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EM 2020

Euro 2020 – Kein Plan, kein Glück, keine Chance

Kai Butterweck | Mittwoch, 16. Juni 2021 Kommentare deaktiviert für Euro 2020 – Kein Plan, kein Glück, keine Chance

Deutschland startet mit einem Dämpfer. Im ersten EM-Gruppenspiel lassen perfekt organisierte Franzosen keinen deutschen Jubel zu

Die deutsche Nationalmannschaft hat gegen den amtierenden Weltmeister aus Frankreich keine Chance. Oliver Fritsch (Zeit Online) fasst schmunzelnd zusammen: „Klar, Frankreich ist der Weltmeister, aber der deutsche Fußball präsentierte sich in diesem Spiel durch die Wahl seiner Mittel kleiner, als er ist. Timo Werner kickte den Ball ins Aus und Kevin Volland schämte sich in einer Szene für einen Pass. Auch hätte Hummels bei seinem Eigentor nicht unbedingt aussehen müssen, wie von Meister Geppetto geschnitzt.  Wenn Europameisterschaften wie Asterix-Hefte sind, dann waren die Deutschen an diesem Abend die Goten, die in Fraktur sprechen. Es war manchmal knapp vor peinlich.“

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) ist enttäuscht: „Dass sich ein Gegner wie Frankreich mal eben aus dem Stadion schießen lässt, hat niemand erwartet. Allerdings war das offensive Bedrohungspotenzial der deutschen Mannschaft doch arg überschaubar. Eine richtig gute Chance durch Serge Gnabry unmittelbar nach der Pause – viel mehr brachte Löws Team in der Offensive nicht zuwege.“

Selbstbewusster, präziser, zielstrebiger

Jan Christian Müller (FR) beobachtet zittrige Beine: „Im Mittelfeld gewann vor allem Toni Kroos zwar immer wieder Zweikämpfe, aber die Nervosität war dem deutschen Spiel allzu sehr anzumerken. Vor allem Kai Havertz verlor Bälle, die ein Spieler seiner Klasse nicht verlieren darf, auch Ilkay Gündogan hat schon bessere Abende erlebt. Löw wurde in seiner Coaching Zone mehrfach ganz verrückt. Durchschlagskraft entwickelte sein Team zunächst jedenfalls nicht, die Franzosen wirkten selbstbewusster und präziser und zielstrebiger, einfach besser.“

Philipp Köster (11Freunde) macht sich Sorgen: „Und so blieb die Erkenntnis, dass die deut­sche Elf sich erheb­lich stei­gern muss, um das nächste Grup­pen­spiel gegen die Por­tu­giesen zu bestehen. Sie muss genauer und kon­se­quenter in ihren Aktionen werden, sie muss mehr Ent­schlos­sen­heit und Kon­se­quenz in Straf­raum­si­tua­tionen an den Tag legen. Und natür­lich gewinnen, um noch eine rea­lis­ti­sche Chance aufs Wei­ter­kommen zu haben.“

Tobias Nordmann (n-tv.de) holt das Fernglas raus: „Wo war Kai Havertz, der Mann, der im Finale der Champions League noch so abgezockt war, der Lettland vor unlösbare Probleme gestellt hatte? Die Antwort: Er war da. Man sah ihn im Fernsehbild. Und auch im Stadion. Aber anwesend war er irgendwie nicht. Es ist ein böses Urteil. Keine Frage. Es ist aber leider auch eins, das über viele Teamkollegen gefällt werden darf.“

Der beste Balleroberer der Welt

Roland Zorn (FAZ) adelt das französische Mittelfeld: „Während die Deutschen noch danach suchten, die gute Stimmung im Herzogenauracher Mannschaftsquartier auf den Ernstfall übertragen zu können, war Frankreich, vorbereitet in der eigenen Eliteschule von Clairefontaine, in dem Bewusstsein nach München gekommen, jeden Gegner mit den eigenen Waffen besiegen zu können. Vor allem im Mittelfeld wurde der entscheidende Unterschied sichtbar. Ein Unikat wie Paul Pogba, der das Spiel seiner Mannschaft im engen Verbund mit N’golo Kanté, dem besten Balleroberer der Welt, brillant inszenierte, hatten die Deutschen am Dienstag nicht.“

Martin Schneider (SZ) stellt sich schützend vor den einzigen Torschützen des Spiels: „Das Eigentor von Mats Hummels, es war unglücklich und für das Ergebnis maßgeblich, aber es war schon direkt nach dem Spiel am Dienstagabend kaum noch Thema. Weil jeder gesehen hat, dass Hummels nichts dafür konnte (Löw: „Das ist Pech“) und weil man vielmehr so herrlich darüber diskutieren konnte, ob das jetzt nun eigentlich ein gutes oder kein so gutes Spiel der deutschen Mannschaft war.“

Julien Wolff (welt.de) fordert mehr Risiko: „Noch ist nicht viel passiert, die Chance auf das Achtelfinale ist da. Doch die Situation ist gefährlich. Bei einer weiteren Niederlage droht das Vorrundenaus. Es wäre das zweite in Folge bei einem großen Turnier. Und eine Schmach für Löw und den deutschen Fußball. Gegen Portugal geht es um viel. Ein Spiel, das mehr Wagnis der Deutschen verdient.“

Die EM ist noch längst nicht vorbei

Heiko Ostendorp (sportbuzzer.de) schüttelt sich kurz: „Die DFB-Elf muss nun beweisen, dass sie wirklich Charakter hat und es den neuen Teamspirit tatsächlich gibt. Die Auftaktniederlage gegen Frankreich musste man leider einpreisen. Doch die EM ist noch längst nicht vorbei. Mit der Partie gegen den Titelverteidiger Portugal am Samstag fängt das Turnier quasi noch mal von vorne an.“

Florian Harms (t-online.de) hat sehr gut geschlafen: „Haben Sie gestern Abend bedröppelt Ihren Platz vor der Flimmerkiste geräumt und sind mutlos ins Bett getrottet, wieder nix mit Fußballfest, ab dafür und gute Nacht? Dann lassen Sie mich Ihren Kopf heute Morgen wieder aufrichten. Ja, Jogis Jungs haben 0:1 verloren – aber diese Niederlage war in Wahrheit mindestens ein Unentschieden, wenn nicht viel mehr: ein Sieg für die Moral einer neu entstehenden Mannschaft, eine Energiespritze für das Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Warp-Antrieb auf dem Weg zur Titelchance. Die deutsche Nationalmannschaft des Sommers 2021 ist kein Vergleich zur Trümmertruppe der WM in Russland vor drei Jahren. Sie hat gegen einen herausragenden Gegner Großes geleistet. Sie hat sich ein gallisch-germanisches Armdrücken geliefert, bei dem zwei Systeme miteinander rangen.“

Kurz vor dem Anstoß plumpst ein Gleitschirmpilot auf den grünen Rasen. Ingo Scheel (stern.de) reibt sich die Augen: „Dass man in der PR-Abteilung von Greenpeace überhaupt auf die Idee kam, diesen Rahmen zu nutzen, insbesondere mit Blick auf das Drama um Christian Eriksen, ist kaum nachvollziehbar. Die ohnehin völlig verkorkste Nummer hätte ebensogut zu einer schwerwiegenderen Tragödie führen können. Interessant dennoch zu sehen, wie sich die von der Uefa-Regie gelieferten Bilder unterschieden: Blieben die Kameras bei Eriksens Kampf um Leben und Tod noch drauf, wechselten zwischen Nahaufnahme und Totale, wurde hier dem politischen Schauspiel gleich der Saft abgedreht, stattdessen eine Grafik mit den Mannschaftaufstellungen eingeblendet.“

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