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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Wundertüte Bundesliga

Kai Butterweck | Montag, 29. November 2010 1 Kommentar

Die Presse beschäftigt sich mit verschollen geglaubten Helden, neidvollen Nachbarn und überforderten Liga-Dinos.

Peter Penders (FAZ) wundert sich über diverse Protagonisten, die sich derzeit wieder ins Rampenlicht spielen: „Auch Spieler, die längst abgeschrieben waren, tauchen plötzlich wieder groß auf. Dass etwa Timoschtschuk noch in München spielt, liegt vor allem an einer komplizierten Schwangerschaft seiner Frau, während der sich die Familie in Deutschland am besten aufgehoben fühlte. Und dass sein Arbeitskollege Gomez trifft und trifft, hängt vor allem damit zusammen, dass er im Sommer nicht nach Liverpool wollte und sich alle anderen Stürmer verletzten. Doch so wie den beiden wieder in den Mittelpunkt gerückten ehemaligen Bankdrückern aus München ergeht es auch anderen – etwa Theofanis Gekas, der in Leverkusen nur dritte Wahl war, in Berlin nicht Fuß fasste und in Frankfurt plötzlich wieder so oft richtig steht, dass seine Führung in der Torschützenliste von Dauer sein könnte. Das hätte kaum jemand so erwartet, aber man sollte vor allem im Fußball eben nie nie sagen. Zumindest ist es auch noch nicht so lange her, dass Martin Kind verkündete, Jan Schlaudraff werde kein Spiel mehr für Hannover 96 machen. Als Prophezeiung taugte diese Aussage des Präsidenten nicht besonders, wie man mittlerweile weiß, aber Kind wird deshalb Trainer Slomka ganz sicher nicht zum Rapport beordern.“

Neidvolle Blicke aus England, Spanien und Frankreich

Tobias Rabe (FAZ) zieht seinen Hut vor der Torfabrik Bundesliga: „Exakt 405 Tore sind in bisher 126 Spielen gefallen, das macht im Schnitt stolze 3,21 Treffer pro Partie. Die italienische Serie A, die englische Premier League, die spanische Primera Division und die französische Ligue 1 schauen neidvoll auf die Akkordarbeit in der Bundesliga. Auch am 14. Spieltag lief die Produktion auf Hochtouren. In den ersten Halbzeiten am Wochenende fielen 17 Treffer, später legten die Hauptdarsteller der Beletage noch 19 Mal nach – macht 36 Tore in den neun Spielen dieser Runde. Chapeau!“

Opfer der Champions League

Christof Kneer (SZ) analysiert die Tabelle und tadelt die Vereinspolitik großer Klubs: „Nach 14 Spieltagen wird es Zeit, die wegen akuten Kuriositätsverdachts bislang ignorierte Tabelle ernst zu nehmen. Verdichtet wie nie bildet sie ein Luxusproblem ab, das den VfB ebenso plagt wie Schalke 04 oder auch Werder Bremen. Sie wirken wie Opfer ihrer jüngsten Champions-League-Teilnahmen: Alle drei haben die stolze Umgebung zum Anlass genommen, den Profis die Gehälter extrem zu erhöhen, alle drei haben sich zu teuren Risikotransfers hinreißen lassen, und gleichzeitig müssen sie damit leben, dass die Ansprüche von Verantwortlichen, Sponsoren, Fans und auch der eigenen Profis gefährlich steigen. Die Schalker etwa sind beim Versuch, sich von Lyon nach Lautern herunterzudenken, grandios mit 0:5 gescheitert. Die Champions League lädt zu Fehlern ein – und keiner der drei Klubs hat das finanzielle Potential, um Irrtümer im Kader mal eben mit ein paar neuen Transfers zu beheben. Die Champions League ist nicht schuld, wenn sie einen Standort überfordert. Schuld sind die Klubs, die sich überfordern lassen und wie Bettler aus der Königsklasse herausschleichen. Klubs wie Mainz oder Hannover wissen, dass sie jetzt die Gunst der Stunde nutzen müssen, denn sie können sich nicht darauf verlassen, dass sich solche Fehler ständig wiederholen: So hat Borussia Dortmund bereits angekündigt, im Fall der Fälle ohne großes Risiko und mit dem aktuellen Kader in die Champions League zu starten.“

Von Superlativ zu Superlativ

Felix Meininghaus (FR) schwärmt vom BVB: „Rekorde, jede Woche neue Rekorde. Dieses Mal ging es um die Zahl 37. So viele Punkte hat noch kein Verein aus den ersten 14 Spielen geholt, seit der Deutsche Fußballmeister in der Bundesliga ausgespielt wird. Unglaublich diese Bilanz aus zwölf Siegen bei einer Niederlage und einem Remis, wo mag das hinführen, jetzt, wo es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann Borussia Dortmund die Herbstmeisterschaft perfekt macht? Die jüngste Mannschaft der Liga stürmt weiter munter von Superlativ zu Superlativ, längst kann keiner mehr sagen, wo das Limit ist. Die jungen Dortmunder werden von der Konkurrenz mittlerweile als das wahrgenommen, was sie sind: Eine Spitzenmannschaft. Und Klopp muss seinen Spielern neue Qualitäten wie Geduld und Beharrlichkeit lehren, doch derzeit deutet nichts darauf hin, als sei der BVB damit überfordert; zumal dieses Team jederzeit zulegen kann. Es ist bewundernswert, mit welcher Reife sich dieses Team immer neuen Herausforderungen stellt. Das spricht für Klopp und seiner Mitstreiter, die sich mit an Sturheit grenzender Konsequenz der Maxime verschrieben haben, sich jeglicher Zielsetzung zu verweigern und immer nur die kommende Aufgabe in den Fokus zu rücken.“

Freddie Röckenhaus (SZ) bewundert die Art und Weise wie Dortmund auftritt: „Das Erstaunlichste am spielerischen Siegeszug des Tabellenführers scheint allerdings, mit welcher Selbstverständlichkeit die Elf von Jürgen Klopp die Veränderung des Gegnerverhaltens antizipiert. Selbst vermeintliche Topteams wie der HSV hatten zuletzt mit Barrikaden versucht, der Spiellaune des BVB zu begegnen. Geklappt hat das bisher nicht.“

Wie eine Schüler-Auswahl

Oliver Völkl (Focus Online) prophezeit den Schalker Spielern eine schweißtreibende Woche: „04 verliert 0:5 in Kaiserslautern. Kopfschütteln macht sich breit. Wie geht das? Drei Tage nach der 3:0-Gala von Schalke gegen Olympique Lyon in der Champions League wurde die Truppe von Coach Felix Magath im Fritz-Walter-Stadion gedemütigt. Dicke Luft beim Vizemeister – und das zu Recht. Die Gelsenkirchener waren in allen Mannschaftsteilen unterlegen, ließen sich von den `Roten Teufeln` auf der Nase herumtanzen. Auch nach dem Doppelwechsel zur Halbzeit präsentierte sich die `Königsblauen` wie eine Schüler-Auswahl. Es war die höchste Klatsche unter Magath. Viel Spaß in den nächsten Trainingseinheiten!“

Tobias Schächter (taz) vermisst grundlegende Dinge bei den Schalkern: „Noch vergangenen Mittwoch, nach dem 3:0 in der Champions League gegen Lyon und dem daraus resultierenden Einzug ins Achtelfinale, glaubte ganz Schalke nun die Wende zum Besseren erlebt zu haben. Aber die peinliche Pleite beim Aufsteiger in der Pfalz brachte die Realität in Schalke wieder ans Tageslicht. Die Erfolge in einer schwachen Gruppe in Europas Eliteliga und zuletzt sieben Punkte in der Liga blendeten bis Samstag die desaströse Bilanz des letztjährigen Vizemeisters in der Bundesliga aus. Sieben Niederlagen und nur drei Siege in 14 Spielen bedeuten nur 13 Punkte und Platz 15. Die von Trainer und Manager Felix Magath komplett veränderte Erfolgself der letzten Saison gab in Lautern ein Bild des Schreckens ab. Selten hat man Magath so ratlos und enttäuscht gesehen wie nach dieser 90 Minuten langen Demütigung in Kaiserslautern. Das Modell Magath steht auf dem Prüfstand, das Grundvertrauen in den Trainer scheint nach den riskanten Personalrochaden vor der Saison erschüttert. Es wird ungemütlich auf Schalke tief im November. Nur Siege in der Liga können die vergiftete Atmosphäre beruhigen. Das Programm bis Weihnachten aber ist hart: Am Wochenende kommt der FC Bayern, dann gehts zum Zweiten nach Mainz, bevor Köln Punkte gegen den Abstieg in Schalke holen will.  In Kaiserslautern mangelte es der Mannschaft von Magaths Gnaden an allem, was den Gegner auszeichnete: Laufbereitschaft, Leidenschaft und dem Antrieb, die eigenen Grenzen überwinden zu wollen.“

Schalke hat ein Strukturproblem

Nach Ansicht von Jörg Strohschein (Tagesspiegel) fehlt es den Königsblauen an Spielern die dagegenhalten: „ Nach dem Spiel in Kaiserslautern stellt sich die Frage, ob sich die Mannschaft gegen kämpferisch starke Teams nicht wehren will oder es vielleicht gar nicht kann, weil sie nicht über die passenden Spielertypen verfügt. Immer, wenn es dem Gegner gelungen ist, dauerhaft Druck auf Spieler wie Klaas-Jan Huntelaar oder Raúl auszuüben, ist nichts mehr von deren spielerischer Klasse zu sehen. In der Champions League, in der viele Gegner lieber angreifen als verteidigen, haben die Schalker deutlich weniger Probleme. Es bleibt ein Strukturproblem dieser von Felix Magath zusammengestellten Mannschaft.“

Oliver Müller (Welt Online) erkennt Disharmonien zwischen Fans und Verantwortlichen: „Mit einem derartig empfindlichen Rückschlag bei der sportlichen Konsolidierung nach einem bereits völlig verkorksten Saisonstart hatte Magath nie und nimmer gerechnet. Zunächst aber war er krampfhaft darum bemüht, die Risse im Verhältnis zwischen ihm und dem Team einerseits und den Fans andererseits zu kitten. Neben zunehmenden Zweifeln, ob das von ihm im Sommer personell radikal veränderte Team überhaupt den Charakter besitzt, sich aus der schwierigen Situation zu befreien, wurde im Fritz-Walter-Stadion auch etwas anderes deutlich: Die Spieler und die Fans haben sich in den vergangenen Monaten deutlich voneinander entfremdet. Dem Trainer gelingt es nicht, der Mannschaft die nötige Einstellung für den Abstiegskampf zu vermitteln. Bislang gab es ein deutliches Leistungsgefälle zwischen der Champions League, wo am Mittwoch die vorzeitige Qualifikation für das Achtelfinale gelang, und der Bundesliga.“

Konzeptloses Auftreten

Peter Heß (FAZ) zeigt sich erschrocken über die Planlosigkeit der Knappen: „ Das Ernüchterndste an der Schalker Vorstellung: Sie machten sich in der ersten Halbzeit nicht einmal des Vorwurfs schuldig, nicht gekämpft zu haben. Doch die Aggressivität in den Zweikämpfen im Mittelfeld konnte die allgemeine Konzeptlosigkeit im Spielaufbau nicht aufwiegen. Kluge versuchte sich als Spielmacher und etablierte sich als Fehlpasskönig. Jones beteiligte sich an den Kombinationen lediglich als Sicherheitspassgeber, was zwar keine einzige Torchance hervorrief, aber wenigstens nicht zu Ballverlusten führte. Am Schlimmsten waren die weiten Schläge der Abwehrspieler in die Spitze, die nie den Adressaten fanden. Huntelaar, Farfan, Edu und Raul erhielten erst spät in der zweiten Halbzeit Gelegenheit, ihr individuelles Können einmal anzudeuten – davor erreichte sie kein verwertbares Zuspiel. Auch mit Jurado und Matip, die zur Pause Edu und Jones ablösten, wurde nichts besser – obwohl sich die Lauterer nach einer Stunde Spielzeit weit zurückzogen. Spielerisch blieben die Aufsteiger bis zum Abpfiff mindestens eine Klasse besser als der Champions-League-Achtelfinalist, der sich nicht aufzubäumen verstand.“

Carsten Eberts (SZ) bringt den Schalker Zustand anhand einer Zahl auf den Punkt: „ Vor dem Spiel hatte es natürlich Anlass für optimistische Schalker Gedanken gegeben. Der einfache Grund: Nach den Katastrophenwochen zu Saisonbeginn begannen einige Spieler, ihre Form zu finden. Zum Beispiel der Spanier Raúl, der Klaas-Jan Huntelaar jüngst kräftig im Tore schießen unterstützte. Auch der Japaner Atsuto Uchida, der schon als Magaths fatalster Fehlgriff galt, in den vergangenen Spielen jedoch einen Rechtsverteidiger auf höchstem Bundesliga-Niveau abgab. Am Samstagnachmittag agierte Schalke, als hätte es die jüngsten Erfolgserlebnisse nicht gegeben. Kaiserslautern durfte über 90 Minuten unbedrängt wirbeln, Schalke wurde zeitweise vorgeführt. Es gibt eine Zahl, die die Schalker Gesamtsituation recht gut zusammenfasst. Durch das 4:1 von Borussia Dortmund am Samstagabend gegen Mönchengladbach hat die Borussia nach 14 Spieltagen satte 24 Punkte Vorsprung auf den Rivalen aus Schalke. Eine deutlichere Sprache gibt es kaum.“

Bobic hat ein vergiftetes Klima geschaffen

Heiko Hinrichsen (Stuttgarter Zeitung) macht sich Sorgen um das Klima in Stuttgart: „Dass auch der Kapitän Matthieu Delpierre, Cacau und Christian Gentner den Mitspieler Marica ebenso wie dessen Kumpel Zdravko Kuzmanovic in der Kabine zur Rede stellten, macht deutlich, wie es um die Akzeptanz des Duos in der Mannschaft bestellt ist. Während Marica bereits in der Europa League in Getafe mit Rot vom Platz geflogen ist, wirft man Kuzmanovic vor, er sei seit seiner Ausbootung aus der Stammelf die personifizierte Lustlosigkeit. Daher belegte Bobic am Sonntag Marica mit einer Geldstrafe von 50.000 Euro, während Kuzmanovic wegen mangelnder Professionalität 25.000 Euro bezahlen muss. So geht es beim VfB erstmals in dieser Saison einzelnen Spielern öffentlich an den Kragen. Doch Bobic weiß, dass Marica und Kuzmanovic nicht die Alleinschuldigen für die Niederlage sind. Mit seinen regelmäßigen Besuchen in der Kabine der Schiedsrichter und seinem Disput mit der gesamten Gilde hat Bobic selbst ein vergiftetes Klima geschaffen. Vielleicht hat er sich daher auch mit dieser Frage beschäftigt: Hätte Marica den Verbalangriff gegen Stark auch riskiert, wenn den Schiedsrichtern zuvor beim VfB nicht die Rolle des Buhmanns zugewiesen worden wäre?“

Jan Christian Müller (FR) sucht nach Gründen für den verbalen Fehltritt von Ciprian Marica: „Der Rumäne  hat auch seinen Trainer im Stich gelassen. Jens Keller gilt als ein Chefcoach auf Abruf in Stuttgart. Der ehemalige Assistent des geschassten Christian Gross kann es bis in die Winterpause schaffen oder sogar bis zum Saisonende, wenn er noch ein paar Punkte holt, und wenn es sehr gut läuft, kann er nur ganz vielleicht sogar länger bleiben. Als er neun Jahre alt war, hat der inzwischen 39-Jährige beim VfB Stuttgart schon Fußball gespielt. Er ist ein Trainer, der seinen Spielern vor allem Leidenschaft und Hingabe abverlangt. Ciprian Marica hat den Schiedsrichter leidenschaftlich und mit viel Hingabe verbal attackiert. Er muss da was falsch verstanden haben. Aber vielleicht ist Fredi Bobic daran nicht ganz unschuldig. Vergangene Woche hatte er gegen den jungen Schiedsrichter Christian Dingert nach dessen Elfmeterpfiff vorm 0:1 gegen den 1. FC Köln ausgeteilt. Ein gutes Vorbild war der Manager damit jedenfalls nicht.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “Wundertüte Bundesliga”

  1. Christoph
    Montag, 29. November 2010 um 15:56

    Ich lese nun schon seit Jahren den Indirekten Freistoß, uns das meistens auch mit viel Genuss. Was mir aber in letzter Zeit ein wenig auf den Magen schlägt, ist die thematische Beschränkung, die vor allem in dieser Saison immer wieder zu beobachten ist. Neben dem üblichen eingägnlichen Lob auf die Bundesliga gibt es dann zu zwei Spielen, nein, meist nur zwei, drei Vereinen eine Flut von Artikeln, die alle ungefähr dasselbe aussagen (Fredi Bobic hat das Klima vergiftet, etwa). Vom Gros der Mannschaften, die in der Bundesliga spielen, liest man hier so gut wie nichts. Warum nicht? Mir scheint die Presseschau zu einer lediglichen Schlagzeilen-Sammlung zu werden: die drei populärsten Themen werden breitrgetreten, alles andere ignoriert. Muss das so sein? Ist das wirklich kritisch?

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