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Bundesliga

Wer so zutritt, muss vom Platz gestellt werden

Oliver Fritsch | Freitag, 9. Mai 2008 Kommentare deaktiviert für Wer so zutritt, muss vom Platz gestellt werden

32. Spieltag, Teil 2: Fassungslosigkeit in der Presse über a) Tim Wieses Foul, b) des Schiedsrichters Milde und c) die Bremer Uneinsichtigkeit / Anerkennung aber auch Liebesentzug für die grimmig siegenden Bremer / Nürnberg, schön und diesmal erfolgreich, genießt Zuneigung / Wolfsburg, von wegen Erfolgsstory / Leverkusen im Stimmungsloch

Frank Heike (FAZ) fordert die Rote Karte für Tim Wiese, fühlt sich von dem Fight zwischen Hamburg und Bremen aber nicht schlecht unterhalten: „Wer so zutritt wie der Bremer Torwart, muss vom Platz gestellt werden. Es war für die Hamburger eine bittere Note, dass Wiese bleiben durfte, danach famos hielt und Werder ein 1:0 in diesem knallharten und elektrisierenden Nordderby sicherte, das ausgiebig bejubelt wurde. Mit etwas Abstand von diesem Kampf wird man vor allem Thomas Schaaf als Gewinner sehen: Vor Wochen noch wurde er angeklagt, er lasse seine Mannschaft ohne Absicherung sorglos nach vorn spielen. Nun haben das mit Geduld herbeigeführte 2:0 gegen Cottbus und vor allem dieses in italienischer Manier erzwungene 1:0 von Hamburg die Trendwende zum Guten gebracht. Schaafs Mannschaft hat gezeigt, dass sie auch anders kann als schön, nämlich grimmig entschlossen. (…) Auch der HSV hatte ja zugelangt. Ohne Sanktionen blieben etwa die ausgefahrenen Ellbogen von Guerrero und Kompany gegen Wiese und Diego. Die überhitzte Atmosphäre trug sicher zur Härte bei. Die Eskalation der Auseinandersetzung war aber auch Schiedsrichter Wagner anzulasten. Er ließ zunächst alles laufen, ehe er Karte auf Karte verteilte. Da war ihm das Spiel schon aus den Händen geglitten. HSV gegen Werder, das ist seit einigen Jahren ein Spezialfall der Liga: nichts für schwache Nerven.“

Auch Jörg Marwedel (SZ) wendet sich ab: „Obwohl Tim Wiese den Aufstieg in die Spitzengruppe der brutalsten Torhüter-Attacken (u. a. Toni Schumacher gegen Battiston bei der WM 1982) geschafft hatte, erwiderte er nachher nur: Er habe als erstes den Ball getroffen; und warum gehe Olic ‚denn da hin’? Er müsse sich nicht entschuldigen, sagte Wiese, es sei ein ‚alltägliches’ Foul gewesen. Schiedsrichter Wagner wurde unabhängig von dieser Szene zu einem der Urheber dieses recht unappetitlichen Getretes. Erst ließ er eine gute halbe Stunde lang so viel durchgehen wie ein Chorleiter, der die falschen Töne einfach überhört. Dann wiederum zeigte er jedem zweiten Bremer eine Karte, zweimal gar die Rote. (…) Anders als sonst kam Werder diesmal wenig sympathisch rüber, dafür aber ausgesprochen erfolgreich.“

Karsten Doneck (Tagesspiegel) ergänzt: „Der SV Werder ist ein feiner, sympathischer, ein ruhiger Verein. Wie die Bremer aber mit dem Fall Wiese umgingen, war fast schon schäbig: keine wirkliche Empörung über Wieses Verhalten, keine vernünftige Entschuldigung, keine versöhnlichen Worte. Selbst Werders Sportdirektor Klaus Allofs, sonst ein Mann des Ausgleichs, fand nur Rechtfertigungen für seinen Torwart: ‚Wer das Spiel kennt, weiß, dass das keine Absicht war.’“

Sven Bremer (Berliner Zeitung) entzieht Bremen seine Liebe: „Werder hat nach dem Image-Schaden aus der Klasnic-Affäre noch einmal Kredit verspielt. Bremen hat in der laufenden Saison sieben Rote oder Gelb-Rote Karten kassiert. Das Bild der spielerisch brillanten Zauberfußballer hängt längst schief. Dass sie immer noch auf Platz 2 stehen, haben sie nicht – wie in den vergangenen Jahren – ihrem schönen Fußball zu verdanken, sondern der Tatsache, dass Konkurrenten wie Stuttgart, Hamburg oder Leverkusen noch weniger Souveränität an den Tag legen. Im Hinblick auf die Champions League, auch das hat das Spiel in Hamburg gezeigt, sind die Aussichten alles andere als rosig.“

Soeben erreichen uns die jüngsten Bilder aus dem Bremer Trainingslager

Qualität

Markus Schäflein (SZ) gefällt die Weise des 2:0-Siegs der Nürnberger gegen Duisburg und berichtet von einer Art süddeutscher Verbrüderung: „Der Club hatte wieder einmal verdeutlicht, dass es ein schlechter Witz wäre, wenn er mit dieser spielerischen Qualität drei anderen Mannschaften den Vortritt in die nächste Saison lassen würde. (…) Lange nicht mehr sind Meldungen über Tore der Münchner in Nürnberg so frenetisch bejubelt worden wie diesmal; als sie auf der Anzeigetafel auftauchten, wurde genauso euphorisch gefeiert wie bei den eigenen. Die Zuschauer in der Münchner Arena übrigens, das war die größere Überraschung, jubelten bei den Nürnberger Treffern ebenso.“

Keine Kür, sondern Pflicht

Schafft es Wolfsburg noch in den Uefa-Cup? Andreas Lesch (Berliner Zeitung) rückt das Verdienst Felix Magaths zurecht: „Der VfL Wolfsburg ist kein niedlicher Nischenklub, der über Jahre in beharrlicher, verdienstvoller Kleinarbeit an seiner Erfolgsgeschichte gebastelt hat. Er ist keine Überraschungsmannschaft aus der Provinz, die ewig unterschätzt worden ist und jetzt – huch! – plötzlich das Establishment ärgert. Er ist kein Emporkömmling, der anerkennende Schulterklopfer erwarten kann, weil er aus wenig viel macht und seine beschränkten Möglichkeiten ideal nutzt. Der VfL Wolfsburg ist das millionenschwere PR-Projekt des örtlichen Autohauses, und er hat in den vergangenen Jahren trotz eines relativ hohen Aufwands einen relativ geringen Ertrag erbracht. Vor dieser Saison hat der Klub in einem Akt der Verzweiflung Felix Magath zu einer Art Alleinherrscher gemacht. Magath hat Spieler für fast 30 Millionen Euro verpflichtet, mehr hat in der Liga nur der FC Bayern investiert. Für einen Verein, der so viel Geld ausgibt, ist ein Uefa-Cup-Platz am Saisonende keine Kür, sondern eine Pflicht. Es kann kaum als herausragende Leistung bezeichnet werden, dass der VfL jetzt Platz 7 belegt, wenn er zuvor eine kleine Weltauswahl zusammengekauft hat und auf dem Transfermarkt deutlich spendabler agiert hat als die besser positionierte Konkurrenz aus Bremen, Schalke, Hamburg und Stuttgart.“

Frohsinn abhandengekommen

Philipp Selldorf (SZ): „Inzwischen ist die Elf durch die Niederlagenserie moralisch demoliert, die zuverlässigsten Leute machen lächerliche Fehler. Nie zuvor in der Saison hat Simon Rolfes solche Irrläufer produziert wie gegen Hertha. Die Leverkusener Planer holt nun ein Irrtum ein: Sie hatten geglaubt, ihr Umbauprojekt nach der Luxus-Ära Calmund bereits vollendet zu haben. Das Kaderkonzept mit aussichtsreichen Spielern wie Adler, Kießling, Barnetta, Rolfes, Castro, demnächst Helmes schien früher aufzugehen als gedacht, bei Bayer wähnte man sich der Ligaelite schon nahe.“

Gregor Derichs (FAZ) rümpft die Nase vor dem Leverkusener Anhang: „Vor dem Spiel hatten die Fans mit einer bunten Fahnen- und Transparentaktion sowie fröhlichem Liedgut an den Uefa-Pokal-Triumph auf den Tag genau vor zwanzig Jahren erinnert. Der Arbeitskreis Stimmung ist beim Werksverein für solche Maßnahmen verantwortlich, stundenlange Bastelarbeiten waren nötig, um die Mannschaft für den Endspurt auf die internationalen Startplätze einzustimmen. Es dauerte kaum dreißig Minuten, dass dem Anhang jeder Frohsinn abhandenkam. Zur Halbzeit und zum Spielschluss pfiffen Tausende. Anhaltende Unterstützung erhielt die Mannschaft nie. Die Distanz zum eigenen Team ist ein altes Problem des Leverkusener Publikums, das aus früheren Glanzzeiten der Champions League verwöhnt ist. Mit ihrer Leistung konnte die Bayer-Mannschaft aber auch keine Begeisterungsstürme auslösen.“

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