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Deutschland im Schockzustand: Ballack fällt für die WM aus

Jens Behler | Dienstag, 18. Mai 2010 3 Kommentare

Die Nationalmannschaft fährt ohne ihren Kapitän nach Südafrika. Die deutsche Presse sucht das Positive dieser Nachricht, einen geeigneten Ersatz und blickt auf Ballacks Karriere zurück

Was am Samstag nur die größten Pessimisten für möglich gehalten haben, ist seit Montag Gewissheit: Michael Ballack, Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, fällt nach dem Foulspiel von Kevin-Prince Boateng im FA-Cup-Finale für die WM in Südafrika aus. Kann man dieser Nachricht überhaupt etwas positives abgewinnen? Für Andreas Lesch (BLZ) wiegt der Ausfall Ballacks wohl schwer, denn „als Autorität, den die Gegner fürchten, ist Ballack unersetzbar. Er ist der einzige deutsche Spieler, der seit Jahren bei einem Spitzenklub der Premier League eine wichtige Rolle spielt. Er misst sich beim FC Chelsea Woche für Woche mit prominenten Kräften des Weltfußballs.“ Lesch sieht jedoch auch die Möglichkeit eines Generationenwechsels: „Die deutsche Mannschaft ist jung wie selten zuvor, speziell das Mittelfeld mit seinen Offensivtalenten Thomas Müller, Mesut Özil und Toni Kroos wird ein Durchschnittsalter deutlich unter 25 Jahren haben. Das kann schiefgehen. Es kann aber auch funktionieren – dann hätte Ballacks Ausfall eine Epoche begründet, die sich Jugendstil nennt.“

Christian Zaschke (SZ) glaubt ebenfalls an die Chance für die Nationalmannschaft „eine flache Hierarchie zu bilden, ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl“ zu entwickeln. Und warum auch nicht? „Es gibt vermutlich kein Ungemach, das nicht schon mit dem Zusatz ‚… kann auch eine Chance sein’ beschrieben worden ist. Das Studium von Publikationen aller Art, gedruckt wie online, vertieft den Eindruck, dass der Herzinfarkt ebenso Chance sein kann wie die Insolvenz, der demografische Wandel, Krebs, das Bohrinselunglück, die Finanzkrise oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Dann sollte auch die Knöchelverletzung von Michael Ballack sich irgendwie zu einer Chance umdeuten lassen, nicht wahr?

In die gleiche Kerbe schlägt Michael Horeni (FAZ): „Der Bundestrainer und sein Team werden nun versuchen, nach der schwersten WM-Verlustmeldung seit Jahrzehnten das Positive zu suchen, wo nichts Positives zu finden ist. Kann der dreimalige Weltmeister, nachdem ihm erstmals vor einer WM sein Kapitän abhandengekommen ist, überhaupt noch erfolgreich sein? Man sollte das jetzt anders sehen: Die Nationalmannschaft hat in Südafrika nichts mehr zu verlieren.

Wo ist Ballacks Platz in der Geschichte?

Jan Christin Müller blickt in der Frankfurter Rundschau auf den Werdegang Ballacks zurück und beschreibt den „Niedergang einer Leitfigur“: „Ballack begriff sich stets als Fußballer von altem Schrot und Korn und eine Mannschaft als Blut- und Schweiß-Gemeinschaft, die auch auf derbere Worte ihres Anführers nicht allzu sensibel zu reagieren hatte. Doch die Indianer verwehrtem ihrem Oberhaupt zusehends die Gefolgschaft, auch deshalb, weil sie vom bisweilen auffällig gestenreich kritisierenden Spielführer mehr Führung und weniger Nörgelei erwarteten.“

Dirk Gieselmann (11 Freunde) sieht in Ballack den „besten deutschen Spieler des Jahrzehnts“, doch im Vergleich mit Matthäus, Schuster, Beckenbauer und Walter bleibt er nicht wegen seiner Erfolge in Erinnerung: „Michael Ballack wird hingegen vor allem deshalb im Gedächtnis bleiben, weil man so oft um ihn bangen musste. Und für das Pech, das er Zeit seiner Karriere hatte. Als der große Schmerzensmann der deutschen Fußballgeschichte. Der tragische Held. Der Unvollendete. Der Untergeher. Bitte beliebig ergänzen, liebe Trauergemeinde“

Wer ersetzt Ballack?

Für Christof Kneer (SZ) ist klar, auf wen Jogi Löw nun als Ballack-Ersatz setzen wird – auf seinen „Lieblingsspieler“ Sami Khedira. Auch da dieser eine vergleichbare Spielweise hat: „Khedira hat in der Tat etwas Ballackhaftes in seinem Spiel, auch er ist kopfballstark und mit der Gabe des letzten und auch vorletzten Passes ausgestattet, und so wird Löw versuchen, wie mit Ballack zu spielen, nur ohne Ballack. Statt Ballack/Schweinsteiger sollen nun Schweinsteiger/Khedira das Zentrum verantworten – eine Lösung, die einleuchtend, aber auch riskant ist.“ Besonders weil der Blick in die Vergangenheit anderes zeigt: „Joachim Löw wird bei der WM ohnehin ein kurioses Team dabeihaben, und ohne Ballack ist nun vollends ein Kader entstanden, für den jedes historische Vorbild fehlt. Deutsche WM-Mannschaften waren meist stabile Zwanzigtonner, aber sie hatten einen Wendekreis, der so groß war wie ein WM-Stadion. Nun hat Löw im Mittelfeld rasende Minis wie Özil, Marin, Müller, Kroos oder Trochowski, die in einer Telefonzelle wenden können; ob sie aber ein Spiel strukturieren und beruhigen, ob sie ihm im Zweifel ihren Körper entgegenstellen können, das weiß Löw ebenso wenig wie Olaf Thon oder der Nationaltrainer von Aserbaidschan“

Das Duo Schweinsteiger/Khedira birgt jedoch seine Gefahren, wie Christian Gödecke (SpOn) berichtet: „Das Problem ist: Während Ballack für eine Art „Safety-first“-Mentalität steht und diese vor den vergangenen großen Turnieren stets vehement einforderte, ist Khedira immer noch zuerst ein offensiver Spieler, der auch schon mal als Linksaußen aufgelaufen ist. Der geplanten Mittelfeldzentrale mit Bastian Schweinsteiger könnte so die Balance abhanden kommen. Denn die so hochgelobte Bayern-Kombination aus Schweinsteiger und Mark van Bommel funktioniert nur deshalb so gut, weil der Holländer vor allem ein Sicherheitsbeamter ist.“

Was ist ein hartes Foulspiel?

Peter Penders (FAZ) widmet sich der Frage, wie sich die Schwere eines Foulspiels tatsächlich objektiv beurteilen lässt. Wie er findet, ist dies schwierig zu beantworten, „denn in der Regel sorgen für diese Einschätzung allein die Folgen des Vorfalls – neben den jeweiligen Sympathien für die direkt Beteiligten.“ So greifen dann im Fußballgeschäft schnell die gängigen Mechanismen – auch im Fall Ribery und Frings: „Solche Zwischenfälle werden in der Fußballwelt schnell abgehakt, solange sie eben keine schwerwiegenden Folgen für den Gefoulten haben. Auch über den Tritt, den Torsten Frings im Pokalfinale seinem ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Bastian Schweinsteiger mit Anlauf verpasste, wird nicht mehr weiter geredet. Erst ein durchaus möglicher Ausfall Schweinsteigers für die WM hätte diesem Foul den bösartigen Vorsatz gegeben, die nun Boatengs Attacke unterstellt wird. Könnte Ballack spielen und Schweinsteiger nicht, hätte Deutschland ein ganz anderes Diskussionsthema.“

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Kommentare

3 Kommentare zu “Deutschland im Schockzustand: Ballack fällt für die WM aus”

  1. Hani
    Dienstag, 18. Mai 2010 um 16:39

    Die Zusammenfassungen der letzten Tage von Jens Behler und Marc Vits gefallen.

  2. Manfred
    Dienstag, 18. Mai 2010 um 18:19

    Yo, nette Kompis, aber: Deutschland im Schockzustand? Mach mal halblang…
    Wenn einer ausfällt, spielt ein anderer, so einfach ist das. Und Ballack ist hinten eh verschenkt, also was soll’s.

  3. Lena
    Dienstag, 18. Mai 2010 um 22:09

    Der Name Kevin-Prince ist Diagnose genug.

    Superschade für Ballack, er wird wohl der große Unvollendete bleiben. Für ein Spieler seiner Klasse fast schon ein Drama.

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