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Deutsche Elf

Es ramelowt und wörnst nicht mehr

Oliver Fritsch | Montag, 4. September 2006 Kommentare deaktiviert für Es ramelowt und wörnst nicht mehr

Stimmungen und Meinungen der deutschen Presse über das 1:0 gegen Irland

Die deutschen Fußballjournalisten erleben den Sieg mit einem Lächeln, wenn auch bei manch einem die Freude dahinter stecken mag, wieder ein wenig an der deutschen Nationalmannschaft mosern zu dürfen; die WM hat einen in dieser Hinsicht ja darben lassen. Den beliebten Vergleich mit der WM-Leistung und mit dem WM-Gefühl kann die Mannschaft natürlich nicht gewinnen, sie schlägt sich jedoch insgesamt achtbar, bei so manchem Chronisten hält das WM-Fieber noch an. Den Trainer Joachim Löw stellen die Redaktionen als jemanden dar, der an Kontur gewinnt und der nun ein Stück weniger der Ersatzmann für Jürgen Klinsmann ist, dem der eine oder andere gerne ein paar abschätzige Worte nach Kalifornien schickt.

Christof Kneer (SZ) beschreibt die ersten Minuten des Spiels als Neuorientierung: „Die Mannschaft hat sich anfangs sehr schwer getan gegen flinke und handlungsschnelle Iren, man sah ihr förmlich an, wie sie in allen Winkeln des Feldes verzweifelt die WM-Automatismen suchte und nicht fand.“ Der Rest des Spiels hat Kneer jedoch überzeugt: „Es dürfte Löw Mut machen, daß seine Elf willens und imstande ist, sich vorübergehend selbst aus der Krise herauszuspielen; es klemmt und hakt noch da und dort, aber es ramelowt und wörnst nicht mehr. Die gute Nachricht war, daß Lösungen in dieser Mannschaft stecken.“

Moritz Müller-Wirth (zeit.de) genießt die Septembersonne: „Nicht wirklich viel erinnerte sowohl sportlich als auch von der Atmosphäre an die ausgelassenen Tage der WM. Dennoch ist es dem deutschen Team und den Fans gelungen, das formidable Klinsmann-Sommergefühl phasenweise mit in den fußballerischen Herbst hinüberzuretten. Die deutsche Mannschaft spielte weniger jenen Hurra-Fußball, der während der WM fast alle in Euphorie versetzte. Sie hat bewiesen, daß auch nüchterner Fußball gute Laune hervorrufen kann.“

Das Leben hat sich geweigert, seinen Lauf zu nehmen

Noch immer erhöhte Temperatur? Zeit, daß sich was dreht? Ludger Schulze (SZ) seufzt mit feuchten Augen über den Stuttgarter WM-Epilog: „Und wenn sie nicht gestorben sind … Alle Märchen enden so, bloß das nicht: Deutschland, ein Sommermärchen, geht weiter – und wenn sie nicht doch noch sterben, ist hierzulande WM bis ins 22. Jahrhundert. In Stuttgart, wo die Fußballer den Schlußpunkt des Turniers setzten, haben sie einfach weitergemacht wie gewohnt. In den gleichen Trikots mit denselben Rückennummern, die Ohren betäubt vom WM-Hit der Sportfreunde Stiller, umjubelt von den immerwährend jubelnden Fans, umweht von schwarz-rot-goldenen Fahnen, und auf dem Schloßplatz feierten Tausende beim Public Viewing. Selbst das hochsommerliche Abendwetter zierte sich nicht und erreichte die bekanntlich von Franz Beckenbauer verantwortete WM-Form. Das Leben hat sich geweigert, seinen Lauf zu nehmen.“

Michael Horeni (FAZ) deutet die Abwesenheit von Fragen und Skepsis als Beweis für die großen Schritte, die die Mannschaft seit 2004 gegangen sei: „Ein Sieg in der EM-Qualifkation ist wieder eine Normalität, die weder zur großen Geste noch zu mäkelnden Kommentaren über eine ungewisse Zukunft angesichts diverser Mängel im deutschen Fußball verführt. Diese neue Selbstverständlichkeit und Gelassenheit ist die bemerkenswerteste Veränderung im Selbstverständnis und im öffentlichen Umgang mit der Nationalmannschaft. Es ist der größte Erfolg, den sich die Mannschaft nach zwei Jahren Entwicklungsarbeit selbst machen konnte. Die Zweifel an der Solidität des Teams und seiner Qualität sind verschwunden.“ Horeni unterstreicht, daß die Mannschaft freier und unabhängiger geworden sei: „Und vom angeblich unersetzlichen Jürgen Klinsmann und seiner Einmaligkeit redet auch niemand mehr. Die Nationalmannschaft, und das ist vielleicht das wichtigste Erbe der Weltmeisterschaft, hat sich emanzipiert. Sie führt ein Eigenleben aus eigener Kompetenz, das die Bestätigung aus der Bundesliga nicht mehr braucht. Und schon gar nicht muß sie sich belehren lassen. (…) Der erste Teil der schönen deutschen Fußball-Fortsetzungsgeschichte ist geglückt.“

Kreativität durch Kampf ersetzt

Andreas Lesch (BLZ) hingegen kann der Darbietung nichts abgewinnen: „Bei der WM war der Steilpaß nach vorn ein Markenzeichen des deutschen Teams. Diesmal war es der Steilpaß nach hinten. Bei der WM prägten Mut und Wagnis das Spiel. Diesmal flackerte das auf, was die Welt unter German Angst versteht. Bei der WM hat Deutschland den Gegnern seinen Stil aufgezwungen. Jetzt hat es sich Irlands Spielweise angepaßt und Kreativität durch Kampf ersetzt. Bei der WM steigerte sich das Publikum in Ekstase, jetzt pfiff es schnell. Bei der WM verwandelte sich das Stadion nach dem Schlußpfiff in einen Ort ohne Grenzen. Jetzt schlichen die Spieler müde ihr Ehrenründchen ab, und das Gekreische aus den Lautsprechern zeigte den Kontrast zur Vergangenheit nur deutlicher.“ Frank Hellmann (FR) entgegnet geschichtsbewußt: „Nörglern sei gesagt: Die Qualifikation taugt nicht zum Hingucker. 1972, 1980 und 1996 wurden die Deutschen zwar Europameister, doch die Einstiegsspiele waren ein Grauen: Erinnert sei a) an ein 1:0 in Albanien (1971), b) an ein 0:0 auf Malta (1979) und c) an ein 2:1 in Albanien (1994). Insofern ist ein 1:0 gegen Irland ein echt gutes Ergebnis für eine unspektakuläre Pflichtprozedur.“

NZZ: Deutschland dominiert Irland
FAZ: Spielanalyse

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