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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Nationalelf – Ein Chef weniger

Kai Butterweck | Montag, 18. November 2013 2 Kommentare

Im Testspiel gegen Italien zieht sich Sami Khedira einen Kreuzbandriss zu. Die Presse ist geschockt

Die schwere Verletzung von Sami Khedira weckt bei Thomas Hummel (SZ) Erinnerungen: „Damals, bei der Knöchelverletzung von Michael Ballack, dachte die Nation vor der WM in Südafrika: Wie soll das jetzt gutgehen, ohne den einzigen Kicker von Weltformat? Deutschland wird fürchterlich scheitern ohne seinen Capitano! Jetzt denkt das Fußballland: Nunja, selbst wenn Khedira fehlt – wir haben ja noch Schweinsteiger, Gündogan und sowieso all die Super-Super-Feinfüße in der Offensive. Wird schon gehen. Das könnte ein Irrtum sein.“

Khedira fehlt auf allen Ebenen als Kitt

Jan Christian Müller (FR) schlägt die Hände vors Gesicht: „Sami Khedira besitzt die Aura und die Autorität, um auch abseits der Kreidelinien für Ordnung im deutschen Kader zu sorgen. Sein Wort hat Gewicht. Dadurch, dass er sich bei Real Madrid unter José Mourinho durchsetzte, gewann er noch mehr an Profil, und wenn ihm etwas nicht passte, auch in der öffentlichen Darstellung, formulierte er sehr präzise und klar seine Kritik. Zudem gehört er als Gastarbeiter in Spanien keinem Lager an und galt für Löw als idealer Vermittler auch zwischen den unterschiedlichen Spielstilen des FC Bayern und von Borussia Dortmund. Khedira fehlt also auf allen Ebenen als Kitt.“

Christian Kamp (FAZ) nimmt den Rest der Mannschaft in die Arme:“ Eine Stärkung des Gemeinschaftssinns, des Kollektivgeists mit Blick auf das große Ziel wäre das einzig Positive, was sich aus Khediras Verletzung ziehen ließe. In diesem Sinne ist die Situation auch ein Charaktertest für die Mannschaft. Doch selbst wenn sie ihn besteht – eine Garantie, dass das den Verlust auf dem Rasen aufwiegt, wäre das noch lange nicht.“

Der Bundestrainer hat Alternativen auf der Sechs

Lars Wallrodt (Welt Online) beschäftigt sich bereits mit möglichen Ersatz-Optionen: „Der Bundestrainer hat Alternativen auf der Sechs. Da ist zum einen Philipp Lahm, den Löw gegen Italien vor der Abwehr spielen ließ. Eine Rolle, die er auch beim FC Bayern zuletzt häufiger übernahm. Doch Löw wird sich genau überlegen, ob er seinen einzigen Außenverteidiger von Weltklasseformat wirklich dafür opfern will. Eigentlich plant Löw ihn auf der rechten Seite ein. Alternativ kann er Ilkay Gündogan neben Schweinsteiger bringen. Der Dortmunder ist trotz seines jungen Alters schon ein gestandener Spieler mit großem Potenzial. Ähnliches kann sein Vereinskollege Sven Bender  von sich behaupten. Auch Benders Zwillingsbruder Lars ist gelernter Sechser. Und da ist auch noch Toni Kroos, Löws Allroundwaffe im Mittelfeld. Für den Münchner sucht der Bundestrainer ohnehin händeringend nach einem Platz im überbesetzten Mittelfeld.“

Auch Kai Schiller (Hamburger Abendblatt) riskiert einen Blick in Joachim Löws System-Block: „Tatsächlich hat Löw sieben Monate vor der WM ein zentrales Problem auf genau der Position, die in der Theorie mit Abstand am Besten besetzt ist. Doch nach den Ausfällen der drei defensiven Mittelfeldspieler mit Weltklasse-Format bleibt dem Bundestrainer in der Praxis gar nichts anderes mehr übrig, als die von ihm schon gegen Italien ausprobierte Guardiola-Variante mit Philipp Lahm als Sechser auch weiterhin zu forcieren. Mit Lahm und Kroos im zentralen Mittelfeld hinter Spielmacher Mesut Özil hätte das DFB-Team immer noch eine Doppel-Sechs mit weltmeisterlichem Format, die aber zwangsläufig ein neues Problem bescheren würde: Lahms angestammte Position als Rechtsverteidiger wäre verwaist. Die Optionen hier heißen Benedikt Höwedes – und Heiko Westermann. Das sind – zweckoptimistisch formuliert – suboptimale Aussichten…“

Peter Ahrens (Spiegel Online) kramt im Archiv: „Löw hat das einmal gemacht, auf einen Langzeitverletzten zu warten, ihm einen Platz in der Stammelf zu reservieren: Das war bei der EM 2008, wo Innenverteidiger Christoph Metzelder ohne jede Betriebstemperatur zum Turnier anreiste. Damals ging das anschließend schief, und Löw hat seine Lehren daraus gezogen. Als im Vorjahr bei der Europameisterschaft auch Per Mertesacker direkt aus der Rehabilitation in den EM-Kader wechselte, ließ ihn der Bundestrainer lieber auf der Bank und setzte stattdessen auf den Dortmunder Mats Hummels. Viele hat das damals überrascht, aber Löw hatte das warnende Beispiel Metzelder noch zu gut im Hinterkopf.“

Die Meisterprüfung steht noch aus

Reinhard Schüssler (derwesten.de) nimmt den Bundestrainer in die Verantwortung: „Seit Joachim Löw in die Trainerarbeit des DFB eingebunden ist, hat die deutsche Nationalmannschaft unstrittig eine positive, ja zum Teil atemberaubende Entwicklung genommen. Unabhängig von der Frage, wie groß der Traineranteil daran ist, steht seine Meisterprüfung noch aus. Um sie zu bestehen, ist es von Nöten, in seinem hochkarätigen Kader auch auf Verletzungen aller Art richtig zu reagieren.“

Christian Spiller (Zeit Online) befasst sich mit dem Spielgeschehen und klatscht dabei euphorisch Beifall: „Die Deutschen haben versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen, indem sie auch mal eine fiese Grätsche in den Rasen drückten. Auch fußballerisch klappte es. Mario Balotelli, das personifizierte EM-Grauen, hatte seine beste Aktion nach 40 Sekunden, als er neben das Tor schoss. Die restlichen gut 91 Minuten vertrieb er sich vor allem mit Herumstehen und Lamentieren. Auch, weil ihn die deutschen Innenverteidiger Hummels und vor allem Boateng doch leichter den Ball klauten, als man das hätte erwarten können. Und mit ein wenig Glück hätte das Spiel auch gewonnen gehen können.“

Ein Traum in Weiß war es noch nicht

Auch Christian Kamp (FAZ) nickt anerkennend mit dem Kopf: „Ein Traum in Weiß war es noch nicht – aber alles in allem eine Vorstellung, die sich schon sehen lassen konnte. Was die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien zeigte, durfte man als ganz ordentlichen Vorgeschmack auf die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr bezeichnen, und das längst nicht nur wegen des strahlend-neuen Outfits, das sie in der italienischen Modemetropole zum ersten Mal vorführte. Nachdem Joachim Löw die Italiener bewusst für diesen Termin ausgesucht hatte, um noch einmal Anschauungsunterricht in Sachen Taktik und Cleverness zu nehmen, kann er sich um einige erbauliche Erkenntnisse reicher dem letzten Spiel des Jahres am Dienstag in London gegen England zuwenden – auch wenn nach einer bärenstarken ersten Hälfte eine schwächere zweite folgte.“

freistoss des tages

 

Kommentare

2 Kommentare zu “Nationalelf – Ein Chef weniger”

  1. Pumukel
    Dienstag, 19. November 2013 um 15:31

    1. Ein Gedankenanstoß: der Amazon-Link hat seine Anziehungskraft erheblich eingebüßt, da es oft zu schwache Produkt-Ideen gibt.

    2. Zur Überschrift: mich spricht eine Ü. dann an, wenn sie eine klare Aussage beeinhaltet und den Text prägnant und interessant vorwegnimmt. „Ein Chef weniger“ kann sich auf die Spieler, die Trainer oder Funktionäre beziehen. Dieser Nebensatz ist für mich eine Halbaussage. Was halten Sie daher von der Ergänzung: „Ein Chef auf dem Rasen weniger“ in Verbindung mit: „Verletzungspech in der Nationalelf -“? – Das weckt in meinen Augen mehr Interesse am Stoff.

    3. Meiner Ansicht nach könnten die Kommentare auch kürzer und knackiger sein – sollen sie ja das Interesse am eigentlichen Artikel wecken statt es zu bremsen…oder? Oft bin ich sehr beeindruckt von der Größe des Gesamtartikels und verliere schon von Anfang an die Lust, ihn zu lesen. – Suche dann nach interessanten Schlagwörtern oder lese ihn nur an.

    4. Bitte mehr Ihre eigenen Gedanken, Herr Butterweck! Ich glaube, dies würde die Diskussion unter den Lesern anregen und Ihnen als Schreiber mehr Profil geben.

    Viel Erfolg noch!

  2. Kai Butterweck
    Mittwoch, 20. November 2013 um 09:05

    Danke für die Anregungen. Werden notiert.

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