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Deutsche Elf

Mehr als eine Kopie

Jan-Carl Ronnecker | Mittwoch, 7. Juli 2010 Kommentare deaktiviert für Mehr als eine Kopie

Die Presse sieht in der deutschen Spielweise mehr als nur die Nachahmung des spanischen Stils; Toni Kroos als Müller-Ersatz findet einige Befürworter

Stefan Osterhaus (NZZ) stellt fest, dass Deutschland das spanische Repertoire um eine Facette erweitert: „Löw hat zwar eine klare Vorstellung vom idealen Fussball, doch er ist auch ein Pragmatiker. Zwar ist der spanische Fussball der letzten Jahre mit seinem virtuosen Kurzpassspiel sein Leitbild, doch das deutsche Team ist an dieser WM keine Epigone der Iberer, die ihnen vor zwei Jahren im Final der Euro noch weit überlegenen waren. Löws Equipe ist nicht nur im Angriff stark, sondern versteht sich exzellent auf Konter.“

Alle für Einen

Axel Kintzinger (FTD) bewertet die Aussagen Löws zur Favoritenrolle als Tiefstapelei: „Es scheint, als habe die Nationalmannschaft Gefallen gefunden an der Rolle des Underdogs. Nicht einmal Rachegelüste wegen des gegen Spanien verlorenen EM-Endspiels vor zwei Jahren kommen in dieser Atmosphäre auf. Stattdessen Lob für den Gegner: ‚Wir haben 2008 gegen die mit Abstand stärkste Mannschaft verloren‘, erinnerte Löw an das Finale von Wien – und wich dann doch von seiner Haltung ab. ‚Diesmal ist es eine andere Situation‘, sagte der Bundestrainer, ‚diesmal sind wir besser.‘ Da stellt sich natürlich umgehend die Frage, ob Spanien auch besser geworden oder zumindest gleich stark geblieben ist – die bisherigen Auftritte des Europameisters lassen diesen Schluss ja nicht unbedingt zu.“

Der Ausfall Thomas Müllers beschäftigt die Presse weiterhin. Michael Rosentritt (Zeit Online) empfiehlt, dem Ersatzmann nicht alles aufzubürden: „Vielleicht sollte die gesamte Mannschaft ein paar mehr Müller’sche Züge annehmen. Zuzutrauen ist es ihr. ‚Was die Mannschaft an Willen abgerufen hat, das war nicht nur internationales Niveau, sondern Champions-Niveau‘, sagte Löw nach dem stilbildenden Sieg: ‚Ich habe meinen Spielern gesagt: Ihr seid jünger, schneller und ausdauernder.‘ Er hätte auch sagen können: Ihr seid alle Müller!“

Mal was Überraschendes

Der Bundestrainer hat drei Namen als Müller-Ersatz in die Runde geworfen. Trochowski dürfte Favorit sein, Cacau nur Außenseiterchancen haben. Die dritte Variante hat es zumindest einigen angetan. André Görke (Tagesspiegel) führt aus: „Eine vielversprechende Variante könnte der Einsatz des fußballerisch so ungemein begabten Toni Kroos sein. 20 Jahre ist der Mecklenburger alt, geboren als einziger im Team in den neuen Bundesländern. Kroos (zwei WM-Einsätze), der in den vergangenen eineinhalb Jahren an Bayer Leverkusen ausgeliehen war und sich dort einen Namen machte, gilt als ballsicher und auch clever in Standardsituationen, die bisher nur bedingt zu den Stärken der Nationalmannschaft zählten. Mit ihm kämen neue Ideen ins Spiel, die die Spanier dann doch noch überraschen könnten. Die Geschichte mit dem blauen Viertore-Kuschelpulli kennen sie ja schon.“

Michael Ashelm (FAZ) stimmt mit ein: „Der 20 Jahre alte Kroos hinterließ während der vergangenen Tage im Training einen überaus motivierten Eindruck, zudem käme sein Einsatz wohl für die Spanier weitaus überraschender als der von Trochowski. Der Spieler selbst zeigt sich bereit für die Aufgabe, auch wenn sie nicht direkt seinem Profil entspricht. ‚Ich empfinde es als großes Lob, dass der Trainer mir sogar diese Position zutraut. Wenn man schon bei der Nationalmannschaft dabei ist, würde man gern auf vielen Positionen spielen – natürlich auch rechts‘, sagt Kroos. Dagegen hat der ausgebildete Stürmer Cacau nur Außenseiterchancen.“

Duell im Mittelfeld

Michael Horeni (FAZ) wirft einen Blick auf den neuen Taktgeber im deutschen Mittelfeld und auf zwei entscheidende Duelle: „Manchmal dauert es, bis man begreift, dass man es mit jemanden zu tun hat, der ein Stück mehr zu sich selbst gefunden hat. ‚Bastian Schweinsteiger hat einen unglaublichen Reifeprozess gemacht in den letzten zwei Jahren‘, sagte Joachim Löw über seine Entwicklung. ‚Bei ihm beobachtet man eine besonders hohe Konzentration.‘ Gegen Spanien wird es darauf ankommen, wie Schweinsteiger zusammen mit Khedira gegen das Mittelfeld-Duo Iniesta und Xavi besteht, die beste Achse der Welt. ‚Diese Spieler sind entscheidend für das spanische Spiel, sie geben den Rhythmus vor‘, sagt Schweinsteiger. Dass er mit seinen Kollegen auch diese vorletzte Prüfung bestehen wird, daran lässt er keinen Zweifel. ‚Ich will nicht wieder nach Berlin kommen ohne etwas in der Hand.‘“

Im Interview mit Andreas Rüttenauer (taz) erklärt DFB-Chefscout Urs Siegenthaler, dass ihn die Spanier nicht überraschen werden.

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