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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Schwärmerischer Dreiklang und eine Kulturrevolution

Kai Butterweck | Sonntag, 13. Juni 2010 2 Kommentare

Die Elf von Jogi Löw strotzt vor Selbstbewusstsein. Strategien werden analysiert und eine revolutionäre Erkenntnis tritt zu Tage

Das deutsche Team befinde sich laut Michael Horeni (FAZ) kurz vor dem Duell gegen Australien in einem selbstschwärmerischen Zustand: „Erfahrung kann man nicht herbeireden, aber Begeisterung. Seit dem 3:1 vor neun Tagen bei der Generalprobe gegen Bosnien-Herzegowina ist im deutschen Team nur noch schwärmerisch von einem Dreiklang zu hören, der das Team mit großen Entwicklungschancen am besten schon in Südafrika bis ins Endspiel tragen soll: jung, stark und hungrig.“ Man glaube, mit Lust und Laune auf ihren neuen Offensivfußball die individuellen Stärken favorisierter Teams wettmachen zu können: „Die Träume, die sich in den vergangenen Tagen schon fast zu Erwartung verdichtet haben, reichen am Johannesburger Eröffnungstag bis zum Finale in Soccer City.“ Ob das neue Selbstbewusstsein der Deutschen bereits am Sonntag Früchte tragen wird, bleibe allerdings zu bezweifeln, denn „besonders für eine Mannschaft, die mit einer Menge Jungprofis ohne WM-Erfahrung antritt, wäre ein reales statt eines nur herbeigeredeten Erfolgserlebnisses von enormer Bedeutung. Erst mit den Ergebnissen wird der Erlebnisfußball, mit dem diese Mannschaft sich selbst und ihre Fans begeistern möchte, eine Kraft entwickeln, die das deutsche Team über die schwierige Vorrundengruppe hinaustragen kann.“

Auch Lars Wallrodt und Lars Gartenschläger (Welt Online) machen im deutschen Lager viel Optimismus aus: „Schlechte Stimmung wird im deutschen Lager ausgesperrt, der Schock nach der Verletzung des Kapitäns Michael Ballack scheint endgültig aus den Trikots geschüttelt zu sein. Auch, weil anschließend die medizinische Abteilung kaum noch Arbeit hatte. Keine Verletzung war seit der Ankunft zu kurieren.“ Selbst der Spielort verspreche nur Gutes: „Am Samstag waren es 26 Grad in Durban, es ist der wärmste WM-Standort. Da er auf Meereshöhe liegt, erhofft sich die deutsche Mannschaft Vorteile, weil sie sich in 1400 Metern Höhe vorbereitet hat.“

Das Team soll offensiv spielen

Michael Rosentritt (Tagesspiegel) widmet sich den möglichen Strategien des deutschen Spiels und kommt zu folgendem Ergebnis: „Egal welches System, eines ist klar: Das Team soll offensiv spielen. Grundsätzlich gibt es für das deutsche WM-Team zwei Typen von Systemen, das offensivere 4-3-3 und das leicht defensivere 4-5-1-System. Letzteres wird auch gegen Australien zum Einsatz kommen. Als Basissystem aber dient das 4-4-2, das auch in seiner Urform ‚sehr wichtig für uns bleibt’, wie Löw sagt.“ Die Australier seien stark und hätten eine fast perfekte Defensive: „Daher bietet es sich an, auf wendige Spieler im offensiven Bereich zu setzen: Spieler, die mit viel Tempo auf den Gegner zulaufen, das Dribbling suchen und sich so Vorteile verschaffen. Solche Spielertypen können mit dem Ball idealerweise mehr erreichen als Pässe, da Passwege relativ leicht zugestellt werden können.“

Das Ergebnis einer notwendigen Kulturrevolution

Mit Blick auf die Stammbäume der Spieler entdeckt Markus Völker (taz) eine völlig neue Generation in der deutschen Nationalmannschaft: „Die deutsche Mannschaft, die am Sonntag spielen wird, ist das Ergebnis einer notwendigen Kulturrevolution – sportlich, politisch und gesellschaftlich. Aus den 23 Spielern des WM-Kaders ließe sich eine ganze Elf aufstellen, die auf eine Familiengeschichte der Zuwanderung verweisen kann. Sie haben alle einen deutschen Pass, aber ihre Eltern oder gar Großeltern stammen aus der Türkei, Ghana, Nigeria, Polen, Brasilien, Bosnien und Tunesien.“ Dieser Generationswechsel habe auch einen Initiator: „Im DFB kümmerte sich Matthias Sammer um die Frischzellenkur. Vieles in der Nachwuchsförderung läuft nun  professioneller: die Herkunft sei egal, wichtig sei einfach nur die Liebe zum Leder. Der deutsche Fußball solle von allen gerettet werden, nicht mehr nur von den Nachkommen Brehmes und Augenthalers.“

Von Diego Torres (El País) bekommen wir einen Eindruck davon, wie man die deutsche Elf in Spanien einschätzt: „Deutschland hatte ja immer einen überlegenen Spieler in der Mannschaft, der den Unterschied ausmachte. Manchmal hatte es sogar mehrere. Das ist aber lange her. Immer weniger Fans erinnern sich an die majestätischen Fähigkeiten von Schuster, Magath, Rummenigge, Overath und Beckenbauer. Heute präsentiert das Land, das zusammen mit Brasilien die meisten Finalspiele einer Weltmeisterschaft bestritten hat, eine außergewöhnliche Formation. Sie zeigt kein Genie und hat keinen Spieler, der das deutsche Spiel versinnbildlicht.“ Mesut Özil sei dennoch ein Spieler, der sich als eine Art Leader herauskristallisieren könne. „Früher basierte das deutsche Spiel auf die Führungskraft Ballacks, der aus dem Mittelfeld startete. Jetzt wird sich das Spiel Deutschlands an Özil orientieren, der etwas vorgezogener spielt. Seine Position ist eine Schlüsselstelle, es stellt sich die Frage, ob er dieser Verantwortung gewachsen ist. (…) Er ist unglaublich kreativ und fällt durch seine Übersicht auf. Ihm fehlt aber die Gelassenheit. Oft wirkt er überhastet, sucht sofort den Stürmer und erarbeitet den Spielzug nicht bis zur Perfektion. Er ist aber sehr jung und talentiert. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein junger Spieler den Druck einer Weltmeisterschaft bravourös übersteht.“

Aus dem Spanischen übersetzt von Pepe Fernandez

Kommentare

2 Kommentare zu “Schwärmerischer Dreiklang und eine Kulturrevolution”

  1. Heffer
    Sonntag, 13. Juni 2010 um 14:30

    die Übersetzungen ausländischer Artikel finde ich super! Vielen Dank Dafür!
    Bis jetzt war ich (und wahrscheinlich gehts den meisten so) auf die Englische Presse beschränkt.

  2. Peter Glock
    Montag, 14. Juni 2010 um 07:37

    und ich bin von den Übersetzungen aus dem Spanischen begeistert. Endlich begreife ich die Redewendungen, die im spanischen Fussball verwendet werden.
    Danke

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