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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Blamage verhindert

Oliver Fritsch | Dienstag, 17. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Blamage verhindert

Außer dem Ergebnis kann die deutsche Presse dem 1:0-Sieg gegen Österreichs nur in Spurenelementen Gutes abgewinnen / Ein bisschen Applaus gibt es für Michael Ballack, Jens Lehmann und Philipp Lahm / Kritik an der Mut- und Emotionslosigkeit Joachim Löws hält an

Die SZ kann im Moment wenig Gefallen an der deutschen Elf finden: „Das viel beschworene sporthistorische Ereignis blieb aus, dafür war Team Austria einfach zu schwach besetzt auf jeder einzelnen Position, doch in Feierlaune versetzte die deutsche Auswahl mit dem mühselig erstocherten 1:0-Sieg keinen kundigen Fan. Nun wartet Portugal auf die uninspirierte Mannschaft von Joachim Löw, die sich der überwunden geglaubten Rumpelfußball-Ära zu nähern droht. (…) Das Niveau der Begegnung blieb deutlich unterhalb des gefühlten EM-Standards.“

Auch Christian Gödecke (Spiegel Online) springt nicht von seinem Sitz auf: „Die DFB-Elf wirkt wie ein Marathonläufer auf halber Strecke, der sich am Start vorgenommen hat, mit Bestzeit ins Ziel zu laufen – aber plötzlich nur noch die nächste Verpflegungsstation erreichen will. Es scheint, als hätte man sich schon nach dem einen Rückschlag gegen Kroatien für die Dauer des Turniers von einer Philosophie verabschiedet, die seit 2004 als neuer Weg verkauft wurde: dem Gegner das Spiel aufzwingen, mit schnellen, vertikalen Pässen die Abwehr auszuhebeln.“

Bitte weiterrumpeln und Portugal schlagen

Roland Zorn (FAZ) schnauft durch: „Der Albtraum ist nicht eingetreten, und zu umsturzähnlichen Verhältnissen wird es nun auch nicht mehr kommen. Die deutsche Nationalmannschaft ist mit einiger Mühe ihrer Favoritenrolle gerecht geworden. Der Arbeitsplatz von Joachim Löw, um den es Diskussionen gegeben hatte, dürfte wieder so sicher wie vor der Europameisterschaft sein. Souverän sieht zwar anders aus, doch mit viel Kampfeist und wenig spielerischem Glanz kam der dreimalige Europameister beim Kraftakt von Wien über die Runden. Die drohende Blamage ist gegen Österreich verhindert worden – viel mehr Positives aber brachten die Deutschen noch nicht zustande.“

Johannes Aumüller (sueddeutsche.de) spottet: „Deutschland hat sich in diesen ersten drei EM-Spielen zurücküberholt in die Zeit vor Klinsmann, und das ist auf den zweiten Blick eine fantastische Nachricht. Deutschland spielt nicht mehr vertikal und nicht mehr schnell in die Spitze, zumindest deutlich seltener. Deutschland spielt wieder so, wie Deutschland immer gespielt hat. Die Mannschaft läuft, sie kämpft, sie überzeugt defensiv mit ihrer Kopfball- und ihrer Zweikampfstärke, sie gewinnt offensiv die Spiele mit Standardsituationen. Beim Fan stellt sich wieder das klassische Nationalmannschaftsgefühl ein: Man darf wieder ausgiebig über sie meckern und lästern, und jeder C-Liga-Kicker darf mit Ernst in der Stimme von sich behaupten, dass er gegen Österreich mehr Tore erzielt hätte als Mario Gomez. Was soll’s? Die Nationalelf gewinnt trotzdem. (…) Das Fazit: Bitte weiterrumpeln und Portugal schlagen.“

Mangel an Mut

Michael Horeni (FAZ) nimmt weiterhin Joachim Löw in die Mangel: „Die Unentschlossenheit des Bundestrainers, sein Mangel an Mut machte sich diesmal an der Aufstellung fest, die genau eine einzige Änderung vorsah – und auch diese war der Verletzung von Marcell Jansen geschuldet. Löw wollte partout seinen Weg weitergehen, personell und inhaltlich. Aber auch wenn der Einzug ins Viertelfinale glückte, ein Befreiungsschlag für ein unter Druck geratenes Konzept sieht anders aus. Löw gelang es auch gegen die bemühten, aber keineswegs hochklassigen Österreicher nicht, absolute Willensstärke und die letzte körperliche Energie in seinem Team zu wecken. Sein Plan, vorrangig durch taktische Finessen der Konkurrenz voraus zu sein, blieb ein strategischer Fehler. Die großen WM-Stärken Leidenschaft, Kraft und Offensivgeist sind allzu sehr in den Hintergrund getreten. Die von Löw selbst gesetzten Schwerpunkte konnten dies bisher nicht wettmachen. Vielleicht hat der Bundestrainer ja von der Tribüne aus gesehen, dass dieser Weg droht, in die Sackgasse zu führen.“

Jan Christian Müller (FR) befasst sich mit Löws Status im deutschen Fußball: „Noch bleiben Zweifel, noch sind Löw und seine Missionare des modernen Fußballs längst nicht aus dem Schneider. Am Donnerstag wartet ein Gegner, der stark genug erscheint, dem DFB-Team mit verwirrendem Kombinationsfußball die Grenzen zeigen zu können. Bei einem Ausscheiden käme es auch auf die Art und Weise an. Immerhin haben sie unter Löw jetzt schon mehr erreicht als die Mannschaften des Erich Ribbeck 2000 und die des am Ende kraftlosen Rudi Völler 2004. Das ist schon mal ein Fortschritt, zumal parallel dazu ja auch an der Basis positive Entwicklungen unübersehbar sind, der DFB sich unter Präsident Theo Zwanziger modernisiert hat und manche Vereine einige der Ideen aus dem Dunstkreis der Nationalmannschaft übernommen haben. Löw wird auf alle Fälle also eine Spur hinterlassen. Nun muss sich noch zeigen, wie tief diese Spur sein wird.“

Autorität des deutschen Spiels

Philipp Selldorf (SZ) nimmt Michael Ballack unter die Lupe: „Ein Schuss, der schneller flog, als Michael Schumachers Ferrari auf der Geraden raste. Ein Wunder, dass das Netz diesen Ball halten konnte. Dieses Tor war der unveränderliche Stempeldruck, den Ballack dem Spiel gab. Und damit war es nicht mehr so wichtig, dass auch die Partie keines der besten seiner Länderspiele war. Als Ankerpunkt im Offensivdrittel wurde der Kapitän ständig gesucht, aber wie gegen Kroatien setzte ihm regelmäßig ein ganzer Schwarm von Gegenspielern zu. Aus dieser aufdringlichen Nähe des Gegners fand er nur selten zur Freiheit, das deutsche Spiel zu ordnen und zu lenken. Obendrein begleitete ihn das Handicap der Gelben Karte, die er sich gegen Kroatien eingehandelt hat. Dass er Schwierigkeiten hatte, die Balance zwischen Aggressivität und dem Risiko eines harten Fouls zu halten, war nicht zu übersehen.“

Die FAZ ist vom Kapitän sogar umfänglich angetan: „Michael Ballack – ein Anführer wie aus dem Fußball-Bilderbuch. Mit vielen Ballkontakten, obwohl beinahe ausnahmslos in Manndeckung genommen. Unterwarf sich der Forderung des Trainers nach mehr Disziplin und stand anfangs tief im Mittelfeld. Sein wuchtiges Freistoßtor schockte den Gegner. Ganz starke Vorstellung als Autorität des deutschen Spiels.“

Gomez, der Träumer

Weitere Einzelkritik – die SZ erkennt spitzzüngig eine Steigerung bei Jens Lehmann: „Der 38-Jährige wirkte präsenter, jünger: wie 35, allerhöchstens 35½.“ Die FAZ nimmt die Sache ernster: „Lehmann – endlich ein Rückhalt ohne Fehl und Tadel: aufmerksam, zupackend, mit guten Nerven beim Herauslaufen und der Strafraumbeherrschung.“ Über die Abwehr heißt es: „Christoph Metzelder steigerte sich, aber noch zu oft steif und eckig unterwegs. Die Abstimmung mit seinen Neben- und Vorderleuten muss schleunigst besser werden. Arne Friedrich ließ Korkmaz zu viel Raum. Sorgte durch seine Schlafmützigkeit für Schrecksekunden. Philipp Lahm, der Rechtsfuß, wechselte aus taktischen Gründen auf die linke Abwehrseite – wie bei der WM bereitete der ungeliebte Rollentausch dem kleinen Mister Zuverlässig kaum Probleme. Entschied früh viele Zweikämpfe für sich, was eine Portion Selbstvertrauen mit sich brachte.“

Großer Verlierer ist Mario Gomez. Die FR fasst sich angesichts der vergebenen Riesenchance an den Kopf: „Hätte eine Litfaßsäule anstelle von Gomez gestanden, der Ball wäre ins Tor gegangen. Ansonsten: Sehr unglückliche Partie, er wirkt weiter wie ein Fremdkörper. Völlig von der Rolle, kann einem Leid tun.“ Die FAZ nimmt auch kein Blatt vor den Mund: „Mario Gomez: Träumer – der Stuttgarter hat offenbar nur noch seinen Wechsel zu den Bayern oder zum FC Barcelona im Sinn. Bekam aus einem Meter den Ball nicht über die Torlinie. Versuchte den Fehler durch übertriebenen Egoismus gut zu machen – das war eindeutig das falsche Rezept. Fürs Viertelfinale verzichtbar.“ Und die Neue Zürcher Zeitung runzelt mit der Stirn: „Zuletzt waren etliche Gerüchte über das Interesse europäischer Topklubs an ihm kolportiert worden. Nun ist er im Begriff, sich von allen Einkaufslisten zu spielen – sofern sein Name je auf ihnen gestanden hat.“

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