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Bundesliga

Der 12. Bundesliga-Spieltag

Oliver Fritsch | Montag, 8. November 2004 Kommentare deaktiviert für Der 12. Bundesliga-Spieltag

Der 12. Bundesliga-Spieltag: diesen Tag sollten die Nürnberger genießen, wer weiß, wann ein solcher wiederkommt (FAZ) / VfL Wolfsburg „so mechanisch wie an der Spielkonsole“ (SZ) – „Hitzfeldisierung“ (FTD) der Bayern – die „ach-so-in-sich-gekehrten Bremer“ (SZ) vergessen ihre Manieren – „Dick Advocaat ist nicht nach Deutschland gekommen, um an einem Popularitätswettbewerb teilzunehmen“ (FAZ) – Spot auf Uwe Rapolder

………..

1. FC Nürnberg-VfL Wolfsburg 4:0

Fein, prickelnd, anregend und mit einem langen Nachgeschmack

In Nürnberg erhebt man die Gläser – Gerd Schneider (FAZ 8.11.): „An funkelnde, triumphale Auftritte ihres „Club“ können sich die Nürnberger Fans mitunter Jahrzehnte erinnern. Das liegt nicht daran, daß sie in Franken ein besseres Gedächtnis als anderswo hätten. Der Grund ist ein anderer: Solche Spiele kommen in Nürnberg so selten vor, daß man sie gar nicht vergessen kann. So war die Partie gegen den VfL Wolfsburg noch lange nicht beendet, da beschäftigten sich manche im Frankenstadion schon mit der Frage, wann es so etwas zum letzten Mal gegeben habe, ein 4:0 gegen eine Spitzenmannschaft. Extremanhänger wie der populäre Radioreporter Günther Koch, die Stimme Fußball-Frankens, hatten prompt die Antwort parat: Es war am 28. November 1989, also vor fast genau 15 Jahren, und der Gegner war damals Bayern München. Siege – erst recht solche – über die Großkopferten aus der Landeshauptstadt sind in Nürnberg natürlich mit nichts zu vergleichen. Aber auch diesen verregneten, kühlen und trotzdem wunderbaren Samstag werden die „Club“-Fans nicht so schnell vergessen. Zu Tausenden standen sie noch Minuten nach dem Schlußpfiff in der Nordkurve und harrten aus, als wollten sie ihn festhalten, diesen kostbaren Moment. (…) Drinnen, im Bauch des Frankenstadions, stand Michael A. Roth und glühte vor Glück. Aus besonderem Anlaß, sagte er, werde er später mit seiner Frau ein Gläschen Schampus trinken. Tatsächlich war dieses Spiel wie Champagner gewesen: fein, prickelnd, anregend und mit einem langen Nachgeschmack.“

So mechanisch wie an der Spielkonsole

Jochen Breyer (SZ 8.11.) spöttelt über den Tabellenführer: „Es bleibt das Geheimnis von Erik Gerets, wie er es in der Halbzeitpause schaffte, seine Männer zum Weiterspielen zu überreden. (…) Vielleicht hatte ihnen der Trainer versprochen, auf der Rückfahrt nicht das Video der ersten Halbzeit schauen zu müssen, sondern Playstation spielen zu dürfen. Obwohl das eine dem anderen ähnelte – denn der Wolfsburger Auftritt in den ersten 45 Minuten war so mechanisch wie an der Spielkonsole. 0:1 stand es nach 47 Sekunden, und den Gram darüber wusste Andrés D’Alessandro nur zu verarbeiten, indem er Markus Schroth mit dem rechten Arm ins Kreuz stieß wie der Catcher im Videospiel. Im Fachjargon der Wrestler heißt diese Aktion „Flying Closeline“, im Fußball bedeutet sie: Game over. Nach acht Minuten mussten die Wolfsburger ohne ihren Spielstrategen auskommen, so manch einer mag sich schon zu diesem Zeitpunkt in den Bussessel mit der verstellbaren Rückenlehne gesehnt haben.“

Bayern München-Hannover 96 3:0

Hitzfeldisierung

In München nichts Neues – Marc Schürmann (FTD 8.11.): „Endlich Zauberfußball, Sturm und Drang, Hacke und Spitze: Felix Magath war den Bayern als der Reanimateur des Spaßfußballs erschienen, auf den die Fans so hungrig sind, weil sie ja genau wissen, was für Ausnahmespieler sie da Woche für Woche bejubeln. Nun aber kehrt die Hitzfeldisierung der Bayern wieder ein, weil sich Punkte doch als wichtiger herausgestellt haben als Übersteiger. Und vermutlich sitzt der echte Ottmar Hitzfeld daheim vorm Fernseher und fragt sich, was der ganze Quark eigentlich sollte. Auch Oliver Kahn ist diesmal ohne Fehler geblieben. Das war leicht. Zwar hatten die Hannoveraner oft den Ball, doch sie waren so torgefährlich wie ohne. Trotzdem war Kahn so selig, sich diesmal weder für Gegentore noch für Patzer rechtfertigen zu müssen, dass er ganz gemächlich zur Kurve schlurfte, bis er die Fans für sich allein hatte, und sich dann sogar noch sein blaues Torwarttrikot über den Kopf zog und es in den Stehblock warf. In Kahns Welt ist das ein drastischer Ausbruch von seelischer Gesundheit. (…) Wie andere Mannschaften auch gehorcht der FC Bayern München den Naturgesetzen des Fußballs, und zu denen gehört, dass sich der Rausch am eigenen Spiel nicht einfach verordnen lässt wie ein Rezept gegen Schnupfen, und konservieren kann man den Rausch auch nicht. Alle Mannschaften der Welt müssen in der Abwehr gut stehen und vorne effektiv… Aber das weiß man ja alles schon von Ottmar Hitzfeld.“

Kahn entfremdet sich immer weiter von der Mannschaft

Kahn bleibt, was er ist: ein einsamer Mann – Heinz-Wilhelm Bertram (BLZ 8.11.): „Ein Teil des Publikums durfte Oliver Kahn zujubeln. Dass der Torhüter die Huldigungen isoliert entgegen nahm, hatte wohl seinen Grund. Ihn alleine gelassen zu haben beim Siegtreffer von Juventus Turin, lautete sein Vorwurf. Jetzt strafte er die Kollegen, indem er sich alleine feiern ließ. Das zeigte nur: Kahn entfremdet sich immer weiter von der Mannschaft. Der Bayern-Torhüter ist kein Teamspieler mehr. Eher ein Solitär mit teils selbst gewählter, teils verschuldeter Isolation.“

Besorgniserregend apathischer Zustand

Andreas Burkert (SZ 8.11.) schilt: “Als hätten sie sich zur Halbzeit am Original FC Bayern Glühwein (9,5 % Vol.) erwärmt, starrten die Münchner benommen auf die flott kombinierenden Gäste, die unbehelligt das Mittelfeld okkupiert hatten. Eigentlich hatte Magath andere Kraftverhältnisse angekündigt, „überzeugend“ wollte er Hannover im Verfolgerduell besiegt sehen. Doch nach einer überaus trüben Vorstellung erinnerte sich kaum jemand mehr an solche Ansprüche. Die Bayern präsentierten sich sehr lange in einem besorgniserregend apathischen Zustand (…) Man muss endgültig fürchten, dass die Bayern zu ihrem hässlichen Stil zurückgekehrt sind, obwohl sie ihn für Allezeit dem Publikum vorenthalten wollten.“

Hertha BSC Berlin-Werder Bremen 1:1

Hau bloß ab, Du!

Die Bremer vergessen ihre Manieren – Javier Cáceres (SZ 8.11.): „Kaum, dass Hermann Albrecht eine erschreckende Partie abgepfiffen hatte, glichen die ach-so-in-sich-gekehrten Bremer menschgewordenen Siphonflaschen, die jemand zu doll geschüttelt hat. Die ganze Bank war aufgesprungen, Mediendirektor Tino Polster zeterte dem Referee unverständliche Verwünschungen hinterher, und sogar Kalli Kamp, seit der Entdeckung Amerikas dem jeweils aktuellen Werder-Trainer treu ergebener und allenthalben für stumm gehaltener Knappe, trat auf den Plan und gellte Albrecht ein „Hau bloß ab, Du!“ hinterher. Kamps Chef, Thomas Schaaf, hatte ebendiesen Albrecht dabehalten wollen, ihm dreifach „Hallo?!!?“ hinterhergebrüllt und sich über ein zweifaches „kann-ma-nich-ma-red’n-oder-was!?!?!?“ in ein finales „Das gib’s doch gaanich, Doh!!!“ gesteigert. Gab’s aber doch: „neeneeneee“, hatte Albrecht gesagt. Und sich geschlichen. Um ziemlich genau 32 Sekunden ging es, um die Sekunden, die besonders nach Schaafs Auffassung den Ausschlag dafür gaben, dass Werder den siebten Saisonsieg verfehlte. Erstmals in dieser Spielzeit hatten die Berliner einen Spielball benutzt, der wie eine Reminiszenz an Eintracht Braunschweig aussieht, vor allem aber besonders glitschig beschichtet ist: Als die reguläre Spielzeit verstrichen war, bekam Werder einen Einwurf zugesprochen; um die Griffigkeit des Balles zu verbessern, nahm Verteidiger Paul Stalteri das Hemd zur Hilfe und putzte die Kugel wie der Kellner eines Sternerestaurants die Silbergabel. Und weil das eben gedauert hatte, ließ Albrecht „entsprechend nachspielen“, obschon die angezeigte einminütige Nachspielzeit bereits vorüber war. (…) Zähe 92 Minuten lang überboten sich beide Teams bei dem Versuch, den Gegner in der Rubrik perfides taktisches Foul zu übertrumpfen.“

FSV Mainz-Borussia Mönchengladbach 1:1

Er ist nicht nach Deutschland gekommen, um an einem Popularitätswettbewerb teilzunehmen

Roland Zorn (FAZ 8.11.) beschreibt die Premiere Dick Advocaats in Mönchengladbach und die Premiere der deutschen Journalisten mit ihm: „Als er nichts mehr sagen wollte, kam Advocaat ins Reden – auf holländisch. Entspannt und ab und zu sogar mit einem Hauch von Humor erzählte der Niederländer vier Landsleuten aus dem von ihm nicht über die Maßen geschätzten Berufsstand der Journalisten, wie er seinen Einstand als Bundesliga-Trainer empfunden habe. Deutsche Reporter, die auch noch ein, zwei Zusatzfragen gehabt hätten, verwies der „kleine General“, wie sie den holländischen Fußballehrer daheim nennen, auf die soeben beendete Pressekonferenz. Dort habe er sich, sagte Advocaat, hinreichend ausführlich zum Spiel und zu seiner Premiere geäußert. Beim Nachspiel machte Advocaat auf Anhieb deutlich, daß er nicht nach Deutschland gekommen ist, um an einem Popularitätswettbewerb teilzunehmen. Was allein für ihn zählt, sind die Resultate seiner Mannschaft und die Ergebnisse seiner Arbeit auf dem Trainingsplatz. (…) In Mainz kam der Fußball-Pragmatiker aus einem Land, das den „Fußball total“ erfand und die Schönheit des Spiels zuzeiten höher als dessen Effektivität einschätzt, kurz und präzise auf den Punkt. „Das Ergebnis ist gut, der Fußball war schlecht“, lautete einer der wenigen Kernsätze, die Advocaat zu dem vor allem in der ersten Hälfte schlichten Kick seiner Elf fand.“

Bayer Leverkusen-SC Freiburg 4:1

Befreiende Wirkung

Gregor Derichs (FAZ 8.11.) freut sich mit Paul Freier: „Er hat nicht wenige Gemeinsamkeiten mit Miroslav Klose. Wie der Nationalstürmer aus Bremen wurde Paul Freier in Polen geboren, vor 25 Jahren in der oberschlesischen Stadt Beuthen. Während sich die Familie Klose in der Westpfalz niederließ, zog es die Aussiedlerfamilie Freier 1989 ins Sauerland. Dort wurde Freier vor acht Jahren vom VfL Bochum entdeckt. Werner Altegoer, der Präsident des VfL Bochum, freute sich schon nach den ersten Spielen des Talents. Zur neuen Saison wechselte Freier nach langen Streitigkeiten für eine Ablösesumme von 2,75 Millionen Euro zu Bayer Leverkusen, um dort Bastürk zu ersetzen. Doch den abgewanderten Türken konnte der 17malige Nationalspieler Freier nicht vergessen machen. Bis zum Samstag galt Slavomir Freier vielen in Leverkusen als mögliche Fehlinvestition oder gar als Transferirrtum. Beim Sieg über den SC Freiburg gelang dem quirligen Rechtsaußen mit den rötlichen Haaren endlich ein Auftritt, der eine befreiende Wirkung haben könnte.“

Arminia Bielefeld-Borussia Dortmund 1:0

Er schickt jeden Feldspieler mit einem detaillierten Jobprofil aufs Feld

Ulrich Hartmann (SZ 8.11.) richtet den Scheinwerfer auf Uwe Rapolder: „Dieser Verein, der zwölf Spielzeiten in der Bundesliga mitmischte, als habe er sich stets durch die Hintertür in einen Vip-Club gemogelt, zeigt neuerdings Fußball, der nicht nur unterhaltsam ist, sondern auch effektiv. Das bedeutet nicht, dass Bielefeld um die Meisterschaft mitspielt, aber doch, dass kaum eine Elf außer denen aus Nürnberg und Mainz derzeit so viel aus ihrem Potenzial herausholt. Woran das liegt? „Am Trainer“, sagt Ervin Skela, „wir haben einen Supertrainer, das hat in Deutschland bloß noch keiner mitbekommen.“ Der derart gelobte Mann heißt Uwe Rapolder, er ist 46 Jahre alt. Er hat die Bielefelder im März in der Zweiten Liga übernommen, nachdem er zuvor 16 Monate lang arbeitslos war. Rapolder war zuvor nacheinander bei den Zweitligaklubs in Mannheim und Ahlen entlassen worden, und er hatte keinen Marktwert mehr im deutschen Fußball, bevor ihn die Bielefelder zu sich holten. Der Trainer Rapolder holt das Beste aus dieser Mannschaft heraus. Er schickt jeden Feldspieler mit einem detaillierten Jobprofil aufs Feld. „Jeder kriegt einen klaren Auftrag“, sagt er, und die wahre Leistung der Spieler besteht darin, diesen Auftrag präzise auszuführen. Laufwege und Systemumsetzung werden im Training bis zur Ohnmacht einstudiert und im Spiel nur noch abgerufen. (…) In Dortmund gilt das Gegenteil. Die Spieler agieren häufig am unteren Ende ihrer Leistungsfähigkeit, und dass es bislang keine Diskussion um die Motivationsfähigkeiten des Trainers van Marwijk gegeben hat, liegt wohl an den alles überschattenden Finanzproblemen.“

VfL Bochum-1. FC Kaiserslautern 1:1

Rückkehr zu den Wurzeln

Optimismus in Bochum, Christoph Biermann (SZ 8.11.) will’s mal glauben: „Zu den Notwendigkeiten des Abstiegskampfes gehört es, das Gefühl eines Richtungswechsels auch dann zu entwickeln, wenn man auf der Stelle tritt. „Wir haben gezeigt, welchen Weg man beschreiten muss, um aus den unteren Regionen herauszukommen“, erklärte Peter Neururer. Doch nicht der Trainer allein interpretierte das dürre 1:1 als Fortschritt. Dass sich Team und Trainer mit dieser Wahrnehmung nicht in einem Kokon der Selbsttäuschung eingesponnen hatten, wurde ihnen von den Rängen des Ruhrstadions bestätigt. Auch wenn die Bochumer Realität eine des Stöhnens, Seufzens und Leidens ist, und obwohl das Spiel, in dem Fehler zur Stapelware wurden, nur selten flüssig war, entzogen die Fans ihrem Team die Unterstützung nicht. So entstand der Eindruck, dass der VfL Bochum trotz fortgesetzter spielerischer Baisse zu sich zurück gefunden hat. Nach dem Ende der internationalen Blütenträume scheint die Rückkehr zu den Wurzeln gelungen: zum Kampf ums Überleben.“

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