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Deutsche Elf

Ein Ergebnis aus der Gründerzeit des Fußballs

Oliver Fritsch | Freitag, 8. September 2006 Kommentare deaktiviert für Ein Ergebnis aus der Gründerzeit des Fußballs

Die deutsche Presse hat Spaß am 13:0 gegen San Marino, doch manche Experten ziehen den Sinn solcher Spiele in Zweifel

Aus „dem großen Preisschießen von San Marino“ (FAZ) zieht die deutsche Presse zum Teil ernstere Schlüsse als erwartet. Ludger Schulze (SZ) hat „selten eine so talentierte und charakterlich intakte Mannschaft“ erlebt. „Diese Nationalmannschaft bereitet reine Freude.“ Matti Lieske (BLZ) freut sich über den Willen zum Tor, denn „andere Teams, auch frühere deutsche, hätten spätestens nach dem 6:0 zehn Gänge zurückgeschaltet“, und hebt einen Spieler heraus: „Diese Partie hatte sogar einen Gewinner im Team: Bastian Schweinsteiger, der sich zur zentralen Figur im spielerischen Bereich entwickelt. Immer besser versteht er es, Situationen zu erkennen, den Rhythmus zu variieren, überraschende Aktionen einzuleiten. Außerdem verfügt er über die seltene Gabe, mit seinen Schüssen fast immer das Tor zu treffen.“ Lieske macht die Ernsthaftigkeit, mit der die Deutschen das Spiel angegangen sind, an David Odonkor fest: „Taktisches Foul im Mittelfeld bei zweistelliger Führung, darauf muß man erstmal kommen.“ Klaus Bellstedt (stern.de) packt die EM-Qualifikation in trockene Tücher: „Die deutsche Nationalmannschaft läßt derzeit keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie die Hürde ohne Problem nehmen wird. Die riesige, ja fast schon erdrückende Erwartung im eigenen Land hat das Team nicht gehemmt. Im Gegenteil.“

13 Tore! Michael Horeni (FAZ) blättert in den Annalen: „Ein Ergebnis wie aus der Gründerzeit des Fußballs. Die Statistik wurde für das deutsche Team bei dem fast schon absurden Vergleich zwischen dem Weltmeisterschaftsdritten und der Nummer 191 der Weltrangliste zum einzigen Maßstab, der noch für Verblüffung sorgen konnte. Der tatendurstige Jahrgang 2006 kratzte mit dem guten Dutzend Volltreffern an der Rekordmarke aus der Kaiserzeit – wohlgemerkt, nicht der von Franz, sondern der von Wilhelm –, als eine deutsche Auswahl bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm gegen Rußland mit einem 16:0 noch Ruhm und Ehre fürs Vaterland einlegte.“

Wie von Bohlen angelabert

Das Streiflicht (SZ) schildert sein Mitleid mit den Verlierern anschaulich: „San Marino war Deutschland so unterlegen, so klein, so schwach, daß man das Gemüt eines Pitbulls hätte haben müssen, um sich dieser Elf am Fernseher nicht nah zu fühlen. Wer keine Fans hat, hat umso mehr Brüder, die sich ihrerseits unterlegen, klein, schwach vorkommen. Das 13:0 war der höchste Auswärtssieg des DFB, aber es bleibt doch nur eine Zahl. Das 0:13 dagegen läßt Gefühle frei. Wer im vierten Wahlgang nicht zum Ministerpräsidenten gewählt wird, wem die Stimme bricht beim Vorsingen, und wer sich dann noch von Dieter Bohlen dumm anlabern lassen muß – der kennt das Gefühl, 0:13 zu verlieren.“

Wo den Strich ziehen zwischen Groß und Klein?

Einige Offizielle fordern eine Art Vorqualifikation für die „Kleinen“, Arsene Wenger und Oliver Bierhoff sind die prominentesten Vertreter. Schulze (SZ) kann die Zweifel am Sinn eines Spiels zwischen San Marino und Deutschland verstehen: „Angesichts des uneinholbaren Klassenunterschieds ist der Lerneffekt gleich null. Und die Beklemmung, beim Rückspiel in Deutschland in eine Weltrekord-Niederlage zu stolpern, sollten die Sanmarinesen jetzt schon spüren. In Anbetracht eines kräftezehrenden Terminplans mit bis zu 70 Partien pro Saison stellt sich durchaus die Frage, ob solche David-Goliath-Spielereien wirklich nötig sind. (…) Im Boxen hat man Gewichtsklassen eingeführt, damit nicht einer mit 50 Kilo von einem 200-Pfünder ins Jenseits befördert wird. Im Rudern fahren Einer und Achter in verschiedenen Rennen, zu acht tut man sich eben deutlich leichter als einer allein im Kampf gegen Wind und Wellen.“

Jörg Hanau (FR) hält dagegen: „Luxemburg ist in der Fünfjahreswertung der Uefa nur fünf Ränge besser platziert als Schlußlicht San Marino, die Färöer gar nur drei. Wo also den Strich ziehen zwischen Groß und Klein, wenn selbst Irland unter 52 europäischen Verbänden nur an Nummer 40 gelistet wird?“

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