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EM 2016

EM 2016 – Stimmungskiller, Schießgewehre und Hiobsbotschaften

Kai Butterweck | Donnerstag, 9. Juni 2016 Kommentare deaktiviert für EM 2016 – Stimmungskiller, Schießgewehre und Hiobsbotschaften

Wird Deutschland Europameister? Hoffen die Polen auf Hilfe von oben? Und sollte man Karim Benzema einen Maulkorb verpassen? Fragen über Fragen…

Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels zählt die deutsche Nationalmannschaft zu den Turnierfavoriten. Tobias Holtkamp (Welt) tritt auf die Euphoriebremse: „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren keinen Fortschritt gemacht, unsere Nationalelf hat sich, zum ersten Mal unter Jogi Löw, nicht verbessert. Im Drumherum ja, in der Wahrnehmung auch, überall in der Welt beneiden sie uns um „Die Mannschaft“. Aber nur dort lag meiner Ansicht nach auch das Augenmerk, zu wenig auf dem Platz, wo die nächste Entwicklungsstufe, das nächste System, die neue Spielidee, elementar gewesen wäre. Diesen Schritt haben andere Nationen gemacht.“

Peter Ahrens (Spiegel Online) schließt sich an: „Seit dem Triumph von Rio vor zwei Jahren hat sich eine gewisse Lethargie im Team breitgemacht. Wenn man zudem ehrlich ist, hat sich seitdem außer dem Kölner Außenverteidiger Jonas Hector kein einziger neuer Spieler wirklich aufgedrängt. Das DFB-Team brät im eigenen Saft. Löw hat es bisher immer geschafft, das Team vor einem Turnier zu einem gewissen Grad neu zu erfinden. Diesmal nicht. Von daher ist die Stärke der Erfahrung auch gleichzeitig die Schwäche.“

Der junge Tah hat’s drauf

Pit Gottschalk (reviersport.de) freut sich auf Rüdiger-Ersatz Jonathan Tah: „Der junge Tah hat’s drauf. Es kamen die Spiele in den Sinn, die Tah wie ein Fels in der Brandung bestritten hatte: Die Angriffswellen des Gegners rollten auf ihn zu, er aber stand mit gutem Stellungsspiel und überragender Robustheit im Auge des Taifuns seinen Mann. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass Tah erst 20 Jahre alt ist. Darum ist Löws Entscheidung nur logisch und richtig.“

Christian Kamp (FAZ) steht mit einem Fernglas vor den Toren des deutschen EM-Quartiers: „Etwas Einmaliges, das ist das Campo Bahia in jedem Fall gewesen, wie Bierhoff seit dem WM-Triumph stets betont. Weshalb es geradezu geboten war, für die Europameisterschaft in Frankreich nach etwas ganz anderem Ausschau zu halten. Herausgekommen ist ein krasser Gegensatz: Das „Ermitage“ in Évian-les-Bains, wo die Deutschen am Dienstag ihre Zimmer bezogen, kommt als ziemlich konventionelle Hotelanlage in einem etablierten – man könnte auch sagen: saturierten – Urlaubsresort daher. Romantisch, das schon irgendwie auch mit dem famosen Blick auf den Genfer See und die Alpen. Aber ganz anders als jener Hauch von Abenteuer, der sich seinerzeit in Brasilien spüren ließ.“

Jan Christian Müller (FR) steht vor verschlossenen Türen: „Presseleuten und Bevölkerung ist der Zugang zum Eingang der Höhle verschlossen. Die Betreiber der Herberge, die auf den Namen Ermitage hören würde, wenn sie Ohren hätte, mussten eigens für die berühmten Gäste ein schmiedeeisernes Tor gießen lassen. Es gelten hohe Sicherheitsstandards in dem saturierten Nest am Genfer See. Sogar die freundlichen Verkehrspolizisten tragen schusssichere Westen, und hinter Hecken hockt die Militärpolizei mit Schießgewehren.“

Wie ein tschechischer Pirlo

Wie weit werden die Tschechen diesmal kommen? Martin Machowecz (Zeit Online) grübelt: „Rosický und Čech spielen immer noch. Letzterer ist weiterhin einer der besten Torhüter der Welt, Ersterer kann immer noch Zuckerpässe spielen wie ein tschechischer Pirlo. Aber es hat sich seit 2004 eben doch alles verändert. Rosický ist jetzt 35, er hat in diesem Jahr für seinen Verein Arsenal London ungefähr ein Pflichtspiel absolviert, weil er ständig verletzt war, jetzt läuft sein Vertrag aus. Pavel Nedvěd, Milan Baroš und Jan Koller sind gar nicht mehr da. Stattdessen spielen nun Leute wie der Bremer Gebre Selassie und der Berliner Vladimír Darida, vielleicht kennt man als Bundesliga-Fan auch noch den Hoffenheimer Pavel Kadeřábek. Ach ja, noch eine Hiobsbotschaft: In Tschechiens Gruppe spielen Spanien, Kroatien und die Türkei.“

Werden die Polen für eine Überraschung sorgen? Andreas Evelt (Spiegel Online) ist sich unsicher: „In der Gruppe C mit Deutschland, der Ukraine und Nordirland ist das Erreichen des Achtelfinals das klare Ziel für die Mannschaft von Trainer Adam Nawalka, der die Nationalelf seit fast drei Jahren betreut. Klar ist jedoch auch trotz des brillanten Stürmers Lewandowski: Sollte es in Frankreich im Vorrundenspiel gegen Deutschland erneut zu extremen Regenfällen kommen, wäre das für die insgesamt deutlich schwächeren Polen diesmal wohl eher ein Vorteil als ein Nachteil – im Gegenteil zur Wasserschlacht von vor 42 Jahren.“

Benzema sollte vorsichtiger sein

Im Interview mit der SZ nimmt sich Frankreichs Rekordnationalspieler Lilian Thuram den aussortierten Karim Benzema zur Brust: „Benzema sollte vorsichtiger sein, und wir sollten nicht den Fehler begehen, Benzemas Spiel mitzuspielen. Rassismus ist eine sehr ernste Angelegenheit. Wenn Benzema sagt, er sei grundlos verbannt worden, diskreditiert er jene, die den Rassismus bekämpfen – und jene, die ihn tatsächlich erleiden.“

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