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Champions League

Bayern im Rausch, Barca am Boden

Kai Butterweck | Montag, 17. August 2020 Kommentare deaktiviert für Bayern im Rausch, Barca am Boden

Das Champions-League-Finalturnier in Lissabon: Die Presse beschäftigt sich intensiv mit euphorischen Münchnern, demontierten Spaniern und enttäuschten Engländern

Der FC Bayern zerlegt den großen FC Barcelona in seine Einzelteile. Fabian Scheler (Zeit Online) schwärmt von einem aufsteigenden FCB-Stern: „Alphonso Davies ist ein 19-jähriger, sehr flinker Münchner Außenverteidiger mit einer wundervollen Aufsteigergeschichte eines nach Kanada geflüchteten Jungen. Phonsie nennen sie ihn bayerisch-niedlich. Manchmal steht Phonsie noch sehr falsch, was ihn häufiger in die unangenehme Lage bringt, dem Gegner im Sprint nach hinten mehrere Meter abnehmen zu müssen. Andererseits wäre sein Tempo im Circus Krone eine eigene Nummer wert. Nun hat er der Nachwelt eine Torvorlage geschenkt, die sicher bald auf Frühstücksbrettchen, Postern oder T-Shirts gedruckt wird.“

Lars Wallrodt (Welt) blickt positiv in die Zukunft: „Hinter dem Branchenprimus FC Bayern hatte sich ein Kernschatten gebildet, in dem die anderen Klubs verkümmerten. Das Ergebnis: Monotonie in der Bundesliga, Blamagen in Europa. Es fehlte an mutigen Konzepten, an Visionen und – ja – auch an Geld. Dass nun erstmals seit 2013 wieder zwei deutsche Teams im Halbfinale der Champions League stehen, darf deshalb nicht überbewertet oder gar als Trendwende gedeutet werden. Allerdings ist es ein Mutmacher.“

Klare Spielidee

Claudia Neumann (zdf.de) gratuliert den Barca-Bezwingern: „Hansi Flick hat innerhalb weniger Monate aus internationalen Ausnahmekönnern, die monatelang Form und Selbstverständnis suchten, ein beeindruckendes Ensemble mit klarer Spielidee, diversen Handlungsoptionen und einem messerscharf ausgeprägten Teamgeist modelliert. „Mir san mir“, mit besten Aussichten auf das zweite Triple der Vereinsgeschichte. Und mit der angemessenen Portion Respekt und Demut.“

Max Ohlert (Berliner Zeitung) erklärt den Zusammenbruch der Katalanen wie folgt: „Es hätte alles so episch sein können, hätte dieser zauberhafte Märchensieg vor einem vollbesetzten Stadion, mitten in der Saison stattgefunden. Stattdessen trafen die Münchner lange nach Saisonende in der „Blase“ von Lissabon auf ein Team, das inmitten der Corona-Krise, die in Spanien besonders schwer wütet, gerade die Meisterschaft an Erzfeind Real Madrid verloren hat. Ein Team, bei dem die Covid-19-Erkrankung von Verteidiger Samuel Umtiti ausgerechnet am Tag des Viertelfinalspiels öffentlich bekannt wurde. Ein Team, das noch nicht weiß, wie es weitergeht, wenn sich die Neuinfektionen, die in Barcelona gerade massiv ansteigen, nicht eindämmen lassen. Kaum zu glauben, dass die Katalanen vollends fokussiert in diese Partie gegangen sind.“

Weltstars außer Dienst

Tobias Nordmann (n-tv.de) schließt ein Kapitel: „Mit 2:8 wurde das Team aus Katalonien im Viertelfinale der Champions League vom FC Bayern überrollt. Es wurde vorgeführt. Bloßgestellt. Und diese Demontage endete dann auch noch mit einer Frage, die sich eigentlich verbietet. So sollte der Münchner Joshua Kimmich beantworten, ob ihm Messi nach dem Spiel leid getan habe. Er sagte nur ein Wort, ein Wort, das die ganze Brutalität des Abends zusammenfasste. Kimmich sagte: „Nein“. Die Gier seiner Bayern, grenzenlos. Die Erschöpfung und Enttäuschung bei Barça, noch grenzenloser. Nicht weniger als eine Ära geht zu Ende – nach einem langen Leiden des Teams aus Weltstars, gealterten Weltstars, Weltstars außer Dienst und unfertigten Talenten.“

Claus Vetter (Tagesspiegel) ordnet das Gesamtergebnis ein: „Natürlich sind die Europapokalwettbewerbe nun nicht mehr die, die sie anfangs der Saison waren. Es ist ein bisschen so, als ob ein 5000-Meter-Lauf nach 4000 Metern über die Sprunggrube umgeleitet wird. Aber auch das kann aufregend viel Spaß machen, und so gesehen ist der Titel in der Champions League am Ende in jeder Hinsicht ein besonderer – wahrscheinlich für die Bayern, weniger wahrscheinlich für die Leipziger oder die beiden im Wettbewerb verbliebenen Klubs aus Frankreich, Paris und Lyon. Wie auch immer: Es wird der erste Titel sein, der unter den Bedingungen unserer neuen Normalität zustande kam.“

Martin Schneider (SZ) ist im „Turniermodus“-Rausch: „Aus der Not geboren scheint er spektakuläre Spiele zu fördern, weil man viel weniger Zeit zum Taktieren hat, rein fußballerisch macht das schon Spaß. Aber wird die Uefa dabei bleiben? Sehr wahrscheinlich nicht, denn weniger Spiele bedeuten weniger Einnahmen und dafür hat sich der Fußball noch nie entschieden.“

Bröckelnder Mythos

Manchester City scheidet überraschend gegen Olympique Lyon aus. Filippo Cataldo (spox.com) kratzt an einem Trainer-Denkmal: „Pep Guardiolas Champions-League-Bilanz seit 2011 als total missraten zu bezeichnen, wäre trotz der Riesen-Investitionen vor allem bei City zu hart. Seine vier Halbfinal- und drei Viertelfinalteilnahmen in seinen acht Trainerjahren seither (2013 war Pep im Sabbatical) sind insgesamt schwer zu toppen. Obgleich mit City schon mal das Halbfinale herausspringen muss. Und so steht Guardiola jetzt da als einer, der keine K.o.-Spiele kann. Sein Mythos bröckelt.“

Mit Thomas Tuchel Hansi Flick und Julian Nagelsmann stehen drei deutsche Trainer im Champions-League-Halbfinale. Philipp Selldorf (SZ) applaudiert: „Jetzt staunen nicht nur die Engländern über die gewinnbringende Qualität der deutschen Fußball-Lehre, denn für die Tatsache, dass drei deutsche Trainer im Halbfinale der Champions League stehen, mag es manche Erklärung geben – nicht aber die, dass es sich um reinen Zufall handelt. Zumal keiner der drei Trainer Jürgen Klopp heißt. Neben den beteiligten Individuen mit ihren sehr unterschiedlichen Herangehensweisen haben an der neudeutschen Prägung des internationalen Fußballs sowohl die Bundesliga als auch die akademische Ausbildung des Deutschen Fußball-Bundes Anteil. Dazu kommt der Einfluss von Vordenkern, die aus ihren Theorien praktische Grundlagen geschaffen haben, wobei der wichtigste und zugleich typischste deutsche Vordenker sicherlich Ralf Rangnick, 62, ist, beileibe nicht nur deshalb, weil in seinem Sport-Labor der Halbfinalist RB Leipzig erfunden wurde.“

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