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Deutsche Elf

Die alten Geister spuken noch

Oliver Fritsch | Freitag, 1. September 2006 Kommentare deaktiviert für Die alten Geister spuken noch

Mit dem Einstieg Joachim Löws in die EM-Qualifikation rückt eine Frage in den Vordergrund: Wird der neue Bundestrainer von Bild und Co ähnlich angefeindet wie sein Vorgänger Jürgen Klinsmann?

Geht das alte Spiel weiter? Erleben wir unter Joachim Löw eine Fortsetzung des Duells Bundestrainer gegen Stammtisch? Löw ist vor knapp zwei Monaten ohne Gegenwind zum Bundestrainer ernannt worden. Diejenigen, von denen man Kritik erwartet hätte, die gleichen nämlich, die Jürgen Klinsmann im Visier hatten, waren durch die euphorische WM mundtot. Und bislang haben sich wenige aus ihrer Deckung gewagt. Allein die Sport Bild hat vor zwei Wochen mal den Aufstand geprobt, als sie acht Forderungen aus der Bundesliga an Löw vernommen haben will, unter anderem:

„Keinen Fitnesstest mehr!“
„Alle Talente einbauen!“
„Nur Stammspieler bitte!“

Wenn wir, nur mal so zum Spaß und so abwegig es klingt, die Sport Bild beim Wort nehmen würden – soll Löw also Lukas Podolski aus dem Kader streichen? Oder sollen wir „die Liga“, welche Person auch immer im Einzelfall dahinterstecken mag, mal daran messen, ob sie die Forderungen, die sie angeblich erhebt, selbst erfüllt? Es ist übrigens nicht zufällig Dieter Hoeneß, den die Sport Bild als Fürsprecher der Talente an ihr Rednerpult ruft, ist doch momentan sein Klub Hertha aus wirtschaftlicher Not dazu verdonnert, auf Jugendspieler zu setzen. Vor einem Jahr war noch Borussia Dortmund in die Jugend verliebt, vor drei Jahren der VfB Stuttgart. Wer wird es im nächsten Jahr sein, den der Geldmangel zur Billiglösung zwingt?

Der Gute ist ein Aufpasser, der Böse ein Spion

Überhaupt sind die Zitate der Ligavertreter sehr vereinzelt und sehr harmlos und stützen keineswegs den Schluß, den die Sport Bild mit dicken Backen zur Schlagzeile aufbläst: „Löw unter Druck“. Der Gipfel ist die Behauptung: „Die Unterstützung für die Nationalmannschaft aus der Liga wird künftig nicht mehr so groß sein wie in den vergangenen zwei Jahren.“ Ja, Sie haben richtig gelesen, liebe Leser. Fragt sich, welche Unterstützung gemeint ist: Der Widerstand vieler Vereine gegen die ach so anstrengenden Fitnesstests der Nationalelf? Die Pfiffe der Bayern-Fans und die Stimmungsmache der Bayern-Offiziellen gegen Jens Lehmann beim Eröffnungsspiel des Münchner Stadions? Die blamable Aufpassertruppe (offiziell „Arbeitskreis Nationalmannschaft“) um Uli Hoeneß, in der, das muß man sich heute noch mal vergegenwärtigen, auch Thomas Strunz mitwerkelte? Ist es das, was die Sport Bild unter „Unterstützung“ versteht?

Auch eine weitere Story ist nichts als Schaum: „Löw spioniert Klubs aus – geheime Fragebögen aufgetaucht“, heißt es da; „spioniert“ ist in rot hervorgehoben, um das Subversive der Tat zu betonen. Dabei will Löw von den Vereinstrainern nur wissen, wie sie das Konditions- und Regenerationstraining gestalten. Aber so ist das halt im Kalten Krieg: Wenn zwei das gleiche tun, ist es für Sport Bild noch lange nicht das selbe. Der Gute ist ein Aufpasser, der Böse ein Spion.

Erster Warnschuß

Fazit: Das Bulletin der Sport Bild ist eher ein Nachtreten gegen Klinsmann, dem man mit Hilfe von Berti Vogts taktische Fehler im WM-Halbfinale gegen Italien anhängen will. Die gemeinsame Empfehlung: Manndeckung gegen Pirlo. Europas größtes Sportmagazin verfügt in Sachen Fußballtaktik anscheinend über einen Reichtum an Ahnungslosigkeit. Inhaltliche Substanz hat das faule Gemaule, wie schon das jahrelange gegen Klinsmann, zwar keine. Als ersten Warnschuß kann Löw es dennoch lesen.

Es sei mal eine Prognose gewagt: Unter Löw werden wir eine Light-Version des alten Duells erleben. Löw bietet nicht so viele Angriffsflächen wie Klinsmann, etwa den Wohnsitz, das Missionarische und das Amerikanische; viele fachliche Entscheidungen muß er nicht mehr gegen Widerstand der Dickköpfe durchsetzen, etwa amerikanische Fitnesstrainer, einen Sportpsychologen und den besseren Torhüter statt des mächtigeren. Vermutlich ist Löw auch diplomatischer als Klinsmann. Aber eine Liebe zwischen dem Boulevard und Löw ist zumindest nicht vorstellbar, so lange Lothar Matthäus, Springers Joker, auf der Pirsch ist.

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