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Bundesliga

Anti-Ailton

Oliver Fritsch | Montag, 27. September 2004 Kommentare deaktiviert für Anti-Ailton

Der 6. Bundesliga-Spieltag: „die Basis für den Titelgewinn scheint beim VfB viel gesünder zu sein als bei Leverkusen“ (FAZ) – Enttäuschung über die Zuschauerzahl in Wolfsburg – Miroslav Klose, der „Anti-Ailton“ (FAZ) und ein guter Bremer Griff – München: Roy Makaay und sonst nicht viel – „der Gute-Laune-Eddy dankt ab“ (FAZ) – Bielefeld siegt mit „Guerilla-Taktik“ (SZ) in Nürnberg u.v.m.

………….

VfB Stuttgart-Bayer Leverkusen 3:0

Kontrollierte Offensive

Martin Hägele (FR 27.9.) beschreibt den nahtlosen Übergang auf dem Stuttgarter Trainerposten: „Matthias Sammers Profis hatten offensichtlich begriffen, dass von ihnen ein Signal verlangt war und ein Paukenschlag gegen Leverkusen ideal wäre, um nicht nur auf dem nationalen Markt, sondern auch im Hinblick auf die internationale Aufmerksamkeit richtig zu punkten. Die Mannschaftssitzung, berichtete Sammer, habe gerade fünf Minuten gedauert, „eigentlich fahrlässig“. Die Art und Weise, wie der VfB Stuttgart den Leverkusenern Grenzen aufzeigte, hat imponiert. Nicht etwa, dass sie diese im Stil der jungen Wilden in Grund und Boden gerannt hätten. Es ist eher die viel beschworene „kontrollierte Offensive“, die Sammer nun im Schwabenland vorführen lässt. Die Philosophie und der Aufschwung des VfB beruhte auf Felix Magaths These, wonach hinten möglichst eine Null zu stehen habe. Nun baut Sammer auf dem Konzept seines Vorgängers auf. Und man sieht weiteren Fortschritt.“

Die Basis für den Titelgewinn erscheint beim VfB viel gesünder zu sein als bei Leverkusen

Stuttgart ist nicht Madrid – Peter Heß (FAZ 27.9.): “Wenn Matthias Sammer einmal nichts zu meckern findet, um mehrere lobende Sätze am Stück nicht herumkommt, dann klammert er sich gern an das Wörtchen bis. Bis jetzt, bislang, bis hierher, bis heute: Mit diesen Formulierungen fand der Trainer des VfB Stuttgart wenigstens eine zeitliche Einschränkung. Das 3:0 hatte keine Wünsche offengelassen. Diesmal erschien Sammer allerdings nicht als „Motzki“, wie ihn die Boulevardpresse einmal taufte, sondern als vernünftiger Mahner. Der Gegner diente als lebender Beweis, wie schnell sich im Fußball das Glück drehen kann. Nach dem 4:1 über Bayern München und dem 3:0 über Real Madrid wurde die Mannschaft von Trainer Klaus Augenthaler flugs zum Meisterschaftsfavoriten gekürt. Erklärungen für die Leistungsschwankungen lassen sich in drei Schlagworte bündeln: Motivation, Einstellung, Aggressivität. (…) Die Basis für den Titelgewinn erscheint beim VfB viel gesünder zu sein als bei Leverkusen. Den Stuttgartern mangelt es nicht an spielerischer Begabung, aber eine Künstlerkolonie wie in Leverkusen hat sich im Schwabenland nicht zusammengefunden. Der VfB bildet eine kompakte, disziplinierte Einheit mit Laufwillen und Kampfbereitschaft. Falls es sich anbietet, ist die Mannschaft zu schnellen, direkten Spielzügen fähig. Aber sie wird ihren Fans kaum solche rauschhaften Vergnügen bereiten wie Leverkusen.“

Ledern, leidend und zerfurcht

Oskar Beck (FTD 27.9.) schaut Klaus Augenthaler zwischen Hals und Scheitel: “Unweigerlich ist man in der Pressekonferenz nach dem fast wehrlos hingenommenen 0:3 an die berühmte Quizfrage des Komikers Olli Dittrich erinnert worden: „Was ist ein mit Leder ummanteltes Stück Luft?“ Der Ball, dachten seinerzeit alle – bis die richtige Antwort kam: „Klaus Augenthaler.“ Ledern, leidend und zerfurcht hat der Leverkusener Trainer auch jetzt wieder aus der Wäsche geschaut. In jedem Indianerfilm könnte er mit seiner von der beginnenden Krise gegerbten und wie bei einer Ziehharmonika in Falten gelegten Haut den Häuptling Ratloser Plattfuß spielen – denn irgendwie vermitteln seine wie die Titelanwärter in die Saison gestarteten Profis den Eindruck, als hätten sie seit dem 3:0 gegen Real Madrid ihre Munition verschossen. Am Tag vor seinem 47. Geburtstag sah er aus wie 74 – nur seine Mannschaft wirkte noch älter. (…) Er hat fast ausgesehen wie jener schottische Trainer, der nach einer Schlappe seiner Mannschaft zur nachbohrenden Presse sagte: „Haben Sie noch Fragen, bevor ich gehe und mich aufhänge?““

VfL Wolfsburg-1. FC Kaiserslautern 2:1

Eine Zahl, die niemand verstand

Nicht alles in Wolfsburg ist reif für die Tabellenspitze – Dirk Steinbach (BLZ 27.9.): „In Fußballstadien wird gern und häufig gepfiffen. Gegen den Schiedsrichter, den Gegner und manchmal auch die eigene Mannschaft. Dass sich aber der Unmut gegen die Anzeigentafel richtet, ist neu. So geschehen in Wolfsburg, als die Zuschauerzahl präsentiert wurde. 18 295 stand dort in riesigen schwarzen Ziffern. Eine Zahl, die niemand verstand. Wolfsburg ist Tabellenführer, hat ein schickes Stadion und spielt ansehnlichen Fußball. Doch viel zu wenige gehen hin. „Ich werde erst dann zufrieden sein, wenn auch der letzte Platz in der Arena mit einem Fan des VfL besetzt ist“, sagte Trainer Erik Gerets trotzig. Das Dilemma des Klubs ist die geographische Lage. Im benachbarten Braunschweig gehen die Menschen lieber zum Traditionsklub Eintracht in die Regionalliga, als zu den Spielen des Emporkömmlings. In Magdeburg, ebenfalls nur wenige Autominuten entfernt, ziehen die Handballer die Massen an. Da helfen auch zahlreiche und gute Marketingaktionen wenig. Immerhin kommen fast zehn Prozent der Einwohner Wolfsburgs, so das Ergebnis einer Zuschauerbefragung, zum VfL. Trotzdem schmerzen die leeren Plätze.“

So habe ich unser Publikum noch nicht erlebt

Frank Heike (FAZ 27.9.) beschwichtigt: „Ein Heimspiel als Tabellenführer gegen den alten Klub des Trainers, und es kommen nur 18 000 Zuschauer? Ja, so ist das in Wolfsburg. Doch diejenigen, die auf der Nordtribüne standen, entfachten die beste Stimmung seit Eröffnung der Arena vor knapp zwei Jahren. „So habe ich unser Publikum noch nicht erlebt. Ohne Zuschauer hätten wir das 2:1 nicht gemacht“, sagte Erik Gerets. Tatsächlich scheinen die scheuen Wolfsburger Anhänger die Zuneigung zum Klub endlich entdeckt zu haben – sie wollten den VfL zum Sieg brüllen.“

Wer macht Wolfsburgs Abwehr so stark, Jan Christian Müller (FR 27.9.)? “Der Abwehrrecke Kevin Hofland hat sich, just von Marco van Basten ins niederländische Aufgebot fürs nächste WM-Qualifikationsspiel berufen, an der Seite des argentinischen Internationalen Facundo Quiroga zum nahezu unüberwindbaren Hindernis für gegnerische Stürmer entwickelt, und Torwart Simon Jentzsch hält endlich wieder, wie einst bei 1860 München, die paar Unhaltbaren, die Hofland und Quiroga überhaupt durchlassen.“

VfL Bochum-Werder Bremen 1:4

Anti-Ailton

Miroslav Klose, ein guter Griff für Bremen – Roland Zorn (FAZ 27.9.): „Der Diva Ailton ist ein Weiterverarbeiter gefolgt, dem nichts fremder ist als Starrummel und Dauerpräsenz in den Medien. Dieser Anti-Ailton war den Bremern dennoch eine Transferausgabe von fünf Millionen Euro wert. Nie, beteuerte Sportdirektor Klaus Allofs, hätten sie an der Weser daran gezweifelt, daß sich diese Investition noch auszahlen werde. Dieser Profi ist stürmisch und grüblerisch zugleich. Deshalb hatte der sensible Draufgänger mit dem verschämten Lachen daran zu knabbern, daß er bei der Europameisterschaft nicht das größte Vertrauen von Teamchef Rudi Völler genoß; der Schritt danach vom heimischen 1. FC Kaiserslautern zum Meister ins nordische Bremen fiel ihm zunächst auch alles andere als leicht.“

Christoph Biermann (SZ 27.9.) fügt hinzu: „Klose ist kein bulliger Angreifer, der Zweifel abzuschütteln vermag wie lästige Gegenspieler. Er ist ein Zweifler, der ständig die Kuscheldecke des Vertrauens spüren muss. In Bremen scheinen sie das verstanden zu haben, haben ihm brav Streicheleinheiten verpasst und ein Übermaß an Selbstkritik untersagt. „Er hat sich viele Dinge einreden lassen“, sagte Klaus Allofs. Weil aber das Imaginäre ganz real die Beine schwer machen kann, hatte Klose zunächst noch auf der Bank sitzen müssen.“

Bayern München-SC Freiburg 3:1

Es taucht stets ein großer blonder Mann auf

Wie im Film kommt sich Klaus Hoeltzenbein (SZ 27.9.) vor – und wie im Zoo: „Womöglich müssen die Freiburger Journalisten wieder nachsitzen in dieser Woche. Kommt ganz drauf an, was sie zu berichten hatten, und ob es Volker Finke gefallen hat. Wenn nicht, gibt es wieder so ein Filmchen zu sehen wie nach dem Pokalsieg. Da hatte Finke den Journalisten noch einmal die ersten 20 Minuten der Partie vorgeführt, um die Kritik an der Spielweise seiner Elf zu widerlegen – erst danach begann der einstige Gymnasiallehrer mit seinen Ausführungen zur Dienstreise in den Freistaat Bayern. Von der hat Finke viel „inneren Frust“ mit heim genommen. Sollte er auch zu diesem Spiel seine kleine Taktikschule mittels Video abhalten, wird die Regie viel komplizierter. Allerdings gibt es ein berühmtes Vorbild für alles, was sich im Olympiastadion zutrug: Groundhog Day, in deutschen Kinos: „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Die ständige Wiederholung des Immergleichen. Im Original wird ein zynischer TV-Wetterfrosch (Reporter!) jeden Morgen vom selben Sonny&Cher-Song aus dem Radio geweckt, es ist immer derselbe Tag, die Ereignisse in Punxsutawney wiederholen sich, nicht mal Selbstmordversuche bieten einen Ausweg. In der Kopie, in Volker Finkes C-Movie, würde also immer ein anderer allein auf ein großes Fußballtor zu laufen. Es taucht stets ein großer blonder Mann auf, und all die Willis, der Iaschwili, der Zkitischwili oder der Tobias Willi, lassen sich von ihm erschrecken. (…) Horror oder Komödie? Jedenfalls war jede dieser Chancen vielversprechender als alle, aus denen den Münchnern drei Treffer gelangen. Es passte wenig zusammen, wurde aber dennoch ein kurzweiliger Nachmittag, weil sich die Spielbeobachtung auf eine einzige Frage zuspitzen ließ: Wo ist er denn, was tut er gerade, was hat er jetzt wieder vor? Magath stellte fest: „Roy Makaay wird immer mehr zum Ziel unseres Spiels. Man sucht ihn.“ Derzeit ist es beim FC Bayern ähnlich wie im Zoo, wenn ein neuer Panda-Bär zu bestaunen ist. Trotz der vielen großen Tiere nebendran beobachten alle nur das eine.“

Borussia Mönchengladbach-Hansa Rostock 2:2

Jörg Stratmann (FAZ 27.9.) deutet Trainerworte: „“Wenn man das nicht abstellt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man hält die Klasse nicht, oder man muß sich von Spielern trennen“ (Holger Fach). Ob der frühere, mit technischem Feingefühl gesegnete Profi mit seiner schonungslosen Kritik auf Dauer Erfolg haben wird, muß sich noch zeigen. Kollege Schlünz blieb lieber allgemein und kommentierte den glücklichen Ausgang des Arbeitstages mit trockenem Humor. So wie sein Team in der ersten Halbzeit aufgetreten sei, „wird wahrscheinlich keine Mannschaft in der Bundesliga jemals einen Punkt holen“, sagte er. Daß er selbst dazu beigetragen hatte, indem er den Seinen eine massive Abwehr mit zusätzlicher altertümlicher Manndeckung im Mittelfeld verordnet hatte, wodurch die Stürmer kaum einmal zum Einsatz kamen, verschwieg Schlünz.“

Hannover 96-Schalke 04 1:0

Übergangsübungsleiter

„Der Gute-Laune-Eddy dankt ab“, schreibt Sascha Zettler (FAZ 27.9.): „Eddy Achterberg ist ein umgänglicher Typ. Und er hat kein Problem damit, Klischees zu bedienen. „Der Gute-Laune-Eddy“, seufzte er, „hat heute keine gute Laune.“ Das war auf das überflüssige 0:1 gemünzt. Wenige Minuten später war seine Laune noch schlechter. Rudi Assauer hatte nämlich, während Achterberg sein Fazit, rund fünf Meter entfernt stehend verkündet, „daß wir innerhalb der nächsten 14 Tage einen neuen Trainer präsentieren werden. Und der Eddy weiß das auch.“ Wußte er nicht. Sagte er zumindest. (…) „Ich habe nicht um den Job gefragt, sondern bin innerhalb einer Sekunde Cheftrainer geworden.“ Interimstrainer, hatte Assauer betont. „Und das war von vornherein klar.“ Seltsam nur, daß Achterberg davon völlig unvorbereitet getroffen wurde. „Ich bin nicht informiert worden, wirklich nicht.“ Wie lange er noch der Übergangsübungsleiter ist, weiß er auch nicht. „Vielleicht noch bis Donnerstag“, sagte er und lächelte in die Runde – ein verzweifelter Versuch, gute Laune zu dokumentieren, die ihm längst vergangen war.“

1. FC Nürnberg-Arminia Bielefeld 1:2

Nur ein schwacher Ausdruck der tatsächlichen Kräfteverhältnisse

Wie reagiert Wolfgang Wolf auf die Niederlage, Gerd Schneider (FAZ 27.9.)? „Der Fußballehrer mit dem lichten Haar, bislang weder als Diplomat noch als antiautoritärer Pädagoge in Erscheinung getreten, ließ in seiner Nachlese Milde walten. „Ich kann meiner Mannschaft keinen großen Vorwurf machen“, sagte er, „Bielefeld stand heute sehr tief, da hat man es einfach schwer.“ Das war ein erstaunliches Urteil. Vier Tage zuvor hatte sich Wolfs Team gegen den Zweitligaklub LR Ahlen lächerlich gemacht. Und mit der Niederlage gegen die Arminia, einen der Hauptkonkurrenten im Kampf gegen den Abstieg, machten die Nürnberger auch in der Bundesliga zunichte, was sie sich bislang mit bemerkenswert couragierten Auftritten aufgebaut hatten. Denn es war ja nicht so, daß sie Bielefeld einen großen Kampf geliefert hätten. Das Team aus Ostwestfalen, wie der „Club“ ein ewiger Wanderer zwischen Klasse eins und Liga zwei, hatte den Franken so viel voraus, daß das Ergebnis nur ein schwacher Ausdruck der tatsächlichen Kräfteverhältnisse war.“

Guerilla-Taktik

Jochen Breyer (SZ 27.9.) fallen viele Vergleiche ein: „Die Bielefelder haben ihre Guerilla-Taktik nahezu perfektioniert. Sie lockten die Franken tief in die eigene Hälfte, wo sie sich im dichten Defensiv-Dickicht auf den Gegner stürzten. Nürnberg wirkte zwar überlegen, rannte sich aber immer wieder fest oder wurde zu Fehlpässen gezwungen. Kaum hatten die Arminen den Ball erobert, waren ihre drei Besten, Buckley, Vata und Skela, kaum zu stoppen. Delron Buckley ist schnell und braucht für seine Dribblings so wenig Platz, dass er gegen drei Nürnberger den Ball auch in einem der vielen Dixie-Klos behauptet hätte, die rund um das Stadion aufgestellt sind. Fatmir Vata erinnert nicht nur äußerlich an den ehemaligen Hamburger Yordan Letchkov, sondern kann auch dessen öffnende Pässe spielen. Und Ervin Skela würde eigentlich für Bayer Leverkusen spielen, hätte nicht sein Berater die Verhandlungen verkaspert. Die drei rissen die Mannschaft mit und strahlten ein beinahe freches Selbstbewusstsein aus. (…) Der Club wirkte ab dem Bielefelder Strafraum so unbeweglich, als hätte der Hauptsponsor, ein Jeansfabrikant, darauf bestanden, dass die Spieler sein Herbstmodell „Straight leg dark stone“ – trendy aber eng – zur Schau stellen. Die Freude über den guten Saisonstart scheint das Frankenland bereits wieder zu verlassen. Jeder zweite Gast im Stadion muss am Ende seine Finger im Mund gehabt haben, so laut waren die Pfiffe, die das Team auf dem Weg in die Kabine begleiteten.“

morgen auf indirekter-freistoss: die Spiele in Mainz und Hamburg

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