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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Ich bin ein ganz normaler Mensch und will ein ganz normaler Mensch bleiben

Oliver Fritsch | Montag, 20. März 2006 Kommentare deaktiviert für Ich bin ein ganz normaler Mensch und will ein ganz normaler Mensch bleiben

Jürgen Klinsmann im Interview mit Michael Ashelm und Michael Horeni (FAS)
FAS: Sie sagen immer, Sie würden bei allem Gegenwind Ihren Job als Bundestrainer durchziehen. Joachim Löw aber gibt zu, daß sich die sportliche Leitung der Nationalmannschaft mit Themen befassen mußte, mit denen sie sich nie befassen wollte. Welchen Einfluß haben die Diskussionen auf Ihre Arbeit?
Klinsmann: Sie hatten keinen Einfluß auf die Arbeit mit der Mannschaft, aber natürlich Einfluß auf unsere generelle Arbeit. Wir mußten uns für Dinge rechtfertigen, von denen wir nie dachten, daß wir uns dafür rechtfertigen müssen. Uns wird es jetzt aber leichter fallen, klare Linien zu ziehen in der direkten Vorbereitung auf die WM. Es wird weniger Energie in die Medienarbeit fließen. Am wichtigsten sind die Spieler, wir müssen unsere Prioritäten setzen und aus unseren Erfahrungen lernen. Denn wie jede Weltmeisterschaft gezeigt hat: Wir in Deutschland reden uns erst in Grund und Boden, mit dem ersten oder zweiten Sieg im Turnier wollen dann alle wieder auf den Zug nach oben springen. (…) Es macht mir keinen Spaß, den Flughafen über einen Hinterausgang zu verlassen und die eigene Mutter beim Weg zum Bahnhof von einer Sicherheitskraft begleiten lassen zu müssen. Ich bin auch nur ein Mensch, mit Familienangehörigen, die da hineingezogen werden. Aber das sind die Begleiterscheinungen, die dieser Job mit sich bringt. Ich nehme sie in Kauf, weil ich in der Verantwortung für meine Mannschaft stehe. Aber ich mache mir aus negativen Schlagzeilen oder Kommentaren nicht lange einen Kopf. Ich ärgere mich zwar und sage mir: Das hättest du besser machen können, das war blöd von dir. Im Kanzleramt am Mittwoch war auch so ein Moment, als auf einmal die Kameras liefen und ich im Kopf auf die Situation nicht richtig vorbereitet war. Da habe ich meine eigenen Erwartungen nicht erfüllt, weil ich überrascht wurde. Auch bei der Pressekonferenz in Frankfurt nach dem Italien-Spiel hat meine Körpersprache nicht gestimmt. Da ärgere ich mich drüber, das war’s dann aber auch. Ich kann schnell abhaken.
FAS: Wenn Sie die Mechanismen kennen, weshalb haben Sie dann so viel Angriffsfläche geboten mit der Absage beim Fifa-Workshop?
Klinsmann: Die Kritik ist berechtigt. Der Fehler mit dem Nichterscheinen beim WM-Workshop hat mich nicht glücklich gemacht. Aber man begeht Fehler, wenn man viele Dinge anders und aus einer anderen Perspektive angeht. Fehler mache ich wie ein Spieler auf dem Platz. Das habe ich auch Franz Beckenbauer gesagt. Aber letztlich ist es wichtig zu wissen, wo ich hinwill mit meinem Team.
FAS: Resultiert aus diesen Erkenntnissen, daß Sie sich öfter in Deutschland aufhalten wollen?
Klinsmann: Ich habe meinen Lebensschwerpunkt seit Ende Januar getauscht. Ich bin seither meistens in Deutschland und weniger in den Vereinigten Staaten. Das habe ich aber auch von Anfang an gesagt, daß das in den letzten Monaten vor der WM so sein wird. Nur, öffentlich machen werde ich meinen Terminkalender nicht. Der geht niemanden etwas an. Ich habe die Auffassung, daß ich nicht unbedingt öffentlich begleitet werden muß in meinem Alltag. Ich muß nicht unbedingt aus dem Flugzeug herauskommen und vor Kameras stehen. Auch wenn die Rolle als Bundestrainer Verpflichtungen mit sich bringt und im Hinblick auf die WM sehr wichtig ist, bleibe ich bei meiner Botschaft: Ich bin ein ganz normaler Mensch und will ein ganz normaler Mensch bleiben.
FAS: Wer soll das glauben?
Klinsmann: Das ist mir egal. So bin ich. Ich suche nicht das Rampenlicht.
FAS: Warum aber werden Ihnen keine Fehler verziehen – nicht von Beckenbauer, nicht von Netzer, nicht von Bild?
Klinsmann: Ich bin nicht so angepaßt, wie manche sich das hoffen. Ich lasse mich nicht kaufen. Wenn man andere Wege geht und versucht, etwas zu bewegen, dann erntet man auch Neid oder Mißgunst.
FAS: Wieviel Kraft kostet es, nicht angepaßt zu sein?
Klinsmann: Es kostet Kraft. Aber ich verfüge mit unserem Betreuerteam der Nationalmannschaft und meiner Familie über ein enormes Energiefeld. Mir reichen auch nur zwei Tage in Kalifornien, um wieder voll fit zu sein. Meine Familie ist meine wichtigste Energiequelle, und daß ich Dinge schnell abhaken kann, hängt eben auch mit meinem Wohnort zusammen. Ich habe aber auch zu Zeiten, als alles Sonnenschein war, gesagt, daß für mich dieses Wechselspiel ein Riesenvorteil ist.
FAS: Wenn es nach einigen Politikern in der Fußballrepublik Deutschland gegangen wäre, sollten Sie zum Rapport beim Sportausschuß des Bundestags bestellt werden.
Klinsmann: Man findet immer irgendwelche Leute, die einen Spruch und eine Provokation auf Lager haben. Bei jeder Kleinigkeit, die wir tun, werden doch 18 Bundesligatrainer abtelefoniert. Einer, der gerade auf dem falschen Fuß erwischt wird, oder einer, der dich nicht so mag – der wird dann medial transportiert. Die sechzehn, siebzehn, die auf unserer Seite sind und mit denen die Kommunikation supergut läuft, werden nicht zitiert. Und so ähnlich läuft das auch mit den Politikern, wenn einer unbedingt in die Zeitung will und sein Geltungsbedürfnis groß ist.
FAS: CSU-Landesgruppenchef Ramsauer vermutete, daß Sie nicht so oft in Deutschland sein wollten, weil Sie Steuern sparen wollten.
Klinsmann: Solche Dinge kosten Energie, keine Frage. Aber man muß die Mechanismen dahinter beleuchten. Und wir kennen sie. Ich überlege dann nur noch, ob ich die Sache meinem Anwalt gebe.
FAS: Haben Sie in diesem Fall Ihren Anwalt beauftragt?
Klinsmann: Ja, das habe ich. Er hat geprüft, wird aber nicht tätig. Zur Steuerfrage: Ich zahle mehr Steuern als jeder andere. Ich muß nämlich auch noch eine kalifornische Steuer zahlen. Der Bundesstaat Kalifornien erkennt nämlich nicht an, daß ich mein in Deutschland erzieltes Einkommen schon hier versteuere.

Kickende Schachfigur?

Richard Leipold (FAZ) beargwöhnt Klinsmanns plötzliche Gunst für Sebastian Kehl: „Es verwundert schon, daß Klinsmann just vor dem Spiel gegen die Vereinigten Staaten den Zeitpunkt für gekommen hält, Kehls Dienste in Anspruch zu nehmen. Welch ein Zufall, daß die Partie in Dortmund stattfindet; in einer Phase, da Klinsmann und seinem Team der Wind der Kritiker heftiger und kälter denn je ins Gesicht bläst. Wer nicht bloß an das Gute im Trainer glaubt, könnte auf den Gedanken kommen, Kehl sei nur eine Art kickende Schachfigur, die aus taktischen Gründen eingesetzt wird, um Dortmund, auch mit Blick auf das Gruppenspiel gegen Polen, als erfolgreichen Standort zu sichern. Der Streit mit Christian Wörns mag Klinsmann, aus dem Blickwinkel vieler Borussen betrachtet, in die Defensive gedrängt haben. Da lag es nahe, wenigstens den anderen, weniger renitenten Kandidaten aus Dortmund einzuladen. Klinsmann bestreitet das natürlich. Neben möglichen Hintergründen gibt es aber auch Gründe für die Rückkehr des Defensivstrategen, der vor Klinsmanns Dienstantritt 24 Länderspiele bestritten hat. In erster Linie ist Kehl ein guter Fußballspieler, am aktuellen deutschen Maßstab gemessen sogar einer, der kaum Bessere zu fürchten hat. Warum Klinsmann einen solchen Prototyp der neuen WM-Generation so lange übergangen hat, wird im dunkeln bleiben. (…) Umgekehrt proportional zu seiner Präsenz auf dem Fußballplatz entwickelt sich bei Kehl die Art zu reden.“

Dynamik

Die Welt am Sonntag beschreibt Carson, den Geburtsort des Trainers Klinsmann und Heimat des US-Trainers Bruce Arena: „Es ist ein Schmelztiegel von Hochleistung und innovativen Methoden, in den Klinsmann eingetaucht war. Dieser Mikrokosmos ist die Wurzel der Klinsmannschen Reformbewegung in Deutschland. Spezielle Fitnesstrainer, psychologische Betreuung und sportartübergreifenden Programme, wie vom Bundestrainer installiert und propagiert, gelten in Carson seit Jahren als Schlüssel zum Erfolg. Hier traf er auch auf seinen Kollegen Arena, der dort den Stützpunkt des amerikanischen Nationalteams eingerichtet hat. Auch Klinsmann soll zuweilen mit dem US-Team trainiert haben. Arena ist quasi einer der Prototypen der neuzeitlichen Trainer. Der New Yorker war mal Fußball-Nationaltorhüter und später Lacrosse-Profi. Er denkt wie ein Fußballer, aber handelt wie ein universell bewanderter Sportlehrer. Arena nimmt Anleihen aus dem Basketball, kopiert etwas vom Football und läßt Übungen aus der Leichathletik nicht unberücksichtigt. Heraus kommt die Idee seines Spiels: ‚Es ist schnell, geht direkt von Abwehr auf Angriff über. Es ist von der Dynamik her wie ein Basketballspiel auf einem Fußballplatz.‘ Es klingt so, als würde Klinsmann über seine Ansicht von modernem Fußball philosophieren. Von diesem aggressiven Tempospiel, das er so gern umgesetzt sähe. In dem man agiert, statt nur zu reagieren. Das US-Nationalteam taugt in einigem zum Vorbild des neuen, deutschen Ideals. Ernährung, Erholung und Ernsthaftigkeit liegen eigenverantwortlich in den Händen der Spieler. Arenas Motto: ‚Do it, what you want – enjoy the day‘ ist Maxime und Mentalität zugleich. Er kann Freiheiten so großzügig einräumen, weil sein Team konditionell auf höchstem Weltniveau anzusiedeln und athletisch geschult wie kaum eine andere Mannschaft ist. Kraft und Ausdauer speisen sich aus der Wurzel der nationalen Major League Soccer, wo ein Fitnesscoach zum Inventar gehört wie der Icecrusher zum amerikanischen Haushalt.“

Einfach Jürgen sein

Kasey Keller im Interview mit Stefan Hermanns (TspaS)
TspaS: Werden Sie in den USA inzwischen auf der Straße erkannt?
Keller: Es passiert immer häufiger. Allerdings kennen die Leute eher meinen Namen als mein Gesicht, weil ich nicht so oft im US-Fernsehen zu sehen bin. Die meisten erkennen mich, wenn ich mit meiner Kreditkarte bezahle.
TspaS: Kennen die Menschen in den USA Michael Ballack?
Keller: Natürlich nicht!
TspaS: Und Jürgen Klinsmann?
Keller: Hey, Jürgen hat mir eine großartige Geschichte erzählt, vom Fußballtraining seines Sohnes. Einer der Väter sprach darüber, was man im Training machen könnte. ‚Jürgen!‘, sagte er. ‚Du bist doch Deutscher, oder? Du musst doch über diesen Sport Bescheid wissen. Was sollen wir mit den Kids machen?‘ Genau das ist der Grund, warum Jürgen dort lebt.
TspaS: Weil niemand weiß, wer er ist.
Keller: Genau. Ich habe einige Bekannte aus der Musik- und Filmszene, wirklich prominente Leute. Die sagen mir: ‚Wenn du diesen Beckham mal triffst, sag ihm: Er interessiert uns nicht.‘ Ich meine, Beckham geht in Beverly Hills in ein Geschäft und verlangt, dass der Laden für ihn zugeschlossen wird. Gleichzeitig spaziert George Clooney herein, sagt Hi und geht wieder. Also: Wer zum Teufel ist dieser Typ, dass er meint, den Laden für sich haben zu können? Los Angeles kümmert sich einen Scheißdreck. Los Angeles ist die Stadt der Reichen – und der Noch-Reicheren. Wenn du denkst, du bist eine große Nummer, guckst du um die Ecke und siehst fünf Typen, die noch viel größer sind als du. Deshalb lebt Jürgen dort. Er kann dort einfach Jürgen sein. Jürgen, the German.

Der Mensch wächst im Leid über sich hinaus

Brasiliens Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira im Interview (WamS)
WamS: Seu Parreira, verliert Brasilien ein Spiel, herrscht in Ihrer Heimat Weltuntergangsstimmung. Im sonst eher nüchternen Deutschland erleben wir seit kurzem ähnliches. Können Sie das nachvollziehen?
Parreira: Ich kann es nachempfinden, verstehen nicht. Diese Untergangsstimmung überrascht mich.
WamS: Mancher Kritiker meint, Klinsmann hätte so kurz vor der WM auf einen Testspielgegner wie Italien verzichten sollen.
Parreira: Dann haben diese Kritiker wenig Verstand. Klinsmann hatte bis auf den Confederations Cup nicht ein Spiel unter Wettkampfbedingungen. Er hat Italien gebraucht, um zu sehen, wo er mit seiner Mannschaft steht.
WamS: Ihnen ist das erspart geblieben, zum ersten Mal wurde der Weltmeister in die Qualifikation geschickt.
Parreira: Und dafür danke ich Gott. Das waren 18 Spiele auf Wettkampfniveau! Ich erinnere mich an unser Spiel in Chile. Zehn Uhr abends, Temperaturen unter null, 70.000 Zuschauer, die rufen: ‚Chile, Chile, Chile‘. Das war kein Spiel mehr, das war wie Krieg. Wissen Sie, wieviel man in solchen Partien lernt über seine Elf.
WamS: Sagen Sie es uns!
Parreira: Alles! Wenn man aus so einem Spiel heil herauskommt, ist man stärker und klüger als zuvor. Klinsmann und seiner Elf fehlt das, deshalb ist es nur weise, wenn er sich starke Gegner sucht.
WamS: Selbst auf die Gefahr hin, daß man vorgeführt und demotiviert wird?
Parreira: Warum so pessimistisch? Diese Niederlage hat eindeutig etwas Positives: Wenn Fußballer vorgeführt werden, fühlen sie sich in ihrer Ehre verletzt. Der Mensch wächst im Leid über sich hinaus. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.
WamS: Sie denken an Ihre WM-Qualifikation 1992/1993?
Parreira: Wir hatten das letzte Spiel zu Hause gegen Uruguay. Hätten wir es verloren, wären wir nicht zur WM gefahren. Wir haben gewonnen und sind Weltmeister geworden. Verstehen Sie mich nicht falsch, Deutschland wird nun nicht automatisch Weltmeister – das hoffe ich wenigstens –, aber die Niederlage ist gut für die Charakterbildung.
WamS: Klinsmann und Ihnen bleiben vor der WM vier Wochen zur Vorbereitung. Was kann man da noch groß beeinflussen?
Parreira: Es geht nicht darum, die Jungs im klassischen Sinn zu trainieren. Die Frage ist eher: Wie bekomme ich sie wieder auf Vordermann? Unseren Job können Sie vergleichen mit Männern von einer Autowaschanlage. Die Spieler kommen rein wie verdreckte Autos, und wir müssen sie waschen und polieren.

FR-Interview mit Joachim Löw

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