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Bundesliga

Bielefelds Ballartisten mit Speed

Oliver Fritsch | Montag, 25. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Bielefelds Ballartisten mit Speed

Der 9. Spieltag: „der HSV hat die Pestfahnen in Dortmund zurückgelassen“ (SZ) – Systemvorteil, „Werder Bremen gewinnt ungeheure Möglichkeiten, selbst auf schwere Personalprobleme reagieren zu können“ (FAZ) – Oliver Kahn, zum peinlichsten Deutschen gewählt (FR/FTD) – „keine Führungskraft in Gladbach weit und breit“ (FAZ) / „Hannovers Lienen-Fußball nahe der Perfektion“ (SZ) – „Bielefelds Ballartisten mit Speed“ (FAZ)

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Borussia Dortmund-Hamburger SV 0:2

Der HSV hat die Pestfahnen in Dortmund zurückgelassen

Christoph Biermann (SZ 25.10.) wundert sich über die Aussagen der Hamburger: „„Der Trainer hat jedem seine Aufgabe gegeben“, erklärten Daniel van Buyten und einige seiner Kollegen fast gleichlautend. Für Thomas Doll gehört die Klarheit in der Aufgabenstellung zu der Sicherheit, die ein Trainer seinen Spielern geben muss. „Jeder muss wissen, was er zu tun hat“, sagte der Coach, und man fragte sich, ob Klaus Toppmöller nicht erklärt hatte, was zu tun war. Oder waren solche Äußerungen nur eine subtile Rache der Mannschaft an ihrem geschassten Coach? „Dolly sieht sich als Teil der Mannschaft und nicht darüber“, berichtete Martin Pieckenhagen, und das klang ebenfalls so, als wolle auch der Torhüter noch einmal gegen Toppmöller nachtreten. „Ich bin ein Teil der Mannschaft“, sagte Doll, und das klang wie eine Grundsatzerklärung. Seine teilnehmende Beobachtung hatte auch zu einer Neuordnung auf dem Platz geführt. „Wir haben jetzt keine Plätze mehr eingenommen, die nicht zu den Spielern gehören“, sagte Van Buyten, und das ging wohl auch Richtung Toppmöller. Es war halt so wie schon oft: Der neue Trainer siegte und hatte alles richtig gemacht. Doch weil der Wert solcher Erfolge erst im Laufe von Wochen einzuschätzen ist, war es für den HSV das Wichtigste, die Pestfahnen in Dortmund zurück zu lassen. Dort wehen sie nun über dem Westfalenstadion.“

VfL Wolfsburg-VfL Bochum 3:0

Fußball, wie ihn die Zuschauer wollen

Ein klarer Sieg – Achim Lierchert (FAZ 25.10.): „Kaum gelungene Kombinationen, viele Ballverluste, blasse Spitzen, eine überforderte Abwehr – so das Bochumer Bild im Herbst 2004. (…) Die Wolfsburger begeisterten 20000 Zuschauer mit einem Fußball, der Aggressivität in der Deckung, Ideenreichtum im Zentrum und Gefährlichkeit im Angriff ausstrahlte. „Da haben wir ein sehr, sehr gutes Spiel gemacht“, sagte Gerets, der sich stolz und glücklich zeigte, „denn das war der Fußball, wie ihn die Zuschauer wollen.“ Nicht aufhören zu kämpfen will Gerets, wie er kürzlich sagte, bis auch der letzte der 30 000 Plätze in der Volkswagen-Arena besetzt ist. Diesmal blieben noch rund 9000 Sitze leer.“

Werder Bremen-1. FC Nürnberg 4:1

Dieses System ist über Jahre gewachsen

Ralf Wiegand (SZ 25.10.) beschreibt den Strukturvorteil Werder Bremens: „Lazarett Bremen besiegte Caritas Nürnberg im Weser-Hospital. Pumperlgesund wirkte die von einer Bänderdehnungs-, -zerrungs- und -riss-Epidemie geplagte Elf des letztjährigen Bundesliga-Souveräns. Womöglich liegt das an den Selbstheilungskräften eines gut organisierten Systems. Zwar ist es auch für diese Elf unabdingbar, dass ein paar lebenserhaltende Instrumente auf keinen Fall ausfallen – etwa Johan Micoud, der Herzschrittmacher im Mittelfeld, oder die künstliche Lunge Fabian Ernst. Doch darum herum scheint jeder austauschbar. Diesem Umstand verdankte in der vergangenen Saison auch Christian Schulz, 21, seinen Aufstieg vom Amateur zum Profi. Am Samstag erzielte das jüngste Glied der Viererkette sein erstes Bundesliga-Tor und sagte: „Es zahlt sich jetzt aus, dass wir von der Jugend über die Amateure bis zu den Profis das gleiche System spielen. Da weiß jeder auf seiner Position, was er machen muss.“ Dieses System ist über Jahre gewachsen. So bleibt sogar dem eher weniger erfolgreichen Trainer Aad de Mos, erster Nachfolger Otto Rehhagels, als ewig währendes Verdienst, den Verein vom Liberowesen befreit und die 4-4-2-Taktik in den Trainingsalltag bis hinunter zu den Kleinsten eingeführt zu haben. (…) Werder gewinnt auf diese Art ungeheure Möglichkeiten, selbst auf schwere Personalprobleme reagieren zu können.“

Frank Heike (FAZ 25.10.) schreibt: „Vielleicht hätte Nürnberg mit Ivica Banovic besser ins Spiel gefunden. Doch der ehemalige Bremer hatte sich selbst aus der Startelf katapultiert, indem er in der Bild ankündigte, bei Johan Micoud „härter hinzulangen“, komme es zum Zweikampf. Banovic mag den Franzosen nicht. Mehrmals hatte Micoud den Mittelfeldrivalen in gemeinsamen Bremer Zeiten nach bester Platzhirschmanier im Training gefoult. Wolf zeigte pädagogisches Gespür und ließ Banovic bis zur 82. Minute auf der Bank abkühlen. „Die Spieler müssen lernen, in solche Fallen der Presse nicht hineinzutappen“, sagte Wolf, fast stolz, den Heißsporn ausgebremst zu haben.“

Hansa Rostock-Bayern München 0:2

Rackerer

Kann man die Bayern an ihren Worten messen, Matti Lieske (taz 25.10.)? “Was waren das in den ersten Wochen der Saison wieder für Lobeshymnen gewesen, die über dem FC Bayern München ausgeschüttet wurden – zuvorderst von den üblichen Turborhetoren des Vereins höchstselbst. Mit Zauberfüßen wie Deisler und Ze Roberto wollte man den Magathschen Offensivfußball zu europaweiter Blüte treiben, unterstützt von einem endlich seine Chefrolle in voller Statur ausfüllenden Ballack, dahinter mit einem Lucio, der weitere feinsinnige Elemente zum Spiel nach vorn beisteuern würde. Unbremsbar, unschlagbar, unheimlich – so stellte man sich das in München vor. Als die Bayern bei Hansa Rostock gastierten, war von diesen Visionen nicht mehr viel übrig geblieben. Zerstoben im Zuge zahlreicher durchwachsener Partien, zerschellt auch an gesundheitlichen Problemen, welche die gesamte erste Kreativgarnitur lahm gelegt hatten. Im Ostseestadion begab sich ein Mittelfeld der Rackerer mit Hargreaves, Frings, Salihamidzic und Schweinsteiger ans Werk, ein solides Fußwerkerkollektiv anstelle einer kickenden Künstlerkolonie.“

Der peinlichste Deutsche

Füttern verboten – Dirk Böttcher (FR 25.10.): „Kahn ist wieder mal zur Furie mutiert. Oder besser: zum Ziegenbock. Den mimte er zum Ende der ersten Halbzeit an die Adresse von Juri Schlünz. Der hatte etwas in Richtung Linienrichter gestikuliert, und Kahn fühlte sich angesprochen. Auslöser der ganzen Aufregung war Schiedsrichter Lutz Wagner. Der hatte Rostocks David Rasmussen nach einer rüden Attacke gegen Sebastian Schweinsteiger des Feldes verwiesen. Kahn geriet darüber in einen Brüllrausch, der sich gegen alles richtete, was sich um ihn herum bewegte. Egal ob Freund oder Feind. Womit er sich unter den Rostocker Fans natürlich keine Freunde machte. Die skandierten „Lehmann für Deutschland“. Für einen Nationaltorwart war Kahns provozierendes Gehabe schlicht untragbar. Als wollte er seiner jüngsten Benennung zum „peinlichsten Deutschen“ oder „Anführer der Riege des Grauens“ (taz) mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gerecht werden. Die Reaktion im Ostseestadion schwoll zu einem einzigen Pfeifton an. In der halben Stunde zuvor hatte man noch 30 000 Opernbesucher im Stadion vermuten können. So ruhig war es, so drückend überlegen spielten die Bayern, die gleich reihenweise beste Chancen ausließen. Vielleicht spürte Sieges-Sensibelchen Kahn in dieser Phase, dass die Reise nach Rostock auch direkt in die Herbstdepression führen könnte.“

Mit wem nennt man Kahn einem Atemzug, Bernd Müllender (FTD 25.10.)? „Oliver Kahn ist anders. Der kennt gar keine Grenzen, auch in Rostock tobte er sich in einen Brüllrausch. Komischerweise ist das auch nicht recht: Eben erst wurde Discokingkahn, trotz erstklassiger Konkurrenz wie Bohlen, Loddamadäus, Naddel oder Effenberg zum „peinlichsten Deutschen“ gewählt. Sind die Kahnschen Tobsuchtsanfälle Tarnung? Für eine sensible Seele, die weinen will? Für ein einsames Herz?“

Borussia Mönchengladbach-Hannover 96 0:2

Keine Führungskraft weit und breit

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 25.10.) hat nicht viel Gladbach gesehen: „Auf seiten der Rheinländer wurde viel gerannt, großer Aufwand betrieben, ohne nennenswerte Wirkung zu erzielen. Sie vermißten die gesperrten Bernd Korzynietz und Oliver Neuville schmerzlich. Jene, die statt ihrer ran durften, hätten das als Chance begreifen können, aber es gab keinen, der sich empfahl. Selbst Stammkräfte wie Thomas Broich oder Marek Heinz überboten sich als Umstandskrämer mit dem Ball. Wobei Broich zugute gehalten werden muß, daß ihm ein Elfmeter zugestanden hätte. Der Tscheche Heinz wiederum präsentierte sich so fahrig wie einst beim HSV und nicht so zielstrebig wie bei der EM im Sommer. Keine Führungskraft weit und breit.“

Lienen-Fußball nahe der Perfektion

Daniel Theweleit (SZ 25.10.) widment sich den Siegern: „Der „überragende Per Mertesacker“ (Lienen) erzielte sein zweites Saisontor und schuf damit die Grundlage, Lienen-Fußball nahe der Perfektion zu zelebrieren. Die Mannschaft zog sich bis 35 Meter vor das eigene Tor zurück, zeigte hingebungsvolle Laufbereitschaft, bewegte sich klug im Raum, und so mussten die Gladbacher auf einem überfüllten 20 Meter breiten Rasenstreifen zwischen Hannovers Stürmern und der am Strafraum postierten Viererkette nach Lücken suchen, ohne auch nur ein Mal mittels Pass-Spiel in den Strafraum einzudringen. Einer der seltenen nadelstichartigen Spielzüge der Gäste wurde dann von Steven Cherundolo mit dem 0:2 gekrönt und raubte den Gladbachern endgültig den Nerv.“

1. FC Kaiserslautern-Bayer Leverkusen 0:0

Kurt Jara vermisse menschliche Wärme, meint Peter Heß (FAZ 25.10.): “Wie schön, wenn sich Gegner sympathisch sind: Kurt Jara und Klaus Augenthaler gingen nach dem Abpfiff Arm in Arm in Richtung Kabine. Ein ungewöhnlich friedliches Bild unter Trainern, an einem Ort, der als der höllischste in der höchsten deutschen Fußballklasse gilt. Aber die Zeiten sind vorbei, in denen die Roten Teufel vom Betzenberg ihren Gegnern kräftig einheizten. Und zum Glück der Pfälzer hatten auch die begabteren Leverkusener darauf verzichtet, ihren Widersachern übermäßig weh zu tun. Das Ergebnis drückte das samstägliche Geschehen treffend aus, und es erleichterte den beiden Fußballehrern die freundschaftliche Geste. Vor allem Kurt Jara genoß den Augenblick der Verbundenheit. Im eigenen Betrieb wird ihm mittlerweile nämlich herzlich wenig ehrliche Anteilnahme entgegengebracht. Als der Österreicher um 15.04 Uhr den Rasen auf dem Betzenberg betrat, machte der Stadionsprecher den Fehler, ihn mit voller Lautstärke zu begrüßen, die eingefleischten Fans in der Westkurve aufzufordern, ihm viel Glück fürs Spiel zu wünschen. Alles, was ihm entgegenschlug, waren gellende Pfiffe. (…) So geschäftsmäßig die Beziehung zwischen Jäggi und Jara klingt, ist sie auch. Ein Herz und eine Seele werden die beiden nach einigen Auseinandersetzungen wohl nicht mehr.“

Bastion a.D.

Schmeichelhaft ist etwas anderes – Ingo Durstewitz (FR 25.10.) zeichnet Kurt Jara: “Resignation pur. Sie steht auf zwei Beinen, hat sich eine schlabbernde Jeans, ein über dem Bauch spannendes blaues Hemd und eine schwarze Trainingsjacke übergeworfen, sie tippt mit dem Zeigefinger an die Stirn und lugt unendlich traurig aus zwei braunen Knopfaugen. Kurt Jara verkörpert sie, die Resignation, oben auf der Trutzburg Betzenberg, der Bastion a.D., 300 Meter über NN. Die in Sarkasmus gehüllten Worte Jaras offenbaren Leere. Weshalb er keine Lobby habe? „Vielleicht weil ich Österreicher bin, auf die kann man noch ein bisschen mehr reinhauen.“ Ob er Trainer kenne, die Ultimaten überstanden hätten? „Nein, ich wüsste nicht, wo so etwas gut gegangen ist.“ Ob er Rückhalt vermisse? „Nein, die paar Dummen, die Jara raus brüllen, hätten mich als den Größten gefeiert, wenn der letzte Ball reingegangen wäre.“ Ist er aber nicht, und so steht dem Angefressenen auf jeden Fall noch eine turbulente Woche bevor. In Kaiserslautern, Neueinsteiger auf Rang 18, geht es drunter und drüber.“

Arminia Bielefeld-Hertha BSC Berlin 1:0

Ballartisten mit Speed

Roland Zorn (FAZ 25.10.) erfreut sich an Bielefeld: „Zeit, nicht mehr nur über Mainz 05 als den Emporkömmling des Jahres in der Bundesliga zu sprechen. Die Arminen halten sich für mindestens genauso stark wie die Rheinhessen. Tatsächlich überraschen beide Teams die etablierte Konkurrenz mit dem, was der Bielefelder Trainer Uwe Rapolder „Konzeptfußball“ nennt. Die westfälischen Konterspezialisten, auswärts zuletzt dreimal nacheinander siegreich, feierten ihre Spezialität aus einem 4-2-3-1-System heraus auch gegen die einmal unaufmerksamen Berliner. Und wieder schlug das Pärchen zu, das sich auf der Alm gesucht und gefunden hat: Paß Vata, Sprint und Torschuß Buckley. Was schon vor einer Woche in Hamburg perfekt funktionierte, wiederholten die zwei vor heimischer Kulisse. „Es gibt so Typen“, sprach der Bielefelder Sportdirektor Thomas von Heesen aus eigener Erfahrung, „die brauchen sich kaum anzugucken, und es klappt.“ In seiner Zeit als Profi des Hamburger SV galt das Mittelfelddoppel von Heesen/Bein als das Nonplusultra der Liga. Der Albaner Vata, ein „Guerrillero“, also ein Nahkämpfer, wie Rapolder sagt, und der Renner Buckley, in Bochum zuletzt verkannt, zeigen ihren Gegenspielern schon seit Wochen die Hacken. Drei der bisher erst acht Bielefelder Treffer beruhen auf der Kooperation dieser zwei Ballartisten mit Speed.“

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