indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Mesut gegen Messi

Matthias Nedoklan | Samstag, 3. Juli 2010 5 Kommentare

Die Neuauflage eines Klassikers – WM Finale 86, 90, Viertelfinale 2006; Deutschland trifft auf Argentinien und die Presse schwankt zwischen Nervosität und Aufregung

Philipp Selldorf (SZ) warnt vor einem Elfmeterschießen gegen Argentinien: „Der Bundestrainer hat ausgeprägten Respekt vor den argentinischen Schützen, deren Schuss- und Nervenkraft er höher schätzt als die der fünf Spieler, die im Viertelfinale vor vier Jahren gegen Jens Lehmann antraten.“  Der deutschen Elf fehle spätestens im Elfmeterschießen der sichere Michael Ballack, sogar Lukas Podolski sei nach seiner „Niete gegen Serbien“ kein Garant mehr. Immerhin: „ Tim Wiese ist amtlicher Elfmeterspezialist. Von 14 Elfmetern hat er zehn gehalten – ein weltmeisterlicher Wert. Vielleicht sollte sich Löw eine Wechseloption offenhalten.“

Bremer Mini-Messi

Moritz Kielbassa (SZ) tüftelt die deutsche Taktik gegen die argentinische Gala-Offensive aus:  „Das beste Rezept zur Entlastung der Verteidiger wäre, Messi gar nicht erst an den Ball kommen zu lassen, ihm konsequent die Versorgungswege aus dem Mittelfeld abzuschneiden.“ Früher wurden gegnerische Stars wie Cruyff 1974 oder Maradona 1990 von Wadenbeißern wie Berti Vogts oder Hünen wie Guido Buchwald ausgeschaltet. „Messi zu stoppen ist für Außenseiter Deutschland: ein Gruppenauftrag“, schreibt Kielbassa. Der Autor hat aber, wie auch der Bundestrainer, Schwächen bei der Albiceleste ausgemacht: „Demichelis hat bei der WM bereits zwei Stürmertore verschuldet. Auch Torwart Romero wirkt nicht stabil, und mangels Hünen hat die Abwehr Probleme bei hohen Bällen. (…) In dieser Theorie könnte Deutschland aus einer kompakten Ordnung wiedr seine neue Kultur des Konterns entfalten: über spurtende Flügelspieler wie Müller und Podolski denen häufig Mesut Özil den Ball nach außen in den Lauf legt, der Mini-Messi aus Bremen. In der Praxis spielt aber auch der echte mit.“

Thomas Kistner (SZ) setzt sich mit an den Tisch, wenn nach der WM die Zukunft des Bundestrainers verhandelt wird. „Joachim Löw ist ja der König der Fanmeilen, und wird das Argentinien-Spiel am Samstag nicht vollkommen vergeigt, geht er als gefühlter Bundeskanzler in die Vertragsgespräche.  ‘Die Rahmenbedingungen müssen passen‘, betont Löw in Südafrika immerzu, das heißt: Er wird seine Mitarbeiter nicht im Regen stehen lassen. Schon gar nicht, wenn er den personellen und finanziellen Rahmen selbst bestimmen kann. Zu seinen Vertrauten gehört Oliver Bierhoff, der das durchgesetzt hat, was lange misstrauisch beäugt und nun als Innovationen des modernen Deutschland-Teams gefeiert wird – dem aber der mit einem empfindlichen Ego ausgestattete Zwanziger wenig zugetan ist. Bierhoff hatte für Löws ganzen Stab im Januar Vertragsforderungen erhoben, nicht weit weg von dem, was bald erneut auf dem Tisch liegen könnte. Auch haben Löw/Bierhoff nicht vergessen, wie sie unter Druck gesetzt wurden: Mit gezielten Indiskretionen aus dem Verband, parallel erhielten sie ein zweitägiges Vertrags-Ultimatum vom DFB, das sich über Löws 50. Geburtstag streckte.“

Duell der Wunderkinder

Michael Horeni (FAZ.net) vergleicht Lionel Messi und Mesut Özil und sieht zwei Künstler am Ball: „In Argentinien ist es schon ein Fall von Majestätsbeleidigung, falls man es wagt, einen andern Spieler dieser Generation mit Messi auf eine Stufe zu stellen. Der einzige Maßstab, den man für den Superstar des Nationalteams und der WM für akzeptabel hält, ist der eigene Trainer. Wer in Argentinien nicht als Fußball-Banause erscheinen will, darf nur Maradona mit Messi vergleichen – und Messi nur mit Maradona“, schreibt Horeni. „Das deutsche Spiel ist weniger abhängig von Özil als Argentinien von Messi. Aber ohne Özil verschwindet eine ständige Anspielstation, die den Ball mit Ruhe, Übersicht und Intuition ganz einfach an die nächstbeste Stelle befördert.“

Peter Unfried (taz) freut sich über den neuen Geist im DFB-Team: „Die deutsche Nationalmannschaft: Das klang viele Jahre seltsam. Bedrohlich. Auf keinen Fall gut. Während das englische Verbandsteam immer ‚England‘ genannt wird, Brasilianer ihr Team ‚Seleçao‘ nennen und Spanier ihres ‚Selección‘, bestanden wir auf dem ‚National‘. Die Welt ignoriert das und nennt die Fußballer der Bundesrepublik Deutschland (die DDR spielte in der Fußballwelt keine Rolle) seit vielen Jahren nur die ‚Mannschaft‘. Auch das hatte keinen guten Klang. In die internationale Konnotation des Begriffs waren die alten Teutonenklischees eingeprägt, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und der ästhetische Widerwille gegen den Spielstil. Die Mannschaft, das bedeutete: Scheißfußball der Deutschen, der sich durchsetzte, leider.“ Heute verbreite die deutsche Elf „ein Gefühl der Hoffnung. Sie ist eine romantische Metapher für die Möglichkeit einer guten Zukunft unseres Gemeinwesens. Einer Gemeinschaft, die sich nicht über Blut definiert, sondern über gemeinsame Ziele.“

Kommentare

5 Kommentare zu “Mesut gegen Messi”

  1. Peter
    Samstag, 3. Juli 2010 um 19:05

    Schlaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaand!

  2. Kai Butterweck
    Samstag, 3. Juli 2010 um 22:26

    4:0 für Mesut würd ich sagen;)

  3. Lena
    Samstag, 3. Juli 2010 um 23:33

    Ich gebe hiermit meine Stimme bei der Wahl des MVP des World Cups für Müller ab. Bester Newcomer sowieso. Özil stolpert bissi viel mit Ball, wenn auch ohne Weltklasse.

    Und Hr. Fritsch: Bei Ihrer Teambewertung heute in der deutschen Taktik defensiv fast ein 4-6 gesehen, stimmt so nicht, eher ein 4-5-1 mit Özil unbehelligt und müde. Von ihm erwarte ich gegen Spanien eine Topleistung, Kroos auf seiner Position, Özil ersetzt Müller und Spanien kann einpacken.

    Danke Jogi Löw, dass Sie die Schwachstelle Badstuber (als Außenverteidiger) abgestellt haben, auch wenn Boateng am Anfang etwas die Bindung fehlte, was sich aber Spiel um Spiel verbessert. Er spielt routinierter und cooler.

  4. Peter
    Sonntag, 4. Juli 2010 um 01:00

    @Lena
    Wenn die Wahl des MVP nicht über die Internetseite der Fifa durchgeführt wird, dann könnte das sogar tatsächlich hinhauen. Ansonsten wird Cristiano Ronaldo gewählt.

    Ich würde lieber Kroos auf der Müllerposition sehen, Trochowski traue ich das nicht wirklich zu. Wobei ich nicht weiß, ob Kroos so den Olic geben kann, wie Müller das tut…

    Aber ich bin bei dieser WM schon so oft positiv überrascht worden… 🙂

  5. Lena
    Sonntag, 4. Juli 2010 um 10:48

    Hoffentlich wird der Verlust von Müller im Halbfinale nicht so groß wie damals der Verlust von Frings.

    Es ist doch wirklich erstaunlich, wie sich die Taktik seit der letzten WM verändert hat. Das deutsche Mittelfeld besetzt von Total-Football Spielern, selbst der Angriff spielt eine 6 bei Bedarf. Und ein Friedrich macht ein herausgespieltes Tor – kein Standard oder so – in bester Mittelstürmer Manier.

    Ich konstatiere: Die Anforderungen für die Spieler werden komplexer, einerseits eng im einstudierten System agieren, andererseits im richtigen Moment – also für jedes Spiel speziell abhängig von Situation und Schwächen des Gegners – raus aus dem System, das gegnerische Überlasten und brechen. Es ist ja kein Zufall, dass ausgerechnet Deutschland mit Schweinsteiger und Kedhira die komplettesten Spieler im hinteren Mittelfeld haben, zur Not könnte die doch fast jede Position spielen, Schweinsteiger auch Torwart.

    Auch Klose agiert bärenstark im Zweikampf, laufaktiv und mannschaftsdienlich. Der Torwart spielt super schnelle und weite Eröffnungen, kickt mit.

    Ich kanns nicht anders sagen, Löw hat die richtigen Spieler für sein System mitgenommen und aufgebaut. Bisschen Glück gehört natürlich auch dazu, aber durch viel Einsatz und Mühe zwingt er es auch auf seine Seite. Er lässt einfach aussehenden Fussball spielen, der aber alles andere als einfach ist. Nur durch eine fein austarierte Balance im Team, mit technisch fähigen, schnellen und intelligenten Spielern, die sich auch was sagen lassen und es GERNE umsetzen mit eigener Note, durch einstudierten Spielzüge / Spielsituationen und Taktiken, Verzicht auf viele Elemente, die stören (hohe Bälle aus dem Halbfeld usw.), erlernte Variationen in Spielgeschwindigkeit und Passtiefe und gezielte Herausarbeitung der gegnerischen Schwächen, usw usf. sieht es EINFACH aus. Es ist aber sehr kompliziert und aufwendig bei Herstellung der Bedingungen dafür.

    Und nochmal: Es war Argentinien, das da abgeschossen wurde als wären es die Faröer Inseln gewesen.

    Man könnte sagen Deutschland spielte gegen Argentinien mit der Apple Taktik.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

119 queries. 0,487 seconds.