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EM 2020

Euro 2020 – Das Ende einer Ära

Kai Butterweck | Mittwoch, 30. Juni 2021 Kommentare deaktiviert für Euro 2020 – Das Ende einer Ära

Aus im Achtelfinale: Die deutsche Nationalmannschaft scheitert gleich im ersten K.o.-Spiel gegen England. Die Presse verabschiedet Bundestrainer Joachim Löw

Das vorzeitige Aus gegen England markiert auch das Ende der Ära Joachim Löw. Marcus Bark (sportschau.de) geleitet den Bundestrainer zur Tür: „Ihm fehlten die Mittel, ihm fehlten während der Spiele die Ideen, ihm fehlte die Überzeugung. Es gab letztlich nur die Hoffnung, dass es gutgehen würde, weil es Löw doch nach 15 Jahren verdient gehabt hätte. Nun gibt es die Gewissheit, dass es gut ist, dass es vorbei ist.“

Roland Zorn (FAZ) gähnt: „Mit seiner eigenen Müdigkeit bei der Einstimmung auf die schwierigen Prüfungen dieser paneuropäischen EM infizierte er seine großteils hochveranlagten Profis, die letztlich ähnlich uninspiriert wie Löw wirkten, der am Dienstagabend in London reif für die Rente war.“

Wertvolle Zeit verschenkt

Matthias Dersch (kicker.de) kommt mit einer langen Mängelliste um die Ecke: „Deutschlands Hintermannschaft war nicht eingespielt, die Automatismen nicht fest genug verankert. Ähnliches gilt für das Offensivspiel, das auch gegen England nur selten Wucht erzeugen konnte. Löw wird sich eingestehen müssen, wenn er nach der Rückkehr in die Heimat in die innere Einkehr geht, dass er Mats Hummels und Thomas Müller zu spät reaktiviert und dadurch wertvolle Zeit verschenkt hat. Dass er unnötigerweise erst auf den letzten Drücker auf eine Dreierkette umschwenkte. Und dass er bis zum Tag des Ausscheidens kein schlüssiges Konzept entwickelt hatte, wie er die Stärken Leroy Sanés, Serge Gnabrys oder Timo Werners gewinnbringend einsetzen kann.“

Filippo Cataldo (spox.com) ist enttäuscht: „Löw muss sich vorwerfen lassen, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Mannschaften mit offensiven Ansätzen, welche mit klaren Ideen und mutig spielende Teams haben sich bisher mit dem Weiterkommen belohnt oder wurden mit Applaus aus dem Turnier verabschiedet. Allzu passive und Defense-First-Mannschaften wurden dagegen zuhauf mit dem frühen Ausscheiden bestraft. Und ausgerechnet bei diesem Turnier, ausgerechnet in Löws letztem Spiel, haben wir die verzagteste und mutloseste DFB-Elf seit den fatalen EM-Abenteuern 2000 und 2004 erlebt.“

Nur noch zweite Reihe

Julien Wolff und Lars Gartenschläger (Welt) sprechen aus was viele Fans nicht wahrhaben wollen: „Vieles wird sich nun ändern bei der Nationalmannschaft. Muss sich ändern. Nach zwei frühen Ausscheiden bei großen Turnieren in Folge ist deutlich geworden: Deutschland ist weltweit nur noch in der zweiten Reihe, gehört derzeit nicht zur Elite.“

Christian Ewers (stern.de) sitzt auf gepackten Koffern: „Was Löw nicht geschafft hat: Diese Mannschaft noch einmal mit auf eine neue Reise zu nehmen. Stattdessen werkelte er ständig an altbekannten Schwächen; so ist die Abwehr trotz der Rückkehr von Hummels eine Baustelle geblieben. Ebenso wenig hat er das Fehlen eines Mittelstürmers taktisch kompensieren können; womöglich auch eine unlösbare Aufgabe. Löw war am Ende noch einmal der beste Löw, der er sein konnte. Aber heute, sieben Jahre nach dem WM-Triumph in Rio de Janeiro, ist das nicht mehr genug. Es reichte nur noch für ein EM-Achtelfinale.“

Philipp Köster (11Freunde) stellt die deutsche Offensive an den Pranger: „Zwar zeigte die Nationalelf von Beginn an Spielfreude und Siegeswille, und zumindest in der ersten Viertelstunde gelang es auch, damit die ebenfalls engagierten Engländer zu beeindrucken. Im Laufe der ersten Halbzeit zeigte sich jedoch das inzwischen längst notorische Problem der deutschen Mannschaft, dass sie bei aller gefälligen Spielanlage nur allzu selten echte Torgefahr erzeugt. Eine Misere, die diesmal am glücklosen Stürmer Timo Werner festgemacht werden konnte, die aber mindestens genauso durch die Herren Müller, Goretzka und Havertz personifiziert wird.“

Das System Löw hat sich verbraucht

Claus Vetter (Tagesspiegel) ist gespannt: „Joachim Löw geht, Hansi Flick wird kommen und die Mannschaft wird ein neues Gesicht bekommen, anders und womöglich auch erfolgreicher spielen. Das System Löw hatte sich verbraucht, das war schon vor diesem EM-Turnier klar. Insofern sollten die Diskussionen um die Zukunft des Teams diesmal kürzer werden. Hansi Flick wird seine Vorstellungen haben.“

Steven Sowa (t-online.de) ist bereits im Hansi-Fieber: „Jetzt ist es vorbei – und das ist gut so. Deutschland ist ohne Löw besser dran. Denn der Neuanfang ohne neuen Trainer war nur Kosmetik. Jetzt folgt die Ära Flick – und damit die Verheißung von einem deutschen Fußball, der tatsächlich wieder für Begeisterung sorgen kann, für Hurra-Fußball, Offensivdrang und den nächsten großen Titel nach dem WM-Triumph 2014 in Brasilien.“

Löw, Müller, Minute 81: Da wird was hängenbleiben. Torben Siemer (n-tv.de) ist sich sicher: „Es ist vielleicht kein Moment von der Tragweite eines Zinedine Zidane im WM-Finale 2006, dessen Kopfstoß für viele das erste ist, was sie mit dem einstigen Weltfußballer verbinden. Auch keiner wie Uli Hoeneß‘ Fehlschuss im EM-Endspiel 1976, der sich auch 45 Jahre danach noch schlechte Witze über den Schuss in den Belgrader Nachthimmel gefallen lassen muss. Dafür ist es dann doch nur ein Achtelfinale. Denkwürdig jedoch wird der Müllersche Fehlschuss durch den Umstand, dass es das letzte Spiel unter Löw war, dessen Schlussphase als Bundestrainer so untrennbar mit Müller verknüpft ist.“

Müller kam ins Nachdenken

Christian Spiller (Zeit Online) leidet mit Thomas Müller: „Er wurde von Kai Havertz auf den langen Weg zum Tor geschickt, ein Weg, der sich als zu weit erwies. Müller kam ins Nachdenken. Darüber, in welche Ecke er den Ball schieben würde, vielleicht auch über einen neuen Hengst für sein Gestüt oder darüber, dass es ja schon ein Ding ist, dass bei der Erklärung des Urknalls sowohl Relativitätstheorie als auch Quantenphysik versagen. Jedenfalls setzte er den Ball ein paar Zentimeter am linken Pfosten vorbei. Müller versuchte daraufhin, sich in den Strafraum einzubuddeln. Auch das klappte nicht.“

Jan Christian Müller (FR) genießt die unvergleichliche Wembley-Stimmung: „Es herrschte eine flirrende, fröhliche Atmosphäre in der berühmten, gigantischen, mit Geschichte vollgestopften Fußball-Kathedrale. Als das Stadion – englische und deutsche Fans gemeinsam – die Hymne „Football is coming home“ aus dem Jahr der Europameisterschaft 1996 in England intonierte, war das ein erhebender Moment für alle, die Fußball lieben. Der deutsche Block war zwar erwartungsgemäß deutlich kleiner, machte aber – kollektiv ausgerüstet mit schwarz-rot-goldenen Fahnen – tapfer auf sich aufmerksam.“

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