichen Spiel gehören und die Mittelmäßigkeit der Mannschaft prägen, wird offenbar in Dortmund systematisch verdrängt.“

Turbulenzen erwünscht

Roland Zorn (FAZ) analysiert das Straucheln der Spitzenteams: „Den Bayern, dem Hamburger SV, Schalke 04, Bayer Leverkusen oder Werder Bremen ist diese Woche mit personell eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten in vertrauter Umgebung schlecht bekommen. Weitere Ursachen für die Punktverluste und Niederlagen der Ligaspitzen trugen zur Tagesbilanz des Missvergnügens bei: So steckt Werder seit Wochen in der Frischekrise und zahlt verspätet einen hohen Preis für die chronische Verletztenmisere in dieser Spielzeit; so lässt der HSV angesichts des bevorstehenden Abschieds seines Trainers Huub Stevens wieder etwas von der rüden Söldnermentalität aufblitzen, die Stevens‘ Vorgänger Thomas Doll unter anderem zum Verhängnis wurde; so ist der alte Wankelmut unters Bayer-Kreuz zurückgekehrt. Für Rechner, die an die Wiederkehr des Immergleichen glauben, war dieser Spieltag nichts. Doch vor Turbulenzen ist keine Liga der Welt gefeit.“

Tsp-Interview mit Dirk Huefnagels, dem Vorsitzenden der S 20, der Vereinigung der deutschen Fußballsponsoren: „Die Bundesliga muss ein Massenthema bleiben

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